ARIIOOL
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Blut …, Blut …, Blut! Ich erinnere mich, ich sah in diesem Moment an mir herunter. Sah meinen geblümten Pyjama, dunkelblau mit gelben Lilien. Ein Designerstück, dessen Kosten selbst meinen Therapeuten erschüttern würden. Ja, auch den gibt es, aber davon später mehr. Sah an mir herunter, betrachtete die perfekte Symmetrie meiner Fußnägel, von zarten Frauenhänden manikiert. Einen so alten Körper pflegt man, damit er perfekt aussieht, wenn er durch einen unglücklichen Zufall auf einem Seziertisch landet. Ich erinnere mich, ich stand auf einem Stuhl, vor mir das geöffnete Fenster. Meine perfekten Zehen beugten sich über dass glatte Holz des Stuhls in die Tiefe. Ein Schritt, und ich stand auf der Brüstung. Vor mir ein Lichtermeer, unten das schmale Band der Straße, zu weit entfernt, um Details zu erkennen. Beugte mich vor, ließ mich fallen, wie Ikarus ohne Flügel. Der Pyjama blähte sich dem Fenster entgegen, an dem ich noch vor Sekunden gestanden hatte. Das Band der Straße wurde breiter, aus Spielzeug wurden echte Autos.
Drei Meter über dem Kopf eines graugestreiften Anzugträgers verwandelte ich mich. Noch in dem Schwung der Kurve, die mich wieder in die Lüfte hob, sah ich den ausgestreckten Arm, daran das Handy, mit dem der Typ sein feistes Gesicht in die Welt schickte. Verwandlung zurück, ich schaffte einen perfekten Sprung dicht hinter seinen Rücken. Zu schnelle Bewegung für das menschliche Auge, doch den Verschlusszeiten moderner Telefone vertraute ich nicht. Ein Stoß in die Rippen, und er taumelte einem Taxi entgegen, flog wie eine tote Ratte durch die Luft und ich folgte. Er hielt sein Liebstes fest in der Hand und ich entriss es ihm. Sein Bild grinste mich an, dahinter meine blutroten Augen.
Die Nacht hatte mich zurück und erwartete meinen Hunger. Einer nostalgischen Anwandlung folgend, flog ich zum Hafen, dem Ort der einsamen Herzen, in denen das Leben in diese Stadt hereinströmte und es wieder verließ. Der Appetit hatte mir das Gehirn vernebelt und ich gab einen lächerlichen Anblick ab. Meine gelben Lilien leuchteten im Schein nebelverhangener Laternen. Dazu der rote Glanz in meinen Augen, in denen sich die Vorfreude auf mein erstes Mahl sammelte. Wie ging es weiter? Diese Momente gleichen sich in meiner Erinnerung wie der ewig selbe Abspann einer unendlichen Serie. Die Abwechslung lag in der Art, wie ich die schlaffen Spuren meiner Begierde beseitigte. Die Hochöfen der nahen Eisenhütten waren meine liebste Wahl, wenn nicht Bequemlichkeit mich für eine wortlose Beerdigung im Brackwasser des Hafens entscheiden ließ.
In den kleinen Dörfern rings um mein verlorenes Schloss war ich vor Jahrhunderten wohlbekannt und gefürchtet. Raffinesse und Resistenz gegen Knoblauch war gefragt, präzises Observieren von Gewohnheiten, die eine arme Seele des Nachts aus dem schützenden Kokon seiner Heimstatt entreißen möge.
Hier und Heute gehe ich unter in der Masse der Beliebigkeit. Einsame Wölfe, streunende Dirnen, ein zu neugieriger Wachmann auf einsamer Streife, ich hatte stets die Qual der Wahl.
Meine Zähne spielten mit der SIM-Karte eines verwaisten Handys, dessen Besitzer es nicht mehr brauchte. Ich stellte mir diese Stadt von oben vor, auf der meine Streifzüge als gepunktete Linie stets am gleichen Ort zur Ruhe kamen. Es wäre so leicht, dem allem mit einer Schlagzeile und nachfolgenden ewigem Internetruhm ein würdiges Ende zu geben. Darum mein Therapeut. Solche Gedankenspiele verunsicherten mich, waren meines uralten Stammbaums nicht würdig. Diese Pyjamanacht war anders gewesen. Ein Hochgefühl durchströmte mich, während der kalte Novemberwind die Ritzen meines gelb geblümten Nachtgewands durchdrang. Ich spürte, dass etwas Besonderes geschehen würde, dass sich etwas herausschälte aus dem grauen Asphalt der Stadt.
Ein Männlein tauchte neben mir auf, ich erinnere mich an seine Lautlosigkeit, an den plötzlichen Duft eines süßlichen Aftershaves, in dem er gebadet hatte. Erinnere mich nur undeutlich an seine Stimme, die nicht wirklich eine war. Sie klang wie ungeöltes Öffnen rostiger Türen, wie eine Collage erfundener Geräusche.
»Fündig geworden, oder sollte ich zittern vor Angst?« Allein der bloße Inhalt dieses Satzes erweckte meine Neugierde. Was hatte ich nochmal geantwortet?
»Was sollte ich um diese Zeit hier schon suchen, außer meinen Schlaf oder verlorene Schlüssel?« Beeindruckende Körpergroße ist in solchen Momenten ein Grund, sich zu bücken. Ich wollte unbedingt sein Gesicht sehen, dass er unter der Krempe eines altmodischen Huts verbarg. Er ersparte mir die Demütigung einer Verbeugung oder sich selbst einen schnellen Tod durch meinen Griff an seine Kehle, zog den Hut und verbeugte sich seinerseits.
»Darf ich mich Ihnen vorstellen, meine unzähligen Namen haben sie sicher schon einmal gehört? Azrael, Shinigami, Hüter des Hades, der schwarze Reiter? Klingelt da was? Døden mag ich ganz besonders, dass ist Norwegisch und klingt wie reifes Obst, das bald geerntet wird.«
»Ein süßer Biss in blutrote Frucht hat mir stets gefallen, und auch deine Namen sind mir geläufig. Hast du dich verlaufen oder warum labberst du mich hier so unverschämt an?« Dem Tod begegnet man am besten mit kalter Verachtung. Mir konnte es im Grunde egal sein, dass er sich hier seine winzige Nase abfror.
»Ein unverschämtes Angebot gefällig?« Das mag sich jetzt erfunden anhören, doch er öffnete seinen langen Mantel. Ich schaute die ausgestorbene Gasse entlang, auf der Suche nach einer versteckten Kamera. Ein kalter Luftzug strich über mein Gesicht, der Gnom wedelte wie ein flügellahmer Kondor mit den Enden seines Mantels, schwebte empor und schaute mir direkt in meine blutunterlaufenden Augen.
»Unverschämtes gefällig?« bot er mir abermals an. Ich konnte nicht mehr wegsehen.
An den Innenseiten seines Mäntelchen prangten säuberlich aufgereiht etliche Fläschchen mit Tinkturen. Keine goldenen Uhren, von denen ich nie Gebrauch machte, keine Handys, dessen Ausstrahlungen mir Schmerzen bereiten.
»Heute ist dein Glückstag!«, säuselte er mit seiner seltsamen Stimme.
Ich hatte es richtig geahnt.
»Bauchspeichelsaft einer ungeborenen Höllenbrut, bringt dich garantiert ohne Schmerzen um.« Der Tod tippte auf ein grünes Fläschchen. Ich schüttelte gelangweilt den Kopf.
»Ein Kenner!. Hier etwas ganz Besonderes. Die abgeschabte Hornhaut von …, ähm, ist nicht so wichtig. Es bringt dich in der Zeit zurück, weit zurück, je mehr du davon trinkst.« Gelb wie Hornhaut, dass hatte ich mir gemerkt, doch schwieg in stiller Erwartung von mehr.
»Nur heute, nur für Vampire. Du hast nicht zufällig heute Geburtstag? Egal, dreitausend Jahre gereifter Whisky aus den schottischen Highlands. Destilliert von deinen eigenen Vorfahren.« Das Männchen hielt den Kopf schief, mir entglitt die Mimik und ein dümmlicher Spruch.
»Glaub ich nicht, die sind alle tot.« Man sieht hoffentlich, dass ich nichts beschönige. Ich habe das tatsächlich gesagt.
»Was macht es?« fügte ich entschuldigend hinzu.
»Für dich? Heute und hier in dieser Kälte? Alles umsonst.«
»Das blaue, was macht es?«
»Single Malt macht dich zu einem Menschen. Das volle Programm. Sonnenbäder, Currywurst statt Blutwurst, in spätestens, hm …, vierzig Jahren kratzt du ab.«
»Kann ich alle drei …?« Mir war alles egal, ich wollte weiter, endlich trinken.
War das gestern? Mein Gedächtnis ist so beschissen. Ich hatte getrunken, den Leib meines Abendessens entsorgt und später durch das immer noch offene Fenster zurück zu meinem Stuhl und dem anderen Kram. Es dämmert, ich werfe einen letzten Blick auf die drei Fläschchen auf dem Designertisch. Ich liege schon im Sarg, schließe bedächtig den Deckel und versuche mich zu erinnern, welches Fläschchen mich in mein Schloss zurückbringt.
Drei Meter über dem Kopf eines graugestreiften Anzugträgers verwandelte ich mich. Noch in dem Schwung der Kurve, die mich wieder in die Lüfte hob, sah ich den ausgestreckten Arm, daran das Handy, mit dem der Typ sein feistes Gesicht in die Welt schickte. Verwandlung zurück, ich schaffte einen perfekten Sprung dicht hinter seinen Rücken. Zu schnelle Bewegung für das menschliche Auge, doch den Verschlusszeiten moderner Telefone vertraute ich nicht. Ein Stoß in die Rippen, und er taumelte einem Taxi entgegen, flog wie eine tote Ratte durch die Luft und ich folgte. Er hielt sein Liebstes fest in der Hand und ich entriss es ihm. Sein Bild grinste mich an, dahinter meine blutroten Augen.
Die Nacht hatte mich zurück und erwartete meinen Hunger. Einer nostalgischen Anwandlung folgend, flog ich zum Hafen, dem Ort der einsamen Herzen, in denen das Leben in diese Stadt hereinströmte und es wieder verließ. Der Appetit hatte mir das Gehirn vernebelt und ich gab einen lächerlichen Anblick ab. Meine gelben Lilien leuchteten im Schein nebelverhangener Laternen. Dazu der rote Glanz in meinen Augen, in denen sich die Vorfreude auf mein erstes Mahl sammelte. Wie ging es weiter? Diese Momente gleichen sich in meiner Erinnerung wie der ewig selbe Abspann einer unendlichen Serie. Die Abwechslung lag in der Art, wie ich die schlaffen Spuren meiner Begierde beseitigte. Die Hochöfen der nahen Eisenhütten waren meine liebste Wahl, wenn nicht Bequemlichkeit mich für eine wortlose Beerdigung im Brackwasser des Hafens entscheiden ließ.
In den kleinen Dörfern rings um mein verlorenes Schloss war ich vor Jahrhunderten wohlbekannt und gefürchtet. Raffinesse und Resistenz gegen Knoblauch war gefragt, präzises Observieren von Gewohnheiten, die eine arme Seele des Nachts aus dem schützenden Kokon seiner Heimstatt entreißen möge.
Hier und Heute gehe ich unter in der Masse der Beliebigkeit. Einsame Wölfe, streunende Dirnen, ein zu neugieriger Wachmann auf einsamer Streife, ich hatte stets die Qual der Wahl.
Meine Zähne spielten mit der SIM-Karte eines verwaisten Handys, dessen Besitzer es nicht mehr brauchte. Ich stellte mir diese Stadt von oben vor, auf der meine Streifzüge als gepunktete Linie stets am gleichen Ort zur Ruhe kamen. Es wäre so leicht, dem allem mit einer Schlagzeile und nachfolgenden ewigem Internetruhm ein würdiges Ende zu geben. Darum mein Therapeut. Solche Gedankenspiele verunsicherten mich, waren meines uralten Stammbaums nicht würdig. Diese Pyjamanacht war anders gewesen. Ein Hochgefühl durchströmte mich, während der kalte Novemberwind die Ritzen meines gelb geblümten Nachtgewands durchdrang. Ich spürte, dass etwas Besonderes geschehen würde, dass sich etwas herausschälte aus dem grauen Asphalt der Stadt.
Ein Männlein tauchte neben mir auf, ich erinnere mich an seine Lautlosigkeit, an den plötzlichen Duft eines süßlichen Aftershaves, in dem er gebadet hatte. Erinnere mich nur undeutlich an seine Stimme, die nicht wirklich eine war. Sie klang wie ungeöltes Öffnen rostiger Türen, wie eine Collage erfundener Geräusche.
»Fündig geworden, oder sollte ich zittern vor Angst?« Allein der bloße Inhalt dieses Satzes erweckte meine Neugierde. Was hatte ich nochmal geantwortet?
»Was sollte ich um diese Zeit hier schon suchen, außer meinen Schlaf oder verlorene Schlüssel?« Beeindruckende Körpergroße ist in solchen Momenten ein Grund, sich zu bücken. Ich wollte unbedingt sein Gesicht sehen, dass er unter der Krempe eines altmodischen Huts verbarg. Er ersparte mir die Demütigung einer Verbeugung oder sich selbst einen schnellen Tod durch meinen Griff an seine Kehle, zog den Hut und verbeugte sich seinerseits.
»Darf ich mich Ihnen vorstellen, meine unzähligen Namen haben sie sicher schon einmal gehört? Azrael, Shinigami, Hüter des Hades, der schwarze Reiter? Klingelt da was? Døden mag ich ganz besonders, dass ist Norwegisch und klingt wie reifes Obst, das bald geerntet wird.«
»Ein süßer Biss in blutrote Frucht hat mir stets gefallen, und auch deine Namen sind mir geläufig. Hast du dich verlaufen oder warum labberst du mich hier so unverschämt an?« Dem Tod begegnet man am besten mit kalter Verachtung. Mir konnte es im Grunde egal sein, dass er sich hier seine winzige Nase abfror.
»Ein unverschämtes Angebot gefällig?« Das mag sich jetzt erfunden anhören, doch er öffnete seinen langen Mantel. Ich schaute die ausgestorbene Gasse entlang, auf der Suche nach einer versteckten Kamera. Ein kalter Luftzug strich über mein Gesicht, der Gnom wedelte wie ein flügellahmer Kondor mit den Enden seines Mantels, schwebte empor und schaute mir direkt in meine blutunterlaufenden Augen.
»Unverschämtes gefällig?« bot er mir abermals an. Ich konnte nicht mehr wegsehen.
An den Innenseiten seines Mäntelchen prangten säuberlich aufgereiht etliche Fläschchen mit Tinkturen. Keine goldenen Uhren, von denen ich nie Gebrauch machte, keine Handys, dessen Ausstrahlungen mir Schmerzen bereiten.
»Heute ist dein Glückstag!«, säuselte er mit seiner seltsamen Stimme.
Ich hatte es richtig geahnt.
»Bauchspeichelsaft einer ungeborenen Höllenbrut, bringt dich garantiert ohne Schmerzen um.« Der Tod tippte auf ein grünes Fläschchen. Ich schüttelte gelangweilt den Kopf.
»Ein Kenner!. Hier etwas ganz Besonderes. Die abgeschabte Hornhaut von …, ähm, ist nicht so wichtig. Es bringt dich in der Zeit zurück, weit zurück, je mehr du davon trinkst.« Gelb wie Hornhaut, dass hatte ich mir gemerkt, doch schwieg in stiller Erwartung von mehr.
»Nur heute, nur für Vampire. Du hast nicht zufällig heute Geburtstag? Egal, dreitausend Jahre gereifter Whisky aus den schottischen Highlands. Destilliert von deinen eigenen Vorfahren.« Das Männchen hielt den Kopf schief, mir entglitt die Mimik und ein dümmlicher Spruch.
»Glaub ich nicht, die sind alle tot.« Man sieht hoffentlich, dass ich nichts beschönige. Ich habe das tatsächlich gesagt.
»Was macht es?« fügte ich entschuldigend hinzu.
»Für dich? Heute und hier in dieser Kälte? Alles umsonst.«
»Das blaue, was macht es?«
»Single Malt macht dich zu einem Menschen. Das volle Programm. Sonnenbäder, Currywurst statt Blutwurst, in spätestens, hm …, vierzig Jahren kratzt du ab.«
»Kann ich alle drei …?« Mir war alles egal, ich wollte weiter, endlich trinken.
War das gestern? Mein Gedächtnis ist so beschissen. Ich hatte getrunken, den Leib meines Abendessens entsorgt und später durch das immer noch offene Fenster zurück zu meinem Stuhl und dem anderen Kram. Es dämmert, ich werfe einen letzten Blick auf die drei Fläschchen auf dem Designertisch. Ich liege schon im Sarg, schließe bedächtig den Deckel und versuche mich zu erinnern, welches Fläschchen mich in mein Schloss zurückbringt.