Eine glanzvolle Karriere

Haselblatt

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"Ihr solltet mit der Füllfeder schreiben und nicht mit dem Kugelschreiber. Diese Dinger verderben die Schrift!" (Rufzeichen - Hochkomma geschlossen - Zitat Ende)

René hob die Augenbrauen und ließ seinen Blick belehrend über die Köpfe der Insassen des Klassenzimmers streifen.
René ist die Kurzform, denn all das geschah in jener Zeit, da die Lehrer in höheren Schulen geruhten, mit "Herr Professor" angesprochen zu werden, zumindest in der geografischen Region der Ostalpen.
Anders als heute, waren die Klassenzimmer der meisten Schulen weiß ausgemalt. Ein tadelhaftes Weiß, weil mit einem Schlag ins Grau-Braune verunziert, in direktem Bezug zum zeitgeistlichen Farbenspiel: Grau als Farbe der Theorie, die als Wissen vermittelt und streng geprüft wurde. Braun als schicksalhafte Komponente einer Generation von Lehrern, der das Glück der späten Geburt nicht beschieden war.
Dazu kam, dass die an der Decke montierten Leuchtstofflampen die Gesichter aller unterhalb anwesenden Gestalten mit einer kalkig-weißen Luminiszenz umgab, die in direkter Entsprechunug zur Monotonie des verbreiteten Lehrstoffs stand.
Wie gesagt: Kugelschreiber, ruinierte Schrift, daraus resultierend eine gestörte, oder zumindest geschmälerte Chance zur schriftlichen Ausdrucksfähigkeit. So war die logische Kette begründet, die sich hinter Renés obigem Zitat öffnete. Die Mehrheit der jugendlichen Klientel ließ sich davon aber nicht beirren und benützte weiter und ohne Gewissensbiss den verpöhnten Kugelschreiber. Denn zum einen konnte man einen solchen gefahrlos in die Brusttasche des Sakkos oder in den Hosensack stecken, ohne unangenehme blaue Farbklekse zu riskieren. Zum anderen waren Sie billiger und im Betrieb wartungsfrei, was damals einen Vorgriff auf die Maxime des noch einigermaßen entfernten dritten Jahrtausends bedeutete. Der gemeine blaue Kugelschreiber hatte demnach etwas Visionäres in sich. Außerdem entwickelte er einen seltsam süßlichen Geruch, wenn man ihn im Winter länger als zehn Minuten auf einen heißen Heizkörper legte. Nach weiteren zehn Minuten aber verwandelte sich dieser Geruch in unangenehmen Gestank, sobald die Minenflüssigkeit von der Thermik erfasst und an der kugelförmigen Spitze in winzigen Tröpfchen auszutreten begonnen hatte.

Jahre später: René hatte sich inzwischen beruflich neu orientiert und benützte neuerdings den zuvor geächteten Kugelschreiber. Konsequenterweise hatte auch sein Schriftzug etwas Ruinöses angenommen. Zum Glück ergab es sich - das muß etwa im Jahr 1973 gewesen sein - dass die Ingenieure des amerikanischen Elektronikkonzerns Xerox etwas geniales geboren hatten: den ersten Textprozesor der Welt!
Von da ab ging es Schlag auf Schlag auf dem Weg in das kybernetische Zeitalter, obwohl Bill Gates damals noch mit seiner Modelleisenbahn spielte und sich diebisch freute, wenn die schwarze Dampflokomotive im Tunnel entgleiste und er wie ein Frauenarzt in die finstere Röhre hinein langen musste, um das Schlamassel Stück für Stück zu bereinigen.
René hatte sich einen ebensolchen sündteuren Textprozessor angeschafft und begonnen, für das Feuilleton einer Lokalzeitung zu schreiben. Freunde und Verwandte wussten das und beauftragten ihn regelmäßig mit dem Verfassen von Beschwerden und Reklamationen. Ein Onkel, für den er öfters in die Tasten haute, meinte sogar, er hätte den falschen Beruf und sollte Rechtsanwalt werden. René prüfte den Vorschlag tatsächlich eine Zeit lang ernsthaft, verwarf ihn dann aber aus Gründen der Bequemlichkeit. Systematische Arbeit war ihm von Geburt an supekt. Dabei aber im Auftrag anderer zu lügen erschien ihm in höchstem Maße unethisch. Es gab bessere Optionen, wenn auch, das soll nicht verschwiegen werden, diese nicht vom finanziellen Anreiz des Anwaltsdaseins begleitet waren. Gegen Honorar für Gauner jeden Kalibers zu lügen war ohne Zweifel lukrativ, aber doch auch gefährlich. Denn bei Versagen vor dem Hohen Rat konnte es durchaus geschehen, dass man als Verlierer Besuch von ein paar Männern fürs Grobe erhielt. Selbst für die Besten konnte das schwere gesundheitliche Probleme nach sich ziehen.
Also nützte René seine schreiberische und rhetorische Begabung und bestieg den Aufzug in Richtung eines öffentlichen Mandats, legitimiert durch den Mehrheitsbeschluss der örtlichen Sektion jener Gesinnungsgemeinschaft, der er seit langem nahe stand. Insofern wurde er der Bedeutung seines Vonamens nur allzu gerecht: der Wiedergeborene.
Seither nützt er seine Fähigkeiten erfolgreich zur Abwehr unangemessener Attacken von Staatsanwälten im Zusammenhang mit der Demaskierung all der Lügen, die seine Kumpane beiderlei Geschlechts im Zug der Wahrnehmung Ihres Mandats verbreitet hatten. Welch glanzvolle Karriere!
 
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