Eine Weihnachtsgeschichte an der ScheinBAR

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Hagen

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Eine Weihnachtsgeschichte an der ScheinBAR

Als die Wunderbare Ulrike und ich neulich bei einem Cocktail namens ‘Paralleluniversum‘ an unserer ScheinBAR saßen, fiel ihr eine Haselünner Weihnachtsgeschichte ein, die sie mir umgehend erzählte:
„Es begab sich eines Tages, dass im Gasthaus zum ‘Grünen Jäger‘ zu Haselünne ein junger Mann einkehrte und den Wirt um ein Quartier für die Nacht bat. Der Wirt merkte auf, taxierte den jungen Mann und fragte: „Bett oder Heu?“
„Im Heu, Herr Wirt“, antwortete der junge Mann.
„So so, im Heu … Sind's ein Handwerksbursche?“
„Ja, Herr Wirt, ich bin ein Handwerksbursche auf der Walz.“
„So so auf der Walz. – Was sind's denn für ein Handwerksbursche? Wie heißen‘s denn, Herr Handwerksbursche?“
„Ich bin Maler, Herr Wirt und ich heiße Georg.“
„So so, Maler sind's … Georg! Dann hab' ich eine Arbeit für Sie! Gestern sind Tische und Gestühl von der Brauerei gekommen. Die können's anstreichen.“
„Ich bin ein anderer Maler, Herr Wirt.“ Der junge Mann legte sein Bündel auf den Tisch, öffnete es und zog einige Pinsel heraus, große und kleine, Kohlestifte sowie ein Fläschchen mit Terpentin.
„Sind's Schriftenmaler? Einen solchen brauch ich auch. Schreiben's draußen meinen Namen aufs Haus und ‘Zum grünen Jäger‘! Oder sind's zu stolz dazu?“
„Für eine ehrliche Arbeit bin ich nie zu stolz … Freilich nehm’ ich die Arbeit gerne an! Ich dank' halt schön, Herr Wirt.“
Die Wirtin brachte daraufhin dünn geschnittenes Rindfleisch in Essig und Öl, mit vielen Zwiebelscheiben. Neugierig schaute sie den fremden Maler an und der junge Maler blickte ihr lange nach. Schön war sie, die Frau Wirtin, gewandet in langem Kleide mit tiefem Dekolleté, welches sie derart raffte, dass wohlgeformte Beine und eine wundervolle Pracht sichtbar wurden, als sie ihm statt des vorjährigen schlechten Mostes ein großes Glas des guten Bremer Bieres kredenzte.
„Prost“, sprach sie, „es soll euch wohl bekommen!“
Zurück in die Küche ging sie mit wogendem Busen und wiegenden Hüften.
Georg blieb in Haselünne.
In den nächsten Tagen schliff und grundierte Georg, anschließend strich er Kübel voll Farbe über Stühle und Tische, Theke und Gebälk in der Gaststube, über Zäune und Latten im Garten. Alles strich er dreimal, damit er länger bleiben und die Frau Wirtin länger betrachten konnte. Die indes schnürte ihr Mieder derart, dass ihr Busen weiß und prall aus dem Dekolleté ihres Kleides hervorquoll. Georg verstand es wunderbar, dem Herrn Wirt einzureden, dass alles im Wirtshaus ‘Zum grünen Jäger‘ mit grüner Farbe zu verschönern sei.
Bald gab es im Wirtshaus keinen Flecken, der nicht neu gestrichen war. Hellgrün, dunkelgrün, schattiert, brüniert und Metallteile wurden mit edler Patina versehen. Sogar die Wirtin schritt alsbald grün gewandet einher. Die Bauern staunten nicht schlecht über die Farbenpracht.
In der folgenden Zeit bekam Georg viel zu tun, die Bauern baten den Maler zu sich, viel Arbeit hatten sie für ihn: „Geh, Maler, streich’ mir die Ofenbank, den Tisch, den Sessel, den Bilderrahmen, die Hoftür, den Giebel, den Zaun um meinem Haus.“
Georg logierte alsbald alle drei Tage bei einem anderen Bauern, für Speis und Trank sowie ein kleines Handgeld schmirgelte, grundierte, lasierte er und schwang seinen Pinsel. Mit Fleiß und Ausdauer kam er seinem Handwerk nach, und wenn die Bauern des Abends zum Kegelschieben gingen, arbeitete er weiter beim Schein von Kerzen und Laternen.
Am liebsten hätten die Bauern die Schwanzspitzen ihrer Ochsen und Kühe farbenfroh anstreichen lassen. Kübelweise kamen die Farben aus Meppen und Lingen angefahren, jeder suchte seinen Nachbarn an Farbenpracht und künstlerischem Geschmack zu übertrumpfen.
Auch der Pfarrer Haselünnes überlegte, wie er den Maler beschäftigen könnte.
„Wissen’s Herr Georg, der heilige Florian, der Schutzpatron der Feuerwehr, der fehlt noch in meiner Kirche. Können's mir den malen? In der Ecke neben der heiligen Barbara?“
Georg nickte verständnisvoll. „Versteh' schon. Sie meinen den römischen Soldaten mit dem Wasserkübel in der Hand? Den kriegen‘s oder besser, ich mal die Kirche um! Alles neu und prächtig! Fürwahr, Ihr sollt die schönste Kirche im Umkreise Haselünnes bekommen.“
Nun wohl, manch Fläschlein schmackhaften Bremer Bieres trank man noch den Abend, besprach die Einzelheiten und als die Sonne den Morgentau von den Gräsern küsste, überließ der Pfarrer dem Maler den Schlüssel zur Kirche. Die sonntägliche Messe wurde im Freien gelesen, ebenso die Folgende.
Der Pfarrer sprach davon, wie das große Volk aus der Stadt kam und Jesus zu ihnen predigte, und wie sie des Abends hungrig waren, aber Jesus und seine Jünger hatten nur fünf Brote und zwei Fische. Jesus nahm die fünf Brote und zwei Fische und sah auf gen Himmel, dankte und brach die Brote. Er gab die Brote unter sie, und sie aßen alle und wurden satt. Und die da die Brote gegessen hatten, waren ihrer fünftausend Mann.
Die Haselünner nahmen die Predigt hin wie jede andere auch, trafen alsbald im ‘Grünen Jäger‘ ein und unterhielten sich über die steigenden Preise für Rindfleisch.
Niemand durfte das Gotteshaus betreten, derweil sich Georg mit Witschequast, Kohlestift und Pinsel in ihm betätigte. Alleine wollte er sein und schaffen, nur des Pfarrers Haushälterin war es erlaubt, ihm dreimal täglich Speis und Trank herbeizutragen. Alles wurde zunächst strahlend weiß überstrichen, weiß und hell wie der Heiligenschein der Jungfrau Maria. Und dann malte Georg die Apostel, dann die Heiligen, die Seligen und zuletzt die Märtyrer. Allen diesen Himmelspersonen setzte er die Köpfe der Haselünner Bauern auf, und nach zwei Wochen lieferte Georg den Schlüssel zur Kirche beim Pfarrer wieder ab.
„So, ich bin fertig!“
Sprach's, schnürte sein Bündel und schritt gar munter gen Emsdetten fürbass.
Der Pfarrer konnte es nicht lassen, umgehend die Arbeit des jungen Malers zu begutachten und sogleich die Glocken zu läuten, um alle Einwohner Haselünnes herbei zu rufen, und die eilten flugs herbei. Mund und Augen rissen sie auf, als sie sich im Kirchengewölbe verewigt sahen: Der eine als heiliger Lukas, der andere als Evangelist Johannes, der dritte als Judas Thaddäus, Christophorus, Paulus, Petrus, niemand war ausgelassen, auch sich selbst hatte Georg nicht vergessen. Als heiliger Florian stand er oberhalb der Tür Wache, in Kraft und Schönheit und mit mildem Lächeln auf der Lippe.
Sogar die Frauen waren in voller Schönheit vertreten, eine davon war wunderschön. Es war die Wirtin des ‘Grünen Jägers‘ als Madonna. Glücklich lächelnd trug sie ein Knäblein im Arm.
„Das Jesuskindlein!“, stellte der Pfarrer fest und rieb sich erstaunt die Augen, als er einer weiteren Frau mit Kind ansichtig wurde!
Mit beseeltem Lächeln wiegte seine Haushälterin ein Knäblein im Arm.
„Maria Magdalena“, murmelte der Pfarrer, und dann fiel die Frau des reichsten Bauern in Ohnmacht, war sie doch ihres Konterfeis ansichtig geworden – mit einem Knäblein im Arm. Schon erschütterte der nächste Schrei des Entsetzens die Kirche, es war die schönste Magd desselben Bauern, auf ihrem Bildnis trug auch sie ein Knäblein in ihres Armes Beuge.
Und so ging es fort, jede Frau bei dessen Mann Georg gearbeitet hatte, fand sich zauberhaft gemalt wieder – mit einem Knaben im Arm.
Der folgende Tumult im Gotteshaus konnte nur besänftigt werden, indem der Pfarrer den Messwein unter das Volk gab. Doch es waren ihrer nur fünf Flaschen Wein im Gotteshaus vorhanden. Der Pfarrer nahm diese fünf Flaschen, sah auf gen Himmel, dankte und entkorkte sie. Der Pfarrer tat so wie einst Jesus mit den Fischen, er gab den Wein unter sie und ließ sie trinken, um die Wogen der Verdrossenheit und des Unmuts zu glätten.
Und sie tranken alle, die Bauern, ihr Geweibe, die Knechte und Mägde, und alsbald waren sie friedlich, ließen ihre Hände über die Bäuche ihrer Frauen gleiten und liebkosten einander in inniger, liebevoller Umarmung. Da sie den Messwein getrunken hatten, waren alle wieder heiteren Gemütes. Es waren ihrer fünfhundert Haselünner Bürgerinnen und Bürger, und der Pfarrer hatte fünfhundert leere Flaschen, die er am folgenden Tage auf einer Lichtung im Haselünner Holz vergrub.
Nun, da die Haselünner von jeher stets sehr fleißig waren und nur selten dem Müßiggang frönten, konnte man sie nächsthin auf ihren Äckern bei der Arbeit antreffen. Als dann der Herbstwind die Blätter von den Bäumen fegte, fuhr man fünfzig Himten Roggen mehr ein, als im Vorjahr.
Ein fruchtbares Jahr, wie sich später zeigen sollte, jedoch nicht ganz so friedlich wie sonst.
Aus dem Strafregister Haselünnes geht hervor, dass der Wirt des Gasthauses am Vorabend zur Heiligen Nacht 'bruchfällig' wurde und zunächst von dem Landvogt mit zwei Thalern Strafe belegt worden war, weil er '36 königlich gewandete Herren', die Gold, Weihrauch und Edelstein mit sich führten, welches sie den Knäbleins in den Krippleins, die Hiererorts weilen sollten, zu übereignen gedachten, mit Stockschlägen aus dem Orte trieb. Zuvor jedoch beschimpfte er die 36 königlich gewandeten Herren auf das Übelste, bezichtigte sie der Hehlerei und unterstellte ihnen, 'krank im Kopfe' zu sein, denn wer beschenkt schon ein völlig unbekanntes Kind mit Gold, Weihrauch und Edelstein?
„Überlegen’s gut, Herr Landvogt, doch nehmen’s vorher einen Krug Bier zum Nachdenken“, sprach der Wirt und schenkte ein. Nach dem Genusse einiger Krüge des vorzüglichen Bremer Bieres sah der Landvogt schließlich ein, dass kein Mensch, der 'klar bei Sinnen ist', die Beschwerlichkeit einer langen Reise auf sich nimmt, um einem fremden Knäblein Gold, Weihrauch und Edelstein darzubringen. Er reduzierte die Strafe auf einen Thaler und kehrte heim zu Weib und Kind, schließlich gab es Wichtiges zu tun. Die Weihnachtsgänse mussten geschlachtet, die letzten Klaben gebacken werden, und die Generalprobe zu dem Krippenspiel stand auch noch aus.
In den Analen Haselünnes wurde die folgende Messe zur Heiligen Nacht als 'mit Dornen versehen' bezeichnet, denn kaum dass die Glocken verklungen und die Kerzen entzündet waren, wurde nach der dicken Sophie gerufen, welche zu der Zeit Hebamme in Haselünne war.
Die dicke Sophie half der Wirtin des ‘Grünen Jägers‘ in der Kirche ein Knäblein auf die Welt zu bringen, und man legte es nach der Entbindung in das Krippelein unter dem Weihnachtsbaum, welches nach dem Krippenspiel am Nachmittag wie von Ungefähr neben das Bäumchen gestellt worden war.
Doch im Fortgang der heiligen Messe, es waren just zwei Psalmen gelesen, wurde die dicke Sophie erneut bemüht, sie half der Frau des reichsten Bauern Haselünnes einen Knaben zu gebären. Auch dieses legte man ins Krippelein und fuhr mit der Messe fort.
Doch nur einen einzigen Psalm später, die dicke Sophie hatte sich kaum den Schweiß von der Stirn gewischt, musste sie erneut zur Tat schreiten, um auch die schönste Magd des reichsten Bauern am Ort von einem Knäblein zu entbinden.
Zum Glück hatte der Schreiner Haselünnes, Hendrik Hobelsam, die Kirche bei Zeiten verlassen und kehrte zu dem Zeitpunkt mit drei Krippeleins unter dem Arm zurück, als die dicke Sophie dem vierten Knäblein in dieser Heiligen Nacht einen Klaps auf den Po verabreichte.
So ging es fort bis in den frühen Morgen. In die vierte Krippe wurde beim ersten Hahnenschrei der Bube der Haushälterin des Pfarrers gelegt.
Die Weihnachtsmesse konnte nicht mehr gelesen werden, weil der Nachtwächter mit der Nachricht in die Kirche geeilt kam, dass die beiden Schafherden Haselünnes sowie die Ochsen und Esel ausgebrochen und in das Haselünner Holz gerannt waren. Die Hirten dieser Tiere wurden bei den Krippeleins angetroffen, wie sie den neugeborenen Knäbleins huldigten.
Obwohl die Hirten versicherten, dieses Geheiß von zwei weiß gewandeten Frauen erhalten zu haben, die sich nach einer freudigen Verkündung, welche sie allerdings nicht so recht verstanden hatten, ’in den Himmel gehoben haben’, wurden sie mit je drei Groschen Ahndung belegt. Zudem wurde ihnen bei weiterer Strafe untersagt, diese Kunde in die Welt zu tragen, denn kein ehrbarer Hirte, der klar bei Sinnen ist, verlässt auf Anordnung einer Frau zu nächtlicher Stunde seine Herde. Das sahen die Hirten ein und machten sich mit zerknirschter Mine auf, die entlaufenen Tiere wieder einzufangen, wobei ihnen die Männer Haselünnes behilflich waren. Bis auf einen Ochsen konnte man aller Tiere wieder habhaft werden.
Am folgenden Mittag traf man sich etwas unausgeschlafen zum Frühschoppen im ‘Grünen Jäger‘, besprach die Ereignisse der letzten Nacht, empfand sie als nicht sonderlich erwähnenswert – Kinder werden schließlich überall geboren und hin und wieder bricht mal eine Schafherde aus – trank köstliches Bremer Bier und verzehrte den Rinderbraten aus frischer Schlachtung, den der Wirt – weil Weihnachten war – zum halben Preis anbot.
Allmählich fühlte man sich wieder behaglich und der Pfarrer erinnerte daran, dass dereinst in einer fernen Stadt namens Bethlehem ein Knäblein geboren und in ein Krippelein gelegt worden war. Es habe ein Stern über der Stadt geleuchtet …
„Na und?“, unterbrach der Wirt die Ausführungen des Pfarrers, „Hiererorts wurden vergangene Nacht zwölf Knäbleins geboren. Das soll uns mal einer nachmachen!“
Alle stimmten ihm zu, nickten mit den Köpfen und waren stolz, Bürger Haselünnes zu sein, doch als der Nachtwächter von zwölf Sternen zu erzählen begann, die er während der vergangenen Nacht über Haselünne hatte leuchten gesehen, bis die Sonne die Nacht verdrängte, schalt man ihn einen Narren und verbot ihm den weiteren Genuss des die Fantasie beflügelnden Bremer Bieres.
In den Analen Haselünnes findet sich über diesen Vorfall keine Notiz, nur das sorgsam geführte Geburtsregister gibt vage Auskunft, schließlich hatte man das Neujahrsfest vorzubereiten …“
Die Wunderbare Ulrike atmete und trank ihren ‘Paralleluniversum‘ aus.
„Ah, ja“, meinte ich, „da war ja der ‘Paralleluniversum‘ mehr als angebracht! – Nur eine Frage beschäftigt mich noch: Was aus den zwölf Knäbleins, die während dieser schicksalhaften Nacht das erste Mal das Licht der Welt erblickten, geworden ist?“
„In den Analen Haselünnes“, meinte die Wunderbare Ulrike, „findet sich hierüber keine Eintragung! Gerüchten zufolge sollen die Knaben niemals einen ordentlichen Beruf ausgeübt haben, sondern sind nur mit ihren Kumpels rumgezogen sein und außer starken Sprüchen nichts Ordentliches zustande gebracht haben. – Genau wie du es am Wochenende immer machst!“
„Hm. – Immerhin kann ich Cocktails kreieren! – Möchtest du noch einen ‘Paralleluniversum‘?“
„Nein. Im Moment steht mir der Sinn nach einem die Fantasie beflügelnden Bremer Bier!“
„Alles was du willst, Wunderbare Ulrike.“
Ich holte zwei Flaschen Beck’s Bier aus dem Kühlschrank.



Für die geneigten Leser, die an niveauvollen Cocktails interessiert sind:
Der Paralleluniversum‘ besteht aus:

Paralleluniversum
1 Dash Angostura Bitter
1 Scheibe Pfefferminz (horizontal ins Cocktailglas)
Lakritzlikör (Dirty Harry)
Bis Pfefferminzscheibe
Auffüllen (über Pfefferminzscheibe) mit:
1 cl Pfefferminzlikör (Beriner Luft)
2 cl Caracas
Auffüllen mit Tonic
Eis
Deko Cocktailkirsche
 



 
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