Emil Blaubein

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hein

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Emil Blaubein

Aufregung im „Institut für mental besonders strukturierte Mitmenschen“: eine Patientin ist kollabiert und wird von Sanitätern im Rettungswagen abtransportiert. Nach dem hierdurch entstandenen Durcheinander braucht ein gestresster, noch unerfahrener Pfleger unbedingt eine Zigarette und eilt zum Raucherpavillon an der Seite des Gebäudes.

Emil Blaubein, langjähriger Patient der im Volksmund meist noch „Sanatorium“ genannten Einrichtung, findet die von dem Pfleger in der Eile offen gelassene Tür, beäugte diese eine Weile und geht dann vorsichtig hindurch. Geblendet von der sonst nur durch Gitter und Milchglasscheiben gefilterten Sonne stolpert er ungesehen über den mit grauen Betonsteinen gepflasterten Hof und taucht ein in den Schatten einiger großen Bäume.

Unternehmungslustig und erstmals in seinem Leben unbeaufsichtigt streift er umher, genießt den Duft der Natur und den Anblick der durch Lücken im Kronendach einfallenden Sonnenstrahlen. Frohgelaunt kommt er an eine hohe Mauer und findet dort eine dort im Rahmen der Sicherheitsvorschriften deponierte, vorbildlich gekennzeichnete und unter einem kleinen Wetterschutzdach aufgehängte Fluchtleiter.

Er studiert die grafisch sehr gut aufbereitete und leicht nachvollziehbare Bedienungsanleitung, nimmt die Leiter von der Wand und legt sie an die Mauer, klettert hinauf, geniest eine Weile andächtig den unbekannten, aufregenden Anblick des vor ihm liegenden Gewerbegebietes, und springt dann in die Freiheit.

20 Jahre später geht eine von der Regierung verbreitete Nachricht weitgehend unbeachtet in der allgemeinen Informationsflut unter. Einige Unentwegte jedoch, die sich noch für die Arbeit der Regierung interessieren, finden in den von ihnen abonnierten NewsChannels eine Videosequenz.

Hierin wird mit großem Tamtam anlässlich seines Eintritts in den wohlverdienten Ruhestand das politische und gesellschaftliche Wirken des verdienten Mitglieds der Regierungspartei, Parlamentariers und ehemaligem Staatssekretärs Emil Blaubein gewürdigt. Dann wird ihm das vom Bundespräsidenten verliehene große Verdienstkreuz am Bande um den Hals gehängt. Ein Schwenk über die Gesichter der Zuschauer zeigt eine tiefe Ergriffenheit, in der ein aufmerksamer Betrachter aber auch Spuren der Erleichterung finden würde.

(Seine unter den Tisch gekehrten Fehlleistungen, die in den letzten Jahren zu einer erheblichen Erhöhung der Staatsverschuldung führten, werden hier nicht erwähnt. Außerdem fehlt ein Hinweis auf den bereits zugesagten Sitz im Beirat eines staatseigenen Unternehmens, dessen großzügige Dotierung als Kompensation für die doch recht mageren Ruhestandsbezüge zu werten ist. Anonyme, wohl neidische Spötter haben diese mit wenig Aufwand verbundenen Einkünfte intern bereits als „Schweigegeld“ herabgewürdigt.)
 

Tula

Mitglied
Hallo hein

Ich fand den Anfang recht unterhaltsam und hatte eine gewisse Erwartung auf eine geistreiche Pointe. Dann der Sprung 20 Jahre voraus bzw. später und die ernüchternde Erkenntnis, dass Politiker nichts als Schwachköpfe sind (weder satirisch lustig noch originell), wobei der Text sich dann noch selbst erklären muss und auf 20 Jahre Fehlleistungen hinweist.

Ich würde die Story beim Ausbruch belassen und diese Szene witzig beenden. Emil könnte z.B. in der Menge einer Demo mit originellem Un-Thema untergehen o.ä., immer noch deiner Grundidee entsprechend.

LG
Tula
 
A

aligaga

Gast
Wer sich ein bisschen auskennt in dieser unserer Welt, der weiß, dass die Unterbringung psychisch kranker Mitmenschen in geschlossenen Anstalten zwingend mit deren Entmündigung und der Bestellung eines amtlichen Vormundes verbunden ist. Der "Quereinstieg" eines von dort entsprungenen, aus dem buchstäblichen Nichts kommenden, kranken Menschen in eine heutige Partei und in die heutige Politik ist daher ausgeschlossen.

G'schichtln über psychisch kranke Menschen haben nichts mit Humor, aber viel mit Schadenfreude zu tun - einer der niedrigsten Gesinnungen, derer ein Mensch überhaupt fähig ist. Daran ändert auch Kishons "Blaumilchkanal" nichts, dem dieser Text offenbar nachgestottert ist. Der "Blaumilchkanal" läuft durch eine andere Zeit (1950er Jahre), als es noch "Irrenhäuser" gab und man sich nichts dabei dachte, einen psychisch Kranken zu instrumentalisieren, um damit den Irrwitz einer verkrusteten Bürokratie aufzuzeigen.

Allerdings ist der Text Kishons so surreal angelegt, dass jeder das Märchen in ihm erkennen kann, das die Wahrheit umschreibt.

TTip: Sich ein wirklich treffendes, satirisches G'schichterl ausdenken, statt wieder mal bloß mit Stinkbomben um sich zu schmeißen.

Heiter

aligaga
 

Willibald

Mitglied
Die Pointe scheint mir billig zu sein.
Glaube nicht, dass sie heute zündet.
Auch nicht bei schenkelpatschenden Belustigungs-Veranstaltunen. Die Anfangstextur ist sauber und gekonnt gefertigt. Aber....
Greetse
ww
 

hein

Mitglied
@aligaga

Es ist mir klar, das eine derartige Situation recht unwahrscheinlich ist. Aber sie wäre möglich, siehe z.B.

https://de.wikipedia.org/wiki/Gert_Postel

Wenn ich hier einen psychisch kranken Menschen direkt beleidige tut es mir leid. Das ist nicht beabsichtigt.

Grundlage für diese Geschichte war für mich die Frage, ob sich nicht einige der handelnden Personen in Politik und Gesellschaft (im In- und Ausland) in therapeutische Behandlung begeben sollten, anstatt die Welt in Grund und Boden zu regieren.

@Willibald

Du hast recht: als Pointe einer Satire ist der letzte Absatz etwas daneben. Wenn ich alle die Ex-Politiker und Ex-Beamten sehe, die sich nach ihrem mehr oder weniger freiwilligen Ausscheiden ihre alten Verbindungen versilbern lassen gehört dies eigentlich in eine seriöse Reportage.

LG
hein
 

hein

Mitglied
@Tula

Eine andere Pointe fällt mir im Moment nichts ein. Bei Deinem Vorschlag müsste ich ja andere Menschen, die für mehr oder weniger sinnvolle Anliegen demonstrieren, verunglimpfen.

LG
hein
 

Tula

Mitglied
Hallo hein

Es wird nicht nur für "sinnvolle Anliegen" demonstriert. Und da könnte auch jemand für den Eintritt in irgendeine Partei trommeln usw.

Tula
 
A

aligaga

Gast
Der hier angebotene Wiki-Link geht völlig fehl. Er bezieht sich nicht auf einen entmündigten, sicherungsverwahrten, psychisch kranken Menschen, der aus der Verwahranstalt entkam und dann etwas anstellte, sondern um einen hellwachen Hochstapler und Betrüger, der nach dem Auffliegen hinter Schloss und Riegel kam - nicht als psychisch Kranker, sondern als Häftling, der seine gerechte Strafe abzusitzen hatte.

Das ist etwas ganz, ganz anderes. Und trotzdem ebenso wenig lustig.

Heiter

aligaga
 

steyrer

Mitglied
Hallo hein!

Du schreibst in einer Antwort
… ob sich nicht einige der handelnden Personen in Politik und Gesellschaft (im In- und Ausland) in therapeutische Behandlung begeben sollten …
Dazu ein paar Gedanken meinerseits:

Ein entmündigter Insasse einer Anstalt befindet sich am unteren Ende der sozialen Hierarchie, ein hoher Politiker dagegen im oberen Bereich. Der Erstere darf nur von „oben“ einstecken, ohne je ernsthaft nach unten treten zu dürfen. Der Zweitere bekommt aufgrund seiner hohen Position wenig Rüffel und kann selbst diese sofort weitergeben.

Wenn „normal“ „durchschnittlich“ bedeutet, dann sind selbstverständlich beide nicht normal. Der eine verzweifelt, während der andere in Gefahr ist, jedes gesunde Maß zu verlieren.

So viel zu der Vermutung, dass bestimmte hohe Herren (und -Damen) möglicherweise verrückt sind. :- )

Schöne Grüße
steyrer
 
A

aligaga

Gast
Wer wähnt, in den Kreisen der "hohen" Politik gäb's nichts, wovor man auf der Hut sein müsste, hat nicht die geringste Ahnung davon, was einem ein Landtagsmandat, eine Fraktionsführung oder gar ein Ministeramt abfordern.

Von außen schaut immer alles so leicht aus. Aber nur Deppen halten das für die Wirklichkeit. In der kämpfen immer alle ums Überleben - die Sicherungsverwahrten ebenso wie der Herr Ministerpräsident. Und gefühlt fallen sie alle stets gleich tief.

Gleichwohl heiter

aligaga
 



 
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