Endlich Feierabend

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Lord Nelson

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Sanft schmiegte sich das Schottersträßchen an die Hügel, rosa schimmernd im Abendlicht, bis es ganz hinten mit der Schwärze des Waldes verschmolz. Zwischen munter blinkenden Sternlein deuteten sich blass die Konturen einer riesigen Mondsichel an.
Mmmh, dieser herrliche Duft nach Frühling! Die grausame Schufterei in der Fabrik war wie durch Zauberei vergessen. Erna summte eine kleine Melodie, welche ihre Knutschkugel mit einem vergnügten „tötötöt“ begleitete. Wie von selbst folgte das treue Gefährt den abschüssigen Kurven. Noch nie hatte es sie im Stich gelassen. Zur Belohnung hatte sie ihm eigenhändig einen neuen Anstrich in allen quietschbunten Farbe des Regenbogens verpasst. Eigentlich malte sie ja gern, sinnierte sie.

Plötzlich trat sie mit voller Kraft auf die Bremse und setzte einige Meter zurück. Tatsächlich! Dort, am Rand des Weges, kauerte eine kleine Gestalt. Erna registrierte das erdverschmierte Kleid des Mädchens, sah die blutigen Schrammen in dem zarten rosa Gesicht. Der zusammengesunkene Körper wurde von Schluchzern geschüttelt. Sechs Jahre, schätzte Erna, war die Kleine alt. Höchstens.

„Um Himmels Willen, Kind, wie siehst du denn aus? Ich bringe dich sofort nach Hause.“ Erna half der Kleinen in den Wagen und deckte sie mit ihrer weichen bunten Kuscheldecke zu. „Was ist denn passiert?“
Das Mädchen hatte aufgehört zu weinen. „Die Hasen waren’s“ quäkte es zwischen ein paar letzten Schniefern.
„Die Hasen?“ Erna konnte nicht verhindern, dass ihre Stimme ungläubig klang. „Was denn für Hasen?“
Der weiche Arm mit den rosigen Fingerchen deutete anklagend in Richtung des Waldes.
„Also hör mal, Kleine“ jetzt klang Ernas Stimme streng. „Hasen sind die friedfertigsten Wesen der Welt. Nie würden sie ein kleines Mädchen grundlos vermöbeln. Hast du sie vielleicht geärgert?“
„Nein“ protestierte das Kind.
Erna blickte es forschend an.
„Nein, wirklich nicht! Ich wollte doch nur...“ Das Mädchen überlegte, dann spiegelte sich Hoffnung in seiner Miene. „Vielleicht kannst du mir ja...“ Es kramte unter der bunten Decke und förderte ein Körbchen zutage. „Kannst du mir nicht schnell die paar Eier anmalen?“

Ein paar Schrecksekunden lang blieb Erna die Spucke weg, dann brach ihr geballter Zorn aus ihr heraus. „Unverschämte Göre, was fällt dir ein! Mach, dass du rauskommst, sonst hau ich dir eine runter.“ Sie beugte sich über das Mädchen und öffnete die Tür. Als das erschrockene Kind nicht schnell genug ausstieg, trat sie ihm mit der Hinterpfote kräftig ins Gesäß, so dass die Kleine an den Straßenrand purzelte.

Erna schnaufte. Schlimm genug, dass die geschundenen Hasen vor Ostern Tag für Tag in der Fabrik stumpfsinnige Fronarbeit leisten mussten, um all die Eier termingerecht zu bemalen. Nun kamen die Blagen sogar schon in ihren Wald gelaufen, um ihnen weitere Arbeit aufzupacken. Na, dieses kleine Miststück würde jedenfalls so schnell nicht wiederkommen!
 
G

Gelöschtes Mitglied 27550

Gast
Lieber Nelson, Deine Geschichte habe ich sehr gerne gelesen, und sofort ein Gute-Laune-Gefühl im Bauch gehabt...
Liebe Grüße Sue
 



 
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