Endstation Shopping Mall

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Es sind nur wenige Schritte von der Metrostation KL Mid Valley Station bis zum Eingang der Mega Mall in Kuala Lumpur, der quirligen Hauptstadt Malaysias. Zum Abschluss einer längeren Reise besuchen meine Frau und ich gerne noch ein Einkaufszentrum, um Vorräte zu ergänzen und Souvenirs einzukaufen. Zu diesem Zeitpunkt ist unser Reisegepäck fertig gepackt. Bevor wir nach Europa zurückfliegen, verbringen wir immer ein paar erholsame Tage an einem Strand des Abreiselands. Auf dieser Reise, mehrere Wochen durch Vietnam, Kambodscha und Laos, hatten wir fünf Strandtage in einem konfortablen Beachresort auf der Insel Langkawi verbracht, einer idyllischen Tropeninsel, ca. eine Flugstunde von Kuala Lumpur entfernt. Wir fühlten uns anschließend bestens erholt. Letzte Vorbereitungen für die Heimreise waren noch zu erledigen, Flugbestätigungen und Ähnliches; unser umfangreiches Filmmaterial war sortiert und sorgfältig verstaut. Die Nebeneffekte der ebenso beeindruckenden wie anstrengenden Reise durch Südostasien wichen allmählich einem wohligen Zustand der Entspannung. Wir freuten uns wieder auf Zuhause.

Beim Betreten der riesigen Shopping Mall konnten uns die dort wuselnden Menschenmengen nicht sonderlich schrecken; von den lebhaften Märkten Vietnams oder Kambodschas waren wir chaotisches Menschengewimmel ganz anderer Art gewohnt. Hier ging es dazu vergleichsweise kommod zu, in den sauberen und klimatisierten Labyrinthen dieses gigantischen Einkaufszentrums. Wir hatten unsere Besorgungen in aller Ruhe erledigt und freuten uns auf eine leckere Mahlzeit in einem der zahlreichen Spezialitätenrestaurants im Obergeschoss der Mall. Der Zugang vom Erdgeschoss zum Expresslift war voller sich drängelnder Menschen; der Wechsel raus und rein in die Kabine vollzog sich im Expresstempo. Ich wurde von einem Pulk aufgeregter Käufer durch die offene Tür in den Lift gedrückt und konnte mich gerade noch umdrehen, um meiner Frau lachend zuzurufen; “Wir sehen uns gleich oben”. Sie blieb außen vor.

Danach verging mir das Lachen für lange Zeit.

In der Fressmeile im obersten Stockwerk herrschte ebenfalls ein unglaubliches Gedränge. Ich wartete an der Tür des Lifts und versuchte gleichzeitig, die anderen Ausgänge zu überschauen. Ohne Erfolg. Ich konnte meine Frau nirgendwo erblicken. Ich geriet in Panik. Dann fuhr ich selber wieder rauf und runter, klapperte sämtliche Etagen separat ab und versuchte schließlich mein Glück am Meeting Point. Auch dort fand ich sie nicht. Eine Suchdurchsage per Lautsprecher wäre bei diesem Geräuschpegel zwecklos gewesen. Kurz vor Mitternacht verließ ich die Mall und ging ins nächste Polizeirevier. Man nahm mein Anliegen ernst, vertröstete mich aber auf den nächsten Tag. Also zurück zum Hotel, mit dem unguten Gefühl, dort meine Frau auch nicht anzutreffen, was sich leider bestätigte. Die nächsten zwei Wochen, ein sich immer wiederholende Horror: Mir war die Frau abhandengekommen und niemand war in der Lage, mir zu helfen. In dieser verzweifelten Situation suchte ich die deutsche Botschaft auf. Dort gab man sich höflich-distanziert, aber weiterhelfen konnte man mir letztlich auch nicht. Irgendwann begab ich mich selber auf die Suche im Großstadtdschungel Kuala Lumpurs, einem Moloch von einer Stadt. Gedruckte Suchaufrufe mit Foto brachten keinen Erfolg. Die Wände um die Mall herum hatte ich förmlich zugekleistert, hunderte Handzettel in der Stadt verteilt. Ich fühlte mich vor Verzweiflung wie von Sinnen. Der innere Kompass war mir abhanden gekommen. Nur noch dunkle Leere in mir. Ein gesteigertes Entsetzen fraß mein Bewusstsein an.

Ich schreibe diese Zeilen in einem kleinen Raum mit weiß getünchten Wänden und spartanischer Möblierung. Die Fenster sind durch Eisenstäbe gesichert. Früher hätte ich so etwas eine Zelle genannt. Mir geht es soweit gut. Ich bekomme regelmäßig zu Essen und meine Wäsche wird gewechselt. Dreimal täglich kommt ein netter, bärtiger Mann in einem grünen Kittel und verabreicht mir jedes Mal eine gelbe Pille. Danach bin ich immer sehr ruhig. Alles fühlt sich an, wie in Watte gepackt. Meine Frage, wer ich denn sei, und wo ich mich befände, wird meiner Meinung nach nicht zufriedenstellend beantwortet, aber vielleicht vergesse ich auch alles sofort wieder. Ich stelle täglich immer wieder die gleichen Fragen. Und falls ich irgendwann eine unbefriedigende Antwort erhalten sollte, dann werde ich sie einfach nicht glauben. Denn ich kenne sie ja, die wahre Geschichte, und die beginnt in einer Shopping Mall in Kuala Lumpur.
 
Moin Michael,
ja, so ist es, die 'Ich-Erzählform' vermittelt den Eindruck von Authentizität - in diesem Fall hat sich die Geschichte tatsächlich fast genauso abgespielt, zumindest im vorderen Teil. Wir hatten uns in dem Gewimmel dieser riesigen Mall wie beschrieben aus den Augen verloren. Der Schrecken dauerte zum Glück nur knapp zwei Stunden, dann trafen wir uns irgendwie in einem der Treppenhäuser zufällig wieder. Das gruselige Ende der Geschichte ist frei erfunden. Danke für dein Interesse und deine Wertung.
HG
Horst
 

ThomasQu

Mitglied
Hallo Horst,

da hätte mir die real erlebte Geschichte vermutlich besser gefallen, wenn ich die knapp zwei Stunden hätte miterleben dürfen, in denen ihr beide euch suchtet.
Dass die Dame so plötzlich und für immer verschwunden bleibt und sich der Icherzähler ganze fünf Zeilen später von jetzt auf hopp in der Klapse befindet … weiß nicht. Das finde ich ein wenig ärmlich. Da hast du den guten Anfang einfach verschenkt.
Zeilenumbrüche täten der Geschichte gut.

Viele Grüße
Thomas
 

petrasmiles

Mitglied
Da muss ich ThomasQu zustimmen, wenn auch nicht ganz so drastisch im Sinne von verschenkt - aber das Wohlgeordnete des Anfangs wirkt wirklich authentisch im Gegensatz zum letzten Absatz; die Gewichtung stimmt nicht, denn eigentlich ist doch 'Die Endstation' die Geschichte, und nicht, wie es dazu kam. Und sehr wahrscheinlich wäre dann die 2-Stunden-Suche auch wieder authentisch. Ich glaube, es ist schwierig, Selbsterlebtes so zu dramatisieren, dass man den Bruch nicht sieht.

Liebe Grüße
Petra
 

Michael Kempa

Mitglied
An ThomasQu:
"Von jetzt auf hopp in der Klapse"
Ja, das gibt es.
Ich erinnere mich an einen "Fall" aus meiner Zivi-Zeit, in der ich als Rettungssanitäter unterwegs war.
Ein Mitarbeiter der Post stand mit seinem Technik-Auto mitten in der Stadt und brabbelte nur noch unverständliches Zeug.
Seine Arbeit am Verteilerkasten war unvollendet, der Mann aus unerklärlichen Gründen völlig hilflos.
Wir brachten ihn in die Klinik - dort wurde nichts Handfestes gefunden. Stunden später gab es für uns ein Wiedersehen - wir brachten den Mann
in die Psychiatrie. Von jetzt auf hopp!
Ich will damit nur sagen: So kann es tatsächlich gehen.
Grüße allerseits,
Michael
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Stimmt, der Wechsel zur Horrorgeschichte ist zu abrupt! Denn der Anfang ist zu realistisch. Also irgendwie müsstest du das inhaltlich zusammenbringen.

Die Idee ist ja gut, inspiriert vom wahren Geschehen. Das aber könnte eben nur die Idee zur Geschichte sein. Anschließend frei ausgestalten. Vielleicht gibt es erstmal einen Streit darüber, WAS jeder essen will ... dann steigt er schon mal wutentbrannt in den Aufzug ... sie kommt aber nicht nach ... etc.

Mein erster Gedanke war:

Hatte keiner ein Handy dabei?

Gruß DS
 
@ DocSchneider @ ThomasQu @ Michael Kempa @ petrasmiles:
Danke für eure Kommentare und Wertungen - irgendwo hat jeder von euch recht: Stundenlanges Herumirren in einem derartigen Menschengewimmel böte ausreichend Erzählstoff für eine längere Geschichte. Ich fürchte, dann wäre es bei einer Reisebeschreibung mit Hindernissen geblieben und ich wäre vor lauter nachträglicher Erleichterung in ein Happy End gestolpert; dies wollte ich vermeiden. Der Rest der Story hätte dann nicht funktioniert. Ja, Petra, die Geschichte hakelt in ihrem Konstrukt an der Verknüpfung von Realität und Fiktion. Hätte ich nicht nachträglich über den tatsächlich erlebten Abschnitt in der Geschichte informiert, wäre der Bruch vermutlich weniger aufgefallen, weil beide Teile dann wohl als 'pseudo-real' gelesen worden wären.
Als Hintergrund-Info: Die Benutzung eines Handys hätte in der Situation nicht weitergeholfen. Meine Frau und ich teilen uns bis heute immer noch nur ein einziges Gerät. Der Spruch, Man muss nicht immer und überall erreichbar sein, kann einem schon mal auf die Füße fallen, wie man sieht.
Herzliche Grüße.
Horst
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hätte ich nicht nachträglich über den tatsächlich erlebten Abschnitt in der Geschichte informiert, wäre der Bruch vermutlich weniger aufgefallen, weil beide Teile dann wohl als 'pseudo-real' gelesen worden wären.

Also das hat keinen Ausschlag für mich gegeben.

Ich bin gestolpert über

Hier ging es dazu vergleichsweise kommod zu, in den sauberen und klimatisierten Labyrinthen dieses gigantischen Einkaufszentrums.

und dann kam

In der Fressmeile im obersten Stockwerk herrschte ebenfalls ein unglaubliches Gedränge. I

Das passt nicht zusammen. Es wird ja vorher betont, dass es einigermaßen ruhig zugeht. Dann auf einmal nicht mehr.

Ein Handy für zwei kann manchmal hinderlich sein.
:)

Aber Weihnachten kommt bestimmt ...
 
Hallo Doc,
doch das passt: (...) hier ging es vergleichsweise kommod zu, bezieht sich ausdrücklich auf den Vergleich zu den lebhaften Märkten mit ihrem chaotischen Menschengewimmel in Vietnam und Kambodscha. Die Zustände in der Mall haben ihre spezifische Qualität. Die geschilderten Erlebnisse fanden tatsächlich um Weihnachten herum statt, was im islamischen Malaysia allerdings keine besondere Rolle spielt.
HG
Horst
 



 
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