Engel über dem Revier

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Das ist ein Lied von Gerhard Gundermann. Mein Revier, über dem ich schwebe, ist aber nicht sein Tagebau in der Lausitz, sondern die Gegend um das Ostkreuz, die Warschauer Straße und die Frankfurter Allee.

Wenn jemand im Dunklen hinter mir geht, müsste ihm dabei eigentlich auffallen, dass sich über mir ein kleiner Heiligenschein gebildet hat. Und ich arbeite daran, dass er sich vergrößert, und noch heller leuchtet.

Ich weiß auch nicht, woran es liegt, aber irgendwie habe ich die falsche Ausstrahlung auf Leute. Darüber muss ich mir mal Gedanken drüber machen. Man sagt ja, dass Schnorrer eine sehr gute Menschkenntnis haben. Mit ihrem Instinkt liegen sie meist richtig.

Was sie wohl in mir sehen? Jedenfalls werde ich hier momentan so von ihnen bedrängt, dass ich langsam die Nase voll habe. Ich scheine weit und breit die Einzige zu sein, die noch einen trockenen Kanten Brot vor sich auf dem Teller zu liegen hat. Kaum trete ich aus der Tür, schon geht es los.

Nur ein einziger Tag am Ostkreuz.

Ich stehe wartend vor dem Dönerladen an der Ecke. Ein Mann schaut mir über die Schulter und erzählt etwas von Hunger. Natürlich ist auch für ihn ein Döner drin. Der Dönerladenverkäufer wirft mir einen anerkennenden Blick zu, ob meiner Großzügigkeit.

Im Durchgang zum Supermarkt hauen mich gleich danach ein Junge und ein Mädchen an, die ich für Touristen halte, denen das Geld ausgegangen ist, und erzählen irgendetwas von einer U-Bahn Fahrkarte. Die beiden sehen sympathisch aus, und ich muss an meine eigene Jugend denken, wo ich durch die Gegend gereist bin. Da hilft man doch gern.

Leider begegne ich ihnen zwei Tage später wieder. Sie haben sich wohl mein Gesicht nicht gemerkt, und erzählen dieselbe Geschichte. Diesmal reagiere ich etwas sauer.

Später habe ich ein schlechtes Gewissen deswegen. Das kann ich aber bald wieder gutmachen.

Vor der Sparkasse in der Boxhagener steht jemand und murmelt etwas von Bella, was wohl schöne Frau bedeutet. Da lässt man sich doch nicht lumpen.

Leider wird mir die Tür der Sparkasse jedoch von einem anderen Bedürftigen geöffnet, der für seine Dienst auch einen Obolus erwartet, und ihn auch bekommt.

Auf dem Rückweg fahre ich am Biosupermarkt vorbei, und ein Mann, der seine Klingelbüchse schüttelt, ruft mir etwas Zorniges in einer fremden Sprache hinterher. Also runter vom Fahrrad, und nach dem Portmonnaie gekramt. Er bedankt sich wenigstens.

Wenn ich da an den anderen denke, der vor einer Weile auch vor diesem Biosupermarkt saß. Ich tat 50 Cent in seinen Kaffeebecher. Als ich schon ein Stückchen entfernt war, hörte ich es plötzlich hinter mir klimpern. Es war ihm wohl zu wenig gewesen.

Nicht, dass falsche Schlüsse aufkommen. Den Biosupermarkt betrete ich nur ein- oder zweimal im Jahr, um Waschpulver und Steinsalz zu kaufen.

Na ja, wenigstens freue ich mich, dass heute wenigstens im Sparkassenautomaten in der Marktstraße, kurz hinter der S-Bahnüberführung, niemand drin ist. Aber als ich weiter in Richtung Rummelsburger See fahre, stellt sich raus, dass derjenige nur ein Stückchen weiter gezogen ist, und jetzt auf der Straße sitzt.

Ich klaube noch ungefähr 70 Cent aus dem Portmonnaie, und höre leider kein Dankeschön. Vor zwei Tagen habe ich ihm noch einen Euro gegeben, und da war noch ein Danke drin gewesen.

Ich will zum Treptower Park, und mein Weg führt mich die Kynaststraße hoch, die an der Kreuzung Marktstraße steil ansteigt, weshalb ich mein Fahrrad schieben muss.

Ein junger Mann bittet mich um Kleingeld. Erst schüttle ich den Kopf, aber dann finde ich es ungerecht, dass ich ihn wegen seiner Jugend diskriminiere, und lasse einen Euro springen. Auch die Drogenhändler wollen essen.

Er freut sich. Wenigstens hatte er um Kleingeld gebeten, und nicht gleich eine Summe festgelegt.

Im Park angekommen, muss ich mal kurz hinter einem Busch verschwinden. Das hatte wohl jemand beobachtet. Als ich wieder rauskomme, steht ein Mann vor mir. Mir wird etwas mulmig. Zum Glück will er mich nicht schänden, sondern hält mir nur seine leere Hand entgegen. Also wieder den Geldbeutel gezückt.

Er bedankt sich freundlich, und geht weiter. Ein Stein fällt mir vom Herzen. Ich hatte schon Angst gehabt, das er mir an dieser einsamen Stelle des Parks das Portmonnaie aus der Hand reißt.

Am ätzensten finde ich es, wenn sie einen abpassen, wenn man gerade sein Fahrrad anschließt.

Merkwürdigerweise fordern die, die einen gezielt ansprechen, immer zwei Euro von einem und reagieren sauer, wenn man ablehnt.

An einem anderen Tag auf der Warschauer Straße sprang mir ein Mädel sogar ins Fahrrad rein, hielt meinen Lenker fest und verlangte 2 Euro von mir. Sie bekam sie auch.

Was sie wohl in mir sah? Vielleicht hielt sie mich wegen meinem knöchellangen Rock für eine Sozialpädagogin, mit einem Mann, der Ingenieur für Windkraftanlagen ist, und Kindern, die auf die Montessorischule gehen. Vielleicht noch mit `ner Eigentumswohnung. Stattdessen hatte ich gerade zu der Zeit auch nur Hartz 4.

Wie gesagt, ich sollte mir mal Gedanken machen, wie ich auf andere wirke.

PS: Ich weiß, dass das vielleicht einige falsch verstehen werden.
 
Zuletzt bearbeitet:
Da ich, östlich vom Ostkreuz wohnend, zwangsläufig sehr oft an der Frankfurter Allee bin, das ja faktisch unser Stadtzentrum ist, habe ich hier erst rein- und es dann rasch mit Vergnügen runtergelesen. Ja, solche Szenen kriege ich auch ab und zu aus dem Augenwinkel mit. Sie tangieren mich nicht weiter und darauf wollte ich mir jetzt schon etwas einbilden - aber dann fiel mir ein, wie mir im Sommer, als ich auf einer Bank am Tierpark saß, einer mitten am Nachmittag seine Hehlerware vor die Nase hielt. Und jetzt muss ich mich fragen, wie ich denn wohl wirke ...

Freundliche Grüße
Arno Abendschön
 
Hallo Arno,
vielen Dank für den Beitrag. Du wunderst Dich, dass Du so selten auf der Straße angesprochen wirst? Das kommt wahrscheinlich daher, weil Du auf die Leute eine ganz andere Ausstrahlung hast als ich. Wahrscheinlich wirke ich sehr mildtätig, was auch lästig sein kann.

Die einzige Gabe, die vielleicht wirklich ihren Zweck erfüllt hat, war der Döner, den ich gekauft habe. Der hat wenigstens jemanden satt gemacht. Das andere ist wohl für Drogen draufgegangen, und ich habe die Mafia in Mexiko finanziert. Man weiß nicht, wie man sich verhalten soll. Wenn sie das Geld für die tägliche Drogendosis nicht zusammenbekommen, überfallen sie vielleicht Leute.
Gruß Friedrichshainerin
 



 
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