Erinnern

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Nelken.

Erinnerungsblumen.

Mainelken. Hoch erhoben. „Schaut, Nelken, die Tribüne. Die Genossen. Ihre sauberen Anzüge. Ihre sowjetisch anmutenden Mützen, weil es kalt ist ...“ Die armen Nelken. Hochgereckt als Bekenntnis der Zugehörigkeit. Zitternd im Tschingderassabumm. Mutters Lächeln. Winken mit Nelke schien ihr zu gefallen.

In dieser Zeit, meinen Kindheitsjahren: Eine Nelkenrevolution. Irgendwo in Europa. Das hätte Mutter sicher auch gefallen. Tausende winken mit Nelken und stürzen so eine Diktatur und wollen ein bisschen Sozialismus. Gute Idee. Eigentlich.

An den Abenden des 1. Mi standen dann bei uns immer zwei, drei Nelken in einer schmalen Vase, wurden ein paar kleine Anstecknelken wieder in ihr Schubfach gelegt. Stengel aus PVC, mit einer angeschweißten Sicherheitsnadel, Blüte aus künstlichem Gewebe, ein Symbol. Wofür? Den Sieg des Sozialismus über alles Böse und Schlechte? Für den arbeitsfreien 1. Mai?

Ich musste eben an all das denken. Erinnerungen kamen hoch. Weil ich zufällig, im Vorbeigehen, Nelken sah. Sehr kurz Geschnittene in kleinen Vasen, auf den Tischen eines Restaurants.


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Hallo Clown seiner Klasse,
da habe ich es doch mal wieder mit einem gelernten DDR-Bürger zu tun. Ja die die Mainelken. Die Marschkolonnen, die an der Tribüne des Politbüros vorbeigezogen sind. An die Mützen kann ich mich auch noch gut erinnern. Und ich mochte die roten Nelken.
Gruß Friedrichshainerin
 
Guten Morgen Friedrichshainerin!

Ich bin immer erstaunt, dass ich mich doch noch so häufig an meinem Leben vor 1993 abarbeite. Dabei ist das weniger mit erlittenem Leid verbunden, sondern mehr mit einem großen Staunen darüber, wie lange Millionen Menschen sich von ziemlich schlichtgestrickten Ideologen auf Wegen führen lassen, die sie eigentlich nicht gehen möchten. Und dann die ostdeutsche Gegenwart! Tausende Verrückte, die dorthin zurück wollen ... Irre.
Danke für deine Rückmeldung.
 

Frodomir

Mitglied
Hallo Clown seiner Klasse,

ich habe deinen Text gelesen und bei mir zündet er leider nicht so richtig. Es wirkt auf mich so, wie du im letzten Absatz schreibst:

Ich musste eben an all das denken. Erinnerungen kamen hoch.
Genau so wirkt dein Text auf mich, fragmentiert wie einzelne Gedanken und Bilder aus der Erinnerung. Aber das schafft den Sprung zu einem literarischen Text noch nicht. Vor allem erwarte ich in der Kurzprosa auch eine stärkere Verdichtung, aber dieser Text von dir würde in meinen Augen eher in ein Gedanken- oder Tagebuch passen.

Einmal hat der Mai bei dir noch ein a verschluckt, und geschnittene müsste, wenn ich mich nicht irre, klein geschrieben werden.

Trotzdem viele Grüße
Frodomir
 
Hallo Frodomir,
ich bin sehr erfreut über deine Reaktion. So konkret kann ich selbst selten auf Texte anderer Autor*innen
antworten.
Genau so wirkt dein Text auf mich, fragmentiert wie einzelne Gedanken und Bilder aus der Erinnerung.
Ja, genau das mache ich seit einem knappen Jahr. Ich sammele Schnipsel, notiere Mosaiksteinchen, beschreibe
flüchtige Eindrücke, und hoffe im Stillen, dass es irgendwann eine solche Menge an zusammengetragenen
Material ist, dass ich damit etwas bauen kann. Anregung dafür gab mir während eines langen Klinikaufenthalts
die drebändige Sammlung "Ikonenwand anonymer Heiliger" von Jannis Ritsos (Aufbau Verlag, 1987(?))
Ich hoffe, mit der Erklärung kannst du mein Geschreibsel etwas anders einordnen. Ja, es ist fragmentarisch,
episodenhaft, unsortiert, tagebuchhaft, Gedankensplitter sammelnd usw. - als derzeitige Arbeitsphase.
Abgesehen von stets auch laufenden Notizen von Gedichtideen habe ich kein Interesse daran, die Welt noch um
weitere fiktive Belletristik zu "bereichern", um bestimmte zeitgenössisch herausstechende Genres wie Kriminalkram
und Fantasy-Literatur mache ich im Lesealltag große Bögen des Desinteresses und tiefer Abneigung. Ich weiß, dass
auch dort hin und wieder großartige Literatur zu finden ist, aber es ist einfach nicht meine.
Wenn es mir irgendwann gelingt, aus meinen Textchen (an denen noch viel gearbeitet werden muss, das weiß ich) ein
unterhaltsames, spannendes Kaleidoskop meiner Welt- und Zeit-Erfahrungen zu basteln, werde ich das Glück finden,
welches ich als Schreibender suche.

Danke auch für Hinweise auf Schreib- bzw. Sprachfehler. Ich war nie fleißiger Lernender von Grammatik und
Rechtschreibung. Das meiste habe ich mir durch aufmerksame Vielleserei in der Kindheit angeeignet.
 

Frodomir

Mitglied
Hallo Clown,

vielen Dank für deine Erklärung. Ich glaube jedoch nicht, dass dein Weg dazu führen kann, dein Ziel zu erreichen. Man kann meiner Meinung nach nicht jahrelang Gedanken sammeln und dann auf einmal daraus Literatur machen, wenn man es davor nie versucht hat. Um literarische Qualität muss man sich stets bemühen, die kommt nicht von alleine. Und warum nicht bereits jetzt damit beginnen? Mache doch aus den kleinen Themen richtig stimmige Texte, anstatt am Ende auf etwas Großes zu hoffen. Vielleicht liegt ja dann das Große im Kleinen, wer weiß.

Viele Grüße
Frodomir
 
Hallo Frodomir.

Ich glaube jedoch nicht, dass dein Weg dazu führen kann, dein Ziel zu erreichen.
Mein Ziel heißt nicht, irgendwann ein möglicherweise schon druckfähiges, sorgfältigst erarbeitetes Manuskript
mit abgeschlossenem Lektorat von Verlag zu Verlag zu tragen. Alles, was ich gern noch schaffen möchte, ist eine
Art lesbarer Nachlass über mein Leben - für meine Kinder, deren Kinder, aber auch für alle Freunde, mit denen
ich Lebenszeit teilte und die mich noch eine Weile überleben. Mit meinem kleinen Wissen über die Herstellung
von Büchern möchte ich den oben beschriebenen Gedankenkram so gut wie mir möglich als Buch aufbereiten,
Illustrationen einbinden, fertig. Nur etwas ganz Privat-Persönliches. Dafür reicht mein Sprachtalent, denke ich.
Und wenn dieser Nachlass Glück hat, nimmt ihn noch die nächste und vielleicht übernächste Generation meiner
Familie immer mal zur Hand, um sich an meinen Gedanken zu erfreuen oder sich über manches zu wundern.

Aber danke für die feine Art, in der du mir deutlich gemacht hast, dass ich falsch an das Schreiben herangehe und
noch viel zu lernen habe, bis richtig stimmige Texte herauskommen. Wenn das doch jemand früh genug dem Arno
Schmidt gesagt hätte, vielleicht wäre dann aus ihm auch ein anständiger Autor geworden.

Hab eine gute Woche, Frodomir.
Herzliche Grüße vom Clown seiner Klasse
 

Frodomir

Mitglied
Hallo Clown,

ich verstehe, und an deinem Plan kann ich auch nichts kritisieren. Aber du stellst ja hier Texte in einem Literaturkritikforum ein und gerätst damit zwangsläufig an Menschen mit einem gewissen Anspruch an Literatur. Die kennen deine Familiengeschichte nicht und wollen ja nicht nur private Gedankenschnipsel lesen, sondern schon ein bisschen mehr.

Ich wünsche dir dennoch auch einen guten Wochenstart.

Viele Grüße
Frodomir
 
Aber du stellst ja hier Texte in einem Literaturkritikforum ein und gerätst damit zwangsläufig an Menschen mit einem gewissen Anspruch an Literatur. Die kennen deine Familiengeschichte nicht und wollen ja nicht nur private Gedankenschnipsel lesen, sondern schon ein bisschen mehr.



Guten Morgen Frodomir!

Gleich vorweg möchte ich betonen, dass ich keine Mimose bin, nicht hochempfindlich, wenn jemand Kritik an
meinen Texten äußert, bis hin zu Unverständnis und Verrissen. Alles möglich, alles okay. Aber wenn du mir
literarisches Schreiben in Abrede stellst, und das an einem kurzen Textchen festmachst, empfinde ich es doch
etwas übergriffig. Aber keine Angst, es verletzt mich nicht, es beschäftigt mich nur. Fragen werden laut: Sollte
es tatsächlich verwerflich sein, meine Texte, die "nur" aus biografischem Erleben und aus meinem
individuell begrenzten Denken über konkrete, vielleicht alltäglich erlebbare Weltzusammenhänge
auf einem Literaturforum wie diesem veröffentlicht, von jederman gelesen werden können?
Es ist hier weder das erste Internet-Literaturforum, das ich besuche, noch sind es meine ersten Versuche,
mich schreibend zu äußern, doch so eine grundsätzliche Infragestellung meines Schreibens habe ich noch nie
erfahren. Darum interessiert es mich jetzt brennend, wie allgemeingültig deine Kritik an mir/ meinem Text ist.
Deshalb möchte ich gern jede/n ermutigen, die/der es ähnlich wie du, Frodomir, sieht, diese Kritik mit der
berühmten zweiten Meinung zu untermauern. Denn eigentlich bin ich davon überzeugt, dass Privates kein
Ausschlussgrund für Literatur ist. Und auch, wenn dir der betreffende Text von mir nicht gefällt, ja selbst, wenn
dir kein Text von mir je gefallen wird, ist das für mich noch kein Grund, mein Schreiben für nicht literarisch zu
halten.

Frodomir, ich denke, wenn man auf öffentlichen Literatuforen nur nahezu fertige Autor*innen und ihre Texte
erleben will, müssten etwa 80 Prozent aller Teilnehmenden nach hause geschickt werden. Es ist ein schreibendes
Heer an selbsttherapeutisch Schreibenden, an Kopierenden, an Selbstüberschätzenden usw. Schreibende mit
einem hochentwickelten Sprachgefühl und Können sind relativ rar, denke ich. Aber keinen Einzigen würden wir
deshalb bitten, uns doch fürderhin mit seinem/ ihrem Geschreibsel zu verschonen - es sei denn, man formuliert
in die Bedingungen zu Teilnahme so etwas wie: Mindestens eine Veröffentlichung bei einem seriösen Verlag muss
nachweisbar vorliegen. Das wäre ein Weg zu einem exklusiven Forum für Literaten mit gewissen Ansprüchen.

Lieber Frodomir, wir können den Disput gern fortsetzen oder abbrechen - es ist beides nicht problematisch für mich.
Und es können sich andere zum Thema einmischen, dann wird es noch interessanter, hoffe ich.

Wünsche eine gute Woche!
der Clown
 

Frodomir

Mitglied
Hallo Clown,

es war nicht meine Absicht, dir die Schreibkompetenz abzusprechen, wenn das so rübergekommen ist, tut mir das Leid.

Ich schließe auch nicht von einem Text auf dein Talent, meine Kritik bezog sich aber auf deine Antwort auf meinen ersten Kommentar und deine Einstellung zum handwerklichen Teil der Textproduktion. Diese habe ich so verstanden, dass du erstmal nur Gedanken sammelst, um diese erst, wenn du genug davon zusammengetragen hast, zu einem Buch für den Privatgebrauch zu vereinen.

Mein Vorschlag ging dahingehend, dass es doch nachhaltiger wäre, bereits die kleinen Texte anspruchsvoller zu gestalten. Und da bleibt bei mir die Frage im Raum, was du nun mit deinen Texten hier erreichen möchtest? Verbesserungen? Oder reines Ausstellen? Z.B. hast du noch nicht mal den angesprochenen Fehler mit dem Mai korrigiert.

Viele Grüße
Frodomir
 



 
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