eripmaV

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Sammis

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eripmaV

Die Sonne stand bereits tief an jenem Sommerabend, als Tim und Mathilda sich dem Camper näherten, der seit dem frühen Morgen am Ende der Straße geparkt stand. Tim hätte lieber noch Fußball gespielt, aber seine Schwester drängte ihn zu dem Wohnmobil. Mathilda wollte nur eben schnell einen Blick darauf werfen, sehen, woher es kommt.
„Ist doch spannend“, sagte sie mit glänzenden Augen.
„Voll langweilig“, entgegnete Tim trotzig.
Nur was bleibt einem übrig, wenn die dreizehnjährige Schwester mehr als doppelt so alt ist, und man ohne sie ohnehin längst nicht mehr hätte draußen sein dürfen.

Die Kennzeichen verwiesen auf ein hiesiges Mietunternehmen. Das Fahrzeug schien mehr oder weniger neu zu sein, wies keinerlei Besonderheiten auf. Die Jalousien waren allesamt sorgfältig zugezogen, nirgends zeigte sich der kleinste Spalt, durch welchen man ins Innere hätte spähen können. Als Mathilda ihr Ohr gegen die Seitenwand des Campers presste, tat Tim es ihr gleich.
Stille, nichts war zu hören.
Dann aber rührte sich etwas. Dumpf waren unverständliche Stimmen zu hören und das Fahrzeug begann leicht zu schwanken. Mathilda packte ihren Bruder am Arm und zog ihn eilends vom Camper weg.

„Die sehen doch viel versprechend aus“, sagte Valerie zu ihrem Sohn und Lucas´ Vater Adam stimmte dem zu.
„Geh nach draußen“, forderte Adam seinen Sohn auf, „und stelle dich ihnen vor.“
Lucas zögerte, schien unschlüssig, wirkte ein wenig ängstlich.
„Nur Mut“, bestärkte ihn seine Mutter wohlwollend.
„Du kannst uns nicht ewig vorschicken“, fügte sein Vater hinzu, „es ist an der Zeit, auf eigenen Beinen zu stehen.“
„Nun aber los!“, verlangte Valerie streng, als ihr Sohn noch immer keinerlei Anstalten machte, sich in Bewegung zu setzten.

Das Wohnmobil parkte unter hoch aufragenden Kastanienbäumen. Des dichten Blätterwerks wegen konnte Mathilda nicht sogleich erkennen, wer aus der geöffneten Seitentür stieg.
Die scharfen Konturen des im letzten Sonnenlicht kontrastreich leuchtenden Hintergrundes ließen die Person, die sich Mathilda und Tim bis auf wenige Meter genähert hatte, schemenhaft im Halbdunkel verschwimmen. Erst als er unmittelbar vor ihnen stand, gaben die Schatten der Bäume den Blick auf sein Gesicht frei.
„Mein Name ist Lucas“, sagte der blasse Junge und streckte Mathilda die Hand entgegen. Bis sie diese ergriff, sah er ihr direkt in die Augen. Dann murmelte er etwas Unverständliches und ließ seinen Blick suchend umherhuschen.
Tim war der fremde Junge unheimlich. Urplötzlich verspürte er Müdigkeit, ihm war kalt und er wollte nach Hause. Er stellte sich hinter seine Schwester, zog sie am Ärmel und sagte bittend: „Lass uns nach Hause gehen.“
Mathilda aber gefiel der Junge. Er gefiel ihr sehr. So sehr, dass sie Tim gar nicht wahrnahm. Sein Händedruck war fest und zupackend, seine Haut fühlte sich zart und kühl an. „Ich heiße Mathilda“, sagte sie, versunken in seinen Augen. Mathilda blinzelte irritiert, wann immer Lucas den Blick von ihr nahm und sich umsah. Sobald er sich ihr jedoch wieder zuwandte, entspannten sich ihre Gesichtszüge und ihr Lächeln wurde breiter und breiter.
„Und wer bist du?“, wollte Lucas dann an Tim gewandt wissen.
Tim lugte hinterm Rücken seiner Schwester hervor und sah dem Fremden erstmals direkt ins Gesicht. „Ich bin Tim“, antwortete er freudestrahlend und trat vor Mathilda.
„Ist sie deine Schwester? Wo sind eure Eltern? Sind sie zuhause? Wo ist das?“, fragte Lucas den kleinen Jungen in rasantem Tempo, ohne einmal Luft zu holen. Tim beantwortete alle Fragen lächeln, was seine Schwester verwirrt dreinschauend mit ansah.
„Kommt“, sagte Lucas dann aufmunternd und lies seinen Blick zwischen dem Geschwisterpaar hin und her gleiten, „ich möchte euch jemanden vorstellen.“

Am Wohnmobil angekommen öffnete sich die Seitentür und Lucas` Vater trat ins Freie. „Tim und Mathilda, die Straße runter, das gelbe Haus mit den dunklen Fensterläden“, sagte Lucas sehr schnell. Adam klopfte seinem Sohn anerkennend auf die Schulter und machte sich wortlos auf den Weg.
Tim und Mathilda sahen einander einen Augenblick lang entgeistert an. Lucas fing ihre Blicke ein, ehe er in beschwichtigendem Ton sagte: „Kommt herein, meine Mutter wartet auf das Essen.“

„Guten Abend“, sagte Adam, nachdem er geklingelt hatte und die Tür geöffnet wurde. „Tim und Mathilda sind gute Freunde meines Sohnes. Sie bleiben zum Essen, und Sie haben nichts dagegen einzuwenden. Darf ich hereinkommen?“ Elisabet, die Mutter der beiden Kinder, sah den Fremden irritiert an. „Wer ist an der Tür“, rief Günter, Elisabets Ehemann, von hinten. „Ein Freund“, antwortete Elisabet tonlos, den Blick auf die Augen des Mannes vor ihr geheftet. „Er möchte herein kommen.“
„Warum nicht“, gab Günter leichthin zurück, „nur bitte ihn, die Schuhe auszuziehen.“
„Schuhe ausziehen“, wiederholte Elisabet mit leerem Blick.
„Selbstverständlich“, willigte Adam ein und schlüpfte aus seinen Schuhen. Auf der Schwelle stehend fragte er erneut: „Darf ich hereinkommen?“
Günter kam hinzu und sah seine Frau mit ratlosem Blick vor einem ihm gänzlich fremden Mann stehen. „Was ist los?“, fragte er Elisabet und an den Fremden gewandt: „Wer sind Sie?“
„Ein Freund.“, antwortete Adam und sah Günter dabei in die Augen. „Darf ich herein kommen?“
Eine Spuckeblase bildete sich auf Günters offenstehendem Mund, ehe er teilnahmslos Ja sagte.
 
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Hallo Sammis,

eine rätselhafte Geschichte, gut geschrieben. Sehr gut gefällt mir, wie du am Anfang die Atmosphäre eingefangen hast.
Aus dem Schluss werde ich nicht so wirklich schlau. Sind Lucas und seine Eltern vielleicht Außerirdische, die jeden zu Gehorsam nötigen, der ihnen in die Augen blickt bzw. haben die Menschen keinen eigenen Willen mehr, nachdem sie ihnen begegnet sind? Das wäre jetzt mein Gedanke, der aber nicht stimmen muss. Aber mir gefällt diese Möglichkeit. Und die Geschichte auch.

LG SilberneDelfine
 

Sammis

Mitglied
Hallo!

Sie scheuen das Tageslicht, fürchten Kruzifixe und können deine haus nur betreten, wenn sie herein gebeten werden.

Es freut mich, dass dir meine kleine Geschichte gefallen hat. Vielen Dank für deine Bewertung.

Beste Grüße und viel Freude beim Schreiben

Technische Frage: Gibt es eine Möglichkeit, den Titel der Geschichte nachträglich abzuändern?
 

Johnson

Mitglied
Gut Geschichte. Das erinnert mich ohne despektierlich zu wirken an „John Sinclair Geisterjäger“. Diese Art des allwissenden Erzählers der außerhalb der erzählten Welt ist. Verfeinert und noch besser wäre die Geschichte, wenn du selber Teil der Geschichte wärst. Also als jemand erzählen würdest der das alles mitgemacht hatte……
 
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