Erstes Ende von Etwas...
Der Abend in der Berghütte neigte sich dem Ende zu, als der Fremde an unseren Tisch trat. Das warme Licht der alten Lampen zeichnete Schatten in sein Gesicht, während er fragend auf den leeren Stuhl deutete.
„Darf ich mich zu euch setzen?"
Max und ich blickten von unseren fast leeren Bierkrügen auf. Der Schaum hatte sich an die Glaswände zurückgezogen und hinterließ feuchte Spuren, wie Erinnerungen, die langsam verblassen. Ich hatte den Mann schon früher bemerkt – allein an einem großen Tisch, sein Blick gelegentlich durch den Raum schweifend.
Ich zögerte kurz, dann nickte ich. „Klar, setz dich."
Max sagte nichts, sein Gesicht verschlossen wie in den letzten Tagen unserer Wanderung.
Seit sieben Jahren machten wir diese Touren. Sieben Jahre, in denen wir zusammen gewachsen waren und uns doch immer weiter voneinander entfernten. Diese Woche war anders. Jeder Schritt auf dem Bergpfad hatte die Kluft zwischen uns deutlicher werden lassen.
An den Abenden waren unsere Gespräche hitziger geworden. Wir leerten Bierkrug um Bierkrug, während wir über Karrieren stritten, über Max' Aufstiegsambitionen und meine Weigerung, dem gleichen Weg zu folgen. Über seine neue Freundin, von der er nie sprach. Über Ansichten, die sich mit den Jahren so grundlegend verändert hatten.
„Wer hätte gedacht, dass du mal Anzugträger wirst", hatte ich gestern gesagt, und es war nicht als Kompliment gemeint.
„Und wer hätte gedacht, dass du mit dreißig immer noch keinen Plan hast", hatte er geantwortet, die Worte schmerzten mehr als der Muskelkater unserer Tagesetappe.
Die Wirtin stellte ein frisches Bier vor dem Fremden ab. Der Geruch von Hopfen und Malz mischte sich mit dem von Holz und Schweiß in der Stube.
Früher hatten wir uns beinahe täglich Nachrichten geschickt. Als wir in verschiedene Städte zogen, telefonierten wir stundenlang. Wir halfen einander durch Jobwechsel und Beziehungskrisen. Max war mein Trauzeuge gewesen, und ich hatte seinen Blick nicht vergessen, als er seine Rede hielt – stolz und ein wenig wehmütig, als wüsste er schon damals, dass etwas zu Ende ging. Ich hatte ihn nach Hause gebracht, als seine erste Freundin ihn verließ, und seine Wohnungstür erst verlassen, als er endlich eingeschlafen war. Diese Wanderungen waren unser jährliches Ritual, die Zeit, in der wir uns wiederfanden.
Doch am Morgen, als wir schweigend nebeneinander den steilen Pfad erklommen hatten, hatte ich es nicht mehr aushalten können: „Haben wir uns überhaupt noch etwas zu sagen?"
Max hatte lange geschwiegen, die Augen auf den Weg gerichtet. Seine Antwort kam verzögert: „Vielleicht nicht."
Der Fremde hatte nun auf unsere Einladung hin Platz genommen. Seine Wanderschuhe waren abgenutzt, die Schnürsenkel präzise verknotet. Seine Hände umfassten den Bierkrug behutsam.
„Ich habe euch eine Weile beobachtet", sagte er ruhig. Es klang nicht aufdringlich, eher wie eine Entschuldigung. „Und ich muss euch sagen, wie sehr ich euch beneide."
Beneiden? Uns? In diesem Moment, wo wir kaum noch miteinander sprachen?
Max griff nach seinem Tabakbeutel, eine Bewegung, die ich tausendmal gesehen hatte. Seine Finger teilten den Tabak mit der gleichen ruhigen Präzision wie immer. Das dünne Papier bog sich zwischen seinen Fingern, formte sich zu einer perfekten Rinne. Er verteilte den Tabak gleichmäßig, rollte das Papier mit einer fließenden Bewegung und feuchtete den Klebestreifen mit der Zungenspitze an. Die Zigarette, die zwischen seinen Fingern entstand, war makellos. Er zündete sie an und blies einen Rauchring zur Decke. Manche Gewohnheiten ändern sich nie, selbst wenn alles andere es tut.
Ich wandte mich dem Fremden zu, fragend.
„Ja, ich beneide euch um eure Freundschaft", fuhr er fort. Seine Stimme hatte etwas Melancholisches. „Ich sehe, wie ihr zueinander sitzt. Wie ihr euch bewegt. Wie ihr aufeinander reagiert, selbst wenn ihr schweigt."
Er nahm einen Schluck Bier und wischte sich den Schaum von der Oberlippe.
„Ich sehne mich nach dem, was ich bei euch sehe: intensive Gespräche, echtes Interesse füreinander, selbst wenn ihr verschieden seid. Der eine redet viel, gestikuliert" – er deutete auf mich – „der andere hört zu, beobachtet, denkt nach." Sein Blick wanderte zu Max. „So stelle ich mir Freundschaft vor: Verschiedene Sichtweisen, die sich ergänzen, einander begleiten. Eine solche Verbindung wächst über Jahre, oder? Und wenn sie einmal da ist, kann sie nichts erschüttern."
Seine Worte trafen mich unerwartet. Ich spürte ein Brennen in der Kehle.
„Oh Mann, wie ich das vermisse", seufzte er. „Ich liebe meine Familie – meine Frau, meine Kinder – morgen kommen sie hierher. Aber eine Freundschaft wie eure, die fehlt mir."
Es war absurd. Er beschrieb etwas, das wir gerade dabei waren zu verlieren – oder vielleicht schon verloren hatten.
Ich merkte, wie meine Augen feucht wurden. In der Fensterscheibe sah ich mein verschwommenes Spiegelbild.
Ich schaute zu Max, der gerade seine Zigarette im Aschenbecher ausdrückte. Ein leises Zischen, als die Glut erlosch. Er erwiderte meinen Blick nicht. Sein Gesicht wirkte älter als sonst im flackernden Licht. Die Falten um seine Augen waren tiefer geworden, nicht nur vom Lachen. Die grauen Strähnen an seinen Schläfen hatte ich früher nie bemerkt, oder nicht bemerken wollen.
In diesem Moment durchlebte ich unsere gemeinsame Geschichte – die Biere in der Studentenkneipe, das Campen am See, die Nächte, in denen wir die Welt neu erfanden, die Unterstützung in Krisenzeiten, das Feiern der kleinen und großen Erfolge. Und die letzten Jahre, in denen die Anrufe seltener wurden, die Nachrichten kürzer, die Treffen rarer. Als wären wir zwei Menschen geworden, die nur noch durch Erinnerungen verbunden waren.
Max stand auf. Die Stuhlbeine schabten über den Holzboden. Er nahm seinen Krug und trank im Stehen den letzten Schluck. Sein Adamsapfel bewegte sich, als er schluckte. Mit einem dumpfen Geräusch stellte er den leeren Krug zurück.
„Gute Nacht, die Herren. Morgen geht's früh los."
Seine Stimme klang müde, doch nicht verbittert. Es war die Stimme eines Menschen, der eine Entscheidung getroffen hatte.
Ohne ein weiteres Wort verließ er die Gaststube. Seine Schritte auf der alten Holztreppe wurden leiser, bis sie verklangen.
Ich blieb mit dem Fremden allein zurück. Draußen vor dem Fenster wehte der Wind, und erster Schnee fiel, obwohl es noch September war.
Der Fremde blickte mir in die Augen, und für einen Moment glaubte ich, er könnte meine Gedanken lesen. Dann senkte er den Blick auf sein Bier und schwieg.
Ich fragte mich, ob Max morgen noch hier sein würde. Ich fragte mich, ob diese Wanderung wirklich unsere letzte sein würde. Und ich fragte mich, ob der Fremde recht hatte – ob unsere Freundschaft tatsächlich so stark war, dass sie nichts erschüttern konnte.
Die Antwort lag vermutlich irgendwo in unserer gemeinsamen Vergangenheit und in der Zukunft, die vor uns lag. In dem, was wir einmal füreinander waren, und in dem, was wir werden könnten.
Ich leerte meinen Krug und stellte ihn neben den von Max. Zwei leere Gefäße auf einem Tisch – vielleicht war das alles, was von unserer Freundschaft übrig bleiben würde. Vielleicht nicht.
„Ich glaube, ich gehe auch schlafen", sagte ich zum Fremden und stand auf. „Danke für... deine Worte."
Als ich die Treppe hinaufstieg, spürte ich eine seltsame Ruhe. Morgen würde sich zeigen, ob es ein Anfang war oder ein Ende.
Der Abend in der Berghütte neigte sich dem Ende zu, als der Fremde an unseren Tisch trat. Das warme Licht der alten Lampen zeichnete Schatten in sein Gesicht, während er fragend auf den leeren Stuhl deutete.
„Darf ich mich zu euch setzen?"
Max und ich blickten von unseren fast leeren Bierkrügen auf. Der Schaum hatte sich an die Glaswände zurückgezogen und hinterließ feuchte Spuren, wie Erinnerungen, die langsam verblassen. Ich hatte den Mann schon früher bemerkt – allein an einem großen Tisch, sein Blick gelegentlich durch den Raum schweifend.
Ich zögerte kurz, dann nickte ich. „Klar, setz dich."
Max sagte nichts, sein Gesicht verschlossen wie in den letzten Tagen unserer Wanderung.
Seit sieben Jahren machten wir diese Touren. Sieben Jahre, in denen wir zusammen gewachsen waren und uns doch immer weiter voneinander entfernten. Diese Woche war anders. Jeder Schritt auf dem Bergpfad hatte die Kluft zwischen uns deutlicher werden lassen.
An den Abenden waren unsere Gespräche hitziger geworden. Wir leerten Bierkrug um Bierkrug, während wir über Karrieren stritten, über Max' Aufstiegsambitionen und meine Weigerung, dem gleichen Weg zu folgen. Über seine neue Freundin, von der er nie sprach. Über Ansichten, die sich mit den Jahren so grundlegend verändert hatten.
„Wer hätte gedacht, dass du mal Anzugträger wirst", hatte ich gestern gesagt, und es war nicht als Kompliment gemeint.
„Und wer hätte gedacht, dass du mit dreißig immer noch keinen Plan hast", hatte er geantwortet, die Worte schmerzten mehr als der Muskelkater unserer Tagesetappe.
Die Wirtin stellte ein frisches Bier vor dem Fremden ab. Der Geruch von Hopfen und Malz mischte sich mit dem von Holz und Schweiß in der Stube.
Früher hatten wir uns beinahe täglich Nachrichten geschickt. Als wir in verschiedene Städte zogen, telefonierten wir stundenlang. Wir halfen einander durch Jobwechsel und Beziehungskrisen. Max war mein Trauzeuge gewesen, und ich hatte seinen Blick nicht vergessen, als er seine Rede hielt – stolz und ein wenig wehmütig, als wüsste er schon damals, dass etwas zu Ende ging. Ich hatte ihn nach Hause gebracht, als seine erste Freundin ihn verließ, und seine Wohnungstür erst verlassen, als er endlich eingeschlafen war. Diese Wanderungen waren unser jährliches Ritual, die Zeit, in der wir uns wiederfanden.
Doch am Morgen, als wir schweigend nebeneinander den steilen Pfad erklommen hatten, hatte ich es nicht mehr aushalten können: „Haben wir uns überhaupt noch etwas zu sagen?"
Max hatte lange geschwiegen, die Augen auf den Weg gerichtet. Seine Antwort kam verzögert: „Vielleicht nicht."
Der Fremde hatte nun auf unsere Einladung hin Platz genommen. Seine Wanderschuhe waren abgenutzt, die Schnürsenkel präzise verknotet. Seine Hände umfassten den Bierkrug behutsam.
„Ich habe euch eine Weile beobachtet", sagte er ruhig. Es klang nicht aufdringlich, eher wie eine Entschuldigung. „Und ich muss euch sagen, wie sehr ich euch beneide."
Beneiden? Uns? In diesem Moment, wo wir kaum noch miteinander sprachen?
Max griff nach seinem Tabakbeutel, eine Bewegung, die ich tausendmal gesehen hatte. Seine Finger teilten den Tabak mit der gleichen ruhigen Präzision wie immer. Das dünne Papier bog sich zwischen seinen Fingern, formte sich zu einer perfekten Rinne. Er verteilte den Tabak gleichmäßig, rollte das Papier mit einer fließenden Bewegung und feuchtete den Klebestreifen mit der Zungenspitze an. Die Zigarette, die zwischen seinen Fingern entstand, war makellos. Er zündete sie an und blies einen Rauchring zur Decke. Manche Gewohnheiten ändern sich nie, selbst wenn alles andere es tut.
Ich wandte mich dem Fremden zu, fragend.
„Ja, ich beneide euch um eure Freundschaft", fuhr er fort. Seine Stimme hatte etwas Melancholisches. „Ich sehe, wie ihr zueinander sitzt. Wie ihr euch bewegt. Wie ihr aufeinander reagiert, selbst wenn ihr schweigt."
Er nahm einen Schluck Bier und wischte sich den Schaum von der Oberlippe.
„Ich sehne mich nach dem, was ich bei euch sehe: intensive Gespräche, echtes Interesse füreinander, selbst wenn ihr verschieden seid. Der eine redet viel, gestikuliert" – er deutete auf mich – „der andere hört zu, beobachtet, denkt nach." Sein Blick wanderte zu Max. „So stelle ich mir Freundschaft vor: Verschiedene Sichtweisen, die sich ergänzen, einander begleiten. Eine solche Verbindung wächst über Jahre, oder? Und wenn sie einmal da ist, kann sie nichts erschüttern."
Seine Worte trafen mich unerwartet. Ich spürte ein Brennen in der Kehle.
„Oh Mann, wie ich das vermisse", seufzte er. „Ich liebe meine Familie – meine Frau, meine Kinder – morgen kommen sie hierher. Aber eine Freundschaft wie eure, die fehlt mir."
Es war absurd. Er beschrieb etwas, das wir gerade dabei waren zu verlieren – oder vielleicht schon verloren hatten.
Ich merkte, wie meine Augen feucht wurden. In der Fensterscheibe sah ich mein verschwommenes Spiegelbild.
Ich schaute zu Max, der gerade seine Zigarette im Aschenbecher ausdrückte. Ein leises Zischen, als die Glut erlosch. Er erwiderte meinen Blick nicht. Sein Gesicht wirkte älter als sonst im flackernden Licht. Die Falten um seine Augen waren tiefer geworden, nicht nur vom Lachen. Die grauen Strähnen an seinen Schläfen hatte ich früher nie bemerkt, oder nicht bemerken wollen.
In diesem Moment durchlebte ich unsere gemeinsame Geschichte – die Biere in der Studentenkneipe, das Campen am See, die Nächte, in denen wir die Welt neu erfanden, die Unterstützung in Krisenzeiten, das Feiern der kleinen und großen Erfolge. Und die letzten Jahre, in denen die Anrufe seltener wurden, die Nachrichten kürzer, die Treffen rarer. Als wären wir zwei Menschen geworden, die nur noch durch Erinnerungen verbunden waren.
Max stand auf. Die Stuhlbeine schabten über den Holzboden. Er nahm seinen Krug und trank im Stehen den letzten Schluck. Sein Adamsapfel bewegte sich, als er schluckte. Mit einem dumpfen Geräusch stellte er den leeren Krug zurück.
„Gute Nacht, die Herren. Morgen geht's früh los."
Seine Stimme klang müde, doch nicht verbittert. Es war die Stimme eines Menschen, der eine Entscheidung getroffen hatte.
Ohne ein weiteres Wort verließ er die Gaststube. Seine Schritte auf der alten Holztreppe wurden leiser, bis sie verklangen.
Ich blieb mit dem Fremden allein zurück. Draußen vor dem Fenster wehte der Wind, und erster Schnee fiel, obwohl es noch September war.
Der Fremde blickte mir in die Augen, und für einen Moment glaubte ich, er könnte meine Gedanken lesen. Dann senkte er den Blick auf sein Bier und schwieg.
Ich fragte mich, ob Max morgen noch hier sein würde. Ich fragte mich, ob diese Wanderung wirklich unsere letzte sein würde. Und ich fragte mich, ob der Fremde recht hatte – ob unsere Freundschaft tatsächlich so stark war, dass sie nichts erschüttern konnte.
Die Antwort lag vermutlich irgendwo in unserer gemeinsamen Vergangenheit und in der Zukunft, die vor uns lag. In dem, was wir einmal füreinander waren, und in dem, was wir werden könnten.
Ich leerte meinen Krug und stellte ihn neben den von Max. Zwei leere Gefäße auf einem Tisch – vielleicht war das alles, was von unserer Freundschaft übrig bleiben würde. Vielleicht nicht.
„Ich glaube, ich gehe auch schlafen", sagte ich zum Fremden und stand auf. „Danke für... deine Worte."
Als ich die Treppe hinaufstieg, spürte ich eine seltsame Ruhe. Morgen würde sich zeigen, ob es ein Anfang war oder ein Ende.
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