Es ist, was es ist

Lusija

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Unsere Liebe hält das aus, hatte er gesagt.
Er hat mich angeschaut, dabei gelächelt mit seinen sanften braunen Augen und gesagt: „Unsere Liebe hält das aus, ich bin ganz sicher.“ Ganz in Gedanken versunken war er. „Was hält sie aus?“, habe ich damals gefragt mit einer Mischung aus Neugierde und Misstrauen. Mit einem Kloß im Hals ob der Enthüllungen, die da folgen sollten.
Es war ein Montag gewesen. Ich habe ihn im Kalender markiert. Am Montag, den 21. Januar, fünf Tage vor meinem Geburtstag. Wir wollten zusammen Schlitten fahren gehen. Es war ein schöner Tag. Seit Wochen hatte es geschneit und nun schien die Sonne und die ganze Welt glitzerte und strahlte in einem weißen Ballkleid mit tausend kleinen funkelnden Diamanten.
Sam und ich sind heute seit fast zwölf Jahren zusammen.
An dem Montag, vor acht Jahren, als er im Brustton der Überzeugung sagte: „Unsere Liebe hält das aus“, hatte ich ihm nicht geglaubt. Wir saßen auf der Bank, glücklich und zufrieden mit uns und der Welt und ein wenig erschöpft vom Toben im Schnee. Ein schönes Paar waren wir zwei. Eingemummelt in Mütze und Schal lehnte ich an seiner Schulter, seine Hand spielte versonnen in meinen Haaren. Wir beobachteten die Kinder, die weiter unten am Hang mit einem Hund spielten. Es war Tradition, dass wir jedes Jahr hier her kamen. Wenn es Schnee gab mit Schlitten, sonst ohne. Aber immer zu der Bank, unserer Bank.
Ich lasse meine Finger über das morsche Holz gleiten, fühle die Initialen, die Sam an unserem Jahrestag in die Bank geritzt hatte. Ich weiß noch, wie gerührt ich damals war. Meine Gedanken schweifen zurück.
Unsere Liebe hält das aus. Vor acht Jahren saß ich hier und hörte diesen Satz. Ich habe mich aufgesetzt, um ihm fragend ins Gesicht sehen zu können.
„Ich habe mich für acht Jahre verpflichtet.“
Ungläubig schaute ich meinen Freund an. Ich hatte mit allem gerechnet, nur damit nicht. Verpflichtet für acht Jahre. Ich musste mich verhört haben. Doch als sein Gesicht ernst wurde, fiel bei mir der Groschen. Eine Welt brach zusammen. Alle unsere Zukunftspläne, verloren. Unsere gemeinsames Leben, zu Ende. Aussichtslos bei der Entfernung.
„Du hast was?“ Ich sprang auf. Der Schnee wurde plötzlich zu einem hässlichen grauen Flickenteppich, der höhnisch blitzte. Die Mütze wurde unerträglich heiß, ich riss sie vom Kopf. Ich konnte nicht verstehen, warum er das getan hatte, wollte es nicht. Ich schrie ihn an, machte eine fürchterliche Szene. Er saß einfach nur da. Auf der Bank. Ließ mich toben. Mit eingesunkenen Schultern und ausdrucksloser Miene. Als ich nur noch schluchzend dastand, erhob er sich und wollte mich in den Arm nehmen, mir seine Beweggründe erklären. Ich lief davon. Es waren die schlimmsten Tage meines Lebens, die folgten. Ich hatte ihm Dinge an den Kopf geworfen, die ich nicht sagen wollte, ihm wehgetan, weil er mir wehtat. Doch es war zu spät und ich war zu stolz, um Entschuldigung zu bitten. Er rief mich an, ich ging nicht ans Telefon. Dann ist er abgefahren. Ich war auf dem Bahnhof, habe mich aber versteckt, dass er mich nicht sehen konnte. Ich war todunglücklich.
Mein Studium wurde die reinste Qual. Ich konnte mich nicht konzentrieren, wartete insgeheim darauf, dass er gleich zur Türe hereinkommen würde. Es war hoffnungslos, er kam nicht. Jeden Tag vermisste ich seine Hände, seine Stimme, die sanften Augen. Freunde sprachen von Erinnerungen, die verblassen. Meine taten es nicht.
Als ich dachte, ich wäre soweit, sah ich ihm – im Fernsehen. In der Tagesschau brachten sie einen Bericht über den Einsatz seiner Einheit bei den Nato-Truppen. Er stand an Bord eines Schiffes der Marine, neben seinem Kommandanten. Er sah aus wie an dem Tag, als wir uns kennen lernten. Ein wenig hagerer im Gesicht, ein leichter Bartansatz, der ihm ausgesprochen gut stand und mit tieftraurigen Augen. Meine Freunde rieten mir, ihn zu vergessen, er habe glücklich ausgesehen, sagten sie. Ich wollte es nicht hören. Ich verliebte mich erneut in ihn, sah sein Bild Tag und Nacht vor Augen.
Nach einem Jahr kam eine Weihnachtskarte aus Mali. Von ihm, von Sam. Er war bei den Sanitätstruppen und hatte viel zu tun. Ich schickte eine Karte zurück. Und dann fingen wir an, uns zu schreiben. Erst nur wenig, Banalitäten und auch nur unregelmäßig. Dann immer mehr, doch keiner traute sich, auszusprechen, was er wirklich fühlte. Eines Tages schrieb er unter den Brief „Ich liebe dich“. Ich fiel aus allen Wolken, hatte ich doch geglaubt, er würde meinen Ausbruch nie vergessen. Und nun „Ich liebe dich“. Daneben ein Herz, ein Vulkan und ein Pfeil mit meinem Namen, der auf den Vulkan zeigte. Ich musste lachen. Von da an war alles wieder wie vor dem verhängnisvollen Montag im Januar. Meine Eltern rieten mir von einer Fernbeziehung ab, ich hatte selbst Zweifel. Aber ich konnte nicht anders. Seine Kumpanen sagten ihm, er solle mir nicht hinterherlaufen, ich hätte sicher schon jemand anderen. Das schrieb er mir. Acht Jahre seien eine lange Zeit, da könne sich viel ändern. Mein Kopf sagte nein, mein Herz sagte ja und so schrieb ich weiter. Einmal kam ein Brief, in dem stand: „Habe dich damals am Bahnhof gesehen. Danke, dass du gekommen bist.“ Das war alles, was er dazu sagte.
Und dann der letzte Brief: „Ich schicke dir ein Geschenk zum Geburtstag. Du kannst es an unserer Bank abholen.“ Kein Wort von seiner Rückkehr, dabei hatte ich nachgerechnet, die acht Jahre waren um.
Ich gehe zu der Bank. Es hat wieder geschneit und alles ist weiß. Von weitem sehe ich einen Schlitten. Die Bank ist leer. Als ich näher komme, sehe ich Spuren im Schnee, die im nahen Wäldchen verschwinden. Der Postbote muss von der Schnellstraße gekommen sein, die durch das Waldstück führt. An dem Schlitten hängt ein Zettel: ‚An meinen Schatz auf der Bank am alten Hügelwäldchen‘ steht darauf. Ich wundere mich, wie er den Postboten dazu gebracht hat, hier auszuliefern. Wie schön es wäre, ihn auch hier zu haben. Ganz in Gedanken sehe ich aus dem Augenwinkel eine Bewegung und blicke auf.
Da steht er. Er ist gekommen. Nicht der Schlitten, Sam ist das Geschenk. Er steht da und schaut mich an. Sein Gesicht zeigt ein vorsichtiges Lächeln, als er die Arme ausbreitet. Ich zögere und falle ihm dann in die Arme. Die Welt um mich herum beginnt zu tanzen. „Du hattest recht“, flüstere ich zwischen zwei Küssen. Er lächelte nur und hält mich fest.
Wir sitzen auf unserer Bank. Ich lehne an seiner Schulter, sein Arm hält mich. Ich seufze zufrieden. Ich gebe dich nie mehr her.
Sanft streicht er über meine Wange.
Ich gehe nie mehr weg.
 

Aufschreiber

Mitglied
Hallo Lusija,

da springen die Zeitformen aber schon ziemlich wild durcheinander. Mir schwirrt schon der Kopf.

Beste Grüße,
Steffen
 



 
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