Euosmon

weudl4

Mitglied
Es ist still. Ich kann nichts, absolut gar nichts hören. Diese Stille beängstigt mich. Sie zerreißt mich und zwingt mich in die Knie. In all dieser Stille stiehlt sie mir stillos meine Sinne. Sie ist eine Räuberin und raubt mir meinen restlichen Verstand, nur um dann mit mir Hand in Hand zwischen all den Menschenmassen, die mich hassen zu verschwinden. Einzutauchen, tief, tiefer am tiefsten Punkt angelangt verschlingt mich die Masse und ich verliere all meine Würde, all meine Klasse. Was bin ich nun? Was kann ich tun? Es schwimmt ein einziger Fisch, ein Koi strahlend zwischen Millionen Legionen. Er strahlt wie ein Toy und zischt elegant, scheu vorbei an all den Dämonen. Sie umgeben uns und halten uns fest. Wir sind Gefangene unserer Illusionen, begeben uns zielstrebig in Kuschelzonen um unterdrückt die Gefahren in Visionen zu verlieren. Mich umgeben Billionen von Elektronen und zwischen Kuschel und Koi werden wir zu den Mutationen, die für uns vorgesehen sind. Wahllos züchten sie uns in Rassenmassen, um als Hirnlose die Köpfe hängen zu lassen. Doch dann drehen wir uns um und schwimmen gegen den Strom. Schwimmen vorbei an Klon und Gnom bis zur Wand aus Chrom. Auf der steht in klaren Worten dies Palindrom: O Genie, der Herr ehre Dein Ego!

Mit vollem Elan geht es für den Koi und mich nun weiter. Er ist mein Freund, mein Begleiter. Es donnert und stürmt, die Blitze, sie blitzen und blitzen, bis ein letzter gewaltiger Funke, die Dunkelheit vertreibt. Was bleibt in der Ferne, weit, weit weg von dem Zwist und der List ist das Gefühl der Wärme. Vertrauen erwacht und wider der Logik, wer hätt es gedacht, stehlen wir der Rassenmasse, nicht nur ihre Klasse, sondern auch ihre Macht. Wir durchbrechen den Teufelskreis und kreisen in leisen, weisen Gedanken umher. Schwer und leer wirkt der Raum um uns herum. Doch denken wir nicht in Problemen, wir nehmen den Systemen ihr Benehmen. Wir rauben ihnen ihr Geld, zerschlagen ihre Strukturen und verwandeln ihre Ideologien und Gewalt in ein tolerantes, buntes Wohlfühlheim. Dort möchte ich bleiben, den Hass vertreiben und von schönen Dingen schreiben.


langsam vergeht,

was auf der wand steht

und wir starten

voll der taten

und enden

in des teufel´s händen
 

sufnus

Mitglied
Hi weudl4!

Dein Text ist ein schönes Beispiel für die Kraft des Zeilenumbruchs. Da Du den Hauptteil als Fließtext eingestellt hast, sind die Endreime beim ersten Überfliegen nur relativ dezent heraushörbar und drängen erst beim Wiederlesen stärker ins Bild.
Ich bin grundsätzlich nicht der Meinung, dass der Zeilenumbruch ein hinreichendes Kriterium ist, um Lyrik zu definieren. Insbesondere ist noch längst nicht jeder Text ein Gedicht (im engeren Sinn), der sich des Zeilenumbruchs bedient.
Naturgemäß ist auch der Endreim nicht geeignet ein Gedicht zu einem Gedicht zu machen. Nicht alles, was sich reimt ist ein Gedicht und nicht alles, was sich nicht reimt, ist keines.

Bei Deinem Text würde ich jetzt unterm Strich dafür plädieren, ihn nicht als Lyrik (als Gedicht) zu definieren. Ich halte es eher für Reimprosa (womit Du ja literarisch (sic!) in guter Gesellschaft bist ;) ). Was den Text für mich unlyrisch macht, ist (auf den ersten Blick paradox anmutend) die häufige Verwendung der Wörter "ich", "mich", "mir" und "mein", also die extreme Fokusiertheit auf die 1. Person Singular. Paradox sicherlich deshalb, weil ja gerade die Lyrik als die subjektive Literaturgattung schlechthin gilt und viele Gelehrte die "Erfindung" des Gedichts mit dem Aufkommen von Texten gleichsetzen, in denen ein "ich" vorkam. Mein Punkt in dieser Debatte wäre, dass ein(e) Autor*in, die/der von "ich" redet, dieses ja wiederum durchaus zu einem Objekt machen kann (aber eben nicht muss). Wenn ein gewisser Archilochos (frei übersetzt) dichtete "Ich warf meinen Schild fort, als ich vom Schlachtfeld floh", dann ergibt sich die in dieser Handlung attestierbare "Feigheit vor dem Feind" ggf. erst durch einen dies so rezipierenden Leser, während andere Rezipienten das vermutlich ganz anders betrachten und dies sorgt dann für die Subjektivität dieser Aussage. Schriebe dieser Archilochos aber "Ich hatte solche Angst, als die Thraker auf uns zustürmten; ich dachte an meine Eltern und Freunde und wollte einfach nur überleben", dann macht er sich zum Objekt einer Art Selbstanalyse. Und das würde ich (in der Regel) nicht als wirklich subjektive Aussage und auch nicht als besonders lyrisch empfinden.

Ich hab mir mal gerade kurz angeschaut, was mit Deinem Text passieren würde, wenn man alle Sätze, die ein ich/mich/mir/mein enthalten streicht. Meines Erachtens würde der Text dadurch tatsächlich gewinnen und wäre wesentlich lyrischer.

Und beim Palindrom fänd ich es schöner, ein nicht Generisches zu kreieren.

LG!

S .
 

weudl4

Mitglied
Vielen lieben Dank für das tolle Feedback, ich werde mich doch tatsächlich mal dran wagen und es versuchen ohne all den ich/mich/mir/mein
merci
 



 
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