Farben der Liebe

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Hera Klit

Mitglied
Farben der Liebe

„Was war an deiner Liebe zu Dagmar so anders als an deiner Liebe zu mir?“
Regina hatte sich im Bett aufgesetzt und ihre Nachttischlampe eingeschaltet und jetzt redete sie gegen seinen Rücken. Sie wusste, dass er nicht schlief, denn er schlief in der letzten Zeit kaum eine Nacht durch. Die Sorgen um seinen Arbeitsplatz und die Angst, die Hypothek nicht mehr bedienen zu können, hielten ihn wach. Er war ein Mann von dreiundfünfzig Jahren und damit auf dem Arbeitsmarkt ein schwer zu vermittelndes Problem. „Aber ich habe dir doch schon so oft gesagt, dass meine Liebe zu Dagmar krankhaft war, während meine Liebe zu dir sich noch im grünen Bereich bewegte und bewegt.“ , erwiderte er sichtlich bemüht, in der Stimme keine Anklänge von Gereiztheit durchklingen zu lassen.

„Heißt das deine Liebe zu ihr war rot, rot, wie die Liebe nun mal sein muss und die Liebe zu mir ist langweilig grün.“
„Nein, das heißt es nicht.“ „So, was heißt es denn? Erkläre es mir, Frank, ich verstehe es nun mal nicht.“ „Du verstehst es jetzt seit dreißig Jahren nicht,“ Sie machte ihn völlig fertig, sie konnte die Sache mit Dagmar nicht abhaken, er hatte sie schon ewig abgehakt, es war eine Jugendliebe gewesen und natürlich war es eine Katastrophe, als Dagmar ihn verließ und er brauchte damals drei Jahre und einen Psychologen, um die Sache zu verarbeiten.

Wie das in solchen Fällen oft so ist, nahm er sich dann vor, sich niemals wieder zu verlieben und deshalb ging er die Beziehung zu Regina als reine Vernunftsache an. Freilich lernte er sie mit der Zeit mehr und mehr schätzen, sodass man letztlich von Liebe reden konnte, allerdings eine mehr dunkelrote Liebe, die auch etwas Mitleid mit Regina enthielt. Wahrscheinlich, weil er sich immer etwas schuldig fühlte, ihr gegenüber, weil er innerlich reserviert blieb, wobei sie ihm bald offen zu verstehen gab, dass er ihre große Liebe des Lebens war und ist. Es lief auch dann lange Zeit ganz gut mit ihnen, bis er einmal den Fehler machte, ihr in einer schwachen Minute erklären zu wollen, dass eine vernunftgetragene Liebe, wie sie sie hätten, viel besser und langlebiger wäre als so eine auf wahnsinniger Leidenschaft beruhende Liebe wie seine zu Dagmar war, eine Liebe, die zwar lichterloh brennt, aber eben meistens nicht von langer Dauer ist. Seitdem wurde sie von Selbstzweifeln zerfressen und löcherte ihn bei jeder Gelegenheit. Er konnte ihr einfach nicht klarmachen, dass dunkelrote Lieben tiefer und besser sind als knallrote.

Er klopfte das Kissen auf und legte sein müdes Haupt auf dessen kühlere Seite, um wenigstens noch drei Stunden Schlaf zu bekommen, er brauchte seine ganze Kraft im Job, sein neuer Chef war dreiunddreißig Jahre alt und hatte ihn auf dem Kieker, weil er ihn für zu langsam und schwerfällig hielt und außerdem für unzeitgemäß und veraltet. Er war ein Auslaufmodell und ob er es noch bis in die Rente schaffte, war mehr als fraglich, wenn nicht, würde ihm kein Gott aus seiner finanziellen Misere helfen können.
„Aber beim Sex sind doch knallrote Lieben eindeutig im Vorteil wegen der Leidenschaft, die darin steckt.“ Sie wollte nicht aufhören. Sie konnte nicht aufhören. Sie kam nicht drüber weg.
Im Grund hatte sie recht, nur die knallroten Lieben sind echte Lieben mit dem herrlichsten Sex der Welt mit Verlangen und Herzklopfen und allem drum und dran bis zur Selbstaufgabe. Das sind Lieben, die einen Mann zum Supermann machen, aber immer mit der Gefahr einhergehen, ihn restlos zu zerstören. Er hätte ihr jetzt gerne gestanden, dass eine solche Liebe jedes erdenkliche Leiden wert war.
„Nein, die dunkelroten Lieben, das sind die wahren und tiefen und lebenslänglich beständigen Lieben, die einen Menschen erst zum Menschen machen, die knallroten sind tierisch niedrig und in ihrer ganzen Anlage völlig verfehlt und nichts weiter als krankhaft und fehlgeleitet. Ich bin jetzt mit dir der glücklichste Mensch und ich bin froh, dass du mich am Anfang noch unterstützt hast, aus der Sache mit Dagmar herauszukommen, Schatz. Schlaf jetzt bitte, wir müssen morgen früh raus.“
Sie schaltete die Nachttischlampe aus und ließ sich zurück auf ihr Kissen sinken und gab endlich Ruhe. Spätestens beim Frühstück würde sie seine Ansichten über die Farben der Liebe wieder genauestens hinterfragen.
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Hera,

bunter Text!

Aus der Misere werden die beiden nicht mehr herauskommen. Seit dreißig ! Jahren in der "Und täglich grüßt das Murmeltier"-Schleife.

Das kommt m.E. gut rüber.

Gruß DS
 
Ein schöner Text, unaufdringlich und treffend formuliert - und ja, die Liebe dunkelt nach. Ich würde sagen: Bei anlass-los eifersüchtigen Partnern deutlich schneller.
Und ja, wenn es das wirkliche Leben wäre (und nicht so schrecklich abgeschmackt), würde ich sagen: Mann, schick deine Alte mal zum Psychiater.
Andrerseits, diese Regina: Hat sie nicht auch ein Anrecht auf knallrote Explosionen ohne Rücksicht auf Verluste? Nicht lösbar, das Problem!

MfG
Binsenbrecher
 

Hera Klit

Mitglied
Ein schöner Text, unaufdringlich und treffend formuliert - und ja, die Liebe dunkelt nach. Ich würde sagen: Bei anlass-los eifersüchtigen Partnern deutlich schneller.
Und ja, wenn es das wirkliche Leben wäre (und nicht so schrecklich abgeschmackt), würde ich sagen: Mann, schick deine Alte mal zum Psychiater.
Andrerseits, diese Regina: Hat sie nicht auch ein Anrecht auf knallrote Explosionen ohne Rücksicht auf Verluste? Nicht lösbar, das Problem!

MfG
Binsenbrecher
Vielen Dank, lieber Binsenbrecher.

Ich glaube knallrote Explosionen, kann man nicht auf Kommando vom Zaun brechen,
hierzu muss genug Sprengstoff in der Sache stecken, sonst knallt nichts.
Natürlich hat die Regina ein Anrecht darauf, genauso wie Frank.
Womöglich müssen sich beide die geeigneten Partner suchen.

Liebe Grüße
Hera
 



 
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