Feenkrieg 13

agilo

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13.
Es war zwar eine schroffe Felsenhöhle in einem Berg mitten in der nauthianischen Wildnis – aber auf eine gewisse Weise strahlte sie dennoch so etwas wie Gemütlichkeit aus. Das lag vor allem an der Einrichtung. Zwar waren auch der Tisch und die zwei Stühle eher grob gezimmert, aber es war dennoch erstaunlich, was man mit ein paar Häkeldeckchen, bestickten Kissen und Trockenblumengestecken alles bewerkstelligen konnte.
Jost entdeckte sogar ein kleines Regal, auf dem neben einigen einfachen Blechdosen zwei Teetassen mit blauem Blumenmuster und ein schmales Buch mit dem Titel „Flora und Fauna der nordnauthianischen Wälder“ standen.
Im Gegensatz zu dem, was die Wölfin angedeutet hatte, machte diese Höhle einen sehr ordentlichen und aufgeräumten Eindruck. Vor allem freute es Jost, dass nirgends irgendwelche abgenagten Menschenknochen herumlagen.
„Du entschuldigst mich“, sagte Odelia, „Es ist gleich soweit und ich würde mich dazu gerne zurückziehen ... es wäre mir, glaube ich, etwas peinlich, wenn du dabei zusehen würdest.“
Erneut vernahm Jost ein schüchternes Kichern, dass aus diesem mit rasiermesserscharfen Zähnen gewappneten Maul drang.
Er hatte keine Ahnung, wovon sie sprach, aber er hütete sich davor, sie seine Unsicherheit spüren zu lassen. Er konnte sich noch gut an die Worte Magos erinnern, der einen ständig wie verrückt kläffenden Hofhund besaß: „Sie riechen es, wenn du Angst hast!“
Gut, Odelia konnte man vielleicht nicht wirklich mit einem struppigen Mischlingsrüden, der an einer verrosteten Kette hing, vergleichen, aber sie war nun mal eine Wölfin und Jost wollte sie keinesfalls spüren lassen, was in ihm vorging.
„Ja, klar“, sagte er, als hätte er vollstes Verständnis dafür, dass riesige Bestien auch mal für einen Moment ihre Intimsphäre brauchten.
Sie ging auf einen schmalen Durchgang zu, der in eine weitere Höhle zu führen schien.
„Du könntest ja solange ein gemütliches Feuer machen“, fügte sie noch hinzu und deutete mit der Schnauze auf einen kleinen Kamin in der Ecke, neben dem sich Brennholz stapelte.
„Ja ... äh ... gut.“
Er ging auf den Kamin zu. Auch er war grob in die Höhlenwand geschlagen worden. In seinem Inneren hing an einer Kette ein alter, verbeulter Wasserkessel. Jost stellte fest, dass er noch gut halbgefüllt war. Als Kaminsims fungierte ein wackliges Brett, auf dem eine kleine Porzellanballerina und eine einfache, geschnitzte Katze standen.
Es war merkwürdig: Häkeldeckchen, Porzellanfiguren, an der groben Felswand ein mit Buntstiften gemalter Pferdekopfes in einem violett gestrichenen Holzrahmen... wieso lebte ein solches Geschöpf des Grauens inmitten all dieses – Krimskrams?
Und warum machte es keine Anstalten, ihn zu fressen?
Nicht, dass er über diese letzte Tatsache unglücklich gewesen wäre ...
Ein lautes, furchtbares Heulen ließ ihn zusammenzucken.
Was war das?
Nun, es war natürlich der Ruf eines Wolfes und er befand sich in der Höhle eines Wolfes, aber dennoch ... irgendwas war merkwürdig. Es klang nicht echt. Es war, als würde eine Frau oder ein Mädchen versuchen, das Heulen eines Wolfes zu imitieren. Auf der anderen Seite war es eine erstaunlich gute Imitation.
„Äh ... bitte nicht erschrecken“, es war die Stimme Odelias, die aus dem Nebenraum erklang, „es ist ... alles in Ordnung!“
„Äh ... ja, gut“, gab Jost mit schwacher Stimme zurück.
Er bemühte sich, das Feuer in Gang zu bekommen.
Dann erneut das Heulen!
Jost spürte, wie ihm ein kalter Schauer über den Rücken jagte.
Er hatte keine Ahnung, was dieses markerschütternden Schreie zu bedeuten hatte, aber im Grunde hatte er schon zu dem Zeitpunkt, als er die Petunien vor dem Höhleneingang gesehen hatte, aufgegeben, irgendetwas im Zusammenhang mit dieser Wölfin zu begreifen.
„Alles in Ordnung“, versicherte Odelia nochmals, kurz bevor ein weiterer dieser Schreie ertönte.
Jost versuchte nun, jenes grauenvoll klingende Geheule zu ignorieren und kümmerte sich um das Feuer. Er schichtete die wenigen Zweige und Äste, die in der Ecke lagen, in den Kamin. Dann nahm er die Zunderbüchse aus seinem Rucksack und begann, mit Feuerstein, Feuerstahl und Zunderpulver herumzuhantieren. Nach einer gewissen Zeit musste er erkennen, dass das Feuermachen erheblich komplizierter war als er zunächst angenommen hatte. Man sollte ja eigentlich meinen, dass sich jemand, der ausgerechnet im Haus eines Schmiedes aufgewachsen war, mit dergleichen bestens auskannte. Doch dort erlosch das Feuer niemals ganz, selbst am Morgen einer langen Winternacht war immer noch genug Glut in der Esse, um ohne Feuerstein und Stahl die dicksten Holzscheite innerhalb von wenigen Augenblicken zum Brennen zu bringen.
Hier in der Wolfshöhle aber dauerte es eine ganze Weile, bis nach unzähligen vergeblichen Versuchen, den Holzstoss mit der Glut des Zunderpulvers in Brand zu stecken, schließlich die ersten, zaghaften kleinen Flammen daraus hervorzüngelten. Es war auch nicht gerade hilfreich, bei dieser mühevollen Tätigkeit immer wieder von dem schauerlichen Geheule, das ihn immer wieder vor Schreck erstarren ließ, unterbrochen zu werden.
Als die dürren Zweige endlich brannten und Jost einige dickeren Äste nachschob, ertönte erneut die Stimme Odelias die dieses mal nicht über das grässliche Wolfsgeheul, sondern in jenen so sanften Ton kommunizierte, der ihn von Anfang an so verwirrt hatte.
„Ich wäre dann soweit“, sagte sie und klang merkwürdig schüchtern.
Jost blickte zu dem Durchgang in den geheimnisvollen Nebenraum – und erstarrte!
Denn dort stand zu seiner Überraschung kein mächtiger Wolf, sondern ein Mädchen. Sie war ungefähr in seinem Alter, vielleicht etwas jünger, trug ein zerschlissenes Sommerkleid, dass ihm merkwürdigerweise irgendwie bekannt vorkam und eine rosa Schleife in ihren etwas verfilzt wirkenden schwarzen Haaren. Der Blick aus ihren dunklen, fast schwarzen Augen verriet Unsicherheit.
Jost brauchte einige Augenblicke, bis er seine Sprache wieder fand.
„W... wer bist du?“, stotterte er, „und wo ist Odelia?“
Er drehte seinen Kopf ein wenig, um an dem Mädchen vorbei in den Nebenraum blicken und nach dem Wolf Ausschau halten zu können.
„Na, ich bin Odelia!“, antwortete das Mädchen und sah Jost mit zunehmender Verwirrung an, „du hast das wohl nicht ganz begriffen, als ich dir erklärt habe, dass ich ein Wermensch bin?“
„Äh, nun, um ehrlich zu sein ... von so etwas wie Wermenschen habe ich wirklich noch nie etwas gehört. Und wenn, dann hätte ich sie wohl für Sagengestalten gehalten – so wie auch Werwölfe. Coldar, der der weiseste Mensch ist, den ich kenne, sagt immer ...“
„Coldar?“, unterbrach ihn Odelia, „von dem habe ich schon gehört. Malfalda mag ihn nicht sehr.“
„Ich weiß. Aber ich denke, das beruht auf Gegenseitigkeit. Jedenfalls sind Werwölfe wie die meisten Sagengestalten nichts anderes als die Symbole uralter Ängste der Menschen. Coldar sagt, sie stehen für die Gefahren der grausamen, ungezähmten Natur um uns herum, aber auch in uns selbst. Diese Kreaturen sind archetypische Geschöpfe unserer durch das kollektive Unterbewusstsein geprägten Fantasie und stehen gewissermaßen für die hässliche, gnadenlose Bestie in jeden von uns.“
Er stockte. Blickte kurz auf.
„Oh, entschuldige, das letztere war natürlich nicht persönlich gemeint.“
„Es hörte sich aber genau so an.“
„Nein, du bist natürlich nicht grausam oder gnadenlos. Und du bist ganz sicher nicht hässlich.“
Jost stellte mit Erstaunen fest, dass Odelia für einen kurzen Moment errötete.
„Nun“, sagte sie schnell, „du kannst deinem Coldar auf jeden Fall ausrichten, dass er sich geirrt hat. Ich bin kein Symbol! Und ganz sicher auch kein Arschtyp!“
„Archetyp“, korrigierte Jost ganz automatisch.
„Aber ... was bist du?“ fügte er hinzu nach einem kurzen Augenblick hinzu.
„Ich werde es dir erzählen. Aber zuvor werde ich meinen gastgeberischen Pflichten nachkommen.“
Sie ging zu dem Bord und nahm die beiden geblümten Tassen sowie zwei der Blechdosen herunter und stellte sie auf den Tisch. Anschließend füllte sie aus der einen Dose etwas krümelig Braunes, aus der anderen etwas faserig Grünes in die Tassen.
Dann ging sie zum Kamin, nahm mit Hilfe der Rockschürze den Kessel vom Haken, kehrte zum Tisch zurück und füllte die Tassen mit heißem Wasser.
„Ich hoffe, du magst Pfefferminztee mit braunem Zucker“, sagte sie, „etwas anderes habe ich nicht da. Es kommt leider nicht sehr häufig vor, dass ich Gäste bewirten darf.“
Sie hing den Kessel wieder an den Haken im Kamin.
„Bitte“, sagte sie, deutete mit einer einladenden Geste auf den Tisch und lächelte schüchtern. Mit Freude stellte Jost fest, dass diese merkwürdige Verwandlung von Wolf zu einer jungen Frau auch vor den Zähnen nicht halt gemacht hatte. Sie waren zwar von einem ebenso übernatürlichen Weiß, wie er es auch bei der Bestie bemerkt hatte, es fehlten aber – sehr zu seiner Erleichterung – diese pfeilartigen Spitzen und rasiermesserscharfen Kanten.
Er setzte sich an den Tisch. Der Tee roch verführerisch.
„Ich würde dir ja noch etwas zum Knabbern anbieten“, sagte Odelia, „vor ein paar Wochen hatte ich noch Kekse hier, die mir Malfalda einmal vor zwei Wintern gebracht hatte. Aber ich musste sie wegwerfen. Sie waren mit der Zeit so hart geworden, dass nicht einmal ein Troll mit Diamantzähnen in der Lage gewesen wäre, sie zu zerbeißen.“
Sie kicherte.
Jost war noch nie zuvor zu einer Tasse Tee eingeladen worden. Seine Tollpatschigkeit war in Dreieich ebenso bekannt wie gutes Porzellan selten und schwer zu ersetzen war. Aber er fühlte sich sicher und entspannt hier in Gegenwart des Wermädchens, spürte, dass sich irgendetwas verändert hatte an ihm.
Er wusste nicht, woran das lag, vielleicht war es sein schlichtes Vorhaben, Tara zu befreien oder die Tatsache, dass ausgerechnet Malfalda ihn mit den alten nauthianischen Helden verglichen hatte. Vielleicht lag es aber auch darin begründet, dass er ein selbst geschmiedetes Schwert mit sich trug, er fühlte sich auf jeden Fall selbstsicherer, gereifter, erwachsener!
„Hoppla ... oh, Verzeihung!“
„Das macht nichts! Der Henkel der Tasse hatte ohnehin schon einen Sprung. Es war nur eine Frage der Zeit, wann er abbricht.“
 



 
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