Obwohl sie nun schon weit in diese gewaltige Höhle hinein geflogen waren und der Eingang aufgrund einiger Biegungen, die sie hinter sich gebracht hatten, auch schon lange nicht mehr zu sehen war, war es doch noch erstaunlich hell hier drin, auch wenn Tara nicht erkennen konnte, aus welcher Quelle sich ein solches Licht speisen konnte. Sie selbst war noch nie zuvor in einer Höhle gewesen, aber nach allem, was sie bisher gehört hatte, zeichneten diese sich doch im Allgemeinen durch große Dunkelheit aus.
Sie überlegte, ob sie Leutnant Funkenhuf oder Tarasque nach diesem ungewöhnlichen Licht befragen sollte, entschloss sich dann aber, das auf später zu verschieben, denn die Geflügelte Schwadron machte den Eindruck, als würden alle ihre Mitglieder ihre gesamte Konzentration für die Durchquerung des Gebirges benötigen.
Stattdessen sah sie sich, so gut es im Vorüberfliegen eben ging, in der Höhle um.
Im Grunde sah es innerhalb des Berges nicht sehr viel anders aus als außerhalb. Alles war grober Fels, größtenteils überzogen von Eis und Reif, von der Decke hingen riesige Eiszapfen, so lang wie zwei ausgewachsene Männer und spitz zulaufend wie Speere.
Erst nach einer Weile bemerkte sie, dass diese Höhle nicht natürlichen Ursprungs war. Da waren Gänge, die, in den Fels hinein gehauen, von dem gewaltigen Hauptstollen abzweigten, sie erkannte breite Treppen und türartige Durchlässe, während hohe, runde Säulen, direkt aus dem bestehenden Fels geschlagen, die breite Decke stützten. Gerade die Höhe der einzelnen Treppenstufen ließ – trotz der ansonsten sehr großzügigen Bauweise – in Tara die Vermutung reifen, dass die Schöpfer dieser künstlichen Höhlenwelt nicht unbedingt mit sehr langen Beinen gesegnet gewesen waren. Aber wer auch immer sie gewesen sein mochte, diese geschickten Steinmetze hatten diesen Ort offensichtlich schon vor langer Zeit aufgegeben.
Alles war rissig, so mancher gewagte Torbogen eingefallen, viele Treppenstufen zerborsten, der ganze Granit war überzogen von klarem Eis und rauem Reif, welcher allerdings auf wunderbare Weise glitzerte in dem fremden, sanften Licht.
Alles war getaucht in diese geheimnisvolle Helligkeit, alles, bis auf jenen Schatten seitlich an der Höhlenwand, den sie nun bemerkte, als sie sich ein wenig zur Seite drehte. Einen kurzen Augenblick fragte sie sich, warum das Höhlenlicht gerade diese Stelle nicht erreichte, bis ihr ganz plötzlich klar wurde, dass sich dieser Schatten bewegte. Er näherte sich von hinten wie ein heraufziehendes Gewitter an einem hellen Sommertag. Es musste etwas sehr Ungewöhnliches sein, etwas Riesiges, Dunkles, wenn es in der Lage war, das Licht der Höhle zu verschlucken wie die Nacht den Tag!
Und dieses Ding verfolgte sie, flog hinter der Schwadron her und so, wie sich dieser Schatten bewegte, schien es unaufhörlich näher zu kommen!
Sie versuchte sich umzudrehen, aber konnte sich aber nicht sehr weit bewegen, ohne ihre Hände von der Mähne der Drachin zu lösen, was ihr in diesem Augenblick nicht gerade als ratsam erschien.
Sie konnte nichts erkennen als einen gewaltigen Umriss, so dunkel, dass ihr die Düsternis einer mondlosen Nacht dagegen vorkam wie der klarste Sommertag. In der Mitte dieser Schwärze, die nun die ganze Welt, die hinter ihr lag, auszufüllen schien, befanden sich allerdings zwei leuchtende Augen, schräg gestellt, groß und gelb, die Augen eines erbarmungslosen Jägers, der sein Opfer gestellt hatte und wusste, das es nur eine Frage der Zeit war, bis er den tödlichen Schlag ausführen würde.
„Tarasque!“ schrie Tara voller Panik.
„Ich weiß!“, antwortete die Drachin, „ich habe ihn auch bemerkt. Leg dich so flach wie möglich hin und halte dich gut fest!“
Tara tat, wie ihr geheißen. Tarasque hingegen beschleunigte den Flug. Die Felsen links und rechts schossen nun so schnell vorbei, dass sie zu einer einzigen grauen Masse zu verschmelzen schienen. Es war, als würde alles vor den Augen des Mädchens verschwimmen und wäre nicht Leutnant Funkenhuf, der sich in einem gleichmäßigen Abstand als einziger Orientierungspunkt beständig direkt neben ihnen hielt, sie wäre überzeugt, dass sie vom Schwindel übermannt werden und in Ohnmacht fallen würde. Als sie dennoch einen kurzen Moment den Kopf anhob und nach vorne blickte, sah sie, wie eine riesige Felssäule mit atemberaubender Geschwindigkeit direkt auf sie zuzustürzen schien. Im letzten Moment – sie glaubte schon den Aufprall auf dem harten Granit zu spüren – änderte die Drachin gerade so weit die Flugrichtung, dass sie haarscharf an dieser Säule vorbei glitten. Nur einen Augenblick später hörte sie lautes Poltern direkt hinter sich. Das, was sie verfolgte - was immer es auch war - hatte dieser Säule offenbar nicht ausweichen können. Für einen kurzen Moment hatte Tara die Hoffnung, dass sie dieses Wesen abgeschüttelt hatten. Doch nur kurz darauf kroch dieser Schatten erneut von hinten heran. Die gelbäugige Kreatur hatte diese Säule aus härtestem Stein einfach zur Seite gefegt wie ein galoppierendes Pferd einen trockenen Grashalm. Welche unglaubliche Kraft musste diesem Geschöpf innewohnen?
„Was ist das?“, brüllte sie gegen das Rauschen des Fahrtwindes an.
Aber im Grunde wusste sie es bereits. Dies konnte nur ein Greif sein, einer jener erbarmungslosen Grenzwächter des Feenreiches, von denen ihr Leutnant Funkenhuf erzählt hat.
Tarasque gab keine Antwort. Sie war ausreichend damit beschäftigt, mit einer schier unglaublichen Geschwindigkeit durch diese Höhle zu jagen und dabei zu vermeiden, mit aller Wucht gegen Felsvorsprünge, Säulen oder Eiszapfen zu stoßen. Tara wusste nicht, wie ein magisches Wesen wie die Drachin eine solche Kollision überstehen würde, sie selbst dagegen bestand in erster Linie aus weichem Fleisch und zerbrechlichen Knochen und gegen Felswände zu knallen war etwas anderes als jene vergleichsweise sanften Stürze auf den federnden Waldboden, wie sie Jost so häufig zustießen.
Die Geschwindigkeit der Drachin war mittlerweile so hoch, dass sie jene Mitglieder der Schwadron, die in der Formation zuvor weit vor ihnen geflogen waren, passierten. Zunächst überholten sie einige der fliegenden Fische. Tara erkannte jenen geflügelten Hecht, den Leutnant Funkenhuf mit „Gefreiter Pfeilzahn“ angesprochen hatte. Wäre nicht dieser tosende Fahrtwind und diese rasch vorüber ziehende Felsmasse gewesen, sie hätte fast den Eindruck haben können, der Gefreite näherte sich ihnen rückwärts fliegend von vorne.
Aber mit Schrecken wurde ihr plötzlich klar, dass sich der Greif, dessen Schatten sie nach wie vor hinter sich wahrnahm, auf jeden Fall schneller bewegte als diese Mitglieder der Geflügelten Schwadron. Dieses mächtige Wesen würde die Fische erwischen und Tara wollte sich erst gar nicht ausmalen, was er dann mit ihnen anstellen würde.
Und ganz so, als hätte der Greif ihre Befürchtungen wahrgenommen, erklang nur einen Augenblick später ein Schrei, laut, schrill, durchdringend – und irgendwie auch triumphierend. Er ging Tara durch Mark und Bein, schmerzte in den Ohren und sie hatte den Eindruck, dass auch Tarasque leicht erzitterte.
Und für nur einen kurzen Moment nur schien sich die Geschwindigkeit des Greifen zu verringern, machte dieser mächtige Schatten um sie herum wieder Platz für ein wenig dieses geheimnisvollen Lichts, das Tara zuvor bestaunt hatte.
Und mit Schaudern wurde ihr klar, was geschehen war. Die fliegenden Fische hatten sich, ob nun freiwillig oder aufgrund dessen, dass sie einfach nicht in der Lage waren, schneller zu fliegen, geopfert, waren zur Beute geworden für dieses erbarmungslose Wesen und hatten dem Rest der Schwadron somit einen kleinen Vorsprung verschafft.
Tatsächlich schien Tarasque diesen Umstand ausnutzen zu wollen. Sie beschleunigte noch ein wenig, so dass nun auch Leutnant Funkenhuf, der zuvor an ihrer Seite geblieben war, allmählich zurückfiel.
„Hab keine Furcht, wir haben eß gleich geschafft.“
Es war eindeutig die Stimme der Drachin, aber Tara war sich nicht sicher, ob sie diese Worte mit den Ohren vernahm oder ob sie direkt in ihrem Kopf erklangen.
Wieder hob sie ihren Kopf leicht an, spürte die rasend an ihr vorbei strömenden, eisig kalte Bergluft, die wie ein gewaltiger Sturm an ihren Haaren zerrte und im Gesicht brannte wie tausend spitze Nadeln. Aber sie bemerkte auch, dass sich da etwas an den Lichtverhältnissen änderte. Während sich der dunkle Schatten wieder von hinten heran zu schieben schien, kam von vorne her eine Helligkeit auf sie zu, die viel greller war, irgendwie klarer und im Gegensatz zu dem weichen Blau, das in dieser Höhle vorherrschte, von einem strahlenden Weiß. Und nur einen Augenblick später, als sie mit halsbrecherischer Geschwindigkeit um eine Kurve schossen und Tara noch ordentlich damit zu tun, nicht seitlich vom Körper der Drachin zu rutschen, war ein kleiner leuchtender Kreis zu sehen: Der Höhlenausgang! Endlich! Dieser Kreis wurde langsam größer, Tara erkannte die ungleichmäßigen Ränder aus Felsgestein, glaubte sogar schon eine kleine, weiße Wolke in diesem Ausschnitt zu erkennen. Aber noch mussten sie ein ganzes Stück zurücklegen. Und der Schatten schob sich wieder näher heran. Offenbar mobilisierte nun auch der Greif seine letzten Kräfte, um die Mitglieder der Geflügelten Schwadron und ganz besonders Tarasque zu erwischen, bevor sie diese riesige Höhle durchquert hatten. Tara blickte sich – soweit es ihr möglich war – um. Sie sah erneut jene grässlichen gelben Raubtieraugen inmitten der Schatten, diesmal so nah, dass sie das Gefühl hatte, sie musste nur die Hand ausstrecken, um diese schwarze, schmale Pupille berühren zu können.
Gleichzeitig bemerkte sie, wie etwas vor diesem Wesen hin und her flatterte wie eine Motte um eine Laterne. Und obwohl alles um diesem schrecklichen Wächter des Feenlandes in tiefster Dunkelheit getaucht war, ganz so, als wäre dieses Wesen in der Lage, jegliches Licht einfach zu verschlucken, konnte Tara erkennen, wie da immer wieder etwas kurz aufblitzte in einem strahlenden Weiß. Es waren eindeutig die schimmernden Federn an den Schwingen von Leutnant Funkenhuf, die im einfallenden Tageslicht kurz aufzuleuchten schienen, während der Pegasos in einem waghalsigen Zickzackkurs vor dem Jäger hin und her flog.
Tatsächlich schien auch der Greif leicht verwirrt zu sein von den Flugmanövern des Leutnant. Denn nachdem er zuvor den Eindruck gemacht hatte, ausschließlich Tarasque und seine menschliche Reiterin in seinem grauenhaften Blick zu haben, wanderten seine Augen nun umher und suchten ganz offenbar nach der Ursache für dieses schimmernde Flattern.
Und jetzt – in der allmählich zunehmenden Helligkeit – schien der Greif die Fähigkeit zu verlieren, sich mit reiner Dunkelheit zu umgeben. Endlich konnte Tara erkennen, wie diese Kreatur wirklich aussah und sie stellte fest, dass das Licht des Tages in diesem Fall nicht seiner Aufgabe nachkam, die Schrecken der Nacht zu verdrängen.
Tara sah einen mächtigen Körper mit vier Beinen und gigantischen Adlerschwingen, ganz vorne saß ein schrecklicher, gleichzeitig ungemein hässlicher Löwenkopf mit einer borstigen Mähne aus kleinen Büscheln drahtiger Haare und den kalten, gelben Augen, die sie die ganze Zeit über so erbarmungslos verfolgt hatten. Anstatt eines Maules sprang ein gebogener Raubtierschnabel aus der Mitte dieses Ungeheuergesichtes hervor, groß genug, um jemanden wie den Leutnant mit nur einem Haps zu verschlingen. Dieser Schnabel war halb geöffnet, in der Mitte zuckte eine Zunge von der Farbe einer frischen Leber so heftig hin und her, als wäre sie vor lauter Vorfreude auf frisches Pegasosfleisch schon ganz verrückt. Immer wieder versucht der Greif die merkwürdigen Bewegungen des Leutnant zu verfolgen, schien nun kein Interesse mehr zu haben an Tara und der Drachin.
Einmal – als der torkelnde Leutnant Funkenhuf mit seinem Flugmanövern diesem Schnabel bedenklich nahe kam – schnappte der Greif nach dem Pegasos und Tara war sich sicher, dass es nun aus war mit dem Kommandanten der Geflügelten Schwadron. Sie schloss vor Schreck die Augen, machte diese aber doch gleich danach wieder auf. Und sah den nun im zunehmenden Tageslicht deutlich erkennbaren Leutnant weiterhin fröhlich hin und her flattern. Sie entdeckte aber auch, wie zwei weiße Federn zwischen den nun geschlossenen Schnabelhälften des Greifen hervorlugten.
Offensichtlich hatte dieses Wesen nun genug von den Spielchen des Pegasos, denn die gelben Augen fixierten – unbeeindruckt von dem Geflatter des Leutnant – wieder Tara.
Erneut riss er diesen gewaltigen Schnabel auf, sie blickte auf diese braune Zunge, die so ein merkwürdiges Eigenleben zu haben schien. Es schien Tara fast, als würde dieses Organ winken, als wolle es sie einladen zu einem Picknick, dessen Hauptbestandteil sie selbst war ...
Erneut schob sich der Greif von hinten heran.
Kam immer näher.
Tara konnte nun die Narben und Furchen auf der Zunge des Ungeheuers erkennen.
An den Schnabelrändern hingen ein paar Fischschuppen.
Der Greif drehte den Kopf zur Seite.
Nun musste er nur noch zuschnappen.
Kein Leutnant Funkenhuf war mehr in der Nähe.
Keine Valdana würde sie wecken und ihr sagen, dass sie nur geträumt hatte ...
Keine Malfalda würde ihr tröstende Worte spenden ...
Und kein Jost war da, um sie mit einem krummen Stock, der in seiner Fantasie zum Schwert des Erzkönigs geworden war, zu verteidigen ...
Nur dieses Ungeheuer, sein Schnabel und sein Appetit ...
Ein grässliches, knirschendes Geräusch ertönte!
Und dann war da nur noch Licht, helles, weißes, blendendes Licht ...
Sie überlegte, ob sie Leutnant Funkenhuf oder Tarasque nach diesem ungewöhnlichen Licht befragen sollte, entschloss sich dann aber, das auf später zu verschieben, denn die Geflügelte Schwadron machte den Eindruck, als würden alle ihre Mitglieder ihre gesamte Konzentration für die Durchquerung des Gebirges benötigen.
Stattdessen sah sie sich, so gut es im Vorüberfliegen eben ging, in der Höhle um.
Im Grunde sah es innerhalb des Berges nicht sehr viel anders aus als außerhalb. Alles war grober Fels, größtenteils überzogen von Eis und Reif, von der Decke hingen riesige Eiszapfen, so lang wie zwei ausgewachsene Männer und spitz zulaufend wie Speere.
Erst nach einer Weile bemerkte sie, dass diese Höhle nicht natürlichen Ursprungs war. Da waren Gänge, die, in den Fels hinein gehauen, von dem gewaltigen Hauptstollen abzweigten, sie erkannte breite Treppen und türartige Durchlässe, während hohe, runde Säulen, direkt aus dem bestehenden Fels geschlagen, die breite Decke stützten. Gerade die Höhe der einzelnen Treppenstufen ließ – trotz der ansonsten sehr großzügigen Bauweise – in Tara die Vermutung reifen, dass die Schöpfer dieser künstlichen Höhlenwelt nicht unbedingt mit sehr langen Beinen gesegnet gewesen waren. Aber wer auch immer sie gewesen sein mochte, diese geschickten Steinmetze hatten diesen Ort offensichtlich schon vor langer Zeit aufgegeben.
Alles war rissig, so mancher gewagte Torbogen eingefallen, viele Treppenstufen zerborsten, der ganze Granit war überzogen von klarem Eis und rauem Reif, welcher allerdings auf wunderbare Weise glitzerte in dem fremden, sanften Licht.
Alles war getaucht in diese geheimnisvolle Helligkeit, alles, bis auf jenen Schatten seitlich an der Höhlenwand, den sie nun bemerkte, als sie sich ein wenig zur Seite drehte. Einen kurzen Augenblick fragte sie sich, warum das Höhlenlicht gerade diese Stelle nicht erreichte, bis ihr ganz plötzlich klar wurde, dass sich dieser Schatten bewegte. Er näherte sich von hinten wie ein heraufziehendes Gewitter an einem hellen Sommertag. Es musste etwas sehr Ungewöhnliches sein, etwas Riesiges, Dunkles, wenn es in der Lage war, das Licht der Höhle zu verschlucken wie die Nacht den Tag!
Und dieses Ding verfolgte sie, flog hinter der Schwadron her und so, wie sich dieser Schatten bewegte, schien es unaufhörlich näher zu kommen!
Sie versuchte sich umzudrehen, aber konnte sich aber nicht sehr weit bewegen, ohne ihre Hände von der Mähne der Drachin zu lösen, was ihr in diesem Augenblick nicht gerade als ratsam erschien.
Sie konnte nichts erkennen als einen gewaltigen Umriss, so dunkel, dass ihr die Düsternis einer mondlosen Nacht dagegen vorkam wie der klarste Sommertag. In der Mitte dieser Schwärze, die nun die ganze Welt, die hinter ihr lag, auszufüllen schien, befanden sich allerdings zwei leuchtende Augen, schräg gestellt, groß und gelb, die Augen eines erbarmungslosen Jägers, der sein Opfer gestellt hatte und wusste, das es nur eine Frage der Zeit war, bis er den tödlichen Schlag ausführen würde.
„Tarasque!“ schrie Tara voller Panik.
„Ich weiß!“, antwortete die Drachin, „ich habe ihn auch bemerkt. Leg dich so flach wie möglich hin und halte dich gut fest!“
Tara tat, wie ihr geheißen. Tarasque hingegen beschleunigte den Flug. Die Felsen links und rechts schossen nun so schnell vorbei, dass sie zu einer einzigen grauen Masse zu verschmelzen schienen. Es war, als würde alles vor den Augen des Mädchens verschwimmen und wäre nicht Leutnant Funkenhuf, der sich in einem gleichmäßigen Abstand als einziger Orientierungspunkt beständig direkt neben ihnen hielt, sie wäre überzeugt, dass sie vom Schwindel übermannt werden und in Ohnmacht fallen würde. Als sie dennoch einen kurzen Moment den Kopf anhob und nach vorne blickte, sah sie, wie eine riesige Felssäule mit atemberaubender Geschwindigkeit direkt auf sie zuzustürzen schien. Im letzten Moment – sie glaubte schon den Aufprall auf dem harten Granit zu spüren – änderte die Drachin gerade so weit die Flugrichtung, dass sie haarscharf an dieser Säule vorbei glitten. Nur einen Augenblick später hörte sie lautes Poltern direkt hinter sich. Das, was sie verfolgte - was immer es auch war - hatte dieser Säule offenbar nicht ausweichen können. Für einen kurzen Moment hatte Tara die Hoffnung, dass sie dieses Wesen abgeschüttelt hatten. Doch nur kurz darauf kroch dieser Schatten erneut von hinten heran. Die gelbäugige Kreatur hatte diese Säule aus härtestem Stein einfach zur Seite gefegt wie ein galoppierendes Pferd einen trockenen Grashalm. Welche unglaubliche Kraft musste diesem Geschöpf innewohnen?
„Was ist das?“, brüllte sie gegen das Rauschen des Fahrtwindes an.
Aber im Grunde wusste sie es bereits. Dies konnte nur ein Greif sein, einer jener erbarmungslosen Grenzwächter des Feenreiches, von denen ihr Leutnant Funkenhuf erzählt hat.
Tarasque gab keine Antwort. Sie war ausreichend damit beschäftigt, mit einer schier unglaublichen Geschwindigkeit durch diese Höhle zu jagen und dabei zu vermeiden, mit aller Wucht gegen Felsvorsprünge, Säulen oder Eiszapfen zu stoßen. Tara wusste nicht, wie ein magisches Wesen wie die Drachin eine solche Kollision überstehen würde, sie selbst dagegen bestand in erster Linie aus weichem Fleisch und zerbrechlichen Knochen und gegen Felswände zu knallen war etwas anderes als jene vergleichsweise sanften Stürze auf den federnden Waldboden, wie sie Jost so häufig zustießen.
Die Geschwindigkeit der Drachin war mittlerweile so hoch, dass sie jene Mitglieder der Schwadron, die in der Formation zuvor weit vor ihnen geflogen waren, passierten. Zunächst überholten sie einige der fliegenden Fische. Tara erkannte jenen geflügelten Hecht, den Leutnant Funkenhuf mit „Gefreiter Pfeilzahn“ angesprochen hatte. Wäre nicht dieser tosende Fahrtwind und diese rasch vorüber ziehende Felsmasse gewesen, sie hätte fast den Eindruck haben können, der Gefreite näherte sich ihnen rückwärts fliegend von vorne.
Aber mit Schrecken wurde ihr plötzlich klar, dass sich der Greif, dessen Schatten sie nach wie vor hinter sich wahrnahm, auf jeden Fall schneller bewegte als diese Mitglieder der Geflügelten Schwadron. Dieses mächtige Wesen würde die Fische erwischen und Tara wollte sich erst gar nicht ausmalen, was er dann mit ihnen anstellen würde.
Und ganz so, als hätte der Greif ihre Befürchtungen wahrgenommen, erklang nur einen Augenblick später ein Schrei, laut, schrill, durchdringend – und irgendwie auch triumphierend. Er ging Tara durch Mark und Bein, schmerzte in den Ohren und sie hatte den Eindruck, dass auch Tarasque leicht erzitterte.
Und für nur einen kurzen Moment nur schien sich die Geschwindigkeit des Greifen zu verringern, machte dieser mächtige Schatten um sie herum wieder Platz für ein wenig dieses geheimnisvollen Lichts, das Tara zuvor bestaunt hatte.
Und mit Schaudern wurde ihr klar, was geschehen war. Die fliegenden Fische hatten sich, ob nun freiwillig oder aufgrund dessen, dass sie einfach nicht in der Lage waren, schneller zu fliegen, geopfert, waren zur Beute geworden für dieses erbarmungslose Wesen und hatten dem Rest der Schwadron somit einen kleinen Vorsprung verschafft.
Tatsächlich schien Tarasque diesen Umstand ausnutzen zu wollen. Sie beschleunigte noch ein wenig, so dass nun auch Leutnant Funkenhuf, der zuvor an ihrer Seite geblieben war, allmählich zurückfiel.
„Hab keine Furcht, wir haben eß gleich geschafft.“
Es war eindeutig die Stimme der Drachin, aber Tara war sich nicht sicher, ob sie diese Worte mit den Ohren vernahm oder ob sie direkt in ihrem Kopf erklangen.
Wieder hob sie ihren Kopf leicht an, spürte die rasend an ihr vorbei strömenden, eisig kalte Bergluft, die wie ein gewaltiger Sturm an ihren Haaren zerrte und im Gesicht brannte wie tausend spitze Nadeln. Aber sie bemerkte auch, dass sich da etwas an den Lichtverhältnissen änderte. Während sich der dunkle Schatten wieder von hinten heran zu schieben schien, kam von vorne her eine Helligkeit auf sie zu, die viel greller war, irgendwie klarer und im Gegensatz zu dem weichen Blau, das in dieser Höhle vorherrschte, von einem strahlenden Weiß. Und nur einen Augenblick später, als sie mit halsbrecherischer Geschwindigkeit um eine Kurve schossen und Tara noch ordentlich damit zu tun, nicht seitlich vom Körper der Drachin zu rutschen, war ein kleiner leuchtender Kreis zu sehen: Der Höhlenausgang! Endlich! Dieser Kreis wurde langsam größer, Tara erkannte die ungleichmäßigen Ränder aus Felsgestein, glaubte sogar schon eine kleine, weiße Wolke in diesem Ausschnitt zu erkennen. Aber noch mussten sie ein ganzes Stück zurücklegen. Und der Schatten schob sich wieder näher heran. Offenbar mobilisierte nun auch der Greif seine letzten Kräfte, um die Mitglieder der Geflügelten Schwadron und ganz besonders Tarasque zu erwischen, bevor sie diese riesige Höhle durchquert hatten. Tara blickte sich – soweit es ihr möglich war – um. Sie sah erneut jene grässlichen gelben Raubtieraugen inmitten der Schatten, diesmal so nah, dass sie das Gefühl hatte, sie musste nur die Hand ausstrecken, um diese schwarze, schmale Pupille berühren zu können.
Gleichzeitig bemerkte sie, wie etwas vor diesem Wesen hin und her flatterte wie eine Motte um eine Laterne. Und obwohl alles um diesem schrecklichen Wächter des Feenlandes in tiefster Dunkelheit getaucht war, ganz so, als wäre dieses Wesen in der Lage, jegliches Licht einfach zu verschlucken, konnte Tara erkennen, wie da immer wieder etwas kurz aufblitzte in einem strahlenden Weiß. Es waren eindeutig die schimmernden Federn an den Schwingen von Leutnant Funkenhuf, die im einfallenden Tageslicht kurz aufzuleuchten schienen, während der Pegasos in einem waghalsigen Zickzackkurs vor dem Jäger hin und her flog.
Tatsächlich schien auch der Greif leicht verwirrt zu sein von den Flugmanövern des Leutnant. Denn nachdem er zuvor den Eindruck gemacht hatte, ausschließlich Tarasque und seine menschliche Reiterin in seinem grauenhaften Blick zu haben, wanderten seine Augen nun umher und suchten ganz offenbar nach der Ursache für dieses schimmernde Flattern.
Und jetzt – in der allmählich zunehmenden Helligkeit – schien der Greif die Fähigkeit zu verlieren, sich mit reiner Dunkelheit zu umgeben. Endlich konnte Tara erkennen, wie diese Kreatur wirklich aussah und sie stellte fest, dass das Licht des Tages in diesem Fall nicht seiner Aufgabe nachkam, die Schrecken der Nacht zu verdrängen.
Tara sah einen mächtigen Körper mit vier Beinen und gigantischen Adlerschwingen, ganz vorne saß ein schrecklicher, gleichzeitig ungemein hässlicher Löwenkopf mit einer borstigen Mähne aus kleinen Büscheln drahtiger Haare und den kalten, gelben Augen, die sie die ganze Zeit über so erbarmungslos verfolgt hatten. Anstatt eines Maules sprang ein gebogener Raubtierschnabel aus der Mitte dieses Ungeheuergesichtes hervor, groß genug, um jemanden wie den Leutnant mit nur einem Haps zu verschlingen. Dieser Schnabel war halb geöffnet, in der Mitte zuckte eine Zunge von der Farbe einer frischen Leber so heftig hin und her, als wäre sie vor lauter Vorfreude auf frisches Pegasosfleisch schon ganz verrückt. Immer wieder versucht der Greif die merkwürdigen Bewegungen des Leutnant zu verfolgen, schien nun kein Interesse mehr zu haben an Tara und der Drachin.
Einmal – als der torkelnde Leutnant Funkenhuf mit seinem Flugmanövern diesem Schnabel bedenklich nahe kam – schnappte der Greif nach dem Pegasos und Tara war sich sicher, dass es nun aus war mit dem Kommandanten der Geflügelten Schwadron. Sie schloss vor Schreck die Augen, machte diese aber doch gleich danach wieder auf. Und sah den nun im zunehmenden Tageslicht deutlich erkennbaren Leutnant weiterhin fröhlich hin und her flattern. Sie entdeckte aber auch, wie zwei weiße Federn zwischen den nun geschlossenen Schnabelhälften des Greifen hervorlugten.
Offensichtlich hatte dieses Wesen nun genug von den Spielchen des Pegasos, denn die gelben Augen fixierten – unbeeindruckt von dem Geflatter des Leutnant – wieder Tara.
Erneut riss er diesen gewaltigen Schnabel auf, sie blickte auf diese braune Zunge, die so ein merkwürdiges Eigenleben zu haben schien. Es schien Tara fast, als würde dieses Organ winken, als wolle es sie einladen zu einem Picknick, dessen Hauptbestandteil sie selbst war ...
Erneut schob sich der Greif von hinten heran.
Kam immer näher.
Tara konnte nun die Narben und Furchen auf der Zunge des Ungeheuers erkennen.
An den Schnabelrändern hingen ein paar Fischschuppen.
Der Greif drehte den Kopf zur Seite.
Nun musste er nur noch zuschnappen.
Kein Leutnant Funkenhuf war mehr in der Nähe.
Keine Valdana würde sie wecken und ihr sagen, dass sie nur geträumt hatte ...
Keine Malfalda würde ihr tröstende Worte spenden ...
Und kein Jost war da, um sie mit einem krummen Stock, der in seiner Fantasie zum Schwert des Erzkönigs geworden war, zu verteidigen ...
Nur dieses Ungeheuer, sein Schnabel und sein Appetit ...
Ein grässliches, knirschendes Geräusch ertönte!
Und dann war da nur noch Licht, helles, weißes, blendendes Licht ...