Felix und der Glücksdrache Kapitel 7 und 8

Kapitel 7: Die Schatzsuche Teil I
Felix sah den lang ersehnten Ferien mit gemischten Gefühlen entgegen, denn in den ersten beiden Wochen mussten seine Eltern noch arbeiten und Lukas wollte mit seiner Familie auf einem gemieteten Segelschiff die Adriaküste von Venedig bis Kroatien entlang schippern.

Da sein Zeugnis keine unangenehmen Überraschungen aufweisen würde, konnte er am Zeugnistag gelassen in die Schule gehen. Bis auf zwei Mitschüler würden alle versetzt werden. Und ehrlich gesagt, war er froh, die beiden Störenfriede endlich los zu sein.

Er bekam von seinen Eltern kein Geld für seine Noten, obwohl sich das bei ihm durchaus rentieren würde, sondern durfte sich ein Buch aussuchen.
Da er sich sowieso langweilte, beschloss er nachmittags in die Buchhandlung zu fahren.
Er holte sein Fahrrad aus der Garage und radelte los. Nach ungefähr zehn Minuten erreichte er sein Ziel.

Die Buchhandlung befand sich in einem Einkaufscenter. Versteckt zwischen all den anderen super modern eingerichteten Läden, wirkte „Die Bücherhöhle“ eher armselig.
‚Höhle’ traf es ganz gut, denn auf jeder nur irgendwie nutzbaren Stellfläche stapelten sich Bücher, sogar auf der Treppe, die in den ersten Stock führte, so dass man höllisch aufpassen musste, nirgends hinzurempeln und eventuell eine Lawine auszulösen.

Felix liebte diesen Laden, obwohl man, oder vielleicht gerade weil man, kaum Platz hatte. Unmöglich hier an Regalen vorbei zueilen. Gemächlichkeit hieß die Devise! Die Enge zwang die Kaufwilligen zur Langsamkeit und indem man vorsichtig an all den vollgestopften Regalen und Bücherstapeln vorbeiging, fiel einem die eine oder andere Kostbarkeit ins Auge, an der man womöglich sonst achtlos vorbei gelaufen wäre.
Felix verbrachte viele Nachmittage hier beim Stöbern. Heute jedoch entdeckte er bei seinem Streifzug ein Drachenbuch. Rein äußerlich ein eher langweiliges Outfit, trotzdem zog es ihn an. Auf dem dunkelgrünen Einband, der sich wie Samt anfühlte, prangte ein Drache, allerdings nur als silberne Kontur. In der Mitte des Drachenbauches war eine Art Sonne oder ein Stern, man konnte es nicht genau erkennen, ebenfalls silbern, abgebildet. Ein blauer Stein klebte im Zentrum des Gestirns. Nein, nicht blau! Felix konnte gar nicht genau sagen, welche Farbe dieser hatte, denn der Stein änderte sie, sobald er das Buch etwas anders hielt. Vorsichtig strich er über den Samteinband.
„Du interessierst dich für Drachengeschichten?“, riss ihn eine Stimme aus seiner Betrachtung. Felix zuckte zusammen und nickte nur. „Wir hätten auch noch andere Bücher, zum Beispiel Eragon oder-“
„Das kenne ich schon“!“, unterbrach Felix den Verkäufer.
„Für dieses Buch muss man bereit sein!“, versuchte der Mann erneut Felix andere Bücher schmackhaft zu machen, indem er ihm diese unter die Nase hielt.
Für Felix klang das doch ziemlich arrogant und es ärgerte ihn, dass der Verkäufer ihn für ein Kind hielt. Mit 13 ließ man sich als Jugendlicher bezeichnen, aber doch nicht als Kind! War er sich anfangs nicht sicher, ob er dieses Buch nehmen solle, so entschied er sich jetzt spontan dafür.
„Ich nehme es!“, erklärte er kühl, fast ein wenig patzig und streckte dem Mann das Buch hin.
„Kostet aber 24,95 Euro!“, bemerkte der Mann und betrachte Felix aufmerksam durch seine dicke Hornbrille, die so gar nicht zu dem schmalen Gesicht des Verkäufers passen wollte.
Wortlos zog Felix seinen Geldbeutel aus der Hosentasche und legte 25 Euro auf einen Stapel Bücher, denn auch der Kassenbereich wies kein einziges freies Plätzchen auf.
„Eine Tüte?“
Felix schüttelte den Kopf, steckte das Restgeld in die Börse und das Buch in seinen Rucksack. Daheim angekommen, gab es sofort Abendessen, so dass er keine Gelegenheit hatte, mit dem Lesen zu beginnen. Seine Eltern bekamen noch Besuch, anstandshalber ließ er sich kurz blicken, beantwortete brav die nervigen Fragen und verzog sich dann in sein Zimmer.
Er warf sich auf sein Bett, zog das Buch aus seinem Rucksack, doch wieder wurde er abgehalten.
Sein Handy klingelte. Meike meldete sich. Seit seinem Ausflug nach Axamer-Lizum vor einem halben Jahr skypten sie regelmäßig oder schickten sich SMS und Emails. Felix mochte Meike, obwohl sie ein Mädchen war, also nahm er den Anruf entgegen.

Das Gespräch dauerte ziemlich lange. Felix sah auf seinen Wecker: 21 Uhr! Wie peinlich, er hatte Ferien, sechseinhalb Wochen lang, und er war schon um neun müde! Doch egal!
Er würde trotzdem ins Bett gehen. Felix putzte seine Zähne und kroch ins Bett. Er löschte das Licht, legte sich hin, da fiel sein Blick auf sein Nachtkästchen.
Ein Schimmer erregte seine Aufmerksamkeit. Vorsichtig tastete er danach. Seine Hand stieß an das Buch. Er zog es zu sich her. Merkwürdig! Der Stein auf der Buchvorderseite leuchtete in sanftem Grün. Vorsichtig fuhr er mit den Fingerspitzen die Konturen nach, suchte einen Knopf oder ähnliches, doch das Leuchten verlosch nicht. Zögernd schlug er das Buch auf.

„Vom Anbeginn der Zeit, herrschten auf dieser Welt die Drachen!“, las er laut. Felix hielt inne. Kleine Flammen kalten Lichts züngelten ihm entgegen und beleuchteten jedes Wort, das er gerade las. Seine Müdigkeit war wie weggeblasen. Ruckartig setzte er sich auf und merkte gar nicht, wie beim Lesen die Zeit verging. Als er das nächste Mal auf die Uhr blickte zeigte sie bereits Mitternacht. „Wer den Ring besitzt, besitzt die Macht!“, wiederholte er nachdenklich das soeben Gelesene.
Er ließ das Buch in seinen Schoß sinken. „Welcher Ring und welche Macht?“, murmelte er und starrte in die Dunkelheit.
„Na, der Ring aus Drachengold!“, beantwortete jemand seine Frage und obwohl er sich langsam daran gewöhnen müsste, zuckte Felix zusammen.
„Was soll denn ‚Drachengold‘ sein“, fragte er, bemüht sich den Schreck nicht anmerken zu lassen.
„Ähm“, entgegnete Fortunio und landete auf dem Buch, „na, Drachengold eben! Das kennt doch jeder!“
„Nie gehört!“ Felix kratzte sich am Kopf. „Katzengold kenne ich! Aber Drachengold..!“ Zweifelnd betrachtete er den Drachen. „Das hast du erfunden!“
„Willst du mich beleidigen?“, fauchte der Glücksdrache und vor Empörung stieß er einige Flammen hervor.
„He“, rief Felix erschrocken, „Papier ist leicht entzündlich, also sieh dich vor mit der Feuerspuckerei!“
„Entschuldige!“ Zerknirscht wedelte Fortunio mit den Flügeln die kleinen Rauchwolken hinfort.
„Also! Was hat es mit diesem Ring auf sich?“
„Nur besondere Lebewesen sind befugt dies herauszufinden!“ Fortunio kratzte sich ausgiebig hinter den Flügeln. Felix musste grinsen. Das sah zu komisch aus.
„Soll ich dir helfen?“, bot er dem Glücksdrachen an.
„Ich bin nur ein bisschen eingerostet! Das schaffe ich schon!“, entgegnete dieser hochnäsig, dann seufzte er, „Na gut! Ja, da hinten ist eine Stelle, da komme ich einfach nicht hin!“
„Das kenne ich!“, nickte der Junge.
„Ah, das tut gut!“, sagte der Drache und räkelte sich wohlig. Felix musste sich das Lachen verbeißen. Doch schnell setzte Fortunio sich wieder auf, reckte sich zur vollen Größe, soweit dass bei einem Minidrachen möglich ist, und fragte beiläufig: „Willst du uns jetzt bei der Suche behilflich sein?“
„Welche Suche?“
„Na, bei der Suche nach dem Drachenring!“, erklärte Fortunio ungeduldig.
„Nur besondere Lebewesen sind befugt dies herauszufinden!“, wiederholte Felix.
„Ja, das weiß ich!“, knurrte der Drache, „Du scheinst ein besonderer Mensch zu sein, sonst könntest du auch das Buch nicht lesen!“
„Und warum nicht?“
„Wie du vielleicht schon bemerkt hast, ist nur die Hälfte der Seiten beschrieben! Die übrigen füllen sich erst, wenn ein auserwähltes Lebewesen sich aufmacht den Ring zu finden!“
Felix nahm das Buch und schlug die letzte Seite auf. Leer! er blätterte weiter zurück: auch leer! Stirnrunzelnd betrachtete er das weiße Papier. „Das bedeutet ja“, meinte er nach einer Weile, „ich komme dann in einem Buch vor!“
„Genau!“ Der Drache hüpfte auf das Buch. „Und nachdem das nun geklärt wäre, können wir nun endlich beginnen?“
„Und wo?“
„Wenn wir das wüssten, bräuchten wir kein Menschenkind um Hilfe bitten!“
„Ich kann mich nicht daran erinnern, dass mich jemand höflich gebeten hätte!“
„Bist du kleinlich!“, maulte der Drache patzig, besann sich jedoch eines Besseren und fügte in etwas gemäßigterem Tonfall noch schnell ein „Bitte“ hinzu.
Felix lehnte sich zurück und strich gedankenverloren über den Stein. Was hatte er schon zu verlieren? Nichts! Für die nächsten zwei Wochen hatte er sowieso keinen Plan, da konnte er genauso gut mit Fortunio auf Schatzsuche gehen.
„Gut!“, rief er schließlich, „Einverstanden! Ich helfe dir! Unter einer Bedingung!“
„Und die wäre?“, fragte Fortunio misstrauisch nach.
„Ich will wissen, warum der Ring so wichtig ist!“
„Wenn das die einzige Bedingung ist!“ Fortunio wedelte erleichtert mit den Flügeln und fegte bei der Gelegenheit den Wecker vom Nachttisch. „Oh! Entschuldigung!“
„Na prima!“ Felix sammelte die Einzelteile ein und setzte sie wieder zusammen. Das Gehäuse hatte nun zwar einen Sprung, aber es funktionierte noch. „Glück gehabt!“, grinste der Junge, „Also, beantwortest du jetzt endlich meine Frage?“
„Der Ring“, erklärte Fortunio feierlich, „zeigt dem Besitzer immer den richtigen Weg!“
„Aha!“, murmelte Felix etwas enttäuscht, „Und das ist wichtig, weil..?“
„..weil man mit dem Ring nie fehlgeleitet wird!“
Der Glücksdrache hockte auf Felix’ Stereoanlage und sah sehr zufrieden aus.
„Mein Handy hat eine App, damit verirre ich mich auch nicht! Funktioniert fast überall!“
„Handy! Pah! Du verstehst mich nicht, anscheinend bist du doch nicht der Richtige für diese Suche! Allerdings warum sollte sonst der Stein bei dir leuchten? Oder du bist einfach noch zu jung? Das wird es sein!“
„Überhaupt nicht!“, zischte Felix und blitzte Fortunio wütend an, „Ich weiß schon, dass du das im übertragenen Sinn meinst! Ich bin ja nicht blöd!“
„Das wollte ich damit auch in keiner Weise zum Ausdruck bringen!“, verteidigte sich der Drache und wechselte dann abrupt das Thema, „Du solltest jetzt schlafen! Morgen Früh hole ich dich ab! Pünktlich um 8.30 Uhr!“
„Ist das nicht ein bisschen gewagt?“ Felix schaute Fortunio zweifelnd an, „Ich meine, ohne den Schutz der Dunkelheit?“
„Papperlapapp! Ich weiß schon was ich mache! Vertrau mir!“
Da ihm ohnehin nichts anderes übrig blieb, beschloss Felix genau dies zu tun.

Er hatte seinen Wecker auf acht Uhr gestellt, doch er wachte schon früher auf. Er hörte seine Eltern, die wahrscheinlich gerade zusammen frühstückten und stand auf, um ihnen Gesellschaft zu leisten.
„Nanu!“ Seine Mutter sah ihn erstaunt an. „Was ist denn mit dir los? Ferien und du stehst freiwillig so früh auf!“
„Ich konnte nicht mehr schlafen!“
„Irgendwas Besonderes vor heute?“, fragte sein Vater und schüttete sich noch eine Tasse Kaffee ein.
„Nö“, schwindelte Felix, „Ich weiß noch nicht genau, was ich mache!“ Das zumindest entsprach der Wahrheit! Er hatte keine Ahnung was auf ihn zukommen würde.
Eine Viertelstunde später verabschiedeten sich seine Eltern und fuhren zur Arbeit.

Felix holte einen Rucksack und warf hastig alle möglichen Dinge hinein, von denen er meinte, sie könnten bei einer Schatzsuche nützlich sein. Darunter fanden sich Gegenstände wie zum Beispiel eine Taschenlampe, ein dickes und ein dünnes Seil, eine Rolle Tesaband, ein zusammenklappbarer Spaten, eine Lupe, ein Feuerzeug und natürlich das Schweizer Taschenmesser, das ihm sein Vater zum letzten Geburtstag geschenkt hatte. Zu guter Letzt stopfte er noch etwas zu Essen und zu Trinken hinein und stellte den gepackten Rucksack neben die Garderobe. Er ließ sich in der Küche auf einen Stuhl fallen und fixierte den Sekundenzeiger der Wanduhr. 8.26 Uhr und 31 Sekunden, 32, 33 ...!
Plötzlich sprang er auf und raste in sein Zimmer. Das Wichtigste hätte er doch jetzt glatt vergessen: das Buch!
Er nahm es mit nach unten, legte es auf den Tisch und blätterte vorsichtig in den vergilbten Seiten.

„Wer den Ring besitzt, besitzt die Macht!“, las er erneut.
Wie alt das Buch wohl schon sein mag, überlegte er nachdenklich.
„Der Drache gibt sein Geheimnis nur dem Erwähltem preis!“
Felix runzelte die Stirn und las eine andere Stelle nach. „Dein Herz wird dich leiten und dein Verstand auf den richtigen Weg führen!“ Er starrte sekundenlang auf die Zeilen, als eine Bewegung ihn zusammenzucken ließ.
„Guten Morgen!“, posaunte Fortunio gut gelaunt und marschierte über den Küchentisch, „Und fertig?“
„Im Prinzip schon!“, nickte der Junge, „Allerdings habe ich keine Ahnung, wo wir mit der Suche beginnen sollen!“
„Das Buch ist deine Schatzkarte! Also benutze sie!“ Der Drache ließ sich mitten auf dem Buch nieder.
„Muss das sein!“, nörgelte Felix, „Das Buch ist sicherlich furchtbar alt und damit ziemlich wertvoll, eine Antiquität sozusagen! Kannst du dich nicht woanders hinsetzen?“
Der Drache verdrehte die Augen. „Nur weil etwas alt ist, bedeutet das noch lange nicht, dass es dadurch wertvoll wird! Nur Menschen denken so!“
„Nachdem ich nun mal ein Mensch bin, kann ich nicht anders!“, bemerkte Felix, „Aber anscheinend seid ihr ja auf menschliche Hilfe angewiesen! Und zwar ziemlich dringend, sondern würdet ihr kein Kind bitten!“
„Du hast recht!“, lenkte Fortunio ein, „Wollen wir uns also denn auf die Suche begeben?“
„Klar!“, nickte Felix und zog Turnschuhe und Jacke an.
„Irgendwelche nützlichen Hinweise gefunden?“, erkundigte sich der Glücksdrache.
„Hm!“ Felix machte eine unbestimmte Geste.
„Könntest du das bitte übersetzen?“
„Weißt du überhaupt, wo wir suchen müssen?“, antwortete der Junge mit einer Gegenfrage.
„Nicht direkt!“, gab Fortunio verlegen zu, „Aber dafür hat man dich ja schließlich als würdig erachtet das Buch zu erhalten!“
„Sagen wir“, widersprach der Junge, „ich habe es einfach gekauft, weil es mir gefiel!“
Der Drache seufzte. „Wir haben jetzt keine Zeit für Endlosdiskussionen! Also, was steht da geschrieben?“
„Nicht viel!“ Felix zuckte die Achseln.
„Nicht viel?“, wiederholte der Drache und schnaubte ärgerlich, „Das Buch ist voller Wörter!“
„Ja, natürlich!“, gab Felix zurück, „Aber ich weiß trotzdem nicht, wie uns das weiterhelfen soll! Du kannst es gerne selbst lesen!“
Er schob dem Drachen das Buch hin.
„Ähm“, nuschelte dieser, „würde ich ja gerne, aber leider haben wir dafür jetzt keine Zeit!“
„Kann es sein“, grinste Felix, „dass du gar nicht lesen kannst?“
„Glücksdrachen müssen auch überhaupt nicht lesen können!“, entgegnete Fortunio möglichst würdevoll und funkelte den Jungen an.
„Stimmt!“, gab Felix friedfertig zu, „Also pass auf: Ein Drache scheint den Schatz zu bewachen, ein böser Drachen! Hier steht: Dunkle Mächte bewachen den Schatz!“
„Und woraus schließt du, dass diese dunkle Macht ein Drache sein muss?“
„Weiter vorne im Buch ist von einem Drachen die Rede, der das Geheimnis nur dem Auserwählten weist!“
„Auch wieder so eine menschliche Angewohnheit!“, nörgelte Fortunio.
„Wie bitte?“ Felix hatte keine Ahnung was der Drache meinte.
„Na, ihr müsst dem Bösen immer eine Gestalt geben! Meistens bezeichnen die Menschen das Böse als Teufel! Dabei nimmt das Böse jede Gestalt an oder auch keine!“
„Es ist halt einfacher, sich abstrakte Begriffe als etwas Greifbares vorzustellen!“, verteidigte Felix die menschliche Betrachtungsweise, „Schon in der Bibel steht, dass man sich von Gott kein Bild machen soll, aber es ist einfacher einen gütigen Vater anzubeten, als das unbekannte Nichts!“
„Stell mal das Buch hochkannt hin, schieb es weiter weg von dir und dreh dich dann um!“, befahl der Glücksdrache und Felix gehorchte achselzuckend.
Fortunio marschierte um das Buch herum.
„Wo bin ich?“, wollte er wissen, „Du kannst dich wieder umdrehen!“
„Na, hinter dem Buch nehme ich an!“, gab Felix zurück.
„Siehst du mich?“
„Nein, aber..“
„Genau“, sagte der Glücksdrache zufrieden, „du glaubst nur, dass ich hinter dem Buch bin, wissen kannst du es nicht! Und egal wie man das Unerklärliche nennt, ist es eigentlich ganz einfach daran zu glauben!“
„Du meinst also, Gott ist da, man kann ihn nur nicht sehen?“
„So ungefähr“, bestätigte Fortunio und watschelte auf den Jungen zu, „doch auch wenn ich solche philosophischen Exkurse mit dir interessant finde, so haben wir jetzt Wichtigeres zu erledigen!“
Felix nickte, packte das Buch vorsichtig in eine Stofftasche und schob diese ebenfalls in den Rucksack.
„Fertig!“
Sie verließen das Haus, Felix sperrte die Haustüre ordentlich ab, dann eilten sie in den Garten.
Felix kannte das Prozedere, doch beeindruckte es ihn jedes Mal aufs Neue zu welch imposanter Größe der Minidrache in Sekundenbruchteilen wuchs.
Felix’ Sorge sie könnten nun die Aufmerksamkeit der Leute erregen, erwies sich tatsächlich als unbegründet. Im Gegensatz zu nachts umhüllte nun feiner Nebel den fliegenden Drachen.
„Wem gehört eigentlich das Drachenbuch?“, schrie Felix nach einiger Zeit.
Fortunio drehte den Kopf ein wenig und der Junge sah nun direkt in die goldenen Augen. „Dem Hüter des Schatzes, genau wie der Ring!“
„Und wie kam es dazu, dass beides weg ist?“
Der Drache stieß ärgerlich eine Rauchwolke aus. Felix musste husten, weil der Fahrtwind sie ihm direkt ins Gesicht wehte.
„Keine gute Idee!“, beschwerte er sich und wischte sich den Ruß aus dem Gesicht.
„Verzeihung!“, brummte Fortunio, „Auch unter uns Fabelwesen gibt es gute und böse!“
„Wie lange gibt es dieses Buch schon?“, fragte Felix weiter.
„Seit Anbeginn der Zeit!“
„Und seit wann ist es verschwunden?“
„Du stellst aber eine Menge Fragen!“, bemängelte der Drache.
„Das ist allerdings keine Antwort!“, bemerkte der Junge.
„Ist schon eine Weile her!“, gab Fortunio zu, „Drachen oder überhaupt alle Fabelwesen werden ziemlich alt! Ehrlich gesagt, weiß ich es nicht!“
Während sie weiter über verschiedene Landschaften in unterschiedlichen Ländern flogen, hielt Felix die Augen offen. Sie flogen gerade über die Dolomiten, als der Junge plötzlich „Stopp“ rief.
„Hier? In der Luft?“, fragte Fortunio spöttisch.
„Dann dreh um und geh runter!“, befahl Felix.
„Und wo genau?“
„Dort hinten!“ Felix deutete auf eine lang gestreckte Felsformation.
Fortunio wendete und landete auf einer Wiese. „Hier?“ Er sah sich um. „Bist du dir sicher?“
„Sieh dir die Felsen doch mal genau an! Fällt dir nichts auf?“ Der Drache kniff die Augen zusammen, doch er wusste nicht, worauf Felix hinaus wollte. „Du musst es als Ganzes betrachten!“, erklärte der Junge und machte eine allumfassende Geste, „Dann erkennt man einen liegenden Drachen!“
„Du hast recht!“ Aufgeregt wedelte der Drache mit den Flügeln.
„Na los!“, grinste Felix und lief über die Wiese, „Lass uns nachsehen, ob wir eine Höhle oder so was finden!“
Etwas schwerfällig folgte ihm der Drache. Sie gingen aufmerksam an der steinernen Figur entlang.
„Da ist nichts!“, murrte Fortunio und ließ sich auf den Boden plumpsen.
„Wenn es so offensichtlich wäre“, bemerkte Felix, „hätte es schon jemand vor uns gefunden! Also, streng dich ein bisschen an!“
„Das Gelände hier“, protestierte Fortunio, „ist für mich viel zu unwegsam! Drachen sind nicht zum Klettern geboren!“
„Na, von Klettern kann da wohl nicht die Rede sein!“, gluckste Felix, „Bisher ist das ja eher ein Spaziergang! Werde doch wieder zum Minidrachen und fliege die Felsen ab, dann schonst du deine Füße!“
„Ein guter Vorschlag!“, strahlte der Drache.
Felix zog das Buch aus seinem Rucksack und blätterte frustriert darin herum. „Dein Herz hilft dir, die richtigen Entscheidungen zu treffen, während dein Verstand dir die Möglichkeit bietet, die Betrachtungsweise zu ändern.“, murmelte er.
„Hä?“
„Wie bitte!“
„Was?
„Hä ist unhöflich!“, erklärte Felix, „Es muss ‚wie bitte’ heißen!“
„Und?“
Felix rollte genervt mit den Augen und konnte plötzlich sogar ein bisschen seine Mutter verstehen. Wohlgemerkt: ein bisschen und zugeben würde er das sowieso niemals! „Und so ist manchmal oben unten und umgekehrt“, las er an anderer Stelle in dem Buch weiter und starrte gedankenverloren Löcher in die Luft. „Wer hat den Schatz eigentlich versteckt?“, fragte er einige Zeit später.
„Hm“, überlegte Fortunio laut, „wie hieß der doch gleich wieder? Tut mir leid! Ich kann mich beim besten Willen nicht mehr an den Namen erinnern!“ Niedergeschlagen rupfte der Minidrachen das Gras zu seinen Füßen aus.
„So genau wollte ich es gar nicht wissen! Ich meinte eher, ob es Drachen, Menschen oder andere Wesen waren!“
„Ach so!“ Fortunio seufzte erleichtert und blinkerte ein paar Mal mit den goldenen Augen. „Drachen natürlich!“
„Na, dann!“ Felix sprang auf und setzte seinen Rucksack wieder auf. „Du fliegst jetzt da hoch und schaust dir die Felsformation des schlafenden Drachen von oben an.

Kapitel 8: Die Schatzsuche Teil II
Während Felix vorsichtig dem schmalen Steig folgte, der sich zwischen den Felsen empor schlängelte, erhob sich Fortunio mit ein paar Flügelschlägen in die Luft. Wenig später landete er auf der Schulter des Jungen. „Und?“, schnaufte Felix.
„Es gibt ein Loch! Ist allerdings ziemlich dunkel da drinnen!“
„Dürfte doch für deine Drachenaugen kein Problem sein“, erwiderte Felix keuchend und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
Fortunio leitete den Jungen an den Rand der Öffnung.
„Meinst du, wir müssen da runter?“
„Das“, bemerkte Felix und beugte sich vorsichtig etwas vor, „werden wir erst wissen, wenn wir unten sind!“
Der Drache, der wieder seine normale Grüße angenommen hatte, starrte zweifelnd in die Tiefe.
„Du hast doch nicht etwas Angst?“, grinste Felix.
Der Drache richtete sich zu seiner wirklich imposanten Größe auf.
„Willst du mich beleidigen, du- du- du Mensch!“
„Nein!“, winkte Felix lachend ab, „Muss ich runter klettern, oder nimmst du mich huckepack!“
„Ich weiß zwar nicht genau, was das bedeutet?“
„Ob ich auf dir reiten darf“, erklärte Felix.
Der Drache nickte und ließ den Jungen aufsteigen. Dann flog er langsam in die Tiefe. Dunkelheit, gleich einer pechschwarzen Wolke, löste das immer schwächer werdende Tageslicht ab. Den Drachen umgab wieder dieses merkwürdige blaue Licht, für einen außenstehenden Beobachter sicherlich eine rätselhafte Erscheinung.
Unten angekommen, setzte er vorsichtig auf. Felix zog seine Stabtaschenlampe aus dem Rucksack und beleuchtete die Umgebung. Aufgeschreckte Fledermäuse flatterten hin und her. Der Junge duckte sich jedes Mal, obwohl er wusste, dass die Tiere mit Echolot flogen, ihn demnach nie berühren würden. Ein Gang, eher ein dunkler Schlot, führte sowohl in die eine Richtung, als auch in die andere weiter, für einen Menschen ausreichend hoch, für einen ausgewachsenen Drachen jedoch unmöglich.
„Rechts oder links?“, wollte Fortunio, nun wieder eine Minidrache, wissen.
„Gute Frage!“ Felix besah sich die Eingänge genau. „Der rechte scheint nach oben zu führen, der linke nach unten!“
„Dann nach links!“, erklärte der Glücksdrache überzeugt und flatterte bereits in die entsprechende Richtung, „Schätze sind immer unten, tief in der Erde!“
„Nichts ist wie es scheint!“, zitierte der Junge ein weiteres Mal aus dem Drachenbuch, klappte es entschlossen zu und wandte sich nach rechts „Und darum gehen wir da lang!“ Ohne zu widersprechen setzte sich der Minidrache vorsichtshalber auf Felix’ Schulter und mit ihm leuchtete nun auch der Junge in weichem, blauem Licht.
„Wie machst du das eigentlich?“
„Was denn?“
„Na, das Licht!“, sagte Felix und hielt seine bläulich schimmernde Hand hoch.
„Ach das!“ Der Drache zuckte mit den Flügeln. „Keine Ahnung! Du müsstest es doch erklären können. Hast du nicht Physik und Chemie in der Schule?“
„Du hast recht!“, nickte der Junge, „Daheim werde ich mich sofort um dieses Problem kümmern!“ Felix blieb stehen.
„Was ist los?“, wisperte Fortunio.
„Merkst du nichts?“, fragte Felix leise. Der Drache schüttelte schweigend den Kopf. „Wir gehen bergab, obwohl unser Gehirn uns weismachen will, dass es bergauf geht! Es muss sich um eine optische Täuschung handeln! Sehr interessant!“
Eine Weile liefen sie wortlos den Gang entlang, das heißt, Felix lief und Fortunio saß auf seiner Schulter. Hielt der Junge die Hand gestreckt hoch, so berührten seine Finger die raue, feuchte Steindecke. Hin und wieder fiel ein Wassertropfen zu Boden und verursachte ein leises Geräusch, welches in der Stille wesentlich lauter klang, als es eigentlich war.
Nach einiger Zeit gelangten sie in eine gewaltige Höhle.
„Wow!“, staunte Felix beeindruckt. Sie ahnten die Weite der Höhle mehr, als sie sie wirklich erkennen konnten, denn das blaue Drachenlicht reichte nur einige Meter. „Sollen wir sie entzünden?“ Fragend sah Felix Fortunio an und deutete auf eine Fackel, die in einer Halterung an der Wand steckte.
„Warum nicht?“

Felix setzte seinen Rucksack ab und kramte sein Feuerzeug hervor. Vorsichtig entzündete er die Fackel und hielt sie am ausgestreckten Arm vom Körper weg. Nur für alle Fälle! Im Kindergarten hatten sie bei einem Übernachtungsfest eine Fackelwanderung gemacht. Eigentlich eine tolle Sache! Doch noch immer erinnerte er sich schmerzhaft daran, als ihm das heiße Wachs auf die Hand tropfte, er daraufhin die Fackel fallen ließ und diese in die einzige Schlammpfütze weit und breit fiel. Zumindest das konnte ihm heute nicht passieren, denn hier bestand alles aus Fels.
„Krass!“, entfuhr es ihm, als er die Höhle betrachtete. Sobald das Licht den Stein erhellte, funkelte es und man gewann den Eindruck, als ob zahllose winzige Lichter die Felsen überzogen. „Ist das-“, fragte er zögernd und strich vorsichtig über die glatte, kühle Oberfläche.
„Du meinst Gold?“
Felix nickte.
„Nein!“ Der Drache schüttelte den Kopf. „Nur Glimmer! Hat auch einen Namen, lateinisch glaube ich, kann ich mir aber nicht merken!“
„Muskovit!“
„Hä?“ Perplex sah Fortunio den Jungen an.
„Der Glimmerstein heißt Muskovit!“
„Und das weißt du, weil ...?“
„ ... weil“, grinste Felix, „Ich in Geo ein Referat über Mineralien gehalten habe, vorzugsweise diejenigen, die in Europa vorkommen!“
„Ts, ts, ts!“ Fortunio hielt den Kopf schief. „Mit was ihr Menschenkinder so eure Zeit verbringt!“
„Für die Industrie ist dieses Wissen wichtig, denn die nutzt viele Mineralien. Muskovit zum Beispiel hat viele unterschiedliche Verwendungen.“
„Und die kennst du natürlich auch!“, stellte der Drache ohne Ironie fest.
„Naja, nicht alle!“, gab Felix zu, „Es wird für Ofenschutzgläser verwendet und Lippenstiften beigemischt, damit die schön glitzern!“
„Lippenstifte?“
„Na, du weißt schon! Das rote Zeug, das sich der weibliche Teil der Bevölkerung auf den Mund schmiert und der dann immer so hässliche Abdrücke hinterlässt, wenn sie meinen, sie müssten einen küssen! Igitt!“ Felix schüttelte sich bei der Vorstellung.
Das Licht der Fackel leuchtete die riesige Höhle nur ansatzweise aus. Einige Meter vor ihnen spiegelte sich der Schein des Feuers in schwarzem Wasser. Langsam schritten sie das Ufer des unterirdischen Gewässers ab, bis Felix abrupt stehen blieb und die Fackel senkrecht hochhielt.
„Was ist?“, wollte Fortunio wissen.
„Hörst du das Plätschern von Zeit zu Zeit? Entweder bewegt der Wind die Wasseroberfläche oder irgendetwas anderes. Da die Fackel vollkommen ruhig brennt, schließe ich die erste Möglichkeit aus!“
„Ach das!“ Der Drache wedelte abwinkend mit den Flügeln. „Das sind Wasserwesen!“
„Wasserwesen?“
„Ja! Warum erstaunt dich das?“ Verwundert blickte Fortunio den Jungen an.
„Ich – äh- naja, ich dachte, wir wären hier alleine!“
„Oh, nein!“, lächelte der Drache, „Wir haben die ganze Zeit Gesellschaft!“
„Ja, die Fledermäuse!“, nickte Felix.
„Nein! Die meine ich nicht!“
„Sondern?“
„Hm! Keine Ahnung! Irgendwelche Wesen, die verflucht wurden, hier unten ihr Dasein zu fristen!“
„Verflucht? Von wem?“, hakte Felix neugierig nach.
Ehrfürchtig senkte der Drache die Stimme. „Vom Herrscher der Unterwelt!“
„Der lebt hier?“, wisperte Felix und sah sich verstohlen um, allerdings eher interessiert, denn ängstlich.
„Überall im Verborgenen treibt er sein Unwesen!“ Theatralisch breite der Drache seine Flügel aus.
„Wie kann jemand überall sein?“
„Dein Gott ist ja auch überall! Behauptet ihr wenigstens!“, antwortete Fortunio lapidar.
„Stimmt!“
Da ihm dazu sonst nichts mehr einfiel, hielt Felix den Mund und betrachtete staunend die bizarren Felsformationen. Die Steine zu ihrer Rechten sahen aus wie Korallen, während am linken Seeufer unzählige Miniaturkegel wuchsen. Der Junge stolperte über eine Wurzel, strauchelte und konnte gerade noch verhindern ins Wasser zu fallen. Eine Wurzel? Felix drehte sich um und beleuchtete die Stelle. Ein länglicher Stein, ungefähr einen halben Meter lang, ragte einige Zentimeter aus dem Boden.
„Sieht fast aus wie ein Pfeil!“, meinte der Minidrache und ließ sich wieder auf der Schulter des Jungen nieder, von wo er eben unsanft herunter gepurzelt war. Von nun an achtete Felix sehr genau wo er hintrat. Bald hatten sie das Höhlenende erreicht und der Weg endete im Nichts.
„Wir werden wohl umkehren müssen!“, sagte Felix enttäuscht und blickte über den See, dessen Oberfläche wie eine dunkle, glänzende Ebene vor ihnen lag. „Wie schwarzer Marmor!“, murmelte er.
„Hä?“
„Wie bitte!“, verbesserte Felix automatisch, „Das Wasser erinnert an schwarzen Marmor!“ Er runzelt die Stirn, lief suchend das Ufer ab und hielt bei dem steinernen Pfeil. „Unsere Nachbarn haben im Erdgeschoss überall Fliesen aus schwarzem Marmor. Und über Fliesen kann man gehen!“ Vorsichtig setzte er einen Fuß vor den anderen. Und es funktionierte! Ein schmaler Steg führte geradeaus ans andere Ufer.
„Schlaues Bürschchen!“, lobte der Drache, setzte jedoch grinsend hinzu, „Wir hätten auch fliegen können!“
„Fällt dir ja früh ein!“, grummelte Felix und schaute sich um. Fünf Wege führten von hier weiter.
„Was sagt das Drachenbuch?“
Felix zuckte die Achseln. „Keine Ahnung! Ich kann mich nicht daran erinnern, diesbezüglich etwas Nützliches gelesen zu haben!“
„Aha! Und dein Verstand?“
Wieder hob der Junge lediglich die Schultern. „Entscheide du!“
„Gut!“ Der Drache inspizierte die fünf Eingänge, dann deute er nach links. „Den da!“
„In Ordnung!“
Sie marschierten eine gute Stunde geradeaus. Jedenfalls dachten sie dies! Doch plötzlich standen sie wieder am See.
„Mist!“, schimpfte Fortunio.
„Bleiben nur noch drei!“ Felix zog zum wiederholten Male das Buch aus dem Rucksack, steckte die Fackel in den sandigen Boden und blätterte in den Seiten. „Drei Wege!“, murmelte er einige Male, „Ha, wusst ich’s doch!“ Er legte den Finger auf eine Buchseite.
„Drei Wege sind, oh, glaubt es mir,
noch immer zwei zu viel.
Mein Rat nimm an und folge hier,
demütig meiner Spur.
Mühsal steht am Anfang nur,
das Ziel lässt auf sich warten.
Doch keine Rast gegönnt sei dir
Und möge noch so schön er sein,
der Wunderblumengarten!“

„A-ha!“, entgegnete Fortunio gedehnt und sein Gesicht war ein einziges Fragezeichen, „Ich nehme an, du kannst damit etwas anfangen?“
„Lass mich nachdenken!“ Felix nahm seine Taschenlampe und richtete den Lichtkegel auf die Eingänge der einzelnen Wege. „Mühsal steht am Anfang!“, wiederholte er.
„Was ist denn der Wunderblumengarten?“, unterbrach Fortunio seine Überlegungen.
„Keine Ahnung!“ Felix hatte weder Zeit noch Lust sich jetzt mit dieser Frage des Drachen zu beschäftigen. „Wenn etwas mühselig ist“, fuhr der Junge fort, „muss man sich anstrengen! Manchmal scheint einen die Last schier zu erdrücken. Demütige Menschen nehmen oft eine gebückte Körperhaltung ein! Das ist es!“ Aufgeregt leuchtete er in den mittleren der drei Gänge. „Dieser ist anfangs so eng, dass man - beziehungsweise Mensch - kriechen muss. Das ist die demütigste aller Haltungen! Wie im Mittelalter, die Pilger bei den Kreuzgängen!“
Felix packte das Buch zurück, verschloss den Rucksack sorgfältig und schob ihn als erstes in die Öffnung. Dann ließ er sich auf alle Viere nieder und verschwand ebenfalls in dem Gang. Der Minidrache lief zunächst aufrecht neben ihm her, doch seltsamerweise musste er sich ebenfalls klein machen, da die Felsendecke sich zu ihm hinunter zu beugen schien.
„Meine Mutter wird begeistert sein!“, seufzte Felix und konnte die Vorwürfe bezüglich seiner verdreckten Klamotten fast schon hören. Endlich weitete sich der Gang und ächzend richtete sich der Junge wieder auf. „Wie halten Bergleute das nur stundenlang aus?“, stöhnte er.
Es wurde zunehmend kälter und Felix zog den Reißverschluss seiner Jacke bis unters Kinn. Ab und zu glaubte er etwas streife seine Wange, doch bestimmt, so redete er sich zumindest ein, war es nur ein Luftzug.
„Spürst du sie auch?“, flüsterte Fortunio nach einer Weile.
„Wen?“
„Die Boten der Unterwelt, die Verbündeten des Bösen!“
„Können sie uns schaden?“
„Ja und nein!“, entgegnete der Drache.
Felix verzog das Gesicht! „Und was bitte soll das heißen?“
„Sie können einen Menschen nicht direkt verletzen oder töten, aber sie können zum Beispiel die Felsen über uns zum Einstürzen bringen!“
„Toll! Das Ergebnis wäre so dasselbe!“ Felix klapperten die Zähne. „Hättest du mir nicht sagen können, dass es hier so kalt ist?“
„Woher sollte ich das wissen?“, verteidigte sich der Glücksdrache, „Ich bin hier auch zum ersten Mal!“
„Bisher habe ich das Böse immer mit Feuer in Verbindung gebracht!“, sagte Felix und beschleunigte seine Schritte, um sich warm zu halten.
„Ein menschlicher Irrtum! Wie so vieles entspricht dies absolut nicht eurer Vorstellung!“, informierte Fortunio.
„Was nicht bedeutet“, gab Felix zurück, „dass wir nicht fähig sind, umzudenken!“
„Das sind die Ausnahmen!“
„Von mir aus!“ Felix zuckte die Schultern. Er hatte keine Lust weiter über die menschlichen Unzulänglichkeiten zu diskutieren. Plötzlich stieg die Temperatur merklich an. Die Eiszapfen an der Decke begannen zu schmelzen und die Tropfen vereinigten sich am Rand zu einem schmalen Rinnsal.
Die beiden folgten dem kleinen Wasserlauf und erreichten eine weitere Höhle.
Staunend blickten sie sich um. Hier wuchsen tropische Pflanzen. Aus einem Felsen fiel das Wasser in Kaskaden, um sich in einem Becken zu sammeln. Türkisfarbenes Wasser lud zum Baden ein. Felix entledigte sich seiner Jacke und stopfte sie in den Rucksack.
„Sieht aus wie im Botanischen Garten!“
„Wir könnten uns eine Weile ausruhen!“, schlug Fortunio vor und ließ sich zufrieden seufzend in das weiche Moos sinken, „Fast wie ein Wunder!“
„Guten Idee!“, stimmte Felix ihm zu und wollte es dem Drachen gleich tun. „Was hast du gesagt?“, hakte er nach.
„Dass wir uns ausruhen sollten!“
„Nein, danach!“
„Hm“, der Drache legte den Kopf schief und betrachtete den Jungen verwundert, „Es ist wunderbar hier!“
„Genau! Ein Wunder! Ein Wunderblumengarten! Wir können, nein, wir dürfen hier nicht verweilen! Los weiter!“
„Ich bin aber müde!“, maulte der Glücksdrache.
„Du bist die meiste Zeit auf meiner Schulter gesessen! Von was bist du also müde?“
Felix lief weiter, ohne sich noch einmal umzudrehen. Grummelnd flatterte der Drache hinterher.
„Nur eine klitzekleine Rast?“, versuchte er es erneut, „Sieh doch nur die Papageien und die Orchideen, wie im Dschungel! Findest du das nicht auch toll?“
„Doch!“, bestätigte Felix, „Aber das Ganze soll uns nur von unserer Aufgabe ablenken! Es sei denn-“
„Es sei denn?“
„Es sei denn, du hast kein Interesse mehr an dem Drachenring!“
„Natürlich schon!“
„Dann ist ja alles klar!“, nickte Felix und eilte weiter.
Sobald sie dieses Pflanzenparadies verließen, sank die Temperatur wieder empfindlich und Felix zog schleunigst seine Jacke an.
„Erst diese tropische Hitze und jetzt arktische Kälte!“, nörgelte der Junge, „Morgen habe ich wahrscheinlich eine mega fette Erkältung und werde mindestens für eine Woche im Bett liegen müssen! Und das in den Ferien!“
„Papperlapapp! Du wirst dich doch von solch Nebensächlichkeiten nicht von einer so enorm wichtigen Aufgabe abhalten lassen!“ Das war keine Frage, sondern eine Feststellung. Felix würde jetzt niemals umkehren. Und Fortunio wusste das!

Stalaktiten hingen von der Decke, zunächst nur vereinzelt, dann immer dichter. Felix zog die Kapuze über den Kopf und Fortunio machte es sich in seiner Jackentasche bequem. Die Bündchen seines Sweatshirts zog der Junge soweit es ging über die Hände, als Handschuhersatz.
Plötzlich begann das Licht der Fackel zu flackern. Als der einsetzende Wind noch mehr zunahm, verlöschte sie und Felix nahm wieder seine Taschenlampe aus dem Rucksack.
„Hörst du das auch? Was ist das?“ Er blieb stehen und lauschte. „Ein Gewitter?“ Sie vernahmen ein dumpfes Grollen.
„Nein! Ich denke, wir nähern uns dem Ziel!“
„Und da ist es so laut?“ Sie mussten nun schreien, um sich verständlich zu machen.
Der Gang mündete, wie die zuvor bereits, in einer riesigen Höhle. Mächtige Steinsäulen wuchsen vom Boden an die Decke.
„Ist dieser ganz Hokuspokus extra für uns?“, rief Felix und versuchte gegen die enorme Geräuschkulisse anzukommen.
„Möglich!“, entgegnete der Glücksdrache und seine Stimme übertönte problemlos den Lärm. „Steig auf!“, befahl er, „Da bist du sicherer!“
Dankbar nahm der Junge das Angebot an. Inzwischen fegte ein ausgewachsener Orkan durch die unterirdische Felsenhalle, gewaltige Blitze durchzuckten die Höhle und erhellten sie kurzzeitig.
„So stelle ich mir den Weltuntergang vor!“, dachte Felix und duckte sich, denn tennisballgroße Eisklumpen flogen durch die Luft und er wollte so ein Ding auf keinen Fall abbekommen. Traf eine dieser Kugeln den Drachen, so zischte es und das Eis schmolz augenblicklich. Meter um Meter kämpfte sich Fortunio vorwärts in Richtung Mitte. Felix klammerte sich fest an den Drachenhals und duckte sich hinter dem mächtigen Drachenkopf.
Sie näherten sich dem Mittelpunkt dieses riesigen Felsentempels. Der Sturm ließ nach und der Junge riskierte vorsichtig einen Blick.
„Wer wagt es mich zu stören?“, donnerte eine gewaltige Stimme.
„Wir sind gekommen den Drachenring zu holen!“, erklärte der Glücksdrache unbeeindruckt und richtete sich zu seiner vollen Größe auf. Felix betrachtet ihr Gegenüber. Seltsamerweise konnte er nicht mit Bestimmtheit sagen, um was für ein Wesen es sich handelte. Teilweise einem Drachen ähnlich und doch wieder nicht. Es schien ständig in Bewegung zu sein. Flammen züngelten seine Beine entlang und schwarze Rauchwolken ringelten sich dort empor, wo die gewaltigen Pranken den Boden berührten. Blitze schnellten in ihre Richtung, trafen jedoch nicht.
„Welchen Grund sollte es wohl geben, euch nicht auf der Stelle zu töten?“, rief das Ungetüm und seine Stimme erinnerte Felix sehr an das Grollen während eines Gewitters.
„Wenn du das könntest“, gab Felix mutig zurück und sah dem Wesen dabei fest in die rot leuchtenden Augen, „hättest du es schon längst getan!“
Als Antwort schlug ein gewaltiger Blitz direkt neben ihnen ein und hinterließ einen kleinen Krater.
„Die Lichteffekte sind Klasse!“, murmelte Felix.
„Ich glaube nicht“, wies ihn Fortunio zurecht, „dass es klug ist, ihn zu ärgern!“
„Genau das glaube ich!“, widersprach Felix leise. „Das- das Ding ist zwar ständig in Bewegung“, erklärte Felix, „doch es gibt nie den Blick auf den hinteren Teil der Höhle frei! Warum?“ Er wartete keine Antwort ab, sondern sprach hastig weiter. „Weil da was ist, was wir nicht sehen sollen!“
„Und was genau soll das sein?“
„Das werden wir erst wissen, wenn es uns gelingt einen Blick darauf zu werfen!“
„Nichts leichter als das!“, spottete Fortunio, wurde jedoch gleich darauf ernst, als er merkte, dass Felix genau das vorhatte. „Wie in aller Welt sollen wir das bewerkstelligen?“
Felix überlegte eine Weile. „Einer von uns müsste ihn ablenken!“
Der Glücksdrache stöhnte. „Nur Menschen können diese Wesen nichts anhaben!“
„Du schaffst das!“, beruhigte der Junge ihn, „Ich glaube an dich!“
„Sehr beruhigend!“, brummte der Drache, machte sich jedoch etwas kleiner, so dass Felix herunterklettern konnte. „Wie lange muss ich es denn ablenken?“, erkundigte sich Fortunio vorsichtig und sah alles andere als begeistert aus.
„So lange, wie es eben dauert!“
„Ziemlich unpräzise Antwort für einen angehenden Wissenschaftler“, meinte der Glücksdrache.
„Wer sagt denn, dass ich einmal Wissenschaftler werde?“
„Na, das liegt doch auf der Hand!“, erklärte der Drache bestimmt, „Du interessierst dich für Chemie, Physik, Mathematik, Geologie und vieles mehr!“
„Ich bin erst 14! Noch nicht einmal annähernd erwachsen! Da habe ich jedes Recht meine Meinung im Bezug auf meine spätere Berufswahl noch einige Male zu ändern!“
„Hast du!“, bestätigte der Glücksdrache lächelnd, „Wirst du aber nicht!“ Er breitete die Flügel aus. „Na, dann mal los!“, rief er und flog in wildem Zickzackkurs durch die Höhle.
 



 
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