Ferienfreizeit

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Julia N.

Mitglied
„Hammer!“
Robin konnte von seinem Hochbett aus das Freibad erkennen. „Ich glaub es nicht!“
Es war der erste Sommer, in dem er mit einer Gruppe in die Ferien durfte. Dabei war er schon fünfzehn!
„Da habe ich schon besser gewohnt“, antwortete sein bester Freund Manuel, der jedes Jahr für zwei Wochen zur Ferienfreizeit fuhr.
„Was kann denn bitteschön noch cooler sein, als ein freistehendes Haus in Österreich und ein Freibad, das wir jeden Tag kostenlos nutzen dürfen?“, schwärmte Robin.
„Hast recht, das Freibad ist schon toll, das hatte ich bis jetzt noch nie. Aber schau dir doch mal dieses alte Haus an. Überall riesige, hölzerne Dachbalken. Der Boden knarrt und es riecht muffig. Riechst du das nicht auch?“



Unwillkürlich musste Robin an Hermann und Waltrauds Ansprache am ersten Abend denken.
„Es ist besonders wichtig, dass wir uns hier an die Regeln halten“, hatte Hermann erläutert. „Waltraud und ich, wir tragen hier die Verantwortung für euch. Wenn ihr irgendeinen Unsinn anstellt…“
Er ließ beschwörend seinen Blick in die Runde der rund zwanzig Jugendlichen schweifen
„…dann werden wir zwei dafür belangt. Wir stehen bei allem, was wir hier machen, mit einem Bein im Knast.“
„Diese Ansprachen kenn ich schon“, flüsterte Manuel Robin ins Ohr.
„Das ist immer das Gleiche, die haben Schiss, dass was passiert und halten ihre Moralpredigt.“
„Ruhe, da hinten“, ermahnte Waltraud.
„Das Haus steht unter Denkmalschutz und wurde nur aus Holz gebaut“, hatte sie ergänzt.



Auszug aus dem Neusiedler Tageblatt, 05.08.1995

Der Vorfall ereignete sich am Abend des vierten Augustes im Ferienlager. Drei Jugendliche stehen im Verdacht. War es Vorsatz? Wir fragten beim örtliche Polizeisprecher Hans Winterscheidt nach:
„Noch wissen wir zu wenig, um das bestätigen zu können. Zum jetzigen Zeitpunkt können wir noch keine Angaben machen, die Ermittlungen laufen noch, ich bitte das zu respektieren.“




Robin konnte sich selbst nach zwei Tagen nicht mehr einkriegen, so toll fand er es hier. Er hatte sich zu Hause alles immer wieder haarklein vorgestellt, aber da kannte er Leonie noch nicht. Leonie und Annika hatten sich auf der Ferienfreizeit kennengelernt und verbrachten die Tage im Freibad, wenn nicht irgendeine Gruppenaktivität, wie die Bootsfahrt über den Neusiedler See, anstand.
Während Manuel keine Sekunde verpasste, Annika hinter der Rutsche hinterherzujagen, gesellte sich Robin zu Leonie aufs Handtuch.
„Und, wie findest du es hier?“, fragte er.
„Eigentlich sollte ich es hier super finden, oder?“, antwortete sie und legte ihr Buch über Schmetterlinge beiseite.
„Wieso eigentlich?“
„Meine Eltern geben viel Geld für Ferienfreizeiten aus und ich fahre wirklich jedes Jahr hierhin, kannst du dir das vorstellen?“
Robin nickte eifrig, merkte dann aber, dass das wohl nicht angebracht war.
„Ich vermisse meine beste Freundin, meinen Hund, sogar meine Eltern.“
Jetzt musste sie doch schmunzeln.
„Das nenn ich mal waschechtes Heimweh, das tut mir leid. Komm doch heute Abend zu uns aufs Zimmer, ich will dir was zeigen.“



Auszug aus dem Neusiedler Tageblatt,

Was ist bisher über die Täter bekannt?

Polizeisprecher Hans Winterscheidt:
„Wir sprechen noch nicht von Tätern. Falls sich unsere Vermutungen bestätigen, handelt es sich um drei Jugendliche im Alter zwischen 15 und 16 Jahren, wie viele Verletzte es gibt, ist noch unklar“



„Was wolltest du mir denn zeigen?“, wandte sich Leonie an Robin.
Dieser sprang aufgeregt von seinem Hochbett, ging zur hölzernen Gaube und öffnete das Fenster.
„Halt mal dein Kopf raus und schau nach links.“
Er beobachtete sie gespannt, mit ihrer Reaktion hatte er jedoch nicht gerechnet.
„Waah, was ist das denn? Igitt!“, schrie sie und wich zurück. Dabei wedelt sie hektisch mit den Armen und hätte beinahe Robin erwischt.
„Das kann doch wohl nicht dein Ernst sein, ich bin allergisch dagegen.“
Robin konnte seine Enttäuschung nur schwer verbergen.
„Tut mir leid, ich konnte nicht wissen, ich dachte…“, brachte er mühsam hervor.
„Was genau dachtest du?“, fuhr sie ihn immer noch geschockt an.
„Tut mir leid, ich dachte, du findest Wespen toll, wegen der Schmetterlinge“, gestand er.
„Erst gestern haben wir das Wespennest unter dem Dach entdeckt“, mischte Manuel sich jetzt ein.
„Wir können…Ich habe eine Idee, bleibt hier, ich komme gleich wieder.“



Auszug aus dem Neusiedler Tageblatt,

Was passiert nun mit den Jugendlichen?

Polizeisprecher Hans Winterscheidt:
„Die Jugendlichen beziehungsweise ihre Eltern müssen zunächst die aktuell anfallenden Kosten tragen. Den Rest wird ein Prozess klären.“



„Ich habe die Lösung“, rief Manuel und ging ohne Umschweife zur Fenstergaube.
Robin fragte sich gerade, was sein Freund da für ein komisches Ding in der Hand hielt, als Manuel schon auf den Knopf der Deoflasche drückte und ein Feuerzeug darunter hielt. Heraus kam ein nicht enden wollender Feuerschwall, den Manuel auf das Wespennest hielt.
„Halt, was machst du da?“
„Ich räuchere das Wespennest aus – hab ich mal im Fernsehen gesehen.“
Im ersten Moment roch es verkohlt, dann ging ein Windhauch. Qualm breitete sich im Zimmer aus.
„Was jetzt?“, fragte Robin panisch
„Wasser! Wir brauchen Wasser!“, schrie Leonie.



Auszug aus dem Neusiedler Tageblatt,

Was können wir unseren Lesern mitgeben, wie verhält man sich im Brandfall richtig?

Polizeisprecher Hans Winterscheidt:
„Wichtig ist es, sich und andere in Sicherheit zu bringen und anschließend sofort die Feuerwehr zu rufen. Von selbstständigen Löschaktionen ist dringend abzusehen.“




Hustend nahmen sie Trinkflaschen, Zahnputzbecher und Mülleimer, um das Feuer zu löschen. Sie konnten fast nichts mehr sehen, das Feuer breitete sich immer mehr im engen Zimmer aus.
„Das hat keinen Sinn mehr, wir müssen hier raus“, schrie Robin.
„Die Tür ist versperrt.“ Ängstlich blickte sich Leonie im Zimmer um und erkannte, dass der Tisch in Flammen aufgegangen und vor die Holztür gekracht war.
„Hilfe!“, schrien sie durch das offene Fenster und hofften, das sie jemand hörte.



Auszug aus dem Neusiedler Tageblatt, 06.08.1995

Es gibt Neuigkeiten im Brandfall, über den wir gestern berichteten.

Die Feuerwehr konnte nun alle Glutherde sicherstellen, ein Trakt ist abgebrannt, ein anderer wurde gesichert. Es gibt keine Toten, drei Personen wurden mit einer leichten Rauchvergiftung ins Krankenhaus gebracht und konnten dort erfolgreich behandelt werden.


„Mmh, lecker.“ Leonie schielte von ihrem Krankenbett auf Robin und Manuel.
Alle drei hatten sich gut erholt. Waltraud reichte den Kindern einen Erdbeerkuchen.

„Hat Hermann gebacken. Sicher besser als Bienenstich?“, sagte sie mit einem Schmunzeln.
„Absolut“, sagten alle drei.







Julia Nachtigall, Jahrgang 1982, hat eine Ausbildung zur Verlagskauffrau gemacht und ist seit Jahren als Sekretärin tätig. Aktuell arbeitet sie an der Universität Duisburg-Essen und wohnt mit ihrer Familie in Essen. Ihre Leidenschaft für Bücher hat sie dazu bewogen, selbst Kurzgeschichten zu schreiben.
 



 
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