Traumtänzerin
Frei und ohne Ziel glitt er durch einen wolkenlosen Himmel. Tief unter ihm malten Berge, Wälder und Ebenen ein buntes Bild verwaschener Farben, ohne Bedeutung für ihn. Doch noch etwas anderes war dort. Fasziniert entdeckte er das ferne Glitzern von Wasser. Der Anblick fesselte ihn und weckte seine Neugier. Sein Flug bekam eine neue Richtung. Einen warmen Aufwind nutzend schraubte er sich höher hinauf in den Himmel, um dann in einem langsamen Gleitflug sein Ziel zu erreichen. Je näher er dem Wasser kam, desto mehr veränderte sich seine Umgebung. Aus dem Blau des Himmels wurde ein tiefes Abendrot, das seine bronzefarbenen Schuppen wie Feuer auflodern ließ. Seltsam genau nahm er nun seine Umgebung unter sich wahr, wo Wälder in den Himmel wuchsen und vergingen mit einem Flügelschlag. Wo eben noch Bäume gestanden hatten, krochen nun große Echsen herum und kletterten die nahen Berge hinauf, wo sie ihre neu gewonnenen Schwingen ausbreiteten und sich in den Himmel zu einem anmutigen Tanz erhoben, mit dem sie umeinander warben. Hatte sich ein Paar gefunden, krallten sie sich aneinander fest und stürzten gemeinsam in die Tiefe. Es war ein tödlicher Tanz und der Beweis des Männchens für Vertrauen und Mut. Denn ob sie sich rechtzeitig voneinander trennen oder gemeinsam am Boden zerschellen würden, entschied das Weibchen. Auch der bronzefarbene Drache wurde mitten hinein in den Tanz gezogen und genoss die ungebundene Freiheit unter der Sonne fliegen zu können. Aber das Glitzern des fernen Wassers und das Versprechen, was darin zu liegen schien, lockte ihn mehr, als seinen einfachen Trieben zu folgen. Endlich erreichte er das weite Ufer der glitzernden Wasserfläche. Seichte Wellen plätscherten an das sandige Ufer, das sich zu einem Strand weitete. Nun hörte er eine lockende Stimme, die ein tiefes Verlangen in ihm weckte, das er bisher nicht gekannt hatte. Er landete im feines Sand und sah sie vor sich stehen. Sie war eine hochgewachsene Frau, deren nackte Haut ein feines, goldenes Schuppenkleid war. Das lange Haar umfloss ihren Körper wie Mondlicht und auf ihre Rücken breiteten sich flammende Drachenschwingen aus. Purpurne Augen, in denen sich die Ewigkeit spiegelte, blickten ohne Furcht zu dem Drachen auf und sie lächelte.»Du hast mich gefunden«, richtete sie ihre einnehmende Stimme an ihn und schritt auf ihn zu. Unwillkürlich wich der Drache zurück. Seine Sinne mahnten ihn zur Vorsicht, als wäre er die Beute und nicht anders herum, wie es sein sollte.
»Du fürchtest dich?«, säuselte sie beruhigend und mit dem Hauch eines Lächelns auf den Lippen, »Das ist gut. Denn ich bin dein Anfang und dein Ende.« Sie blickte hinauf zur Sonne und reckte ihre Hände der gleißenden Scheibe entgegen. Ein flammender Flügelschlag von ihr ließ einen Ring aus Feuer auflodern, der sie beide einschloss. Drachen fürchteten das Feuer nicht. Aber er spürte, dass dieses anders war, lebendig und alles verschlingend.
»Wenn du die Natur des Feuers erkennen willst, musst du es berühren«, verkündete sie rätselhaft, während ihr Körper von den Flammen eingehüllt wurde, »Und wenn du dich selbst erkennen willst, musst du Eins werden mit dem Feuer.« Ihre letzten Worte verhallten im Tosen der Flammen, die über ihren makellosen Körper leckten und sie schließlich ganz verschlangen. Er war ganz gefangen von diesem Schauspiel und bemerkte zu spät, dass das Feuer auch ihn erreicht hatte. Gierig griffen die Flammen nach ihm, leckten über seine Schuppen und brannten sich in sein Fleisch. Verzweifelt versuchte er sich zu befreien. Dann gab es für ihn nur noch Hitze, Flammen und Schmerz, bis nur noch Asche blieb.