Feuer und Wasser; 1.Kapitel

1. Kapitel
Ihr Magen knurrte erbärmlich, seufzend rückte sie das straffe Lederband um die Brust zurecht. Sie lief zum Markt. Schon von weitem konnte sie das Geschrei der Händler hören und die verschiedenen Gerüche wahrnehmen, dort würde sie schon ein Opfer finden. Sie bog in die kleine Seitengasse und spähte in die Menschenmenge. Da, der Mann dort am Krämerstand, der sah wohlhabend aus, den würde sie sich vorknöpfen. Sie schob die langen Haare unter die Kapuze, prüfte noch mal ihre Kleidung und schlenderte scheinbar ziellos auf den Mann zu. Nur noch 2 Schritte war sie von ihm entfernt, sie leckte sich nervös die Lippen, ein ungutes Gefühl beschlich sie, wurde sie beobachtet? Vorsichtig lies sie den Blick schweifen, doch niemand achtete auf sie, die Menge schob und drängelte, die Händler schrieen.
Wieder wandte sie sich ihrem Opfer zu, stellte sich direkt neben ihn. Ihre Hand packte das kleine Messer fester und schob sich behutsam in das lange Gewand des Bürgers. Mit einer schnellen Bewegung schnitt sie den Beutel ab, fing ihn geschickt auf und huschte davon. Doch der Mann hatte sie bemerkt, das Beutelchen war recht schwer gewesen, er drehte sich um und begann laut zu schreien „Haltet den Dieb!“ Das Mädchen schlüpfte zwischen den Menschen durch, doch immer mehr Hände griffen nach ihr, einmal musste sie einem Passanten ihr kleines Messer in den Arm stoßen, um sich aus seinen Händen zu befreien. Sie wich den zupackenden Händen geschickt aus, wirbelte um ihre eigene Achse, wäre sie nicht auf der Flucht, hätte man es mit einem Tanz vergleichen können. Plötzlich hörte sie die gleichmäßig stampfenden Schritte der Wachen und hechtete los, rempelte die ihr entgegenkommenden rücksichtslos an, um der Gefahr zu entkommen. Sie schaute kurz hinter sich, die Menge hatte sich geteilt, Angst schoss in ihr Hoch, ihr Herz hämmerte als sie die 4 Soldaten nun im Laufschritt hinter ihr herrennen sah. Sie sammelte noch mal alle ihre letzten Kräfte, schnappte nach Luft und rannte weiter. Auch vor ihr teilte sich die Menge, was ihr einerseits keine Deckung mehr gab, andererseits freien Raum zu laufen.
Endlich erreichte sie die Ausläufer des Marktes, hier gab es noch weniger Deckung und die Soldaten waren gefährlich nahe. In ihrer kopflosen Angst rannte sie in die nächste Gasse und bog willkürlich in eine weitere ein, doch die Schritte verfolgten sie hartnäckig. Sie entdeckte einen Spalt zwischen 2 Häusern, flink huschte sie hinein, egal, ob sie jemand sah dabei, oder nicht. Dann presste sie sich eng an die Hauswand und hielt den Atem an. In Gedanken betete sie inbrünstig zu den Zwillingen und zwang sich still zu verharren. Die Soldaten näherten sich, verlangsamten ihren Schritt und schließlich hielten sie ganz an, direkt vor dem Spalt. Aber sie sahen nicht nach! In ihrem Kopf arbeitete es, sie lauschte gespannt. Die Soldaten unterhielten sich mit jemanden und gingen weiter! Eine Welle der Erleichterung überflutete ihren Körper, zittrig rutschte sie an der Hauswand in die Knie, legte erschöpft den Kopf auf die Arme und schluckte ihre Übelkeit herunter.
„Ey, Junge! Komm raus, sie sind weg!“ Der Kopf des Mädchens ruckte hoch, starrte auf die Gestalt, die wie ein Schemen am Eingang des Spaltes stand. „Ich tu dir nichts, ich habe sie weitergeschickt!“ die Gestallt kicherte leise „Jetzt komm schon raus, hab keine Angst!“ Das Mädchen blickte sich gehetzt um, es gab kein entkommen, die Häuserwände liefen schräg aufeinander zu. Resigniert schob sie sich ein Stück nach vorne, während die Gestalt zur Seite trat. Zitternd betrat sie die Strasse, nicht ohne vorher noch einmal nach den Soldaten zu spähen, doch sie waren fort. Schnell steckte sie die Beute in den Unterärmel, bevor sie sich dem Fremden zuwandte. Entsetzt riss sie ihre Augen auf, ein Priester! Der Priester hob beruhigend seine Hände hoch „Ich sagte schon, ich werde dir nichts tun, hab keine Angst!“ „Warum hast du... ihr mir geholfen?“ Er lächelte und seine Augen schimmerten sanft, „Ich habe auf dich gewartet!“ Sie sah ihn irritiert an „Gewartet?“ Er nickte zustimmend „Ja, ich wusste ich begegne heute jemanden und das bist du!“ Unsicher lächelte sie.. „Wieso ich? Ich könnt doch immer noch *Jemand* treffen!“ Er schmunzelte. „Ich fühle aber, das du es bist!“
Das Mädchen lächelte scheinbar verlegen, schielte aber insgeheim nach einer Fluchtmöglichkeit. Gerade als der Priester erneut zu sprechen begann, drehte sie sich auf dem Absatz um und rannte die Straße hinunter. Hinter sich hörte sie ihn rufen, sie möge doch stehen bleiben, doch sie ließ sich nicht aufhalten, beschleunigte ihr Tempo nur noch mehr. Irgendwann war sie sich sicher ihn abgehängt zu haben, verlangsamte ihren Schritt und ging zielstrebig auf ein altes verlassenes Haus zu. Die Fenster waren mit Brettern zugenagelt und das Dach war teilweise abgedeckt, das Tor zum Hof stand offen und gab den Blick auf einen überwucherten Platz frei. Dieses Haus war ihr Unterschlupf, sie blickte sich noch mal sichernd um und kletterte dann durch ein Fenster in den Keller. Zwei Kellerräume hatte sie sich hergerichtet, in dem einen lebte sie, dort war eine Strohmatte, ein Herd und eine alte Kommode, in dem anderen lagerte sie ihre Habseligkeiten, mehr Gerümpel als wertvolle Sachen. Erschöpft ließ sie sich auf den Strohsack fallen, streckte alle Glieder von sich und schloss die Augen. Als sie aufwachte mussten schon ein paar Stunden vergangen sein, sie stemmte sich auf, griff nach dem erbeuteten Säckchen im Ärmel und öffnete ihn erwartungsvoll: 8 Goldstücke, 5 Silberlinge und 11 Kupferstücke! Das war ein Fang! Ein breites Grinsen stahl sich auf ihre Lippen, heute würde es ein Festmahl geben. Schnell stopfte sie ein paar der Münzen in die Tasche, den Rest in ihr Geheimversteck, ein loser, ausgehöhlter Stein im Mauerwerk.
Zufrieden mit sich selbst, löste sie das Band um ihre Brust und zog die Mütze vom Kopf, so dass sie langen kastanienbraunen, aber verfilzten Haare herabfielen. Sie kämmte sie flüchtig mit den Fingern durch und stieg dann aus dem Kellerfenster in den Hof und von dort auf die Straße. Zielstrebig ging sie auf den kleinen Laden zu, der nur einige Straßen weiter von Perina geführt wurde. Perina war eine ältere Frau mit starken Ausmaßen, die von allen nur Mama genannt wurde und sich nicht im mindesten darum scherte woher ihre Kunden das Geld hatten. Das Geschäft musste einmal ein gut funktionierender Laden gewesen sein, doch heute sah es nur noch schäbig aus. Die bunte Farbe blätterte von denn Wänden und das Holz war verzogen und rissig. Auf der Strasse standen zwei Tische mit allerlei Krimskrams, das Perina als Bezahlung annahm, wenn der Kunde kein Geld vorzuweisen hatte. Neben Schuhen, Töpfen und verrostetem Werkzeug lagen auch einige Schmuckstücke, wie zum Beispiel eine alte Meerschaumpfeife.
Perina lehnte gerade in der Tür als das Mädchen zu ihr kam, „Hallo Feya, na, was bringst du mir diesmal mit?“ „Oh, Mama! Heute hab ich ein gutes Geschäft gemacht!“, sie grinste spitzbübisch, „Ich werde einen Grosseinkauf tätigen! Mein Hunger ist gewaltig!“ Perina schmunzelte nur und ihre verfaulten Zähne stachen zwischen den Lippen hervor, „Na dann komm rein, meine Kleine.“ Feya folgte der Händlerin ins Innere des Ladens und packte Obst, Gemüse, Fleisch und jede Menge Süßigkeiten in einen Korb, dann wandte sie sich Perina zu, die sie schon skeptisch beobachtete. Ihre Gesichtszüge verfinsterten sich. „Wie willst du das alles bezahlen?“ Feya trat ganz nahe zu ihr, holte 2 Goldstücke hervor und grinste Perina an, „Damit Mama! Und die Pfeife nehme ich auch mit.“ Die Frau fing die Münzen geschickt auf, als Feya sie ihr zuschnippte, biss kurz auf beide und nickte. „Gut Mädel. Du kannst alles mitnehmen und die Pfeife auch.“ , die Münzen verschwanden in Perinas Rockfalten und gerade als sie sich umwenden wollte hielt sie inne und überlegte. Feya hatte inzwischen die Meerschaumpfeife zwischen einem Satz Besteck herausgeklaubt.
„Feya, warst du heute auf dem Markt?“ Mit der Pfeife im Mund antwortete das Mädchen glücklich mit einem Nicken. Perina blickte besorgt, „Tauch unter Mädel, die halbe Stadt sucht nach dir! Du hast den zweitreichsten Stadtvater bestohlen.“ Feya zuckte nur mit den Schultern , „Und? Sie suchen nach einem Jungen, nicht nach einem Mädchen!“, sie lachte leise. „Nein Feya, du irrst!“, Perinas Stimme wurde eindringlich, „Sie haben anscheinend einen Priester auf dich angesetzt, er schnüffelte den ganze Vormittag hier herum.“, sie hob beschwörend die Hände, „Glaub mir, Priester haben ungewöhnliche Kräfte, können Gedanken lesen und so! Tauch unter, ist besser so!“ Feya nahm Perinas Worte nicht all zu ernst, nickte aber brav, packte ihre Sachen zusammen und verabschiedete sich.
Auf dem Heimweg ließ sie sich Zeit, genoss den lauwarmen Abend und grüßt hier und da alte Bekannte. Endlich war sie beim alten Haus angelangt, schlüpfte leise und um sich blickend in die Kellerwohnung und stellte Gedankenversunken den Korb ab. Sie legte am Kamin die Nahrungsmittel ab, legte einige Scheite Holz nach und blies in die Glut. Ihr Magen knurrte vernehmlich und sie rieb sich die Hände in Gedanken an das Festessen. Plötzlich stockte sie, hatte sie den Strohsack nicht aufgeschüttelt? Verstohlen blickte sie sich um und entdeckte noch einige andere Dinge die nicht an ihrem angestammten Platz standen. Aus der Gerümpelkammer drangen leise Geräusche zu ihr, vorsichtig nahm sie einen Holzscheit auf und schlich zur Tür. Unendlich langsam spähte sie am Rahmen vorbei in den Raum, dort untersuchte jemand ihre Sachen, drehte sie begutachtend in den Händen und murmelte etwas vor sich hin. Sie überlegte nicht lange, wer auch immer das war, er hatte sie noch nicht bemerkt. Vorsichtig schob sie sich näher an den Schatten heran, hob den Holzscheit und ließ ihn, mit aller in ihr wohnenden kraft, auf den Schädel des unerwünschten Gastes krachen. Mit einem leisen, fast schon zärtlichen Seufzen brach die Gestalt zusammen.
Feya schlug das Herz bis zum Hals, fieberhaft dachte sie nach. Sie warf den Scheit in eine Ecke, schnappte den „Gast“ an der Robe und zerrte ihn, auf den Boden schleifend in ihr Wohnzimmer. Nun erst wendete sie den Körper und betrachtete ihn genauer, sie erstarrte, es war der Priester von heute Morgen! Feya lief es eiskalt den Rücken runter, ihr Mund wurde trocken. Bei Nyris, was habe ich nur getan? Wenn er nun Tod ist? Ging es ihr durch den Kopf. Sie legte ein Ohr auf seine Brust und stellt nach bangem warten erleichtert fest, das er noch atmete, dann untersuchte sie seinen Kopf, doch außer einer dicken Beule war nichts zu erkennen. Sie holte einen nassen Lappen und schlang ihn dem Priester um den Kopf, danach fesselte sie ihn an Händen und Füssen. Zuletzt knebelte sie den Priester noch mit einem alten Taschentuch und setzte sich endlich hin. Sie war sich sicher, dass er nun nicht mehr entfliehen konnte, doch was wenn er aufwachte? Was sollte sie mit ihm machen? Verzweifelt schlang sie die Arme um die Knie und wartete.

(Übernommen aus der 'Alten Leselupe'.
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