Fingerübung KW2

ex-mact

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Informationen zum Hintergrund der Fingerübungen gibt es hier: http://www.leselupe.de/lw/showthread.php?threadid=14805

Willkommen zur Fingerübung in KW 2 - wer an dieser Übung teilnehmen möchte, stellt bitte in diesen Thread einen Text ein, in dem die unten aufgeführten Begriffe (direkt oder nachvollziehbar verwandt) vorkommen (und möglichst in einem sinnvollen Zusammenhang stehen). Der Text darf nicht länger als zwei Standard-Seiten (maximal 3600 Zeichen) sein, und sollte möglichst eine Seite (1800 Zeichen) überschreiten.
Der Text soll den Leser dazu verführen, mehr von der Geschichte zu erfahren - oder vom Autor zu lesen.

Nach der Einführung soll ein kurzes, präzises Konzept für den weiteren Story-Verlauf erstellt werden, dieses kann sowohl in Stichworten wie auch ausformuliert geschrieben sein. Dabei soll der grobe Handlungsverlauf, eventuelle einzelne Höhepunkte und die wichtigsten Protagonisten dargestellt werden.

Die Begriffe für die Fingerübung (alle Begriffe bzw. die "Platzhalter" in den Klammern oder erkennbar verwandte Alternativen sollen im endgültigen Text Verwendung finden, dabei sollen sie nicht einfach nur erwähnt werden sondern wesentlicher Bestandteil des Plots sein):

- Besuch (Besucher, Gast/Gäste)
- Veränderungen beim Gastgeber (im Ort/Dorf/Stadt)
- Entfremdung
- Zweifel
 
R

Rote Socke

Gast
Die Heimkehr
von Volkmar S. Paal

Mit fürchterlich scheppernden Geräuschen hielt das Taxi auf der einsamen Straße an. Die junge Frau in blauen Jeans und weißer Bluse verließ das Fahrzeug. Der Chauffeur holte vom Dachträger einen schweren Koffer und mit einem skeptischen Blick, reichte er ihn der zierlichen Gestalt. Susanna Toné Rochard schaute dem klappernden und stinkenden Blechhaufen hinterher, wie es der untergehenden Sonne entgegenfuhr. Es schien ihr, als wollte der Chauffeur des Buschtaxis der Sonne unbedingt noch Gute Nacht sagen, bevor die Dunkelheit über das Land hereinbrach. Susanna verließ die Wellblechpiste und machte sich auf den Weg zu ihrem Heimatdorf. Eine halbe Stunde würde sie laufen müssen, aber sie rechnete lieber etwas mehr Zeit ein, denn der Koffer wog schwer in ihrer Hand. Schritt für Schritt marschierte sie über den sandigen Pfad. Plötzlich entsann sie sich wieder ihrer Kindheit, zog die Schuhe aus und befestigte diese mit Hilfe der Schnürsenkel an ihrem Gürtel. Dann schwang sie den Koffer hoch, legte ihn sanft auf ihrem Kopf ab und wiegelte mit kräftigem Hüftschwung weiter über den Pfad.
„Du bist Toné, nicht wahr?“
Susanna wandte sich erschrocken herum und sah einen kleinen Jungen, den sie auf zehn Jahre schätzte. In einer Hand hielt er eine Schnur und an deren Ende trabte ein Esel.
„Ja. Ich heiße Susanna Toré Rochard. Und wer bist du?“
„Ich bin Amadou, der Ziegenhirte.“
„Ah ja, der Ziegenhirte. Und woher kennt der Herr Ziegenhirte meinen Namen?“
„Weil ich aus Tarode stamme, dem gleichen Dorf wie du. Seit Wochen wartet deine Familie auf deine Ankunft. Das ganze Dorf spricht davon.“
„So so. Und warum bist du nicht bei den Ziegen?“
„Na, weil dieser blöde Esel abgehauen war, deswegen. Jetzt habe ich ihn ja wieder. Wenn du willst, binden wir dein Gepäck auf seinen Rücken.“
Susanna nahm das Angebot dankend an.
„Was sprechen sie denn im Dorf über mich?“, fragte Susanna.
„Du würdest im Land der Weißen leben und seiest eine reiche Frau.“
Susanna musste schmunzeln. Genau das hatte sie vermutet. Nur weil sie in Europa lebte, sollte sie reich sein. ‚Bin ich reich?’, fragte sie sich. Vor fünf Jahren war sie als Neunzehnjährige in die Hauptstadt gegangen und träumte von einer guten Ausbildung. Im Dorf wollte sie nicht mehr bleiben. Aber so einfach ging das nicht in der Stadt. Sie war nicht die Einzige, die von einem besseren Leben träumte. So jobbte sie als Kellnerin in Restaurants, Kneipen und später in einer Diskothek. Dort lernte sie André kennen, einen französischen Seemann. Sie verliebten sich und André holte sie auf seiner nächsten Reise mit nach Frankreich, wo sie nach kurzer Zeit heirateten. Sie war auf Anhieb begeistert von der Neuen Welt, aber schon bald nicht mehr von André. Nach wenigen Monaten trennten sie sich wieder. Sie bekam etwas Unterhalt von André und begann wieder zu jobben. Dann lernte sie Francois kennen, einen Automechaniker. Mit ihm war sie heute noch zusammen. Sie lebten ein einfaches Leben in einer Kleinstadt nahe Marseille. Reich waren sie wirklich nicht, aber glücklich. Na ja, fast glücklich, korrigierte sich Susanna. Ihr Lebenstraum war eigentlich ein anderer. Sie hatte mehr Luxus erwartet. Das Leben in Europa war sehr teuer, musste sie feststellen und das Geld für Luxus war knapp. Aber anderseits, wenn sie an ihr Dorf dachte und sich Tarode, den Ziegenhirten besah, dann war sie wohl doch reich. Tarode würde sich nie einen Flug nach Europa leisten können, niemals in einer Fußgängerzone flanieren oder ein Eis aus einer Kühltruhe greifen. Vielleicht war genau das der Grund, warum sie auf Besuch kam. Vielleicht wollte sie bestätigt sehen, wie gut es ihr doch ging in Frankreich, wie gut ihre Entscheidung damals war fortzugehen. Hier in ihrer Heimat war sie Toné, eine Niemand. In Frankreich war sie Susanna, die Frau eines Mechanikers, mit einem festen Dach über dem Kopf und etwas Geld zum Leben und sogar für ein wenig Luxus. Und ein Kind hatte sie auch. Der Kleine hieß Yves und besuchte schon den Kindergarten. Eine schöne Kindheit hätte er auch in Afrika haben können, aber nicht sehr lange, weil dann würde er mithelfen müssen, so wie Tarode.
„Du bist nicht gut gekleidet für die Hitze und den Sand“, Tarode schaute erst auf die Bluse, dann auf die enge Jeanshose und schließlich auf die schwarzen Lederschuhe mit Absätzen, die an Susannas Ledergürtel baumelten.
„So, findest du?“, gab sie ohne weiteren Kommentar zurück. Sie wusste sehr gut wie man sich im Busch am besten kleidete. Sie wusste auch, dass diese Kleidung nicht gern gesehen war in ihrem Dorf. Aber damit wollte sie jedem zeigen, wo sie hingehörte. Sie war auf Besuch gekommen und nicht, um zu bleiben.



(Susanna zweifelt insgeheim an ihrem Leben in Europa. Sie weiß nicht so recht wo sie hingehört. Darum kehrt sie zurück in ihre Heimat. In dem kleinen afrikanischen Dorf will sie ihre Antworten finden. Zunächst stößt die nur auf Befremden. Sie wird herzlich willkommen geheißen, aber es gibt keine Vertrautheit mehr. Nur zögerlich öffnen sich ihr die Familienmitglieder und die Dorfbewohner. Und Susanna findet nicht richtig zurück in die afrikanische Lebensweise).
 



 
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