Florett

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Klaus K.

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Florett

So, ab sofort nur noch leichte Waffen! Wer mich kennt, der weiß, dass ich davon - also vom Fechten - auch keine Ahnung habe, beinahe hätte ich den eleganten Piekser aus dem Karton im Keller übersehen. Also, von den Schwertern der Vergangenheit löse ich mich jetzt, präzise Treffer, aber ohne Finten, das wird nun alternativ mal versucht! Ohne Maske, sozusagen mit offenem Visier. Wenn's daneben geht, verstecke ich mich wie beim Gewitter wie immer als erster hinter dem Ofen, dies noch vorab.

Ach, es ist so aufregend, so herzerfrischend! Ich fühle mich bestens informiert, gut aufgehoben, allzeit gut beraten und gerüstet. Denn diese vielen intelligenten Leute um mich herum wollen ja alle nur das Eine: Mein und unser Bestes!
Deshalb habe ich vor einiger Zeit mein seit langen Jahren bestehendes Abonnement gekündigt, obwohl mir die frei erfundenen Geschichten in diesem Wochenblatt mit seinen getürkten Räuberpistolen gut gefallen hatten. Dazu dann laufend die Dame vom gleichen Magazin in den einschlägigen Fernsehsendungen. Zur nachträglichen Schadensbegrenzung. Eine mal völlig andere Augenweide für alle Connaisseure der weiblichen Vielfalt, dazu ihre kompensierenden tollen Kommentierungen! Junge, Junge, ach was ist sie schlau! Spieglein, Spieglein an der Wand, sag' mir...

Jetzt wissen wir also endlich, wo und wie unsere Nachbarländer - exemplarisch sei hier nur mal Tschechien oder Frankreich genannt - ihren Atommüll entsorgen! Wie, man weiß das nicht? Wie, man fragt dreist, warum wir mit denen denn dann keinen "Deal" machen, denn die haben mit der Endlagerung doch offensichtlich kein Problem, oder? Im Gegensatz zu uns.
Es scheint, als ob da irgendetwas vor dem Spiegel vorbeigehuscht ist, wurde da denn nicht doch nachgefragt? Hat man das nicht klar behandelt? Diese journalistischen Glanzleistungen wurden verpasst? Man sollte einfach besser zuhören, man ist mal wieder offensichtlich selber schuld!
Und wenn dann ab und zu auch die Aufarbeitung einer linksradikalen Vergangenheit thematisiert wird, dann wird es spannend.
Jedes Mal wird sinniert was vielleicht in den Ermittlungsakten noch drinsteht, beispielsweise zur Ermordung des Generalbundesanwaltes damals durch die RAF. Schon vergessen?
Akten, aber für 130 Jahre unter Verschluss. Ja, so muss das halt sein!
Vorher noch Lebende könnten ja sonst verunsichert werden. Ein Markenzeichen einer echten Demokratie, abgesegnet von höchster Instanz. Wirklich, das muss so sein!
Der Wiederholungsfall verhält sich ja schließlich nicht anders, gemeint sind die Attentate, diese Morde unter dem Decknamen "NSU". Dort sind wohl entscheidende Akten der Ermittlungsbehörden auch weggesperrt worden, für ähnlich lange Zeit. Ja, denn so ist an dieser Stelle damit auch Ruhe im Karton, im wahrsten Sinne des Wortes. Mein Florett war ja auch lange im Dunkeln, also, was soll's? So und nicht anders funktioniert ein Staat. Nur keine Aufregung.
Die richtigen Leute sitzen immer am richtigen Hebel. Und unsere jeweiligen Koryphäen haben dann ein wachsames Auge darauf, dass nichts Unvorhergesehenes passieren kann.
Der Bürger fühlt sich wohl, das ist halt wichtig. Da arbeiten alle Hand in Hand.
Politik und Medien, aus einem Guss. Beruhigend.

Ach so, und aktuell die vollständigen Informationen zu den so bösen Cum-Ex-Geschäften. Wie, man hat die präzisen Aussagen des beteiligten Bankvorstandes aus Hamburg nicht erfahren, von dem Herrn, der sich mehrfach mit unserem jetzigen Bundeskanzler getroffen und sich stundenlang mit ihm unterhalten hat?
Da wurde danach ja nur diese eigenartige Beweislast, diese Indizienkette, per Gerichtsbeschluss in die finale Verbannung geschickt. Das drohende Menetekel, alles mögliche Unheil wurde damit abgewendet. Indizien, gezählt, gewogen und für zu leicht befunden. Drei Richterinnen waren daran beteiligt, oder irre ich? War also alles halb so wild, die müssen es ja wissen. Und dem Aufstieg dieser drei Damen in den Olymp der Juristerei mit den schicken roten Mäntelchen steht damit bestimmt jetzt nichts mehr im Wege. Ganz im Südwesten, ein Katzensprung entfernt von der französischen Grenze. Dahinter lässt es sich ja dann auch ganz vorzüglich und ungestört abends dinieren, vornehmlich im streng limitierten, aber letztlich illustren Kreis. Vertrauliche, wichtige Gespräche. Davon haben wir doch wenigstens schon gehört, oder nicht?

Aber wir wurden und werden ja selbstverständlich immer vollständig informiert, die mediale Leistung ist doch beeindruckend! Man fühlt sich wohl in einer funktionierenden Demokratie. Ich jedenfalls. Meine Frau auch. "Dieser Scholz, der wirkt jetzt danach auf einmal ganz anders! Irgendwie befreit!"

Mein Florett kommt jetzt wieder in den Karton. Dann zurück in die Versenkung, hier in den Keller. Unter Verschluss. Wahrscheinlich zumindest mal für 100 Jahre. Sicher ist sicher, niemand wird verletzt. Moment! Was ist das denn da für ein Buch dahinten im Regal, ganz verstaubt? Johannes Mario Simmel: "Lieb Vaterland, magst ruhig sein ..." - Passt, also mein Karton noch neben das Buch. Passt genau.
 
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