Fluchten Teil 8

Haarkranz

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Fluchten Teil 8

Eine Stunde bevor der Wecker klingelte, stand Felix am Fenster und blickte skeptisch hinaus auf die spiegelglatte See. Wird der Skipper gefordert sein, ohne endloses Kreuzen geht das bei der Flaute nicht ab. Möglich ist, sie verschiebt den Törn bis günstigerer Wind weht, sinnierte er.
Scheiße! Das Mädchen machte ihn unruhig, er erinnerte nicht, wann ihm eine so unter die Haut gefahren war. Das Lächeln der grauen Augen, ihre Lebendigkeit, die sinnliche Ausstrahlung. Sicher waren auch Pierre und Sascha von ihr verhext.
Er ließ sich von der Köchin eine große Kanne Kaffee au lait und ein Baguette mit frischer Butter bringen. Sie fragte, ob er eines der Bistros am Marktplatz besucht habe, nicht nur das Meer und der Strand seien sehenswert. Felix kaute und nickte. Ja er habe sich umgetan, erzählte er und sah den Haken den er schlucken sollte, vor seinen Lippen tanzen.
Beim Bon Voyage machten Charlie und Pierre ein Boot klar. Er ging hinunter zum Pier und sah zu wie sie die Leinen straff zurrten, das Großsegel aus der Persenning schälten und sich am Motor zu schaffen machten. „Dein Gast steht da oben,“ hörte er Pierre sagen. Charlie sah hinauf und rief: „An Bord kommen, alles klar zum Ablegen!“ Felix stakste die paar Meter hinunter, sprang ins Boot und hätte sie um ein Haar auf den Mund geküsst, als er die proforma Küsse links und rechts andeutete. Pierre reichte ihm seine Pratze, lachte ihm ins Gesicht, ermunterte: „Nu man tau!“ und sprang an Land.
Charlie warf den Diesel an, setzte sich an die Ruderpinne und nahm Kurs auf New York. Felix legte sich auf eine der Luftmatrazen die mittschiffs nebeneinanderlagen und träumte sich hinauf in das Himmelsblau. Kielwasserrauschen und Dieseltuckern zusammen mit leichtem Rollen, machten ihn schläfrig. Er wehrte sich nicht und glitt hinüber in einen Schlaf, der das Mövengekreisch nicht ausblendete. Als Charlie den Diesel abstellte wurde er wach, setzte sich auf und fragte ob er lange geschlafen habe. Sie schüttelte den Kopf, ohne sich beim Setzen des Großsegels stören zu lassen.
Felix schätzte sie waren ungefähr eine Meile vom Land entfernt, ein ordentlicher Wind blähte das Segel. Charlie kam zurück an die Pinne, er setzte sich ihr gegenüber auf die Bank. Toll sah sie aus, sein Herz tat einen Sprung. Das Mädchen hat viele Gesichter registrierte er und vertiefte sich in ihre Erscheinung. Charlie fühlte wie sehr sie ihn beschäftigte, gab aber den coolen Skipper den im Moment nur See, Wind und Kurs kümmerte.
Gestern Abend war sie ihm sehr nahegekommen, kribbelig nah, seit langem ein richtiger Mann. Auf dem Strandweg zu Pierre, als sie schweigend durch die herrlich laue Nacht schlenderten, hatte sie erwartet er würde sie küssen. Fast war sie versucht gewesen, die Initiative zu ergreifen. Jetzt war sie froh besonnen geblieben zu sein. Die Erwartung erobert zu werden, war so viel prickelnder als zu erobern. Es war sicher nicht Schüchternheit, die ihn so beherrscht sein ließ, beherrscht, sie hatte es getroffen. Felix schien ein bis in die letzte Faser beherrschter Mann zu sein, der, auch das glaubte sie aus seinem Verhalten schließen zu können, in ihr kein Abenteuer sah.
Der Wind der weiter aufbrieste, schob das Boot mit einer Kraft die den Mast vibrieren und die Leinen singen ließ, nach Süden.
Felix blendete die Sonne mit beiden Händen aus, versuchte die im Dunst verschwimmende Küste auszumachen. Es fiel ihm schwer, Charlie in eine lockere Unterhaltung zu ziehen. Was ist los mit mir, horchte er in sich hinein. Verliebt? Seit mehr als einem Jahrzehnt, hatte er nicht mehr so gefühlt. Verdammt, das war gar nicht lustig. Er lachte sie an, und sie lachte zurück. Vielleicht geht es ihr wie mir. Die Liebe, auch wenn vorerst zarter Keimling, verändert. Routine ist plötzlich wertlos, ja schädlich. Die Charlie von heute, war nicht die Frau von gestern. Gestern war er auf ein prickelndes Abenteuer mit der flotten Biene eingestellt, obwohl diese Vorstellung näherer Betrachtung nicht standhielt. Auf dem Strandweg hätte er es versuchen können, hatte er aber nicht, warum? Ja warum, weil er schon infiziert war, seit der ersten Stunde hatte er sich in das tolle Weib vergafft.
„Wohin führt uns der Kurs, Skipper?“ Er beugte sich vor, und musste gegen den Wind schreien, damit sie ihn verstand. Sie hob die Schultern, machte ein fragendes Gesicht und klopfte einladend auf den Platz neben sich.
Als er neben ihr saß, seine Frage nah ihrem Ohr wiederholte, war es schwer der Verlockung zu widerstehen, seinen Arm um sie zu legen. Sie nickte, zeigte nach vorn ins uferlose Blau und fragte, „Re‘?“
Ja sicher Re‘, warum nicht. Er hatte die Insel auf der Karte gesehen, würde nicht allzulang dauern bis sie da waren. An Land konnte er sich endlich nützlich machen. Vorn im Boot stand ein Picknickkorb, nach der gestrigen Erfahrung war einiges zu erwarten.
„Wie lange fahren wir bis Re‘, Charlie?“
Sie hob einen Daumen, „eine gute Stunde schätz ich, bei dem Wind.“
Eine gute Stunde, da war Not am Mann, die Zeit konnte er nicht stockfischig neben ihr absitzen. Zum Glück war sie nicht gesprächig, ihre Aufmerksamkeit galt der Strömung, immer wieder korrigierte sie die Richtung. Dann nahm sie seinen Arm und erklärte: „Entschuldige mich, Felix, bis wir an Land sind. Die starke Strömung macht mir das Leben schwer, ich muss mich konzentrieren.“
Na, Gott sei Dank, er überließ ihr die Ruderbank, kletterte nach vorn und machte es sich auf den Luftmatrazen bequem.
Die wohlige Wärme der Sonne, zusammen mit der endlose Weite von Meer und Raum, versetzten ihn in eine angenehme, wenn auch zwiespältige Stimmung. Dachte er an Hatta, Achmed und seine selbstgewählte Mission, für die er hier am Rand des Ozeans schipperte, fühlte er sich wie zwei Menschen. Einer ganz vertraut nah und der andere, der er bis gestern gewesen, agierte irgendwo in Absurdistan. Das Mädchen Charlie füllte seinen Horizont, drängte ihn mitsamt seiner Biografie in den Hintergrund. Etwas geschah, etwas das in Afrika nie hätte geschehen können. Frankreich, in Gestalt von Charlie bemächtigte sich seiner.
Die Freundschaft mit Achmed, hatte er voll Überzeugung mit dem Bekenntnis zu seiner Schwärze, der weißen Haut zum Trotz, untermauert. Er sah den fülligen, schwarzen Mann, der ihm so sehr vertraute, vor sich. War das, was er für sein Leben gehalten, Tünche? Dreißig Jahre Afrika fortgewischt, nach einem Blick in graue Augen? War da nicht gegenzuhalten, der Welle zu trotzen die ihn zu überwältigen drohte?
Der gestrige Abend, die gelassene Kultiviertheit, das Ambiente des alten Hauses, alles so grundverschieden von afrikanischem Lebensgefühl.
Nicht besser, aber anders, ihm näher. Die drei Jahre bei der Securite hatten ihm keine Chance gelassen, Frankreich zu erkennen. Sein Leben in der Kaserne war anders bestimmt gewesen. Jetzt marschierte er auf die Fünfzig zu, war er überhaupt noch in der Lage seinen Kurs zu ändern, und wenn, gab es Grund für einen Versuch?
Er hatte mit der ihn so verzaubernden Dame einen umwerfenden Abend verbracht, fraglich war, ob sie das auch so sah. Vielleicht war das eine Variante ihrer Kunden Aquisition, immerhin hatte er das Boot inclusive Skipper für eine Woche gechartert. Vorsicht Felix, hier tickt das Polizistenhirn, warnte er sich.
„Land in Sicht! Aufwachen, alle Mann an Deck!“ Er kniff die Augen gegen die blendende Helligkeit zusammen, seinen Grübeleien schien er durch ein Nickerchen entkommen zu sein. Das war Charlie die ihn weckte. Er richtete sich auf: „Skipper, bitte um Entschuldigung, obwohl es bei Schlaf auf Wache keine Pardon gibt, nehme ich an?“
„In deinem Fall, liebe Mannschaft werde ich Gnade vor Recht ergehen lassen, wenn du ins Wasser springst und das Boot festmachst.“
Er nahm die Leine, stellte sich auf den Bug und peilte den im flacher werdenden Wasser rasch näher kommenden Grund an. Als es nur noch zwei, drei Meter bis zum Ufer waren, sprang er mit gewaltigem Satz hinüber und schaffte es fast trocken anzukommen.
Charlie klatschte Beifall, „eine gute Mannschaft habe ich mit dir geheuert,“ rief sie, während er sich bemühte, den Bug so hoch wie möglich auf den Strand zu ziehen. Das Boot war verdammt schwer, er stemmte die Füße in den Sand, legte sein ganzes Gewicht in die Leine und schaffte zuletzt nicht mehr als ein Paar Zentimeter. Charlies Kopf über der Bordwand erlöste ihn: „Genug Felix, genug!“ rief sie und reichte ihm den Picknickkorb und zwei Klappstühle mit Tisch hinunter.
Ist das Wasser warm, hörte er sie fragen und bevor er antworten konnte, sprang sie, mit nichts als einem winzigen Bikini am Körper fast in seine Arme.
„Geschafft! freute sie sich, war eine enorme Strömung über Grund die ich meistern musste. Sollten wir schwimmen gehen, springen wir einen Kilometer weiter südlich ins Wasser, da gibt es eine Bucht ohne Sog.“
Während sie sprach, hatte Felix sich schnell ausgezogen. Charlie kicherte, als sie seine weiße Haut sah. „Wie kann jemand aus Afrika hell wie ein Schwede sein,“ wunderte sie sich. Felix maß das entzückende Figürchen vor sich, mit einem langen Blick und antwortete: „Wärst du einmal in Afrika gewesen, würdest du nicht fragen. Die Sonne dort ist die Hölle, steht, nur in den Wochen der Regenzeit stundenweise von Wolken verdeckt, Tag ein Tag aus, wie eine lodernde Fackel am Himmel. Für schwach pigmentierte weiße Haut, braucht es eine halbe Stunde für einen deftigen Sonnenbrand. Davon abgesehen, haben die Schwarzen kein Verständnis für die weiße Sonnenanbeterei. Mit deiner nahtlose Bräune werden die geboren, wenn auch um einige Stufen dunkler.“
Charlie machte sich über den Fresskorb her, während Felix versuchte Stühle und Tisch halbwegs sicher hin zustellen.
Hab ich mich zu weit vorgewagt, grübelte sie, als ich seine Blässe belächelte? Er reagierte wie ein Afrikaner, dabei ist er doch ein Weißer. Sicher haben Mentalität und das Ressentiment der Schwarzen, gegenüber ihren früheren Kolonialherren, ihn in eine ständige Verteidigungspose gedrängt. Es wird ihm nicht bewusst sein, muss mir keine Gedanken machen.
Viel wichtiger, ich mache mir Gedanken wie ich eine Situation herbeiführe, die mir gestattet in seine Arme zu sinken. Schön, dass er meine nahtlose Bräune erwähnte, sollte sonst nichts verfangen, ziehe ich nach dem Essen wie selbstverständlich meinen Bikini aus. Bin gespannt ob er sich auch auspellt.
Nachdem Stühle und Tisch auf eine Plattform, die Charlie vergessen hatte hinunterzureichen, fixiert waren, deckten sie den Tisch.
Der Korb mit drei Flaschen Chablis, den obligatorischen Austern, war in kleingestossenes Eis verpackt. Eingeschlagen in ein großes, blau-rot kariertes Tuch, Baguettes und frische Butter. Dazu zwei Teller, zwei Gläser und zwei an einer Seite geschärfte Austerngabeln, das war’s.
Sie setzten sich, Felix leckte sich die Lippen und fragte: „Von Sascha geliefert?“
„Na klar, neckte Charlie, brauchst nichts fürchten, ist alles in der Charter enthalten!“
„Herrlich!“ stöhnte Felix: „Mach los, ich kann’s kaum erwarten.“
Hört sich gut an, dein stöhnen mein Lieber, Austern machen sinnlich, dachte Charlie, und gab sich dem sehnenden Ziehen in ihrem Sonnengeflecht hin.
Ein geheimer Lauscher hätte in der ersten halben Stunde neben dem leisen Klirren von Metall auf Porzellan, nur schlürfen und Gläserklingen vernommen. Dann eine gepresste Männerstimme, die sagte:„So geht das einfach nicht weiter!“und einen Augenblick später den unterdrückten Ausruf einer Frau: „Aber Felix!“, danach Stille, später Gemurmel und die praktische Anweisung, nein nicht hier, wir gehen ins Boot. Sollte weiter gelauscht worden sein, wären zuerst weibliche Seufzer und tiefe männliche Rachenlaute, begleitet von ja, ja, ja, und ah, oh, sowie weiteres, unartikuliertes Liebesgetuschel zu vernehmen gewesen, das nach einer guten Weile, in einem vereinigten Lustschrei verebbte.
Charlie und Felix lagen eng ineinander verknotet, soweit es möglich war zwei Körper zu einem zu machen, auf einer weichen Unterlage auf dem Bootsboden. Sie sahen sich in die Augen, stammelten Unsinniges und ließen ihren Lungen wenig Chance, zwischen nicht endenden Küssen Luft zu holen.




Fluchten Teil 9
 



 
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