Fluchten Teil 9
Lefa hatte schreckensstarr schon seit geraumer Zeit in die Nacht hinaus gehorcht, hoffend die Schießerei die irgendwo an der Perepherie stattzufinden schien, würde bald enden.
Was sie jedoch in den Feuerpausen vernahm, beruhigte sie keineswegs. In Achmeds Familienhaus, dem Maison Achmed, wohnten auch zwei seiner Frauen mit ihren Kindern. Lefas Verhältnis zu diesen Familien war gespannt, nicht weil ihr die Jugend geneidet, sondern weil sie sich nicht an den mannigfachen Intrigen zum Schaden Achmeds beteiligte, die fortwährend gesponnen wurden. Treibende Kräfte dieser Machenschaften waren die Frauen Alis und Selims, die nicht im Hause wohnten, aber ihren Schwiegervater seiner Geradlinigkeit wegen, hassten.
Die Wohnungen seiner Frauen und Kinder lagen jenseits des Gartens am Fluß. Die Bewohner der Maison sahen sich selten, eigentlich nur, wenn jemand durch das große Tor des Hauses das Gebäude verließ.
In dieser Nacht jedoch, hörte Leila ein vielfüssiges Trappeln durch den Flur zum Ausgang, an den ihr Schlafzimmer grenzte. Immer wieder lauschte sie zwischen den Salven der Gewehre, oft war da ein Wispern zusammen mit dem Geräusch von unablässigem hin und her.
Sie beschloß Achmed zu wecken, obwohl ihr sein Schlaf wie sonst nichts am Herzen lag. Ihre Mutter hatte sie gelehrt, acht Stunden muss ein in die Jahre gekommener Mann schlafen, wenn sein Liebesborn nicht versiegen soll.
Auf ihr zartes Streicheln und behutsames Drücken, reagierte er wie stets und versuchte sie in seine Arme zu ziehen. Doch diesmal sträubte sie sich und ihr Gebieter ward vor Staunen, von einem auf den anderen Moment hell wach.
„Was weckst du mich und stösst mich von dir, meine Kleine?“ flüsterte er zärtlich.
„Ich fürchte mich, Achmed,“ antwortete sie, machte ihn auf das nun wieder anschwellende Gewehrfeuer aufmerksam, und erzählte von den merkwürdigen Geräuschen im Hausflur.
Achmed sprang aus dem Bett, fuhr in sein Haushemd und befahl Leila ruhig liegen zu bleiben, bis er zurückkomme. Als er in den Hausflur trat, fand er das Tor zur Strasse weit offen! Weit offen und das mitten in der Nacht, er fasste sich an den Kopf und rannte hinunter zu den Quartieren seiner Familien. Auch hier offene Türen, er rief die Namen seiner Frauen, der großen Töchter, niemand antwortete. Er ging duch die Räume, die Schränke gähnten leergeräumt, Tische ohne Decken, die Küche ohne Geschirr, Töpfe und Tiegel.
Erst jetzt hörte er das bedrohliche Geknatter von Maschinengewehren. Ich muss mich sammeln, schoss es ihm durch den Kopf. Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Geschieße, dem Exodus der Familie, und wenn welchen und weshalb wurde ich nicht unterrichtet? Wenn das Geballere Revolte bedeutet, wurde dann Lefa und ich bewusst nicht gewarnt? Langsam in Gedanken versunken ging er zurück, schloss das Tor und legte den schweren Balken vor, der normalerweise in der Ecke stand und selten benutzt wurde. Natürlich boten das Tor, wie auch die zur Strasse hin vergitterten Fenster, wenig Schutz vor marodierenden Banden.
Lefa erwartete ihn fertig angezogen. Auf dem Bett lagen ein schwarzer weiter Umhang mit Gesichtsschleier. Achmed grinste als er seine Frau genau ansah, sie hatte sich in einen schlanken Jungen mit Jeans und einem engen T.-Shirt verwandelt. „Ich habe alles platt gewickelt und bin dein Sohn, liebe Mutter, lächelte sie, denn das wirst du sein, wenn du den Umhang anlegst und den Schleier vor deinen Bart hängst.“
„Nicht schlecht,“ nickte er anerkennend, „bin gleich fertig.“
Er ging in sein Büro, drückte mit seinem ganzen Gewicht gegen die Wand hinter seinem Schreibtisch, bis die zurückwich und einen mannshohen Raum freigab. Schnell brachte er wichtige Akten und Geschäftspapiere in Sicherheit, steckte zwei Bündel Dollarnoten in seine Schuhe, riss ein kleines Fenster an der Wand gegenüber auf, um es in einem Zuge wieder zu zuschlagen. Die Wand rückte mit leisem schürfen an ihren ursprünglichen Platz, passte sich nahtlos ein. Nirgendwo auch nur das kleinste Anzeichen von beweglicher Wand. Kein Mensch außer Felix kannte das Geheimnis.
Das Gewehrgeknatter näherte sich, schnell war er bei Lefa und verkleidete sich wie sie es vorbereitet hatte. Das Haustor und die Türen zu seinen Gemächern ließ er weit offen, so kam er vielleicht mit einer Plünderung ohne Brandstiftung davon.
„Wohin?“ wollte Lefa wissen. „Ja wohin?“ Achmeds Lachen, kam als ein Bellen bei Lefa an. Er hatte keine Ahnung wohin, erst einmal raus aus dem Haus und fort aus der Umgebung. Der anschwellende Gefechtslärm schien mehr zu sein, als eines der üblichen Scharmützel besoffener Soldateska. Steckten Selim und Ali hinter der Evakuierung seiner Familien, hatten sie ihn und Lefa, mit Absicht nicht gewarnt? Er fragte sich das, obwohl es nichts zu fragen gab.
Im Augenblick war er nicht stark genug der Tatsache ins Auge zu sehen. Jetzt war erst einmal wichtig einen Unterschlupf zu finden, in dem sie nicht vermutet wurden. Freunde kamen nicht in Frage, trachtete man ihm nach dem Leben, würde er dort am ehesten gesucht werden. Er dachte fieberhaft nach, und war in Wirklichkeit schon zu einem sicheren Versteck unterwegs. Lefas Hand fest in seiner, zog es ihn in Richting Roberts Behausung.
Auf dem Wege dorthin mussten sie sich verstecken. Lefa erfasste die Situation blitzschnell und zog ihn unter ein Auto am Wegrand. War schwierig, sein Bauch war im Weg. Sie wand sich behände wie eine Schlange unter das Auto und zog ihn an den Füßen, bis sein Kopf verschwunden war. Dann schob sie sich vor, und beobachtete. Nach einer Weile flüsterte sie: „Es waren Kinder, Kinder mit Macheten und Kalaschnikows. Scheinbar nicht besoffen, marschierten fast lautlos, in Reih und Glied auf nackten Sohlen an uns vorbei. Lass uns weitergehen!“
Als sie Roberts Stall erreicht hatten, klopfte Achmed vorsichtig an die Tür und lauschte. Es dauerte bis eine Stimme aus dem Inneren fragte: „Wer da?“
„Achmed Omdurmann, Nellie,“ flüsterte Achmed gegen das Holz.
„Ms. Omdurman? Einen Moment, bitte,“ kam die erstaunte Antwort.
Als Nellie sie einließ, entschuldigte sie sich für ihr Zögern, erklärte sie habe ihr Kleid überwerfen müssen. Im gleichen Atemzug fragte sie: „Fliehen Sie vor den Banditen?“
Lefa übernahm es zu antworten, Achmed hatte sich auf einen an der Wand stehenden Kasten fallen lassen, saß da, das Gesicht in den Händen.
Nellie wusste zu berichten, dass seit Wochen Gerüchte schwirrten, die sämtlich verkündeten es ginge den Reichen und der Regierung ans Leben. Von jeder geschlachteten fetten Ratte leben hundert Arme Jahre lang, wurde behauptet. Wichtig wäre möglichst wenig kapput zu machen, verbrannte Häuser könne niemand bewohnen. Als wir noch im Dreckloch lebten wurde alle Tage so geredet, keiner nahm das ernst. Erstaunt hätte sie, dass auch hier, wo es den Menschen gut ging, solche Parolen an der Tagesordnung waren.
Vor zwei Stunden habe die Schießerei angefangen, aber hier sei nicht geschossen worden, auch sonst sei alles ruhig geblieben. „Hat Sie jemand gesehen, als Sie vor der Tür standen?“ fragte sie ängstlich.
Lefa schüttelte den Kopf, „wir sind geschlichen, haben uns im Schatten gehalten und nicht gesprochen. Ich glaube nicht das wir bemerkt worden sind. Wir möchten Sie bitten Nellie, diese Nacht und den nächsten Tag bleiben zu dürfen.“
Nellie nickte zustimmend, nahm Lefas Hand und zog sie hinter sich her in eine Kammer. „Dies ist Roberts Zimmer,“flüsterte sie, „die Kindern dürfen nicht rein, hier können Sie sich aufhalten, aber bitte nicht sprechen. In zwei Stunden sind die Kinder unterwegs zur Schule, dann sehen wir weiter. Bleiben Sie hier, ich hole Ms. Ondurman.“
Nellie führte Achmed am Arm in den Raum. Sie hatte eine Kerze mitgebracht, die Lefa anzündete. Beiden Frauen entfuhr ein Schreckenslaut, als sie sein Gesicht sahen. Nellie übernahm sofort das Kommando: „Hier auf die Pritsche mit ihm!“ befahl sie. „Ich bringe Wasser mit einem Schuss Bananenschnaps, es ist sein Kreislauf. Der Schnaps hilft dem Blutdruck auf die Beine. Er sieht schlecht aus, aber wenn es der Kreislauf ist, wird sich das geben.“
Lefa tätschelte Achmeds Gesicht, er schlug die Augen auf und lächelte mühsam. Als er zu sprechen versuchte, legte sie ihm einen Finger auf die Lippen und flüsterte später!
Nellie kam mit einem hohen Glas, das mehr nach Schnaps als Wasser roch. Gemeinsam flößten sie Achmed das Gebräu ein, und er schluckte gehorsam.
Im vagen Schein der Kerze sah es aus als ob er sich entspanne. Nellie zeigte auf eine Matratze am Boden und Lefa legte sich. Sie nahm die Kerze und flüsterte: „Versuchen Sie zu schlafen, sobald ich die Kinder versorgt habe bin ich bei Ihnen.“
Nellie kroch zurück auf ihre Pritsche, zog die dünne Decke hoch bis zum Kinn, versuchte zu begreifen was ihr widerfuhr. Omdurman, der Wucherer, aber so wollte sie ihn nicht mehr nennen, war mit seiner Frau zu ihnen geflüchtet. Ich habe sie hereingelassen, was anders hätte ich tun können? Sie abweisen? Robert hätte mir das nie verziehen. Jetzt sind sie hier. Was, jemand hat uns beobachtet und hält nicht dicht? Muss nicht böser Wille sein, erzählt er es auf dem Markt, berühmt sich die Familie Memba, die mit den Honoratioren der Stadt verkehrt gut zu kennen.
Wenn es den Aufrührern gelingt die Regierung zu stürzen, oder auch nur für einige Zeit die Oberhand zu gewinnen, könnte es Schwierigkeiten geben. Die aufgeputschten Horden sind unberechenbar. Mein Gott, Robert, wo bist du? Wir brauchen dich so sehr! Was ich da denke, passt garnicht. In Wirklichkeit fürchte ich, gleich klopft es und bewaffnete Banditen stehen vor derTür, unvorstellbar was geschehen könnte.
Wenn die Kinder aus der Schule kommen, dürfen die Beiden nicht mehr hier sein. Halt, Lefa könnte bleiben, die kennt keiner, aber Ondurman ist bekannt wie ein bunter Hund, der muss unsichtbar werden. Wichtig ist, er hat sich erholt, kann auf seinen Beinen stehen. Lefa wird ihn rasieren, ohne Bart in einer schmuddeligen Dscheballa, ohne Socken auf Autoreifensandalen, wird er dem ehrenwerten Ms. Omdurman kaum noch ähnlich sehen. Ich werde in einem Dreckloch, wo er keine Kunden hat, eine Bleibe für ihn finden. Wird nicht einfach, kann einige Tage dauern. Lefa, zu meiner Nichte ernannt, wird auf die Kinder aufpassen, solange ich mit ihm unterwegs bin. Wenn nichts dazwischen kommt, wäre das eine Lösung.
Jetzt versuche ich zu schlafen. Sie drehte sich auf ihre Schlafseite, stellte sich vor, Robert läge neben ihr, und konnte ihre Gedanken nicht abstellen. O Robert, wo bist du? Immer noch unterwegs durch die Wüste? Hast du gehört was hier los ist? Sicher hat Madame Darja ein Radio in ihrem Auto. Wer ist diese Madame eigentlich? Ist sie alt oder jung? Ich nehme an alt, wie könnte sie sonst eine alte Geschäfsfreundin von Ms. Ondurman sein. Jedenfalls tröstet es mich, lieber Robert, sie mir alt vorzustellen. Mir auszumalen du wärest mit einer Jungen unterwegs, dabei an die bitterkalten Wüstennächte denkend, machte mich unruhig, sehr unruhig. Ich weiß, die Wüstenreisenden schlafen ganz dicht beieinander, um möglichst viel Wärme vom Anderen abzukriegen. Natürlich fällt mir dabei dein nimmermüder Robert ein, der seit du fort bist darben muss. Ich hoffe doch er darbt, du wirst doch nicht irgendein Frauenzimmer, am Weg aufgelesen haben? Denk an mich, ich muss auch ohne Robert leben. Was dieses Weib, die Darja angeht, lieber Mann bleibe stark. Sollte sie jung und schön sein, erzähl es mir nicht. Erzähl mir überhaupt nichts, von dieser verdammten Reise!
Oft denke ich, warum sind wir nicht im Dreckloch geblieben? Ist schon gut, mein Lieber, ich denke es nur, spreche es nicht aus. Wichtig sind uns die Kinder, haben jetzt schon enorm profitiert, von unserer neuen Adresse. Ist nicht gerecht, lieber Gott. Fällt mir oft schwer, an die Liebe für die du stehst zu glauben, in deiner so lieblosen Welt. Ich bin nicht so fromm wie mein Mann, du weißt es sofern es dich gibt, wie uns die Schwestern in der Missionsschule gelehrt haben: Jedes einzige Menschlein in Gottes Hand!
Ich hab meinen alten Fetisch, von den Ahnen auf mich gekommen, immer am Körper. Robert fiel aus allen Wolken, erführe er davon. Ich bin sicher, der Fetisch hat uns einige Male vor dem Schlimmsten bewahrt. Auch jetzt verlasse ich mich mehr auf ihn, als auf den lieben Gott. Werde ihm ein köstliches Mahl bereiten, sobald alles vorbei ist.
Diese Lefa scheint ein ordentliches Mädchen, wird der Alte gekauft oder erschachert haben, als Draufgabe bei einen Handel. Menschenhandel ist verboten, aber solange die Muslime ihre Käufe als Ehefrauen tarnen, verstoßen sie nicht gegen die Gesetze. Scheint was übrig zu haben für den alten Bock, war ehrlich besorgt als er zusammenknackte.
Als der Wecker rasselte hatte sie noch kein Auge zugetan. Sie sprang aus dem Bett, schürte die Glut im Ofen, machte Hirsebrei warm und trieb die Kinder zur Eile. War jeden morgen das gleiche. Die Mädchen waren schon mit dem Essen fertig, während die Jungens noch herumalberten und nicht in die Gänge kamen. Endlich waren sie alle aus dem Haus.
Sie klopfte an der Tür zu Roberts Arbeitszimmer, Lefa steckte den Kopf heraus. „Wie geht es, Monsieur?“ fragte Nellie. „Viel besser, er schläft zwar noch, aber sein Atem geht ruhig und sein Puls schlägt stark und gleichmäßig.“
„Du solltest ihn wecken, ich habe mir etwas durch den Kopf gehen lassen.“
Lefa nickte, schloss die Tür hinter sich und ermunterte Nellie zu erzählen.
„Lass hören“, lächelte sie, solange soll er noch ruhen. Nellies Plan fand ihre Zustimmung, bis auf den Umstand, dass sie ihn allein lassen sollte. „Sag mir einen vernünftigen Grund dafür!“ Insistierte sie.
Nellie überlegte, sie wollte nicht unhöflich sein, doch ohne die Wahrheit war die junge Dame nicht zu überzeugen. Ondurman würde es sofort begreifen, also erklärte sie es: „Lefa du könntest Monsieurs Enkelin sein, aber du bist seine Frau. Nur reiche, alte Männer haben junge Frauen. Also fallt ihr sofort auf. Dich als seine Enkelin auszugeben, würde nicht helfen. Im Dreckloch gibt es keine jungen, schönen Frauen. Du würdest am ersten Tag einem Dealer Besitz werden, sollte Monsieur dich beschützen wollen, wäre er auf der Stelle tot.“
Lefa protestiert: „Sieh mich doch an, Nellie, ich bin ein junger Bursche, schneide ich mir die Haare kurz, kommt keiner auf den Gedanken ich sei eine Frau!“
Nellie hatte gesehen wie die Tür in Lefas Rücken aufging, und Ms. Ondurman den letzten Teil ihres Gespräches anhörte, so musste sie nicht antworten.
„Was Nellie sagt stimmt, liebe Frau“ unterstützte er sie. „Ich habe nicht alles gehört, aber im Dreckloch würdest du nicht lange ein junger Mann sein. Du bewegst dich weiblich, man würde dich auswickeln und das wäre es. Ich ahne was Nellie vor hat, und halte es für eine gute Lösung. Nirgendwo kann ich mich so gut verstecken, wie unter Tausend anonymen Armen. Es darf nur nicht das Loch sein, in dem ihr gehaust habt, Nellie, da habe ich viele Kunden, die erkennen mich auch ohne Bart. Aber was hast du mit Lefa vor?“
Nellie erklärte es, und er war einverstanden. „Das mit der Nichte ist plausibel. Ihr wohnt noch nicht lange hier und es ist üblich, dass Familien sobald es ihnen besser geht, ihre Verwandten nachkommen lassen. Passt genau, nun Lefa schere mir den Bart!“
Zwei Stunden später machten sich eine zerlumpte alte Vettel, mit ihrem schmuddeligen nicht minder alten Begleiter, auf den Weg zum anderen Ende von Hatta. Aus Richtung Zentrum wurde heftig geschossen, ab und zu fuhren Fahrzeuge besetzt mit Uniformierten unter lautem Gehupe, in rasender Fahrt an ihnen vorbei.
Nellie hatte sich einer Base erinnert, die seit Jahren an einem Flussarm wohnte, dort eine spärliche Reusenfischerei betrieb. Bei ihr würde sie Ondurman einmieten, ihr erzählen, er müsse sich für einige Wochen vor seinem eifersüchtigem Schwager verstecken. Pro Woche würde sie einen Dollar bekommen, zusätzlich würde ihr der Alte bei allem was kam, zur Hand gehen.
Ihre Base freute sich über die in Aussicht stehenden Dollar, aber auch der Gefährte wäre ihr angenehm, gab sie unumwunden zu. Du verlernst das Sprechen hier draußen, klagte sie. Es gibt Monate da sehe ich ausser dem Fischaufkäufer, keine Seele. Unterhalte mich mit der Katze und den Fischen, die ich aus dem Wasser gezogen, nur die sehen mit ihren toten Augen durch mich hindurch. „Wie heißt du?“ fragte sie Achmed und der antwortete, „Ali, nenn mich Ali, und wie soll ich dich nennen?“ „Ich bin die Geb, nenn mich Geb, so werde ich seit es mich gibt gerufen."
„Na dann kann ich mich ja davon machen,“ befand Nellie, „habe den Eindruck ihr versteht euch. Nicht das du ihm nach der Freiheit trachtest, Geb, er ist Muslim und du, wenn du es noch sein solltest, gläubige Christin?“ „So ist es, Nellie, und werde es bis zum Jüngsten Tag bleiben. Bin und bleibe Fischerin.“
Nellie hatte Ondurman versprochen, auf dem Rückweg an der Maison Achmed vorbei zuschauen, um zu erkunden wer dort wohne und was aus dem schäbigen Wucherer geworden war.
Sie war froh rüstig ausschreiten zu können, als sie sich auf den Weg zu Achmeds Haus machte. War beschwerlich gewesen, ihren Schritt den Tippelschrittchen des Dicken anzupassen, ihm hatte selbst ihr verhaltener Schritt mächtig zu schaffen gemacht. Wie der sich immer wieder den Schweiß vom Gesicht wischte, sicher war der seit zwanzig Jahren, nicht mehr so lang und schnell gelaufen.
Sie lächelte, das schnelle Gehen tat ihr gut, vertrieb die Grillen. Bei dem Tempo das sie vorlegte, würde sie eine Stunde vor Dunkelheit vor der Maison Achmed stehen. Sie war gespannt was sie erwartete. Einfach ins Haus gehen und nach ihm fragen, wie Ondurman geraten hatte, würde sie nicht, war zu riskant. Was sollte sie antworten, würde sie gefragt wo sie wohne? Das Dreckloch kam nicht mehr in Frage, und Zuhause war Lefa. Nein sie würde sich herumdrücken und hören was so gequatscht wurde. Sollten seine Familien zurückgekommen sein, war das bekannt. Dann nach dem Dicken zu fragen, wäre ganz natürlich und sicher sehr ergiebig. Der Chef von seinem Fleisch und Blut vertrieben, eine bessere Tratschvorlage gab es nicht. Da würde sie sich hinsetzen, ah und oh stöhnen, sich mit sämtlichen Tratschmäulern ausmalen, wie das hat geschehen können, wer Schuld hatte, und letzten Endes siegen würde. Ah ja, das würden schöne Stunden, sie fühlte eine Welle des Wohlbehagens durch ihre Eingeweide strömen.
Lefa würde auf die Kinder achtgeben, die Kinder würden brav sein, weil Lefa neu war und damit interessant. Sie konnte solange palavern wie es ihr gefiel, ohne sich Gedanken machen zu müssen. Auch keine Gedanken ob diese Darja, eine alte Tasche oder knusprig zum anbeißen war.
Wie sie richtig kalkuliert hatte, würde es noch eine Stunde brauchen bis es Nacht war, als sie in die Straße einbog an der das Maison lag. Ein erster Blick sagte ihr, etwas war faul! Vor der Tür ein Gewimmel von Uniformierten, etwa hundert Schritt entfernt auf der gegenüberliegenden Seite ein Panzer. Sie ging nicht weiter, konnte nur böse enden, denn außer den Soldaten war kein Mensch zu sehen. Sie überquerte die Straße und verschwand in einer der Gassen des nahebei liegenden Souk.
Keineswegs entmutigt, schlenderte sie ziellos an den alten Häusern vorbei, immer in der Hoffnung Menschen zu treffen, die beieinander hockten und sich was zu erzählen hatten. Aber da war nichts, die Gassen und Höfe waren wie ausgestorben. Es war als ob ein Riesenauge oder Ohr über allem schwebte, jede Regung zu erblicken, jeden Laut zu erhorchen. Nellie fühlte die gute Stimmung, das sie durchströmende Wohlbehagen stockig werden. Trotz der noch nicht vergangenen Tageshitze überlief sie ein Frösteln. Noch war sie nicht bereit, sich auf schnellstem Wege davon zumachen, obwohl ihr höher gehender Puls mahnte: Fürchte dich!
Plötzlich tauchte am Ende der Gasse ein Auto mit Soldaten auf, die absprangen und in ein Haus rannten. Sie drehte sich um, wollte zurück, zu spät, auch hier Soldaten die mit schussbereiten Waffen, an den Hauswänden entlang schlichen. Nellie war zu geschickt um nachzudenken, sie trat in den nächsten Eingang und folgte lautlos auf ihren bloßen Füßen, den ausgestreckten Armen. Als sie sich erstmals umsah, war der Eingang nur noch ein helles Loch. Da sie auf kein Hindernis gestoßen war folgerte sie: Ich befinde mich in einem Durchgang, die Anwohner haben die Beleuchtung demoliert, um etwaigen Häschern das Leben schwer zu machen. Konnte so sein, musste nicht. Sie ging vorsichtig weiter, jetzt kam Motorengeräusch näher, ungefähr von da wo sie eben noch gewesen war, sie glitt lautlos zu Boden und schmiegte sich dicht an eine Wand. Ein greller Lichtfinger tastete den Durchgang ab, blendete sie einen Atemzug lang und erlosch. Der Motor wurde wieder laut, dann Stille.
Erst einmal bleib ich liegen, entschied sie. Bleibt es von der Gasse her lange still, schleiche ich zurück. Wenn es eine Razzia war, sind die jetzt mit anderen Gassen beschäftigt und ich mach mich weg, nur raus aus dem verdammten Souk.
Als sie gegen Mitternacht Zuhause ankam, war kein langes Klopfen nötig um Lefa wach zu machen.
„Ich hab kein Auge zugetan,“ Lefa flüsterte, um die Kinder nicht zu wecken, die sie nur mit viel Mühe zum Schlafen gebracht hatte.
Nellie beruhigte sie, erzählte von der herzlichen Aufnahme Achmeds bei der Base, und ihrem Abenteuer im Souk. Es schien mir als ob im Maison Achmed, ein hohes Tier wohnt. Die vor dem Haus wimmelnden Soldaten und ein Panzer der nahe bei Wache zu halten schien, bringen mich darauf. Ich habe Ms. Ondurman versprochen auf dem Rückweg zu erkunden was aus dem Haus geworden ist, mehr als das eben erzählte kann ich nicht berichten.
Mädchen du bist garnicht mehr schön, dachte Nellie, als sie Lefa wie ein Häufchen Elend, das Kinn in beide Hände gestützt, beim Schein der grellen Azetylenlampe am Tisch hockend, betrachtete.
Schönheit ist verderbliche Ware wie Obst, sie hatte es schon oft erfahren müssen, wenn Robert einen Korb mit Bananen oder Mangos ergattert hatte und die Früchte nicht augenblicklich gegessen wurden. Sie dachte an die Kiste in der sie ihre privaten Dinge verwahrte, die hatte einen zweiten Boden den Robert eingezogen hatte um darin Geldscheine zu verstecken, damals als es noch etwas zu verstecken gab.
Seit langem lag darin das einzige Foto, das es von ihr gab. Das Bild zeigte sie als Siebzehnjährige. Sie hatte es vor langer Zeit, mein Gott ja, zwanzig Jahre ist das her, zwischen die Böden geschoben und seither nie mehr angeschaut. Nie mehr angeschaut, ist nicht wirklich wahr, Nellie, rügte sie sich. Du kennst jede Pore, jedes noch nicht entfaltete Fältchen, das Lächeln deiner Mundwinkel, den Ausdruck deiner nur Robert sehenden Augen. Jeden morgen beim Beten erscheint dieses Bild vor deinem inneren Auge und gibt dir die Kraft, der Wirklichkeit zu begegnen. Ja so war das, und dieser Schurke lag jetzt in den Armen dieser Darja Hure!
Sie sah wie Lefas Augen sich weiteten. „Was ist dir, Nellie?“ fragte sie, „dein Gesicht wird plötzlich gelb, willst du dich legen?“ Sie nickte, und kroch auf ihre Pritsche. Warum eigentlich nicht, für heute hatte sie wahrlich genug. Aufpassen muss ich, dass mich der Argwohn nicht um mein Glück bringt. Bis heute haben wir, trotz Widrigkeiten, ein gutes Leben geführt. Ich hätte es weiter im Dreckloch, meinen Robert immer dicht bei, ausgehalten. Aber die Kinder, was wäre aus den Kindern geworden. Schon die Frage ist eine Lüge, Nellie, brauchtest dich nur umschauen, um zu wissen was aus Kindern wird, die im Dreckloch groß werden. Huren die Mädchen, Gangster und frühe Leichen die Jungen. Ja so ist das. Jetzt sind wir hier, die Kinder in Sicherheit und mein Robert in der Wüste.
Da hilft nur beten, Nellie, beten und kämpfen. Kämpfen gegen den Teufel der Einbildung. Kämpfen gegen das Untier, dass dir falsche Gedanken eingibt, das Auge dir blendet, dein Ohr Einflüsterungen öffnet. Für dich hat dein Robert die Sünde des Ehebruchs schon begangen, weil deine Eifersucht dir einträufelt die Darja, die du nie sahst, sei schöner als du. Ich bin sicher sie ist schöner, es sei denn sie hat auch viele Kinder geboren, ein halbes Leben nur Entbehrung gekannt.
Dies alles, du hast es zugegeben, hat dich nie geschmerzt, also war es ein schönes Leben und es wird schön bleiben, wenn deine Eifersucht es nicht zerstört. So trieben sie ihre Gefühle im Kreis, bis sie endlich erschöpft einschlief.
Lefa hatte schreckensstarr schon seit geraumer Zeit in die Nacht hinaus gehorcht, hoffend die Schießerei die irgendwo an der Perepherie stattzufinden schien, würde bald enden.
Was sie jedoch in den Feuerpausen vernahm, beruhigte sie keineswegs. In Achmeds Familienhaus, dem Maison Achmed, wohnten auch zwei seiner Frauen mit ihren Kindern. Lefas Verhältnis zu diesen Familien war gespannt, nicht weil ihr die Jugend geneidet, sondern weil sie sich nicht an den mannigfachen Intrigen zum Schaden Achmeds beteiligte, die fortwährend gesponnen wurden. Treibende Kräfte dieser Machenschaften waren die Frauen Alis und Selims, die nicht im Hause wohnten, aber ihren Schwiegervater seiner Geradlinigkeit wegen, hassten.
Die Wohnungen seiner Frauen und Kinder lagen jenseits des Gartens am Fluß. Die Bewohner der Maison sahen sich selten, eigentlich nur, wenn jemand durch das große Tor des Hauses das Gebäude verließ.
In dieser Nacht jedoch, hörte Leila ein vielfüssiges Trappeln durch den Flur zum Ausgang, an den ihr Schlafzimmer grenzte. Immer wieder lauschte sie zwischen den Salven der Gewehre, oft war da ein Wispern zusammen mit dem Geräusch von unablässigem hin und her.
Sie beschloß Achmed zu wecken, obwohl ihr sein Schlaf wie sonst nichts am Herzen lag. Ihre Mutter hatte sie gelehrt, acht Stunden muss ein in die Jahre gekommener Mann schlafen, wenn sein Liebesborn nicht versiegen soll.
Auf ihr zartes Streicheln und behutsames Drücken, reagierte er wie stets und versuchte sie in seine Arme zu ziehen. Doch diesmal sträubte sie sich und ihr Gebieter ward vor Staunen, von einem auf den anderen Moment hell wach.
„Was weckst du mich und stösst mich von dir, meine Kleine?“ flüsterte er zärtlich.
„Ich fürchte mich, Achmed,“ antwortete sie, machte ihn auf das nun wieder anschwellende Gewehrfeuer aufmerksam, und erzählte von den merkwürdigen Geräuschen im Hausflur.
Achmed sprang aus dem Bett, fuhr in sein Haushemd und befahl Leila ruhig liegen zu bleiben, bis er zurückkomme. Als er in den Hausflur trat, fand er das Tor zur Strasse weit offen! Weit offen und das mitten in der Nacht, er fasste sich an den Kopf und rannte hinunter zu den Quartieren seiner Familien. Auch hier offene Türen, er rief die Namen seiner Frauen, der großen Töchter, niemand antwortete. Er ging duch die Räume, die Schränke gähnten leergeräumt, Tische ohne Decken, die Küche ohne Geschirr, Töpfe und Tiegel.
Erst jetzt hörte er das bedrohliche Geknatter von Maschinengewehren. Ich muss mich sammeln, schoss es ihm durch den Kopf. Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Geschieße, dem Exodus der Familie, und wenn welchen und weshalb wurde ich nicht unterrichtet? Wenn das Geballere Revolte bedeutet, wurde dann Lefa und ich bewusst nicht gewarnt? Langsam in Gedanken versunken ging er zurück, schloss das Tor und legte den schweren Balken vor, der normalerweise in der Ecke stand und selten benutzt wurde. Natürlich boten das Tor, wie auch die zur Strasse hin vergitterten Fenster, wenig Schutz vor marodierenden Banden.
Lefa erwartete ihn fertig angezogen. Auf dem Bett lagen ein schwarzer weiter Umhang mit Gesichtsschleier. Achmed grinste als er seine Frau genau ansah, sie hatte sich in einen schlanken Jungen mit Jeans und einem engen T.-Shirt verwandelt. „Ich habe alles platt gewickelt und bin dein Sohn, liebe Mutter, lächelte sie, denn das wirst du sein, wenn du den Umhang anlegst und den Schleier vor deinen Bart hängst.“
„Nicht schlecht,“ nickte er anerkennend, „bin gleich fertig.“
Er ging in sein Büro, drückte mit seinem ganzen Gewicht gegen die Wand hinter seinem Schreibtisch, bis die zurückwich und einen mannshohen Raum freigab. Schnell brachte er wichtige Akten und Geschäftspapiere in Sicherheit, steckte zwei Bündel Dollarnoten in seine Schuhe, riss ein kleines Fenster an der Wand gegenüber auf, um es in einem Zuge wieder zu zuschlagen. Die Wand rückte mit leisem schürfen an ihren ursprünglichen Platz, passte sich nahtlos ein. Nirgendwo auch nur das kleinste Anzeichen von beweglicher Wand. Kein Mensch außer Felix kannte das Geheimnis.
Das Gewehrgeknatter näherte sich, schnell war er bei Lefa und verkleidete sich wie sie es vorbereitet hatte. Das Haustor und die Türen zu seinen Gemächern ließ er weit offen, so kam er vielleicht mit einer Plünderung ohne Brandstiftung davon.
„Wohin?“ wollte Lefa wissen. „Ja wohin?“ Achmeds Lachen, kam als ein Bellen bei Lefa an. Er hatte keine Ahnung wohin, erst einmal raus aus dem Haus und fort aus der Umgebung. Der anschwellende Gefechtslärm schien mehr zu sein, als eines der üblichen Scharmützel besoffener Soldateska. Steckten Selim und Ali hinter der Evakuierung seiner Familien, hatten sie ihn und Lefa, mit Absicht nicht gewarnt? Er fragte sich das, obwohl es nichts zu fragen gab.
Im Augenblick war er nicht stark genug der Tatsache ins Auge zu sehen. Jetzt war erst einmal wichtig einen Unterschlupf zu finden, in dem sie nicht vermutet wurden. Freunde kamen nicht in Frage, trachtete man ihm nach dem Leben, würde er dort am ehesten gesucht werden. Er dachte fieberhaft nach, und war in Wirklichkeit schon zu einem sicheren Versteck unterwegs. Lefas Hand fest in seiner, zog es ihn in Richting Roberts Behausung.
Auf dem Wege dorthin mussten sie sich verstecken. Lefa erfasste die Situation blitzschnell und zog ihn unter ein Auto am Wegrand. War schwierig, sein Bauch war im Weg. Sie wand sich behände wie eine Schlange unter das Auto und zog ihn an den Füßen, bis sein Kopf verschwunden war. Dann schob sie sich vor, und beobachtete. Nach einer Weile flüsterte sie: „Es waren Kinder, Kinder mit Macheten und Kalaschnikows. Scheinbar nicht besoffen, marschierten fast lautlos, in Reih und Glied auf nackten Sohlen an uns vorbei. Lass uns weitergehen!“
Als sie Roberts Stall erreicht hatten, klopfte Achmed vorsichtig an die Tür und lauschte. Es dauerte bis eine Stimme aus dem Inneren fragte: „Wer da?“
„Achmed Omdurmann, Nellie,“ flüsterte Achmed gegen das Holz.
„Ms. Omdurman? Einen Moment, bitte,“ kam die erstaunte Antwort.
Als Nellie sie einließ, entschuldigte sie sich für ihr Zögern, erklärte sie habe ihr Kleid überwerfen müssen. Im gleichen Atemzug fragte sie: „Fliehen Sie vor den Banditen?“
Lefa übernahm es zu antworten, Achmed hatte sich auf einen an der Wand stehenden Kasten fallen lassen, saß da, das Gesicht in den Händen.
Nellie wusste zu berichten, dass seit Wochen Gerüchte schwirrten, die sämtlich verkündeten es ginge den Reichen und der Regierung ans Leben. Von jeder geschlachteten fetten Ratte leben hundert Arme Jahre lang, wurde behauptet. Wichtig wäre möglichst wenig kapput zu machen, verbrannte Häuser könne niemand bewohnen. Als wir noch im Dreckloch lebten wurde alle Tage so geredet, keiner nahm das ernst. Erstaunt hätte sie, dass auch hier, wo es den Menschen gut ging, solche Parolen an der Tagesordnung waren.
Vor zwei Stunden habe die Schießerei angefangen, aber hier sei nicht geschossen worden, auch sonst sei alles ruhig geblieben. „Hat Sie jemand gesehen, als Sie vor der Tür standen?“ fragte sie ängstlich.
Lefa schüttelte den Kopf, „wir sind geschlichen, haben uns im Schatten gehalten und nicht gesprochen. Ich glaube nicht das wir bemerkt worden sind. Wir möchten Sie bitten Nellie, diese Nacht und den nächsten Tag bleiben zu dürfen.“
Nellie nickte zustimmend, nahm Lefas Hand und zog sie hinter sich her in eine Kammer. „Dies ist Roberts Zimmer,“flüsterte sie, „die Kindern dürfen nicht rein, hier können Sie sich aufhalten, aber bitte nicht sprechen. In zwei Stunden sind die Kinder unterwegs zur Schule, dann sehen wir weiter. Bleiben Sie hier, ich hole Ms. Ondurman.“
Nellie führte Achmed am Arm in den Raum. Sie hatte eine Kerze mitgebracht, die Lefa anzündete. Beiden Frauen entfuhr ein Schreckenslaut, als sie sein Gesicht sahen. Nellie übernahm sofort das Kommando: „Hier auf die Pritsche mit ihm!“ befahl sie. „Ich bringe Wasser mit einem Schuss Bananenschnaps, es ist sein Kreislauf. Der Schnaps hilft dem Blutdruck auf die Beine. Er sieht schlecht aus, aber wenn es der Kreislauf ist, wird sich das geben.“
Lefa tätschelte Achmeds Gesicht, er schlug die Augen auf und lächelte mühsam. Als er zu sprechen versuchte, legte sie ihm einen Finger auf die Lippen und flüsterte später!
Nellie kam mit einem hohen Glas, das mehr nach Schnaps als Wasser roch. Gemeinsam flößten sie Achmed das Gebräu ein, und er schluckte gehorsam.
Im vagen Schein der Kerze sah es aus als ob er sich entspanne. Nellie zeigte auf eine Matratze am Boden und Lefa legte sich. Sie nahm die Kerze und flüsterte: „Versuchen Sie zu schlafen, sobald ich die Kinder versorgt habe bin ich bei Ihnen.“
Nellie kroch zurück auf ihre Pritsche, zog die dünne Decke hoch bis zum Kinn, versuchte zu begreifen was ihr widerfuhr. Omdurman, der Wucherer, aber so wollte sie ihn nicht mehr nennen, war mit seiner Frau zu ihnen geflüchtet. Ich habe sie hereingelassen, was anders hätte ich tun können? Sie abweisen? Robert hätte mir das nie verziehen. Jetzt sind sie hier. Was, jemand hat uns beobachtet und hält nicht dicht? Muss nicht böser Wille sein, erzählt er es auf dem Markt, berühmt sich die Familie Memba, die mit den Honoratioren der Stadt verkehrt gut zu kennen.
Wenn es den Aufrührern gelingt die Regierung zu stürzen, oder auch nur für einige Zeit die Oberhand zu gewinnen, könnte es Schwierigkeiten geben. Die aufgeputschten Horden sind unberechenbar. Mein Gott, Robert, wo bist du? Wir brauchen dich so sehr! Was ich da denke, passt garnicht. In Wirklichkeit fürchte ich, gleich klopft es und bewaffnete Banditen stehen vor derTür, unvorstellbar was geschehen könnte.
Wenn die Kinder aus der Schule kommen, dürfen die Beiden nicht mehr hier sein. Halt, Lefa könnte bleiben, die kennt keiner, aber Ondurman ist bekannt wie ein bunter Hund, der muss unsichtbar werden. Wichtig ist, er hat sich erholt, kann auf seinen Beinen stehen. Lefa wird ihn rasieren, ohne Bart in einer schmuddeligen Dscheballa, ohne Socken auf Autoreifensandalen, wird er dem ehrenwerten Ms. Omdurman kaum noch ähnlich sehen. Ich werde in einem Dreckloch, wo er keine Kunden hat, eine Bleibe für ihn finden. Wird nicht einfach, kann einige Tage dauern. Lefa, zu meiner Nichte ernannt, wird auf die Kinder aufpassen, solange ich mit ihm unterwegs bin. Wenn nichts dazwischen kommt, wäre das eine Lösung.
Jetzt versuche ich zu schlafen. Sie drehte sich auf ihre Schlafseite, stellte sich vor, Robert läge neben ihr, und konnte ihre Gedanken nicht abstellen. O Robert, wo bist du? Immer noch unterwegs durch die Wüste? Hast du gehört was hier los ist? Sicher hat Madame Darja ein Radio in ihrem Auto. Wer ist diese Madame eigentlich? Ist sie alt oder jung? Ich nehme an alt, wie könnte sie sonst eine alte Geschäfsfreundin von Ms. Ondurman sein. Jedenfalls tröstet es mich, lieber Robert, sie mir alt vorzustellen. Mir auszumalen du wärest mit einer Jungen unterwegs, dabei an die bitterkalten Wüstennächte denkend, machte mich unruhig, sehr unruhig. Ich weiß, die Wüstenreisenden schlafen ganz dicht beieinander, um möglichst viel Wärme vom Anderen abzukriegen. Natürlich fällt mir dabei dein nimmermüder Robert ein, der seit du fort bist darben muss. Ich hoffe doch er darbt, du wirst doch nicht irgendein Frauenzimmer, am Weg aufgelesen haben? Denk an mich, ich muss auch ohne Robert leben. Was dieses Weib, die Darja angeht, lieber Mann bleibe stark. Sollte sie jung und schön sein, erzähl es mir nicht. Erzähl mir überhaupt nichts, von dieser verdammten Reise!
Oft denke ich, warum sind wir nicht im Dreckloch geblieben? Ist schon gut, mein Lieber, ich denke es nur, spreche es nicht aus. Wichtig sind uns die Kinder, haben jetzt schon enorm profitiert, von unserer neuen Adresse. Ist nicht gerecht, lieber Gott. Fällt mir oft schwer, an die Liebe für die du stehst zu glauben, in deiner so lieblosen Welt. Ich bin nicht so fromm wie mein Mann, du weißt es sofern es dich gibt, wie uns die Schwestern in der Missionsschule gelehrt haben: Jedes einzige Menschlein in Gottes Hand!
Ich hab meinen alten Fetisch, von den Ahnen auf mich gekommen, immer am Körper. Robert fiel aus allen Wolken, erführe er davon. Ich bin sicher, der Fetisch hat uns einige Male vor dem Schlimmsten bewahrt. Auch jetzt verlasse ich mich mehr auf ihn, als auf den lieben Gott. Werde ihm ein köstliches Mahl bereiten, sobald alles vorbei ist.
Diese Lefa scheint ein ordentliches Mädchen, wird der Alte gekauft oder erschachert haben, als Draufgabe bei einen Handel. Menschenhandel ist verboten, aber solange die Muslime ihre Käufe als Ehefrauen tarnen, verstoßen sie nicht gegen die Gesetze. Scheint was übrig zu haben für den alten Bock, war ehrlich besorgt als er zusammenknackte.
Als der Wecker rasselte hatte sie noch kein Auge zugetan. Sie sprang aus dem Bett, schürte die Glut im Ofen, machte Hirsebrei warm und trieb die Kinder zur Eile. War jeden morgen das gleiche. Die Mädchen waren schon mit dem Essen fertig, während die Jungens noch herumalberten und nicht in die Gänge kamen. Endlich waren sie alle aus dem Haus.
Sie klopfte an der Tür zu Roberts Arbeitszimmer, Lefa steckte den Kopf heraus. „Wie geht es, Monsieur?“ fragte Nellie. „Viel besser, er schläft zwar noch, aber sein Atem geht ruhig und sein Puls schlägt stark und gleichmäßig.“
„Du solltest ihn wecken, ich habe mir etwas durch den Kopf gehen lassen.“
Lefa nickte, schloss die Tür hinter sich und ermunterte Nellie zu erzählen.
„Lass hören“, lächelte sie, solange soll er noch ruhen. Nellies Plan fand ihre Zustimmung, bis auf den Umstand, dass sie ihn allein lassen sollte. „Sag mir einen vernünftigen Grund dafür!“ Insistierte sie.
Nellie überlegte, sie wollte nicht unhöflich sein, doch ohne die Wahrheit war die junge Dame nicht zu überzeugen. Ondurman würde es sofort begreifen, also erklärte sie es: „Lefa du könntest Monsieurs Enkelin sein, aber du bist seine Frau. Nur reiche, alte Männer haben junge Frauen. Also fallt ihr sofort auf. Dich als seine Enkelin auszugeben, würde nicht helfen. Im Dreckloch gibt es keine jungen, schönen Frauen. Du würdest am ersten Tag einem Dealer Besitz werden, sollte Monsieur dich beschützen wollen, wäre er auf der Stelle tot.“
Lefa protestiert: „Sieh mich doch an, Nellie, ich bin ein junger Bursche, schneide ich mir die Haare kurz, kommt keiner auf den Gedanken ich sei eine Frau!“
Nellie hatte gesehen wie die Tür in Lefas Rücken aufging, und Ms. Ondurman den letzten Teil ihres Gespräches anhörte, so musste sie nicht antworten.
„Was Nellie sagt stimmt, liebe Frau“ unterstützte er sie. „Ich habe nicht alles gehört, aber im Dreckloch würdest du nicht lange ein junger Mann sein. Du bewegst dich weiblich, man würde dich auswickeln und das wäre es. Ich ahne was Nellie vor hat, und halte es für eine gute Lösung. Nirgendwo kann ich mich so gut verstecken, wie unter Tausend anonymen Armen. Es darf nur nicht das Loch sein, in dem ihr gehaust habt, Nellie, da habe ich viele Kunden, die erkennen mich auch ohne Bart. Aber was hast du mit Lefa vor?“
Nellie erklärte es, und er war einverstanden. „Das mit der Nichte ist plausibel. Ihr wohnt noch nicht lange hier und es ist üblich, dass Familien sobald es ihnen besser geht, ihre Verwandten nachkommen lassen. Passt genau, nun Lefa schere mir den Bart!“
Zwei Stunden später machten sich eine zerlumpte alte Vettel, mit ihrem schmuddeligen nicht minder alten Begleiter, auf den Weg zum anderen Ende von Hatta. Aus Richtung Zentrum wurde heftig geschossen, ab und zu fuhren Fahrzeuge besetzt mit Uniformierten unter lautem Gehupe, in rasender Fahrt an ihnen vorbei.
Nellie hatte sich einer Base erinnert, die seit Jahren an einem Flussarm wohnte, dort eine spärliche Reusenfischerei betrieb. Bei ihr würde sie Ondurman einmieten, ihr erzählen, er müsse sich für einige Wochen vor seinem eifersüchtigem Schwager verstecken. Pro Woche würde sie einen Dollar bekommen, zusätzlich würde ihr der Alte bei allem was kam, zur Hand gehen.
Ihre Base freute sich über die in Aussicht stehenden Dollar, aber auch der Gefährte wäre ihr angenehm, gab sie unumwunden zu. Du verlernst das Sprechen hier draußen, klagte sie. Es gibt Monate da sehe ich ausser dem Fischaufkäufer, keine Seele. Unterhalte mich mit der Katze und den Fischen, die ich aus dem Wasser gezogen, nur die sehen mit ihren toten Augen durch mich hindurch. „Wie heißt du?“ fragte sie Achmed und der antwortete, „Ali, nenn mich Ali, und wie soll ich dich nennen?“ „Ich bin die Geb, nenn mich Geb, so werde ich seit es mich gibt gerufen."
„Na dann kann ich mich ja davon machen,“ befand Nellie, „habe den Eindruck ihr versteht euch. Nicht das du ihm nach der Freiheit trachtest, Geb, er ist Muslim und du, wenn du es noch sein solltest, gläubige Christin?“ „So ist es, Nellie, und werde es bis zum Jüngsten Tag bleiben. Bin und bleibe Fischerin.“
Nellie hatte Ondurman versprochen, auf dem Rückweg an der Maison Achmed vorbei zuschauen, um zu erkunden wer dort wohne und was aus dem schäbigen Wucherer geworden war.
Sie war froh rüstig ausschreiten zu können, als sie sich auf den Weg zu Achmeds Haus machte. War beschwerlich gewesen, ihren Schritt den Tippelschrittchen des Dicken anzupassen, ihm hatte selbst ihr verhaltener Schritt mächtig zu schaffen gemacht. Wie der sich immer wieder den Schweiß vom Gesicht wischte, sicher war der seit zwanzig Jahren, nicht mehr so lang und schnell gelaufen.
Sie lächelte, das schnelle Gehen tat ihr gut, vertrieb die Grillen. Bei dem Tempo das sie vorlegte, würde sie eine Stunde vor Dunkelheit vor der Maison Achmed stehen. Sie war gespannt was sie erwartete. Einfach ins Haus gehen und nach ihm fragen, wie Ondurman geraten hatte, würde sie nicht, war zu riskant. Was sollte sie antworten, würde sie gefragt wo sie wohne? Das Dreckloch kam nicht mehr in Frage, und Zuhause war Lefa. Nein sie würde sich herumdrücken und hören was so gequatscht wurde. Sollten seine Familien zurückgekommen sein, war das bekannt. Dann nach dem Dicken zu fragen, wäre ganz natürlich und sicher sehr ergiebig. Der Chef von seinem Fleisch und Blut vertrieben, eine bessere Tratschvorlage gab es nicht. Da würde sie sich hinsetzen, ah und oh stöhnen, sich mit sämtlichen Tratschmäulern ausmalen, wie das hat geschehen können, wer Schuld hatte, und letzten Endes siegen würde. Ah ja, das würden schöne Stunden, sie fühlte eine Welle des Wohlbehagens durch ihre Eingeweide strömen.
Lefa würde auf die Kinder achtgeben, die Kinder würden brav sein, weil Lefa neu war und damit interessant. Sie konnte solange palavern wie es ihr gefiel, ohne sich Gedanken machen zu müssen. Auch keine Gedanken ob diese Darja, eine alte Tasche oder knusprig zum anbeißen war.
Wie sie richtig kalkuliert hatte, würde es noch eine Stunde brauchen bis es Nacht war, als sie in die Straße einbog an der das Maison lag. Ein erster Blick sagte ihr, etwas war faul! Vor der Tür ein Gewimmel von Uniformierten, etwa hundert Schritt entfernt auf der gegenüberliegenden Seite ein Panzer. Sie ging nicht weiter, konnte nur böse enden, denn außer den Soldaten war kein Mensch zu sehen. Sie überquerte die Straße und verschwand in einer der Gassen des nahebei liegenden Souk.
Keineswegs entmutigt, schlenderte sie ziellos an den alten Häusern vorbei, immer in der Hoffnung Menschen zu treffen, die beieinander hockten und sich was zu erzählen hatten. Aber da war nichts, die Gassen und Höfe waren wie ausgestorben. Es war als ob ein Riesenauge oder Ohr über allem schwebte, jede Regung zu erblicken, jeden Laut zu erhorchen. Nellie fühlte die gute Stimmung, das sie durchströmende Wohlbehagen stockig werden. Trotz der noch nicht vergangenen Tageshitze überlief sie ein Frösteln. Noch war sie nicht bereit, sich auf schnellstem Wege davon zumachen, obwohl ihr höher gehender Puls mahnte: Fürchte dich!
Plötzlich tauchte am Ende der Gasse ein Auto mit Soldaten auf, die absprangen und in ein Haus rannten. Sie drehte sich um, wollte zurück, zu spät, auch hier Soldaten die mit schussbereiten Waffen, an den Hauswänden entlang schlichen. Nellie war zu geschickt um nachzudenken, sie trat in den nächsten Eingang und folgte lautlos auf ihren bloßen Füßen, den ausgestreckten Armen. Als sie sich erstmals umsah, war der Eingang nur noch ein helles Loch. Da sie auf kein Hindernis gestoßen war folgerte sie: Ich befinde mich in einem Durchgang, die Anwohner haben die Beleuchtung demoliert, um etwaigen Häschern das Leben schwer zu machen. Konnte so sein, musste nicht. Sie ging vorsichtig weiter, jetzt kam Motorengeräusch näher, ungefähr von da wo sie eben noch gewesen war, sie glitt lautlos zu Boden und schmiegte sich dicht an eine Wand. Ein greller Lichtfinger tastete den Durchgang ab, blendete sie einen Atemzug lang und erlosch. Der Motor wurde wieder laut, dann Stille.
Erst einmal bleib ich liegen, entschied sie. Bleibt es von der Gasse her lange still, schleiche ich zurück. Wenn es eine Razzia war, sind die jetzt mit anderen Gassen beschäftigt und ich mach mich weg, nur raus aus dem verdammten Souk.
Als sie gegen Mitternacht Zuhause ankam, war kein langes Klopfen nötig um Lefa wach zu machen.
„Ich hab kein Auge zugetan,“ Lefa flüsterte, um die Kinder nicht zu wecken, die sie nur mit viel Mühe zum Schlafen gebracht hatte.
Nellie beruhigte sie, erzählte von der herzlichen Aufnahme Achmeds bei der Base, und ihrem Abenteuer im Souk. Es schien mir als ob im Maison Achmed, ein hohes Tier wohnt. Die vor dem Haus wimmelnden Soldaten und ein Panzer der nahe bei Wache zu halten schien, bringen mich darauf. Ich habe Ms. Ondurman versprochen auf dem Rückweg zu erkunden was aus dem Haus geworden ist, mehr als das eben erzählte kann ich nicht berichten.
Mädchen du bist garnicht mehr schön, dachte Nellie, als sie Lefa wie ein Häufchen Elend, das Kinn in beide Hände gestützt, beim Schein der grellen Azetylenlampe am Tisch hockend, betrachtete.
Schönheit ist verderbliche Ware wie Obst, sie hatte es schon oft erfahren müssen, wenn Robert einen Korb mit Bananen oder Mangos ergattert hatte und die Früchte nicht augenblicklich gegessen wurden. Sie dachte an die Kiste in der sie ihre privaten Dinge verwahrte, die hatte einen zweiten Boden den Robert eingezogen hatte um darin Geldscheine zu verstecken, damals als es noch etwas zu verstecken gab.
Seit langem lag darin das einzige Foto, das es von ihr gab. Das Bild zeigte sie als Siebzehnjährige. Sie hatte es vor langer Zeit, mein Gott ja, zwanzig Jahre ist das her, zwischen die Böden geschoben und seither nie mehr angeschaut. Nie mehr angeschaut, ist nicht wirklich wahr, Nellie, rügte sie sich. Du kennst jede Pore, jedes noch nicht entfaltete Fältchen, das Lächeln deiner Mundwinkel, den Ausdruck deiner nur Robert sehenden Augen. Jeden morgen beim Beten erscheint dieses Bild vor deinem inneren Auge und gibt dir die Kraft, der Wirklichkeit zu begegnen. Ja so war das, und dieser Schurke lag jetzt in den Armen dieser Darja Hure!
Sie sah wie Lefas Augen sich weiteten. „Was ist dir, Nellie?“ fragte sie, „dein Gesicht wird plötzlich gelb, willst du dich legen?“ Sie nickte, und kroch auf ihre Pritsche. Warum eigentlich nicht, für heute hatte sie wahrlich genug. Aufpassen muss ich, dass mich der Argwohn nicht um mein Glück bringt. Bis heute haben wir, trotz Widrigkeiten, ein gutes Leben geführt. Ich hätte es weiter im Dreckloch, meinen Robert immer dicht bei, ausgehalten. Aber die Kinder, was wäre aus den Kindern geworden. Schon die Frage ist eine Lüge, Nellie, brauchtest dich nur umschauen, um zu wissen was aus Kindern wird, die im Dreckloch groß werden. Huren die Mädchen, Gangster und frühe Leichen die Jungen. Ja so ist das. Jetzt sind wir hier, die Kinder in Sicherheit und mein Robert in der Wüste.
Da hilft nur beten, Nellie, beten und kämpfen. Kämpfen gegen den Teufel der Einbildung. Kämpfen gegen das Untier, dass dir falsche Gedanken eingibt, das Auge dir blendet, dein Ohr Einflüsterungen öffnet. Für dich hat dein Robert die Sünde des Ehebruchs schon begangen, weil deine Eifersucht dir einträufelt die Darja, die du nie sahst, sei schöner als du. Ich bin sicher sie ist schöner, es sei denn sie hat auch viele Kinder geboren, ein halbes Leben nur Entbehrung gekannt.
Dies alles, du hast es zugegeben, hat dich nie geschmerzt, also war es ein schönes Leben und es wird schön bleiben, wenn deine Eifersucht es nicht zerstört. So trieben sie ihre Gefühle im Kreis, bis sie endlich erschöpft einschlief.