Claudia Donno
Mitglied
Jodis wurde unsicher. Zutrauen würde sie es ja, diesen fremden Männern. Ja, jedem einzelnen von ihnen. Was wusste sie schon, wer sie waren und was sie vorhatten. Sollte sie danach fragen? Sie blickte wieder in die Flammen und streckte dankbar ihre Hände danach aus. Das Holz war beinahe niedergebrannt und das wärmende Licht wurde immer kleiner. „Und ihr, was macht ihr in diesem Wald? Seid ihr auf Reisen? Woher kommt ihr? Was ist euer Ziel?
Aidan räusperte sich. „Viele Fragen, die du da hast“, meinte er freundlich. Er saß neben Vandil. „Wir könnten sie dir beantworten, wenn wir wollten“, meinte er lächelnd. „Aber vielleicht wollen wir das nicht. Oder aber wir würden lügen, so wie du.“
„Was willst du damit sagen?“, fragte Jodis aufgebracht.
„Genau das, was ich gesagt habe. Du hast uns angelogen. Dein Ziel sind gar nicht deine Verwandten, nach denen du scheinbar suchst. Nein, du verbirgst etwas, was auch dein gutes Recht ist. Nicht immer ist es ratsam, sich jedermann anzuvertrauen. Also lassen wir es dabei bewenden. Du weißt nicht, was unser Ziel ist und wir wissen nicht, welches dein Ziel ist.“
Beschämt schaute Jodis auf ihre ausgetretenen Stiefel. War sie eine so schlechte Lügnerin? Bisher hatte sie immer geglaubt, damit durchzukommen. Dass diese vier Männer intelligent waren, das war offensichtlich. Die wissenden Blicke, die sie sich immer wieder zu warfen, die Art, wie sie sich ohne Worte verständigten, ließ auf eine lange Freundschaft schließen.
Vandil schlug sich auf den Oberschenkel und stand auf. „So, es ist Zeit, dass wir aufbrechen.“
Der rothaarige Ronan blickte zu den Sternen. „Ja, wir sollten weiterziehen.“ Er stand ebenfalls auf. Unter seinem Umhang waren ein Dolch und ein Schwert zu sehen, die kurz im Licht der Flammen aufleuchteten.
Auch Becan und Aidan kamen auf ihre Füße. Becan streckte Jodis die Hand entgegen. „Es hat mich gefreut, deine Bekanntschaft zu machen. Ich wünsche dir, dass du an dein Ziel gelangst, wo auch immer dieses liegt.“
Jodis sprang regelrecht auf. „Ihr lasst mich alleine?“
„Ja.“ Das kam von Vandil.
„Aber wieso?“
„Wie du gesagt hast, unsere Wege trennen sich, jetzt, wo wir gemeinsam gegessen haben."
Jodis Nackenhaare stellten sich auf. Deutlich hörte sie wieder die Stimmen, die sie zuvor belauscht hatte, der dunkle Schatten, dem sie gefolgt war. Die Männer, die vom König gesprochen hatten, dessen Ankunft sie verhindern wollten. Wie, das war einfach zu beantworten. Mit Mord!
Aidan blickte auf Jodis hinab und legte seine Hand auf ihre Schulter. „Lasse es dir gut gehen und verstecke dich vor den Wegelagerern.“
Jodis nickte. Alles ging zu schnell, viel zu schnell.
Auch Aidan gab ihr die Hand. Schweigend verbeugte er sich und drehte sich dann um.
Zu viert gingen sie davon, ohne nochmals zurück zu schauen.
„Wartet!“, rief Jodis ihnen nach.
Tatsächlich blieben sie stehen.
„Ja, was willst du noch?“, fragte Vandil.
„Verabschiedest du dich nicht? Hat dir deine Mutter das nicht beigebracht?“, fragte Jodis.
Das war das Einzige, was ihr einfiel. Dabei wollte sie einfach mit diesen vier Männern mitgehen, nicht alleine zurück gelassen werden in diesem Wald, der ihr nun sehr bedrohlich vorkam. Er war bedrohlich, korrigierte Jodis ihre Gedanken. Gefahren lauerten hier. Tödliche Gefahren.
Zu ihrem Erstaunen kam Vandil auf sie zu. „Für wahr, ich habe meine Manieren vergessen. Ich hoffe, du kannst mir verzeihen.“
Jodis blickte in sein Gesicht. Ihre Knie wurden weich, es verschlug ihr die Sprache. Sie mochte diesen Fremden, von dem sie nur den Namen wusste. Sie konnte ihn nicht gehen lassen. Nein, nicht diesen Mann, der ihr seltsamerweise etwas bedeutete. Erst jetzt bemerkte sie seine Hand, die Vandil ihr entgegenstreckte. Sie kämpfte mit den Tränen, wusste, wenn er jetzt ging, würde ein Teil von ihr mit ihm gehen.
Ein dicker Kloß saß in ihrem Hals und erschwerte ihr das Sprechen.
„Auf Wiedersehen. Ich hoffe, dass du mir meine unbedachten Worte verzeihen kannst?“
Sie ergriff seine Hand. Ein Kribbeln durchlief sie. Wie gern würde sie mitgehen. Einfach nur an seiner Seite sein, bei ihm, der so viel Stärke versprach.
„Alles verziehen.“ Zum ersten Mal in dieser Nacht lächelte Vandil. Es wirkte freundlich und ehrlich.
Sie hielt es nicht länger aus. Keine Sekunde mehr. Sie befürchtete, ihm ihr Herz in die Hand zu legen, zu sagen, was sie für ihn empfand. Schnell drehte sich Jodis um, rannte davon und wurde von der Dunkelheit verschluckt.
Vandil blickte ihr lange nach. Als er nicht einmal mehr ihre Schritte hörte, drehte er sich zu seinen Freunden um und ging entschlossen auf sie zu.
Ronan blickte ihn forschend an. „War süß, dieses Mädchen, oder?“, meinte er, als Vandil neben ihm anhielt.
„Zu süß“, fand Vandil. Er schlug seinem Freund auf die Schultern und meinte: „Lasst uns weiter gehen.“
Die anderen drei nickten. Schnell gingen sie davon.
Jodis stand wieder auf. Sie hatte sich einfach im Dickicht nieder gekauert, damit Vandil und die anderen sie nicht mehr sehen konnten. Jetzt bereute sie es zutiefst, sie nicht gefragt zu haben, ob sie mit ihnen gehen durfte. Wenigstens, bis der Morgen anbrach. In ihrem Inneren tobte ein Krieg. Sollte sie den Männern nachlaufen? Darum betteln, mitgenommen zu werden? Nein, dafür war sie zu stolz. Aber sie könnte ihnen folgen, immer in ihrer Nähe bleiben, sich nicht mehr so alleine fühlen. Es war schließlich kein Verbrechen, denselben Weg einzuschlagen.
Das leise Knacken von einem Ast hinter ihrem Rücken ließ sie nicht länger verharren. Der Schatten!
Jodis rannte los. Sie musste sich beeilen, wenn sie am Leben bleiben wollte. Keine Zeugen, das war immer so bei Verrätern. Erst recht, wenn sie vorhatten, den König zu beseitigen.
-.-
Arnthor blieb stehen. Etwas hatte seine Aufmerksamkeit erregt.
Er lauschte, hielt den Atem an und blickte spähend nach allen Seiten. Ihm war sehr wohl bewusst, dass das, was er und die anderen Männer des Kreises besprochen hatten, sehr riskant war. Die Strafe dafür war im Mindesten der Tod. Nicht das Sterben machte ihm Angst. Jeder musste eines Tages gehen. Aber man konnte es auf angenehme Weise tun oder eben nicht. Niemals durfte von ihren Plänen etwas an die Öffentlichkeit dringen. Dies war mit allen Mitteln zu verhindern. Mit wirklich allen Mitteln.
Er sah in weiter Ferne etwas aufglimmen. Ein Feuer. Niemand saß dort. Aber das genügte ihm nicht. Wo waren diejenigen, die das Feuer entfacht hatten? Arnthor strengte sich an, lauschte und spähte. Kurz sah er zwischen den Bäumen etwas vorbeihuschen. Arnthor war ganz sicher, dass es ein Mensch war. Ja, er hatte gute Augen, aber einen noch viel besser ausgeprägten Sinn.
Wie seine Katze oder jedes andere Tier konnte Arnthor die Gefahr wittern. Und diese Gestalt, die da vorbeigehuscht war, bedeutete Gefahr. Nicht, dass sie besonders groß gewesen wäre. Nein, aber diese Gestalt, die jetzt im Nachhinein ein Jugendlicher oder ein Weib hätte sein können, trug ein Geheimnis in sich. War es sein Geheimnis? Waren er und die anderen Männer belauscht worden?
Arnthor folgte der Gestalt, zeigte mit seinem ausgestreckten Arm und Zeigefinger auf sie, als er sie kurz darauf erneut erblickte. Er murmelte eine geheime Formel. Jetzt war die Gestalt gekennzeichnet, für immer. Er würde sie wieder erkennen, falls sie sich einmal begegnen sollten. Ja, dann würde er wissen, mit wem er es zu tun hatte.
Zufrieden, den Fliehenden markiert zu haben, wandte er sich um und machte sich auf den langen Weg nach Hause.
-.-
„Nicht so hastig. Du verbrühst dich noch“, ermahnte die Frau. Ihre Haltung verriet Annmut. Sie saß auf dem Stuhl neben dem Bett und blickte besorgt auf die ausgemergelte Gestalt unter den Laken.
Die dünnen Finger des Mannes hielten den tönernen Becher. Vorsichtig führte er ihn an seine Lippen. „Das stinkt ja widerlich!“, schimpfe er. „Was ist das? Ich trinke erst, wenn ich weiß, was da drin ist.“
„Die besten Kräuter, die es gibt“, antwortete die Frau geduldig. „Der Heiler hat sie nur für dich gesammelt. Er hat mir geschworen, dass es dir in ein paar Tagen besser gehen wird.“
Der Mann blickte aus seinen hellen Augen auf die Gestalt auf dem Stuhl. Vorsichtig trank er einen Schluck aus dem dampfenden Becher.
„Du bist so gut zu mir. Wie habe ich dich bloß verdient?“
„Ich weiß nicht, ob du mich verdient hast oder nicht. Schließlich wurde ich dir als Frau versprochen, noch ehe wir uns kannten.“
„Ja, das ist gar nicht so lange her“, meinte der Mann leise. „Du wirst jeden Tag schöner. Dein Stand bekommt dir gut.“
„Dafür danke ich dir“, sagte die Frau aufrichtig. „Nirgendwo könnte ich es besser haben.“
„Meinst du?“ Der Alte stellte das Gefäß umständlich auf das Tischchen neben dem Bett. „Mit deiner Anmut, deiner Schönheit und deiner Jugend, könntest jeden Mann im ganzen Reich betören.“
„Du übertreibst“, antwortete die Frau scheinbar verlegen. „Was könnte ich mir mehr wünschen, als dich an meiner Seite?“
„Ein Kind vielleicht?“
„Aber nur, wenn du der Vater bist“, antwortete Rebecca.
„Das ist leider nicht möglich“, antwortete Ultan leise. „Ich bin zu alt und krank, um noch einen Erben zu zeugen.“
„Mach dir darüber keine Gedanken. Wenn du einen Erben haben sollst, so wird dir einer gegeben“, meinte Rebecca zuversichtlich.
Ultan wurde vom Husten geschüttelt. Als er wieder frei atmen konnte, meinte er: „Ich hätte so gern einen eigenen Sohn gehabt.“ Er wies mit seinem mageren Arm auf das Fenster nach draußen in die Dunkelheit. „Einen Erben, dem dies alles hier einmal gehören würde. Aber keine Angst, mein Vermächtnis kann ich trotzdem weitergeben.“
„Ach ja?“ Rebecca horchte auf. „Du bist doch der einzige Überlebende aus deiner Familie. Wem also willst du dies alles übergeben?“
„Meinem Neffen“, antwortete Ultan.
„Deinem Neffen? Ich wusste nicht, dass du einen Neffen hast.“
„So ist es aber. Schon vor Wochen, als es anfing, mir schlechter zu gehen, habe ich Boten ausgeschickt, um nach ihm zu suchen.“
„Wie heißt dein Neffe?“, wollte Rebecca wissen.
„Ich weiß es nicht“, gab Ultan zu. „Mein verstorbener Bruder hat mir erst auf dem Totenbett von seinem Sohn erzählt. Nie hat er seinen Namen genannt, noch, wo er lebt.“
Rebecca stand auf. „Schlaf dich aus“, ermahnte sie ihren Mann. „Morgen früh werden wir reden. Einverstanden?“
„Einverstanden.“ Ultan legte sich bequem hin und schloss seine faltigen Lider.
Leise verließ Rebecca den Raum. In ihrer Hand das tönerne Gefäß. Angewidert hielt sie den Atem an, als der bittere Geschmack des Gebräus in ihre Nase stieg.
Sie übergab das Gefäß der Magd, die gleich vor der Tür auf einem Strohhaufen lag. „Schütt es fort“, befahl sie. „Und ruf mich, falls es dem König schlechter gehen sollte!“
Die Magd nickte und stand auf. „Gerne, Herrin“, meinte sie leise und huschte davon, um das Getränk aus dem Fenster zu schütten.
Rebecca eilte den dunklen Gang entlang, erstieg die steile Treppe und schlich lautlos auf die hinterste Tür zu. Dreimal klopfte sie an das dunkle Holz. Kurz musste sie warten, bis die Tür von innen geöffnet wurde.
Eine Hand tauchte aus der Finsternis auf und zog sie in den dahinter liegenden Raum. „Da bist du ja endlich“, flüsterte der Mann voller Verlangen. Er umschlang Rebeccas Taille und küsste ihren schlanken Nacken. Schon versuchten seine Hände ihr Kleid aufzubinden.
Rebecca hielt ihn unwirsch davon ab. „Lass mich! Dafür ist jetzt keine Zeit!“, flüsterte sie aufgebracht. „Es gibt da ein Problem, von dem wir bisher nichts wussten.“
„Ein Problem? Ich dachte, der Alte sei am Sterben?“
„Ist er auch“, bestätigte Rebecca.
„Was ist es dann?“, wollte die dunkle Stimme wissen.
„Ultan hat einen Neffen.“
„Einen Neffen!“, schrie der Mann und schlug wütend mit seiner geballten Faust gegen die Tür…
Aidan räusperte sich. „Viele Fragen, die du da hast“, meinte er freundlich. Er saß neben Vandil. „Wir könnten sie dir beantworten, wenn wir wollten“, meinte er lächelnd. „Aber vielleicht wollen wir das nicht. Oder aber wir würden lügen, so wie du.“
„Was willst du damit sagen?“, fragte Jodis aufgebracht.
„Genau das, was ich gesagt habe. Du hast uns angelogen. Dein Ziel sind gar nicht deine Verwandten, nach denen du scheinbar suchst. Nein, du verbirgst etwas, was auch dein gutes Recht ist. Nicht immer ist es ratsam, sich jedermann anzuvertrauen. Also lassen wir es dabei bewenden. Du weißt nicht, was unser Ziel ist und wir wissen nicht, welches dein Ziel ist.“
Beschämt schaute Jodis auf ihre ausgetretenen Stiefel. War sie eine so schlechte Lügnerin? Bisher hatte sie immer geglaubt, damit durchzukommen. Dass diese vier Männer intelligent waren, das war offensichtlich. Die wissenden Blicke, die sie sich immer wieder zu warfen, die Art, wie sie sich ohne Worte verständigten, ließ auf eine lange Freundschaft schließen.
Vandil schlug sich auf den Oberschenkel und stand auf. „So, es ist Zeit, dass wir aufbrechen.“
Der rothaarige Ronan blickte zu den Sternen. „Ja, wir sollten weiterziehen.“ Er stand ebenfalls auf. Unter seinem Umhang waren ein Dolch und ein Schwert zu sehen, die kurz im Licht der Flammen aufleuchteten.
Auch Becan und Aidan kamen auf ihre Füße. Becan streckte Jodis die Hand entgegen. „Es hat mich gefreut, deine Bekanntschaft zu machen. Ich wünsche dir, dass du an dein Ziel gelangst, wo auch immer dieses liegt.“
Jodis sprang regelrecht auf. „Ihr lasst mich alleine?“
„Ja.“ Das kam von Vandil.
„Aber wieso?“
„Wie du gesagt hast, unsere Wege trennen sich, jetzt, wo wir gemeinsam gegessen haben."
Jodis Nackenhaare stellten sich auf. Deutlich hörte sie wieder die Stimmen, die sie zuvor belauscht hatte, der dunkle Schatten, dem sie gefolgt war. Die Männer, die vom König gesprochen hatten, dessen Ankunft sie verhindern wollten. Wie, das war einfach zu beantworten. Mit Mord!
Aidan blickte auf Jodis hinab und legte seine Hand auf ihre Schulter. „Lasse es dir gut gehen und verstecke dich vor den Wegelagerern.“
Jodis nickte. Alles ging zu schnell, viel zu schnell.
Auch Aidan gab ihr die Hand. Schweigend verbeugte er sich und drehte sich dann um.
Zu viert gingen sie davon, ohne nochmals zurück zu schauen.
„Wartet!“, rief Jodis ihnen nach.
Tatsächlich blieben sie stehen.
„Ja, was willst du noch?“, fragte Vandil.
„Verabschiedest du dich nicht? Hat dir deine Mutter das nicht beigebracht?“, fragte Jodis.
Das war das Einzige, was ihr einfiel. Dabei wollte sie einfach mit diesen vier Männern mitgehen, nicht alleine zurück gelassen werden in diesem Wald, der ihr nun sehr bedrohlich vorkam. Er war bedrohlich, korrigierte Jodis ihre Gedanken. Gefahren lauerten hier. Tödliche Gefahren.
Zu ihrem Erstaunen kam Vandil auf sie zu. „Für wahr, ich habe meine Manieren vergessen. Ich hoffe, du kannst mir verzeihen.“
Jodis blickte in sein Gesicht. Ihre Knie wurden weich, es verschlug ihr die Sprache. Sie mochte diesen Fremden, von dem sie nur den Namen wusste. Sie konnte ihn nicht gehen lassen. Nein, nicht diesen Mann, der ihr seltsamerweise etwas bedeutete. Erst jetzt bemerkte sie seine Hand, die Vandil ihr entgegenstreckte. Sie kämpfte mit den Tränen, wusste, wenn er jetzt ging, würde ein Teil von ihr mit ihm gehen.
Ein dicker Kloß saß in ihrem Hals und erschwerte ihr das Sprechen.
„Auf Wiedersehen. Ich hoffe, dass du mir meine unbedachten Worte verzeihen kannst?“
Sie ergriff seine Hand. Ein Kribbeln durchlief sie. Wie gern würde sie mitgehen. Einfach nur an seiner Seite sein, bei ihm, der so viel Stärke versprach.
„Alles verziehen.“ Zum ersten Mal in dieser Nacht lächelte Vandil. Es wirkte freundlich und ehrlich.
Sie hielt es nicht länger aus. Keine Sekunde mehr. Sie befürchtete, ihm ihr Herz in die Hand zu legen, zu sagen, was sie für ihn empfand. Schnell drehte sich Jodis um, rannte davon und wurde von der Dunkelheit verschluckt.
Vandil blickte ihr lange nach. Als er nicht einmal mehr ihre Schritte hörte, drehte er sich zu seinen Freunden um und ging entschlossen auf sie zu.
Ronan blickte ihn forschend an. „War süß, dieses Mädchen, oder?“, meinte er, als Vandil neben ihm anhielt.
„Zu süß“, fand Vandil. Er schlug seinem Freund auf die Schultern und meinte: „Lasst uns weiter gehen.“
Die anderen drei nickten. Schnell gingen sie davon.
Jodis stand wieder auf. Sie hatte sich einfach im Dickicht nieder gekauert, damit Vandil und die anderen sie nicht mehr sehen konnten. Jetzt bereute sie es zutiefst, sie nicht gefragt zu haben, ob sie mit ihnen gehen durfte. Wenigstens, bis der Morgen anbrach. In ihrem Inneren tobte ein Krieg. Sollte sie den Männern nachlaufen? Darum betteln, mitgenommen zu werden? Nein, dafür war sie zu stolz. Aber sie könnte ihnen folgen, immer in ihrer Nähe bleiben, sich nicht mehr so alleine fühlen. Es war schließlich kein Verbrechen, denselben Weg einzuschlagen.
Das leise Knacken von einem Ast hinter ihrem Rücken ließ sie nicht länger verharren. Der Schatten!
Jodis rannte los. Sie musste sich beeilen, wenn sie am Leben bleiben wollte. Keine Zeugen, das war immer so bei Verrätern. Erst recht, wenn sie vorhatten, den König zu beseitigen.
-.-
Arnthor blieb stehen. Etwas hatte seine Aufmerksamkeit erregt.
Er lauschte, hielt den Atem an und blickte spähend nach allen Seiten. Ihm war sehr wohl bewusst, dass das, was er und die anderen Männer des Kreises besprochen hatten, sehr riskant war. Die Strafe dafür war im Mindesten der Tod. Nicht das Sterben machte ihm Angst. Jeder musste eines Tages gehen. Aber man konnte es auf angenehme Weise tun oder eben nicht. Niemals durfte von ihren Plänen etwas an die Öffentlichkeit dringen. Dies war mit allen Mitteln zu verhindern. Mit wirklich allen Mitteln.
Er sah in weiter Ferne etwas aufglimmen. Ein Feuer. Niemand saß dort. Aber das genügte ihm nicht. Wo waren diejenigen, die das Feuer entfacht hatten? Arnthor strengte sich an, lauschte und spähte. Kurz sah er zwischen den Bäumen etwas vorbeihuschen. Arnthor war ganz sicher, dass es ein Mensch war. Ja, er hatte gute Augen, aber einen noch viel besser ausgeprägten Sinn.
Wie seine Katze oder jedes andere Tier konnte Arnthor die Gefahr wittern. Und diese Gestalt, die da vorbeigehuscht war, bedeutete Gefahr. Nicht, dass sie besonders groß gewesen wäre. Nein, aber diese Gestalt, die jetzt im Nachhinein ein Jugendlicher oder ein Weib hätte sein können, trug ein Geheimnis in sich. War es sein Geheimnis? Waren er und die anderen Männer belauscht worden?
Arnthor folgte der Gestalt, zeigte mit seinem ausgestreckten Arm und Zeigefinger auf sie, als er sie kurz darauf erneut erblickte. Er murmelte eine geheime Formel. Jetzt war die Gestalt gekennzeichnet, für immer. Er würde sie wieder erkennen, falls sie sich einmal begegnen sollten. Ja, dann würde er wissen, mit wem er es zu tun hatte.
Zufrieden, den Fliehenden markiert zu haben, wandte er sich um und machte sich auf den langen Weg nach Hause.
-.-
„Nicht so hastig. Du verbrühst dich noch“, ermahnte die Frau. Ihre Haltung verriet Annmut. Sie saß auf dem Stuhl neben dem Bett und blickte besorgt auf die ausgemergelte Gestalt unter den Laken.
Die dünnen Finger des Mannes hielten den tönernen Becher. Vorsichtig führte er ihn an seine Lippen. „Das stinkt ja widerlich!“, schimpfe er. „Was ist das? Ich trinke erst, wenn ich weiß, was da drin ist.“
„Die besten Kräuter, die es gibt“, antwortete die Frau geduldig. „Der Heiler hat sie nur für dich gesammelt. Er hat mir geschworen, dass es dir in ein paar Tagen besser gehen wird.“
Der Mann blickte aus seinen hellen Augen auf die Gestalt auf dem Stuhl. Vorsichtig trank er einen Schluck aus dem dampfenden Becher.
„Du bist so gut zu mir. Wie habe ich dich bloß verdient?“
„Ich weiß nicht, ob du mich verdient hast oder nicht. Schließlich wurde ich dir als Frau versprochen, noch ehe wir uns kannten.“
„Ja, das ist gar nicht so lange her“, meinte der Mann leise. „Du wirst jeden Tag schöner. Dein Stand bekommt dir gut.“
„Dafür danke ich dir“, sagte die Frau aufrichtig. „Nirgendwo könnte ich es besser haben.“
„Meinst du?“ Der Alte stellte das Gefäß umständlich auf das Tischchen neben dem Bett. „Mit deiner Anmut, deiner Schönheit und deiner Jugend, könntest jeden Mann im ganzen Reich betören.“
„Du übertreibst“, antwortete die Frau scheinbar verlegen. „Was könnte ich mir mehr wünschen, als dich an meiner Seite?“
„Ein Kind vielleicht?“
„Aber nur, wenn du der Vater bist“, antwortete Rebecca.
„Das ist leider nicht möglich“, antwortete Ultan leise. „Ich bin zu alt und krank, um noch einen Erben zu zeugen.“
„Mach dir darüber keine Gedanken. Wenn du einen Erben haben sollst, so wird dir einer gegeben“, meinte Rebecca zuversichtlich.
Ultan wurde vom Husten geschüttelt. Als er wieder frei atmen konnte, meinte er: „Ich hätte so gern einen eigenen Sohn gehabt.“ Er wies mit seinem mageren Arm auf das Fenster nach draußen in die Dunkelheit. „Einen Erben, dem dies alles hier einmal gehören würde. Aber keine Angst, mein Vermächtnis kann ich trotzdem weitergeben.“
„Ach ja?“ Rebecca horchte auf. „Du bist doch der einzige Überlebende aus deiner Familie. Wem also willst du dies alles übergeben?“
„Meinem Neffen“, antwortete Ultan.
„Deinem Neffen? Ich wusste nicht, dass du einen Neffen hast.“
„So ist es aber. Schon vor Wochen, als es anfing, mir schlechter zu gehen, habe ich Boten ausgeschickt, um nach ihm zu suchen.“
„Wie heißt dein Neffe?“, wollte Rebecca wissen.
„Ich weiß es nicht“, gab Ultan zu. „Mein verstorbener Bruder hat mir erst auf dem Totenbett von seinem Sohn erzählt. Nie hat er seinen Namen genannt, noch, wo er lebt.“
Rebecca stand auf. „Schlaf dich aus“, ermahnte sie ihren Mann. „Morgen früh werden wir reden. Einverstanden?“
„Einverstanden.“ Ultan legte sich bequem hin und schloss seine faltigen Lider.
Leise verließ Rebecca den Raum. In ihrer Hand das tönerne Gefäß. Angewidert hielt sie den Atem an, als der bittere Geschmack des Gebräus in ihre Nase stieg.
Sie übergab das Gefäß der Magd, die gleich vor der Tür auf einem Strohhaufen lag. „Schütt es fort“, befahl sie. „Und ruf mich, falls es dem König schlechter gehen sollte!“
Die Magd nickte und stand auf. „Gerne, Herrin“, meinte sie leise und huschte davon, um das Getränk aus dem Fenster zu schütten.
Rebecca eilte den dunklen Gang entlang, erstieg die steile Treppe und schlich lautlos auf die hinterste Tür zu. Dreimal klopfte sie an das dunkle Holz. Kurz musste sie warten, bis die Tür von innen geöffnet wurde.
Eine Hand tauchte aus der Finsternis auf und zog sie in den dahinter liegenden Raum. „Da bist du ja endlich“, flüsterte der Mann voller Verlangen. Er umschlang Rebeccas Taille und küsste ihren schlanken Nacken. Schon versuchten seine Hände ihr Kleid aufzubinden.
Rebecca hielt ihn unwirsch davon ab. „Lass mich! Dafür ist jetzt keine Zeit!“, flüsterte sie aufgebracht. „Es gibt da ein Problem, von dem wir bisher nichts wussten.“
„Ein Problem? Ich dachte, der Alte sei am Sterben?“
„Ist er auch“, bestätigte Rebecca.
„Was ist es dann?“, wollte die dunkle Stimme wissen.
„Ultan hat einen Neffen.“
„Einen Neffen!“, schrie der Mann und schlug wütend mit seiner geballten Faust gegen die Tür…