Fortuna

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S

Stoffel

Gast

Fortuna

"Luigi, iss deine Suppe!" Der kleine schmächtige Junge rührte missmutig im Teller herum, der vor ihm stand und rümpfte die Nase. Dann schob er ihn weit von sich weg. "Ich mag aber keine Suppe mehr. Jeden Tag Suppe. Wieso essen wir kein Fleisch? Bei den Bertoluccis gibt es fast jeden Tag Fleisch oder Pasta." Francesco Fortuna seufzte und lehnte sich zurück. Seit dem er seine Arbeit in der Metallfabrik verloren hatte, wurden seine Haare immer grauer und seine Augen, die früher vor Begeisterung sprühten, waren matt. Dann stand er auf und ging in die Werkstatt, um an seinen kleinen Kunstwerken zu arbeiten. "Da siehst du es. Nun hast du deinen Papa traurig gemacht." Maria schob Luigi den Teller hin und sah ihn ermahnend an. "Ausserdem ist Sergio Bertolucci ein Gauner. Und dein Papa ist ein ehrlicher Mann, capice?"
Wie jeden Abend vor dem Zubettgehen betete Luigi zur heiligen Maria. Er bat sie darum, sich einmal richtig an Fleisch und Pasta und Pizza satt zu essen. So viel er wollte.

Als Luigi erwachte war es ungewöhnlich still in der Wohnung. Langsam zog er sich an und ging hinaus auf die Strasse. Gegenüber des Hauses standen die alte Pia und Senora Scalla und redeten wild gestikulierend. Als sie den Jungen sahen, verstummten sie und bekreuzigten sich. Nachdenklich ging er die Strasse hinunter. Jeder, der ihm begegnete sah ihn erschreckt oder mitleidig an. "Armer Junge", hörte er sie murmeln. "Milena!" Rief Luigi erfreut und winkte fröhlich, als das Nachbarsmädchen aus der Bäckerei kam. "Wie kannst du heute nur so fröhlich sein?" fragte sie ihn böse. Luigi überlegte kurz, was wohl heute für ein Tag war und zuckte mit den Schultern. "Aber wieso, was ist denn heute? Wieso darf ich nicht fröhlich sein?" Milena schüttelte fassungslos den Kopf. "Weil dein Papa heute morgen gestorben ist!." Dann ging sie davon.
Für einen Moment war es ihm, als würde sich die Hölle unter seinen Füssen öffnen. Ihm war heiß und es pochte wild in seinen Schläfen. Und dann fing es an zu regnen. Die Menschen um ihn herum rannten in die Häuser, aber er blieb regungslos stehen. "Papa", flüsterte er leise und dann immer lauter, bis er schrie. "Papa!" Luigi rannte die Strasse hinunter, durch die engen Gassen, ohne zu wissen wohin er wollte. Bis er atemlos und vor Nässe triefend an der Haustür seiner Eltern stand. Weinend schlug er an die Tür und schrie. "Papa! Papa!". Er schämte sich sehr und wünschte, er hätte sich niemals solch unwichtiges Zeug in seinen Gebeten gewünscht. Dann brach er zusammen.

"Er muss in der letzten Nacht sehr schlimme Träume gehabt haben. Wird er sich wieder erholen"? Hörte Luigi seine Mutter leise flüstern. "Aber sicher doch. Der Infekt hat ihn sehr geschwächt. Geben sie ihm einen guten Teller Suppe, damit er zu Kräften kommt." Dottore Lamberti strich Luigi sanft über den Kopf. "Sehen sie, Senora Fortuna. Er ist gerade aufgewacht. Und sein Fieber ist auch herunter gegangen. Dann werde ich jetzt gehen." Nachdem Maria den Arzt zur Tür gebracht hatte, setzte sie sich an Luigis Bett und sah in lächelnd an. "Papa, wo ist mein Papa?" Fragte er sie leise jammernd und warf sich schluchzend in ihre Arme. "Luigi!" Rief Francesco Fortuna, bevor sie etwas antworten konnte und die Augen seines Vaters sprühten vor Begeisterung, als er das Zimmer betrat.
"Stell dir vor, heute kam jemand zu mir. Ein Ausländer. Er war von meiner Kunst begeistert. Bis zum Herbst soll ich ihm zehn verschiedene Figuren fertigen und dann wird er sie in einer Fabrik herstellen lassen. Und einen Vorschuss hat er mir auch gegeben." Luigi wurde wieder heiß und schwindelig. "Du, du bist nicht tot?" Stotterte er. Sein Vater setzte sich zu ihm und umarmte ihn innig. "Nein, mein Sohn.Ich lebe!"
Luigi erholte sich schnell von seiner Krankheit und wenn er betete, dann wünschte er sich, dass seinen Eltern nie etwas Schlimmes passieren solle. Jedoch einen Wunsch hatte er dann doch noch. Kaninchenbraten am Sonntag. So wie ihn seine Mama am besten macht.
 



 
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