Franz feiert Weihnachten

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Heiligabend 1944, ein Dorf in Ostpreußen

Die milchige Helligkeit im Zimmer war seltsam. Dann wurde Franz klar, was sie zu bedeuten hatte: Es hatte schon wieder geschneit! Er sprang aus dem Bett und rannte zum Fenster. Tatsächlich: Die Landschaft war im frischen weißen Schnee versunken. Wie schön, neuer Schnee an Heiligabend! Er öffnete mit der linken Hand das Fenster, schaute hinaus und atmete tief die klare kalte Luft ein. Seiner rechten Hand, die wie immer nutzlos herunter hing, schenkte er keine Beachtung. Etwas war damals bei seiner Geburt schiefgelaufen, sodass die Hand verkrüppelt war. Aber Franz war sicher, dass er trotzdem in den Krieg ziehen könne, so wie sein älterer Bruder Rudolf, der an der Front kämpfte. Mit seinen elf Jahren hatte Franz keine wirkliche Vorstellung davon, was "an der Front" bedeutete. Aber es musste etwas Gutes sein, für das Vaterland zu kämpfen.

Vor der Tür wurden Stimmen und Geräusche laut. Seine Mutter und seine beiden Schwestern machten sich wohl in der Küche zu schaffen. Heute Abend würde es ein leckeres Weihnachtsessen geben. Franz freute sich darauf. Er atmete noch einmal tief die frische Luft ein, dann beschloss er, sich anzuziehen. Auch wenn Sonntag war, hielt es ihn nicht länger im Bett. Aber wirklich lange konnte der Krieg ja nicht mehr dauern.
„Sobald wir gewonnen haben, ist Rudolf wieder da", dachte er. Und der Endsieg stand ja kurz vor der Tür, wie die Nachrichten im Radio jeden Tag vermeldeten.

Der Tag verging, wie jeder Heilige Abend, unendlich langsam. Nachmittags hielt es Franz nicht im Haus. Er lief zum zugefrorenen See und sah sich die Schlittschuhläufer dort an.
„Franz! Huhu!" Die Stimme kam von der anderen Seite des Sees. Er schaute hin und erkannte Hermann, einen Klassenkameraden. Er lief auf ihn zu.
„Gehste auch Schlittschuhlaufen?"
Franz schüttelte den Kopf. „Ich hab keine."
„Vielleicht kriegste ja heute Abend welche."
Franz' Augen leuchteten auf. Schlittschuhe, das wäre ein tolles Weihnachtsgeschenk! Aber die hatte er sich nicht gewünscht.
„Glaub ich nicht", sagte er seufzend.
„Kommt dein Bruder heim?"
„Nee, er hat keinen Heimaturlaub bekommen. Er ist ja auch an der Front", sagte Franz stolz.
Hermann nickte. „Da gehe ich auch bald hin."
„Ich auch!" Der Satz rutschte Franz heraus, ohne dass er drüber nachgedacht hatte.
Hermann schüttelte den Kopf und deutete auf Franz' rechten Arm. „Damit? Kannste ja noch nicht mal ein Gewehr halten. Nee, das wird nüscht."
„Dann schieß ich halt mit dem linken Arm." Und flugs bückte sich Franz, holte mit dem linken Arm eine Handvoll Schnee, formte einen Schneeball und warf ihn Hermann über. „Na warte!" Hermann lachte und tat es ihm gleich. Die Schneebälle flogen hin und her.
„So, jetzt reicht es", prustete Hermann schließlich. „Ich muss jetzt nach Hause."
„Ich auch. Frohe Weihnachten!"
„Dir auch!"

Franz lief nach Hause. Auf Zehenspitzen schlich er an der Küche vorbei, weil er die Frauen nicht bei der Arbeit stören wollte, blieb aber neugierig stehen, als er die Stimme seines Vaters hörte.
„Findest du es nicht seltsam, dass wir noch so viel zu essen haben? Es ist schon solange Krieg und es soll nicht gut aussehen."
„Pscht!" machte seine Mutter, doch sein Vater redete weiter. „Wahrscheinlich werden sie alles irgendwo anderen armen Teufeln weggenommen haben."
„Pscht!", sagte die Mutter noch einmal. „Rede nicht darüber! Und lass den Kindern ihr Weihnachten. Sie können nichts dafür."
„Ach, Liselotte....", dann folgte ein Geräusch, als habe der Vater der Mutter einen schmatzenden Kuss gegeben und Franz beeilte sich, in sein Zimmer zu kommen. Zärtlichkeiten zwischen seinen Eltern wollte er nicht hören.

In seinem Zimmer betrachtete er das Bild von Rudolf an der Wand, Rudolf in seiner Uniform, mit dem Gewehr auf den Knien. Er lächelte in die Kamera. Franz nahm das Bild von der Wand.
„Frohe Weihnachten, Rudolf", flüsterte er.
 
G

Gelöschtes Mitglied 20513

Gast
Die Geschichte beschreibt ein paar Stunden in einem ostpreußischen Dorf Weihnachten 1944, als die Sowjetarmee bereits in der Region gegen die faschistische Wehrmacht siegreich kämpfte und Hitlers Armeen vor sich her jagte. Diese Information fehlt der Geschichte. Sie hätte unbedingt im Gespräch der Eltern erwähnt werden müssen. So dass die Tragik des Jungen, der unbedingt "an die Front" wollte, deutlicher erkennbar geworden wäre. So fehlt der Geschichte im Grunde das Wichtigste: der Konflikt. Dadurch plätschert die Geschichte doch ziemlich gemächlich dahin. Das Gespräch der Eltern ist für den Jungen die wichtigste Information. Gut beschrieben, dass die Eltern Angst vor ihrem eigenen Sohn haben. Bau die Szene der Eltern zu einem längeren, vielleicht geflüsterten Gespräch aus und lass den Jungen einen letzten Satz mithören, der ihn vielleicht wütend macht über die Eltern, die nicht an den "Endsieg" aus dem Radio mehr glauben. Es fehlt diese Reaktion des Jungen auf die Heimlichtuerei der Eltern. So erst wäre die Geschichte glaubhaft und rund.

Zu deiner Information: Zweifel am Endsieg konnte zum Todesurteil führen. Niemand traute zu dieser Zeit seinem Nachbarn wirklich und hütete sich, seine wahren Gedanken laut werden zu lassen. Die Kinder waren von der Hitlerjugend zum Verrat an den eigenen Eltern erzogen worden.

Sprachlich ist der Text akzeptabel geschrieben, er verträgt aber stellenweise Kürzungen.

Im großen und ganzen wäre zu sagen, dass die Geschichte es meiner Ansicht nach wert ist, dass an ihr noch weiter gearbeitet wird.

Gruß, blackout
 
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Hallo blackout,

vielen Dank für deinen Kommentar, über den ich mich wirklich sehr gefreut habe.
Zunächst zum Plot: Es ist richtig, dass in der Geschichte kein Konflikt vorkommt und eigentlich auch kein richtiger Plot. Deswegen hatte ich sie unter "Kurzprosa" eingestellt. Es sollte eine Momentaufnahme sein, eine Skizze dieses Heiligabend 1944.

Bei der Recherche habe ich mich hauptsächlich auf folgenden Link gestützt:


Darin wird ziemlich weit unten folgendes beschrieben:

Zitat
"Im Osten herrschte Weihnachtsruhe. Ostpreußen hatte sich in ein schneegepudertes Wintermärchen verwandelt. „Die Front war still. Und das Land war still. Auf den ersten Schnee fiel der zweite“, erinnert sich der Schriftsteller Arno Surminski: „Und dann noch einmal Weihnachten. Es war alles wie früher: selbstgebackener Pfefferkuchen, Braten vom frisch geschlachteten Schwein, die üblichen Weihnachtsrationen an Schnaps und Tabak“.
Manche Bauern aus den östlichen Teilen Ostpreußens, die ihre Heimat wegen der vorrückenden Front schon verlassen hatten, kehrten in dieser Weihnachtszeit wieder auf ihre Höfe zurück, nachdem es der Wehrmacht gelungen war, die Rote Armee noch einmal – fast – aus dem Reichsgebiet hinaus zu drängen. Noch einmal kam der ländliche Alltag zurück. Es wurden sogar Treibjagden abgehalten. Und über das zugefrorenen Frische Haff, über das sich wenige Wochen später Flüchtlingstrecks schleppen sollten, glitten die Schlittschuhläufer." Zitatende

Ich wollte diese Stimmung einfangen. Dabei habe ich gemerkt, wie schwierig es ist, sich heutzutage in diese Zeit hinein zu versetzen. Über der Geschichte habe ich deswegen ziemlich lange gebrütet.

Deine Anmerkungen sind sehr hilfreich, ich werde sie mir sehr genau durch den Kopf gehen lassen. Denn hundertprozentig zufrieden war ich mit der Geschichte nicht.

Wieso der Link nicht funktioniert, weiß ich leider nicht, ich habe jetzt mehrere Sachen mit einfügen ausprobiert, hat aber leider nicht geklappt.


LG SilberneDelfine
 
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kurt leven

Mitglied
Wird in der Geschichte deutlich, worum es geht? Viele Informationen: Schnee verbunden mit Freude, Eis auf dem See, Weihnachtsbäckerei, dann Bruder an der Front, Wille, selbst dorthin zu gehen (unreflektiert) und schließlich das Gespräch der Eltern. Es fällt mir schwer, den Kern zu erkennen.
Meine Idee: Es macht sicher Sinn, die Front als wünschenswert hinzustellen, besonders wenn sich der Bruder geäußert hat/hätte.
Die Vorstellung dessen, was Front ist, fehlt. Erklärbar nur mit dem Alter des Protagonisten!
Es ist interessant, das Gespräch der Eltern zu verfolgen. Hier hätte der Schwerpunkt gesetzt werden können. In dem Gespräch liegt der gesellschaftliche Aspekt (genug zum Essen zu haben) genau so wie die Angst des abgehört Werdens oder des Verrates.
 
. Wird in der Geschichte deutlich, worum es geht? Viele Informationen: Schnee verbunden mit Freude, Eis auf dem See, Weihnachtsbäckerei, dann Bruder an der Front, Wille, selbst dorthin zu gehen (unreflektiert) und schließlich das Gespräch der Eltern. Es fällt mir schwer, den Kern zu erkennen.
Hallo kurt leven,

wwie ich schon weiter oben schrieb, wollte ich die Stimmung einfangen an Weihnachten 1944, das letzte Weihnachten vor Kriegsende. Ich hatte kurz vorher den Film "Der Untergang" gesehen und der Gedanke ließ mich nicht los, wie sich die Menschen an diesem Weihnachten, also kurz vor dem Untergang, der sich aber schon abzeichnete, fühlen mochten.

Die Geschichte enthält keinen Plot, das ist so gewollt. Deswegen steht sie unter Kurzprosa. Es sollte keine Geschichte mit einer richtigen Handlung, Anfang, Mitte und Ende sein.

LG SilberneDelfine
 
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