Frei zu sein

Trasla

Mitglied
29.03.2009

Ich drehte den Schlüssel im Schloss um.
Als ich in ihre Wohnung kam hörte ich Stimmen und dachte, sie würde telefonieren. Aber beim Betreten des Wohnzimmers sah ich, dass jemand mit ihr auf dem Sofa saß und rauchte. Sie unterhielten sich auf Englisch. Ich bemerkte einen süßlichen Geruch, und ein genauerer Blick auf die vermeintlichen Zigaretten bestätigte meinen Verdacht. Nadine stellte uns einander vor: bei ihr saß ein Arbeitskollege aus dem Starbucks Cafe. Ich schaute kurz auf mein Handy, um die Uhrzeit zu erfahren: Weit nach Mitternacht.
Ich begrüßte ihn kurz, aber die zwei machten keine Anstalten, ihre Unterhaltung zu unterbrechen oder mich einzubeziehen, also ging ich erst einmal ins Bad. Es gab zwei getrennte Räume für die Toilette und die übrige Badeinrichtung wie Waschbecken, Dusche usw. In Österreich (beziehungsweise in Wien - mehr kannte ich von Österreich eigentlich nicht) schien diese Aufteilung üblich zu sein. Ich weiß nicht, ob ich mich jemals daran gewöhnen werde. Ich fühlte mich immer so schmutzig, wenn ich nach dem Toilettengang noch zwei Türklinken anfassen musste, ehe ich mir die Hände waschen konnte.
Ich bewegte mich absichtlich langsam, wusch mir bedächtig die Hände. Ich wollte mich nicht aufdrängen, wusste aber auch nicht genau, wo in Nadines Wohnung ich mich aufhalten sollte. Die Küche war offen im Wohnraum, ich hätte höchstens in das kleine Schlafzimmer gehen können, aber auch das erschien mir seltsam. Ohnehin konnte ich die Stimmung meiner Gastgeberin gerade nur schwer einschätzen.
Ursprünglich hatten wir gemeinsam zu dem Treffen am Abend gehen wollen, einfach mit ein paar Bekannten das ein oder andere Bier trinken. Sie hatte kurz vorher gesagt, sie fühle sich nicht so gut und würde lieber zu Hause bleiben. Ich wollte erst auch bleiben und mich um sie kümmern, aber ich hätte es auch blöd gefunden wenn wir beide nicht gekommen wären, und außerdem schien es ihr nichts auszumachen, dass ich weg ging, sie wollte sich ohnehin ausruhen.

Also war ich alleine in die Stiegl-Ambulanz gegangen, eine Kneipe, die in die Notaufnahme des alten Krankenhauses gebaut war. Dort gab es vorzügliches Paracelsus-Bier. Ich hatte einen lustigen Abend gehabt, mit Dagi, ihrem Freund, und noch einigen anderen Wienern. Aber es war schon seltsam, Nadine bei meiner Rückkehr nicht alleine anzutreffen. Ich stand noch immer vor dem Waschbecken.
Schon am Abend vorher hatte ich eine Verabredung, die wir eigentlich gemeinsam hatten, ohne sie wahrnehmen müssen. Wir wollten mit Stefan und Eva am Abend Essen gehen. Sie kannte die beiden nicht, und auch ich war neugierig auf das erste persönliche Zusammentreffen. Nadine musste allerdings abends viel länger arbeiten als ursprünglich gedacht, weshalb sie nicht mit konnte.
Mir war klar gewesen, dass ich Urlaub machte und sie aber arbeiten musste. Ich hatte mich darauf eingestellt, die Tage alleine zu verbringen. Aber auch auf die Abende verzichten zu müssen ärgerte mich ein wenig. Überhaupt herrschte den ganzen Besuch über eine seltsame Atmosphäre. Bei unserem letzten Treffen war sie plötzlich ohne Vorwarnung geflohen, und seit dem Wochenende offiziell mit irgendeinem Kerl aus Bonn zusammen, wie sie mir mitgeteilt hatte.
Ich war tief getroffen, immerhin hatte ich es nach einiger Zeit fertig gebracht, mir einzugestehen, dass ich in sie verliebt war. Sehr verliebt. Diese Beziehung von ihr mochte für mich nicht so richtig wirklich oder greifbar werden. Als sie mich am Flughafen abgeholt hatte, und ich sie küsste, hatte sie gesagt, dass wir das nicht mehr dürften. Und danach gekichert. Bei ihr angekommen hatten wir miteinander geschlafen. Auch danach hatte sie gesagt, dass das nicht richtig sei, und demonstrativ meine Kondome in ein Fach ihres Wohnzimmerschrankes geschlossen. Wir hatten trotzdem ständig intimen Kontakt, es war nur ein wenig wie in einem Schauspiel. Eine unwirkliche Welt, in die wir eintraten, sobald wir nebeneinander im Bett lagen.
Wir suchten Ausreden für uns selbst und für den Anderen, begannen uns selbst zu streicheln, dem Anderen zuzuschauen, uns gegenseitig anzufassen, rechtfertigten uns Schritt für Schritt. Es war konstruiert, lächerlich, aber es half uns, das zu tun, was wir wollten, was aber verboten war. Verboten aufgrund eines Freundes von ihr, den ich nicht kannte, nicht mochte und nie gesehen hatte. Der für mich nicht existierte, nicht wirklich. Und für sie, wie es schien, auch kaum.
Nicht offen miteinander fortzuführen, was wir schon immer genossen hatten, wurde eine Art lästige Formalität. Ich hörte, wie sie ihren Kollegen verabschiedete, und überlegte, wie lange ich wohl in Gedanken versunken im Bad gestanden hatte. Ich ging ins Wohnzimmer und setzte mich auf das große Sofa. Auf der Kante des Aschenbechers lag ein halb gerauchter Joint. Ich zog daran und lehnte mich zurück. Nadine kam von der Tür zurück und kuschelte sich an mich. Wir saßen da und rauchten den Joint zu Ende. Danach machte sie Musik an. Immer abwechselnd tönten aus ihrem MacBook "Ein Fötus wie du" von Samsas Traum und Milows Cover von "Ayo Technology".
Wir tranken Rotwein und rauchten im Laufe der Nacht noch drei oder vier Tüten. Die Lieder gefielen mir, ich kannte beide vor meinem Besuch bei Nadine nicht, aber auf seltsame Weise schien die Musik einfach zu ihr zu passen, und verband sich in meinem Kopf fest mit den Gedanken an sie. Geredet wurde kaum, es fühlte sich einfach alles richtig, harmonisch und vertraut an.
Plötzlich begann Nadine völlig unvermittelt, sich selbst zu befriedigen. Ihre Hose hatte sie vor einiger Zeit schon ausgezogen und sich in eine Decke gewickelt. Diese lag nun aber zur Seite geschlagen neben ihr. Sie hatte sich zurück gelehnt, die Augen geschlossen und die Hand in ihrem Höschen. Ich war etwas irritiert, schaute ihr aber gerne zu. Nach einer Weile schlug sie die Augen auf und bat mich, ihr einen Vibrator aus dem Schlafzimmer zu holen. Ich erfüllte ihren Wunsch. Als ich wieder kam hatte sie sich komplett entkleidet. Ich genoss noch einen Moment den Anblick ihres Spiels, dann hörte sie mit einem genervten Seufzer auf.
Ich befürchtete, dass sie einen dieser Momente hatte, in denen sie sich fragte, ob es moralisch vertretbar wäre, was sie tat, aber ich irrte mich. Sie erklärte mir, dass sie sich nicht gut genug entspannen könne, und ob es mir etwas ausmachen würde, sie zu lecken, sie brauche das jetzt unbedingt. Ich musste wohl etwas zweifelnd geschaut haben, denn sie erklärte sofort, dass das zwar nicht richtig wäre, aber immer noch besser als mit mir zu schlafen, und irgendwie müsse sie ja befriedigt werden. Länger brauchte sie nicht, um mich zu überreden.
Nachdem ich die mir gestellte Aufgabe zu ihrer vollsten Zufriedenheit erfüllt hatte, bekam sie einen Anruf über Skype. Ihr Freund war offensichtlich auch noch wach und hatte beschlossen, den jungen Morgen für ein Gespräch zu nutzen. Ich rückte zur Seite, so dass ich nicht auf dem Bild der Webcam zu sehen sein würde, und Nadine wickelte sich wieder in die Decke. Dann begann ihre Video-Unterhaltung.
Ihr Freund wirkte auf dem Bildschirm groß auf mich. Ich hatte nur einmal vorher ein verschwommenes Bild gesehen, von irgendeinem Rap-Wettbewerb. Nun saß er da. Die Beiden himmelten sich verliebt an. Er hatte Post für sie bekommen, eine Zusage der Universität in Bonn. Sie würde ihr Studium dort fortsetzen können. Sie würde zu ihm ziehen können. Ich war reichlich schockiert, da spielte sich in etwa das Szenario ab, von dem ich immer geträumt hatte. Die Beiden redeten weiter, darüber, dass eines Tages kleine Kinder morgens zu ihnen ins Bett krabbeln und auf ihren Bäuchen hüpfen würden. Er fragte nach mir, sie sagte ich sei schon im Bett. Und dass sie auf dem Sofa schlafen würde, weil sie immer länger auf blieb.
Ich fühlte mich schlecht, ich wollte nichts mehr von dieser Unterhaltung mitbekommen, die, so schien es mir, nur stattfand, um mich zu foltern. Ich kletterte über die Lehne des Sofas, so dass ich nicht durch das Bild laufen musste, und legte mich nebenan schlafen. Nadine hatte frei, sie würde ausschlafen können, ich selbst musste lediglich meinen Rückflug am frühen Nachmittag erwischen.
Ein paar Stunden später wachte ich auf. Ich lag im Bett, die Decke hatte sich um meine Beine gewickelt, Nadine lag schräg auf der Matratze, mit dem Kopf auf meiner Brust. Sie war nackt. Ich legte sie vorsichtig auf ein Kissen, deckte sie zu und stand auf. Ich duschte sehr lange, ich hatte ein wenig Kopfschmerzen. Genauso, wie ich einen etwas bitteren Geschmack auf der Zunge hatte, fühlte sich mein Herz an, als läge ein ungesunder Belag darauf. Die Zähne zu putzen half gut für einen angenehmen Geschmack im Mund, aber der Kakao, den ich trank, konnte leider nicht den gleichen Dienst für mein Herz leisten.
Ich versuchte, über Nadine nachzudenken. Über ihre Beziehung, ihr Verhältnis zu mir, meinen Besuch hier, unsere vorherigen Treffen, die letzte Nacht. Ich konnte keinen klaren Gedanken fassen. Und während ich hilflos in diesem Chaos dahin trieb, bekam ich eine SMS von Claudia. "Hey, besteht eine Chance, dich noch vor deinem Abflug auf einen Kaffee einzuladen?" Ich antwortete ihr, dass wir uns gerne in etwa einer Stunde treffen könnten, dann wäre noch genug Zeit. Es war mir irgendwie auch ganz recht, noch etwas Ablenkung zu bekommen, insbesondere, nachdem Nadines Telefonat mein Herz noch immer im Würgegriff hielt. Ich bekam eine Antwort: "Okay, ich bin in World of Warcraft noch mit ein paar Gildenfreunden unterwegs, aber das müsste sich ausgehen. Neben der CAT Station auf der Ecke ist ein Gerichtsgebäude oder so, da sammle ich dich ein."
Während ich meine Sachen einpackte, dachte ich an mein Zusammentreffen mit Claudia zurück. Ich war tagsüber durch Wien spaziert und hatte ihr eine SMS geschrieben: "Schöne Stadt hast du hier!". Sie hatte sofort verstanden und mich angerufen, mich überrascht gefragt, was ich denn in Wien mache. Da Nadine mir gerade vorher für die abendliche Verabredung abgesagt hatte, hatte ich Claudia kurzerhand zum Essen mit Eva und Stefan mitgenommen, um nicht ohne Begleitung erscheinen zu müssen.
Anschließend hatte sie die beiden nach Hause gefahren und mich gefragt, ob ich noch Zeit hätte, mir etwas zeigen zu lassen. Da ich nicht erwartet wurde, stimmte ich zu. Claudia fuhr mit mir auf einen Berg am Rand von Wien. Wir blieben auf einem Parkplatz stehen, von dem sie mir erzählte, dass hier oft Paare her kamen, um Sex zu haben. Außer uns war aber in der Nacht niemand da. Wir stiegen aus und sie führte mich einen kleinen Waldweg entlang, den ich nicht einmal sehen konnte. Plötzlich teilten sich die Bäume und wir kamen auf eine Aussichtsplattform. Was sich mir darbot war ein unglaublicher Blick über das nächtliche Wien.
Ich war einfach sprachlos. Der Augenblick war unglaublich romantisch. Er war romantisch auf einer viel abstrakteren Ebene als dass es irgendetwas ausgemacht hätte, dass zwischen Claudia und mir nie etwas gewesen war. Als ich sie kennen gelernt hatte, da war ich ein wenig verliebt gewesen. Aber sie hatte immer völlig deutlich und klar kommuniziert, dass sie keinerlei Interesse an mir hatte, das über eine Freundschaft hinaus gehen würde. Ich hatte mich schnell an die Situation gewöhnt.
Ich wurde von Nadine aus meinen Gedanken gerissen, als sie verschlafen ins Zimmer getapst kam. Ich hatte fast fertig gepackt und bat sie, mir meine Kondome aus dem Schrank wieder zu geben. "Wir müssen doch Abschiedssex haben", fügte ich hinzu, halb als dummer Scherz, halb um auszutesten, wie sie darauf reagieren würde. "Nix da" war ihre Antwort, die sich offensichtlich auf den Sex bezog, da sie mir direkt darauf meine Gummis aushändigte.
Sie schenkte uns beiden ein Glas Saft ein und setzte sich aufs Sofa, ich gesellte mich dazu. Sie wollte wissen, ob ich denn schon los müsse. Ich sagte ihr, dass Claudia mich zum Flughafen bringen würde und ich vorher zum City-Checkin wollte. Plötzlich nahm mich Nadine fest in den Arm, drückte mich fast verzweifelt an sich. Sie zeigte all die Melancholie, die Unsicherheit und die Zuneigung, die ich selbst spürte. Wir hielten uns fest, begannen uns zu küssen. Wir liebten uns, und obwohl kaum ein Moment vergangen war seit meiner Frage nach dem Abschiedssex, schienen Welten zwischen dem Begriff und dem, was wir erlebten, zu liegen.
Es war, als wollten wir einen Abdruck auf dem Anderen hinterlassen, wie eine kleine Abschiedsträne, die mit dem ganzen Körper geweint wurde. Es war Liebe und doch Trennung, es war unser beider Wille und doch ziellos, und vor allem war es so unglaublich richtig und doch so falsch. Das war es auch, was sie danach aussprach: "Das war falsch". Ihr Blick sagte mir etwas anderes.
Als ich ging musste ich tatsächlich weinen. Ich weiß nicht, ob mir jemals zuvor so etwas passiert war. Ich glaube, sie merkte, dass mir die Tränen kommen wollten. Sie drückte mir einen Kuss auf die Wange, dann ging ich durch die Tür. Ich wollte erst mit der Bahn fahren, aber dann bekam ich eine Nachricht von Claudia, dass sie einen Moment länger brauchen würde. Also beschloss ich, zu Fuß zu gehen. Ich setzte mir meine Kopfhörer auf und schaltete meinen iPod ein. Die Zufallsauswahl bescherte mir ein Lied, das meinen wirren Gedanken ein wenig mehr Leichtigkeit versprach:

Frei zu sein
Bedarf es wenig
Nur wer frei ist
Ist ein König

Schamlos nimmt
Der dreiste Dieb
Denn er ist
Seines Glückes Schmied
 

Haremsdame

Mitglied
Hallo Trasla,

was mir an diesem Text auffällt: die Kommafehler sind weniger geworden, aber immer noch vorhanden. Da solltest Du nochmal drüber gehen! Vor ca. einer Woche habe ich Deinen Text schon mal gelesen und etwas dazu geschrieben. Aber wahrscheinlich habe ich danach eine falsche Taste gedrückt, weil die Korrektur hier nicht sichtbar ist :mad:.

Also fasse ich noch einmal zusammen, was mir beim zweiten Durchgang weniger gefällt: Du verwendest gerne Schachtelsätze, die mir das Lesen erschweren. In meinen Augen willst Du viel zu viel auf einmal erzählen. Für mich wird der Text dadurch schwerer nachvollziehbar. Wenn ich mir dann vorstelle, dass dies ein Kapitel eines Romanes ist, der Leser also mitten in der Story steckt, wird meine Stimmung etwas milder :).

Noch etwas: Du verwendest viel zu viele Füllwörter wie "eigentlich", "allerdings", "aber", "überhaupt", etc. Hier solltest Du nochmal gründlich prüfen, wo Du etwas entsorgen kannst.

Schon am Abend vorher hatte ich eine Verabredung, die wir eigentlich gemeinsam hatten, ohne sie wahrnehmen müssen.
Dieser Satz gefällt mir nicht, auch wenn er grammatikalisch richtig ist. Was hältst Du davon, hier "Schon am Abend hatte ich eine Verabredung, die an uns beide gerichtet war, ohne sie wahrnehmen müssen."

Hier ist noch so ein schwer lesbarer Satz:
Er war romantisch auf einer viel abstrakteren Ebene als dass es irgendetwas ausgemacht hätte, dass zwischen Claudia und mir nie etwas gewesen war.
Zweimal "dass" in einem Satz ist einfach schrecklich! Was ältst Du davon, daraus zwei Sätze zu machen und damit ein "dass" zu entsorgen?

Wie Du siehst, steckt auch in diesem Kapitel noch Arbeit - und die beginnt erst nach dem Schreiben des Textes.

Neugierig auf Fortsetzungen wartend

grüßt die Haremsdame
 

Trasla

Mitglied
29.03.2009

Ich drehte den Schlüssel im Schloss um.
Als ich in ihre Wohnung kam, hörte ich Stimmen, und dachte, sie würde telefonieren. Aber beim Betreten des Wohnzimmers sah ich, dass jemand mit ihr auf dem Sofa saß, und rauchte. Sie unterhielten sich auf Englisch. Ich bemerkte einen süßlichen Geruch, und ein genauerer Blick auf die vermeintlichen Zigaretten bestätigte meinen Verdacht. Nadine stellte uns einander vor: bei ihr saß ein Arbeitskollege aus dem Starbucks Cafe. Ich schaute kurz auf mein Handy, um die Uhrzeit zu erfahren: Weit nach Mitternacht.
Ich begrüßte ihn kurz, aber die zwei machten keine Anstalten, ihre Unterhaltung zu unterbrechen, oder mich einzubeziehen, also ging ich erst einmal ins Bad. Es gab zwei getrennte Räume für die Toilette und die übrige Badeinrichtung wie Waschbecken, Dusche usw. In Österreich (beziehungsweise in Wien - mehr kannte ich von Österreich eigentlich nicht) schien diese Aufteilung üblich zu sein. Ich weiß nicht, ob ich mich jemals daran gewöhnen werde. Ich fühlte mich immer so schmutzig, wenn ich nach dem Toilettengang noch zwei Türklinken anfassen musste, ehe ich mir die Hände waschen konnte.
Ich bewegte mich absichtlich langsam, wusch mir bedächtig die Hände. Ich wollte mich nicht aufdrängen, wusste aber auch nicht genau, wo in Nadines Wohnung ich mich aufhalten sollte. Die Küche war offen im Wohnraum, ich hätte höchstens in das kleine Schlafzimmer gehen können, aber auch das erschien mir seltsam. Ohnehin konnte ich die Stimmung meiner Gastgeberin gerade nur schwer einschätzen.
Ursprünglich hatten wir gemeinsam zu dem Treffen am Abend gehen wollen, um mit ein paar Bekannten das ein oder andere Bier zu trinken. Sie hatte kurz vorher gesagt, sie fühle sich nicht so gut, und würde lieber zu Hause bleiben. Ich wollte zunächst bleiben, und mich um sie kümmern, aber ich hätte es auch blöd gefunden, wenn wir beide nicht gekommen wären. Es schien Nadine nichts auszumachen, dass ich weg ging, sie wollte sich ohnehin ausruhen.

So war ich alleine in die Stiegl-Ambulanz gegangen, eine Kneipe, die in die Notaufnahme des alten Krankenhauses gebaut war. Dort gab es vorzügliches Paracelsus-Bier. Ich hatte einen lustigen Abend gehabt, mit Dagi, ihrem Freund, und noch einigen anderen Wienern. Es war seltsam, Nadine bei meiner Rückkehr nicht alleine anzutreffen. Ich stand noch immer vor dem Waschbecken.
Schon einen Tag vorher hatte ich eine Einladung, die an uns beide gerichtet war, ohne sie wahrnehmen müssen. Wir wollten mit Stefan und Eva am Abend Essen gehen. Sie kannte die beiden nicht, und auch ich war neugierig auf das erste persönliche Zusammentreffen. Nadine musste allerdings abends viel länger arbeiten, als ursprünglich gedacht, weshalb sie nicht mit konnte.
Mir war klar gewesen, dass ich Urlaub machte, und sie arbeiten musste. Ich hatte mich darauf eingestellt, die Tage alleine zu verbringen. Auch noch auf die Abende verzichten zu müssen ärgerte mich ein wenig. Überhaupt herrschte den ganzen Besuch über eine seltsame Atmosphäre. Bei unserem letzten Treffen war sie plötzlich ohne Vorwarnung geflohen, und seit dem Wochenende offiziell mit irgendeinem Kerl aus Bonn zusammen, wie sie mir mitgeteilt hatte.
Ich war tief getroffen, immerhin hatte ich es nach einiger Zeit fertig gebracht, mir einzugestehen, dass ich in sie verliebt war. Sehr verliebt. Diese Beziehung von ihr mochte für mich nicht so richtig wirklich oder greifbar werden. Als sie mich am Flughafen abgeholt hatte, und ich sie küsste, hatte sie gesagt, dass wir das nicht mehr dürften. Und danach gekichert. Bei ihr angekommen hatten wir miteinander geschlafen. Auch danach hatte sie gesagt, dass das nicht richtig sei, und demonstrativ meine Kondome in ein Fach ihres Wohnzimmerschrankes geschlossen. Wir hatten trotzdem ständig intimen Kontakt, es war nur wie in einem Schauspiel. Eine unwirkliche Welt, in die wir eintraten, sobald wir nebeneinander im Bett lagen.
Wir suchten Ausreden für uns selbst und für den Anderen, begannen uns selbst zu streicheln, dem Anderen zuzuschauen, uns gegenseitig anzufassen, rechtfertigten uns Schritt für Schritt. Es war konstruiert, lächerlich, aber es half uns, das zu tun, was wir wollten, was aber verboten war. Verboten aufgrund eines Freundes von ihr, den ich nicht kannte, nicht mochte, und nie gesehen hatte. Der für mich nicht existierte, nicht wirklich. Und für sie, wie es schien, auch kaum.
Nicht offen miteinander fortzuführen, was wir schon immer genossen hatten, wurde eine Art lästige Formalität. Ich hörte, wie sie ihren Kollegen verabschiedete, und überlegte, wie lange ich wohl in Gedanken versunken im Bad gestanden hatte. Ich ging ins Wohnzimmer, und setzte mich auf das große Sofa. Auf der Kante des Aschenbechers lag ein halb gerauchter Joint. Ich zog daran und lehnte mich zurück. Nadine kam von der Tür zurück und kuschelte sich an mich. Wir saßen da und rauchten den Joint zu Ende. Danach machte sie Musik an. Immer abwechselnd tönten aus ihrem MacBook "Ein Fötus wie du" von Samsas Traum und Milows Cover von "Ayo Technology".
Wir tranken Rotwein und rauchten im Laufe der Nacht noch drei oder vier Tüten. Die Lieder gefielen mir, ich kannte beide vor meinem Besuch bei Nadine nicht, aber auf seltsame Weise schien die Musik einfach zu ihr zu passen, und verband sich in meinem Kopf fest mit den Gedanken an sie. Geredet wurde kaum, es fühlte sich einfach alles richtig, harmonisch und vertraut an.
Plötzlich begann Nadine völlig unvermittelt, sich selbst zu befriedigen. Ihre Hose hatte sie vor einiger Zeit schon ausgezogen, und sich in eine Decke gewickelt. Diese lag nun aber zur Seite geschlagen neben ihr. Sie hatte sich zurück gelehnt, die Augen geschlossen, und die Hand in ihrem Höschen. Ich war etwas irritiert, schaute ihr aber gerne zu. Nach einer Weile schlug sie die Augen auf, und bat mich, ihr einen Vibrator aus dem Schlafzimmer zu holen. Ich erfüllte ihren Wunsch. Als ich wieder kam, hatte sie sich komplett entkleidet. Ich genoss noch einen Moment den Anblick ihres Spiels, dann hörte sie mit einem genervten Seufzer auf.
Ich befürchtete, dass sie einen dieser Momente hatte, in denen sie sich fragte, ob es moralisch vertretbar wäre, was sie tat, aber ich irrte mich. Sie erklärte mir, dass sie sich nicht gut genug entspannen könne, und ob es mir etwas ausmachen würde, sie zu lecken. Sie brauche das jetzt unbedingt. Ich musste wohl etwas zweifelnd geschaut haben, denn sie erklärte sofort, dass das zwar nicht richtig wäre, aber immer noch besser als mit mir zu schlafen. Und irgendwie müsse sie ja befriedigt werden. Länger brauchte sie nicht, um mich zu überreden.
Nachdem ich die mir gestellte Aufgabe zu ihrer vollsten Zufriedenheit erfüllt hatte, bekam sie einen Anruf über Skype. Ihr Freund war offensichtlich auch noch wach, und hatte beschlossen, den jungen Morgen für ein Gespräch zu nutzen. Ich rückte zur Seite, so dass ich nicht auf dem Bild der Webcam zu sehen sein würde, und Nadine wickelte sich wieder in die Decke. Dann begann ihre Video-Unterhaltung.
Ihr Freund wirkte auf dem Bildschirm groß auf mich. Ich hatte nur einmal vorher ein verschwommenes Bild von ihm gesehen, von irgendeinem Rap-Wettbewerb. Nun saß er da. Die Beiden himmelten sich verliebt an. Er hatte Post für sie bekommen, eine Zusage der Universität in Bonn. Sie würde ihr Studium dort fortsetzen können. Sie würde zu ihm ziehen können. Ich war reichlich schockiert, da spielte sich in etwa das Szenario ab, von dem ich selbst immer geträumt hatte. Die Beiden redeten darüber, dass eines Tages kleine Kinder morgens zu ihnen ins Bett krabbeln und auf ihren Bäuchen hüpfen würden. Er fragte nach mir, sie sagte ich sei schon im Bett. Und dass sie auf dem Sofa schlafen würde, weil sie immer länger auf blieb.
Ich fühlte mich schlecht, ich wollte nichts mehr von dieser Unterhaltung mitbekommen, die, so schien es mir, nur stattfand, um mich zu foltern. Ich kletterte über die Lehne des Sofas, so dass ich nicht durch das Bild laufen musste, und legte mich nebenan schlafen. Nadine hatte frei, sie würde ausschlafen können, ich selbst musste lediglich meinen Rückflug am frühen Nachmittag erwischen.
Ein paar Stunden später wachte ich auf. Ich lag im Bett, die Decke hatte sich um meine Beine gewickelt. Nadine lag schräg auf der Matratze, mit dem Kopf auf meiner Brust. Sie war nackt. Ich legte sie vorsichtig auf ein Kissen, deckte sie zu und stand auf. Ich duschte sehr lange, ich hatte ein wenig Kopfschmerzen. Ich hatte nicht nur einen etwas bitteren Geschmack auf der Zunge, auch mein Herz fühlte sich an, als läge ein ungesunder Belag darauf. Die Zähne zu putzen half gut für einen angenehmen Geschmack im Mund, aber der Kakao, den ich trank, konnte leider nicht den gleichen Dienst für mein Herz leisten.
Ich versuchte, über Nadine nachzudenken. Über ihre Beziehung, ihr Verhältnis zu mir, meinen Besuch hier, unsere vorherigen Treffen, die letzte Nacht. Ich konnte keinen klaren Gedanken fassen. Und während ich hilflos in diesem Chaos dahin trieb, bekam ich eine SMS von Claudia. "Hey, besteht eine Chance, dich noch vor deinem Abflug auf einen Kaffee einzuladen?" Ich antwortete ihr, dass wir uns gerne in etwa einer Stunde treffen könnten, dann wäre noch genug Zeit. Es war mir ganz recht, noch etwas Ablenkung zu bekommen, insbesondere, nachdem Nadines Telefonat mein Herz noch immer im Würgegriff hielt. Ich bekam eine Antwort: "Okay, ich bin in World of Warcraft noch mit ein paar Gildenfreunden unterwegs, aber das müsste sich ausgehen. Neben der CAT Station auf der Ecke ist ein Gerichtsgebäude oder so, da sammle ich dich ein."
Während ich meine Sachen einpackte, dachte ich an mein Zusammentreffen mit Claudia zurück. Ich war tagsüber durch Wien spaziert, und hatte ihr eine SMS geschrieben: "Schöne Stadt hast du hier!". Sie hatte sofort verstanden, und mich angerufen, mich überrascht gefragt, was ich denn in Wien mache. Da Nadine mir gerade vorher für die abendliche Verabredung abgesagt hatte, war Claudia von mir kurzerhand zum Essen mit Eva und Stefan mitgenommen worden. So musste ich nicht ohne Begleitung erscheinen.
Anschließend hatte sie die beiden nach Hause gefahren und mich gefragt, ob ich noch Zeit hätte, mir etwas zeigen zu lassen. Da ich nicht erwartet wurde, stimmte ich zu. Claudia fuhr mit mir auf einen Berg am Rand von Wien. Wir blieben auf einem Parkplatz stehen, von dem sie mir erzählte, dass hier oft Paare her kamen, um Sex zu haben. Außer uns war allerdings in dieser Nacht niemand da. Wir stiegen aus, und sie führte mich einen kleinen Waldweg entlang, den ich nicht einmal sehen konnte. Plötzlich teilten sich die Bäume, und wir kamen auf eine Aussichtsplattform. Was sich mir darbot war ein unglaublicher Blick über das nächtliche Wien.
Ich war einfach sprachlos. Der Augenblick war unglaublich romantisch. Er war romantisch auf einer völlig abstrakten Ebene. Es machte nichts aus, dass zwischen Claudia und mir nie etwas gewesen war. Als wir uns kennen lernten, da war ich ein wenig verliebt gewesen. Aber sie hatte immer völlig deutlich und klar kommuniziert, dass sie keinerlei Interesse an mir hatte, das über eine Freundschaft hinaus gehen würde. Ich gewöhnte mich schnell an die Situation.
Nadine riss mich aus meinen Gedanken, als sie verschlafen ins Zimmer getapst kam. Ich hatte fast fertig gepackt, und bat sie, mir meine Kondome aus dem Schrank wieder zu geben. "Wir müssen doch Abschiedssex haben", fügte ich hinzu, halb als dummer Scherz, halb um auszutesten, wie sie darauf reagieren würde. "Nix da" war ihre Antwort, die sich offensichtlich auf den Sex bezog, da sie mir direkt darauf meine Gummis aushändigte.
Sie schenkte uns beiden ein Glas Saft ein und setzte sich aufs Sofa, ich gesellte mich dazu. Sie wollte wissen, ob ich denn schon los müsse. Ich sagte ihr, dass Claudia mich zum Flughafen bringen würde, und ich vorher zum City-Checkin wollte. Plötzlich nahm mich Nadine fest in den Arm, drückte mich fast verzweifelt an sich. Sie zeigte all die Melancholie, die Unsicherheit und die Zuneigung, die ich selbst spürte. Wir hielten uns aneinander fest. Sie begann, mich zu küssen. Wir liebten uns, und obwohl kaum ein Moment vergangen war, seit meiner Frage nach dem Abschiedssex, schienen Welten zwischen dem Begriff und dem, was wir erlebten, zu liegen.
Es war, als wollten wir einen Abdruck auf dem Anderen hinterlassen, wie eine kleine Abschiedsträne, die mit dem ganzen Körper geweint wurde. Es war Liebe und doch Trennung, es war unser beider Wille und doch ziellos, und vor allem war es so unglaublich richtig und doch so falsch. Das war es auch, was sie danach aussprach: "Das war falsch". Ihr Blick sagte mir etwas anderes.
Als ich ging, musste ich tatsächlich weinen. Ich weiß nicht, ob mir jemals zuvor so etwas passiert war. Ich glaube, sie merkte, dass mir die Tränen kommen wollten. Sie drückte mir einen Kuss auf die Wange, dann ging ich durch die Tür. Ich wollte erst mit der Bahn fahren, aber dann bekam ich eine Nachricht von Claudia, dass sie einen Moment länger brauchen würde. Also beschloss ich, zu Fuß zu gehen. Ich setzte mir meine Kopfhörer auf und schaltete meinen iPod ein. Die Zufallsauswahl bescherte mir ein Lied, das meinen wirren Gedanken ein wenig mehr Leichtigkeit versprach:

Frei zu sein
Bedarf es wenig
Nur wer frei ist
Ist ein König

Schamlos nimmt
Der dreiste Dieb
Denn er ist
Seines Glückes Schmied
 

Trasla

Mitglied
Hallo Haremsdame,
vielen Dank für dein Feedback! Ich bin den Text noch einmal durchgegangen, hauptsächlich habe ich mich um die Kommasetzung bemüht. (Hoffentlich erfolgreich). Ich habe deine konkreten Änderungsvorschläge aufgegriffen, und auch an einigen anderen Stellen versucht, es etwas zu entschachteln und die Füllworte zu tilgen.

Bei Letzterem tue ich mich ganz schön schwer. Falls du noch einmal drüber liest wäre es prima, wenn ich erfahren könnte, wo es noch besonders schlimm ist. Ich selber merke das nicht so, weil ich meine Gedanken natürlich viel leichter nachvollziehen kann und natürlich auch die ganze Situation vor Augen habe.

Auf jeden Fall aber schon einmal vielen Dank!!
 



 
Oben Unten