Freiheit, Freiheit über alles

Frank Zimmermann

Junior Mitglied
Freiheit, Freiheit über alles
Ich wußte, wo ihr Nest war. Bei der Tankstelle am Ortsausgang rotteten sie sich zusammen. Abends. Noch mußten sie auf die schützende Dunkelheit zurückgreifen. Doch lange konnte es nicht mehr dauern, dann würden sie sich mehr trauen. Ich hatte mit dem Tankwart gesprochen, ein freundlicher Kerl; er hatte mir versichert, daß auch er mit ihnen nichts zu tun haben wolle, zumal sein Vater Türke sei, doch er sei eben nur der Tankwart und könne sich neben seinem Job nicht auch noch mit dieser Meute anlegen. Er sei froh, daß sie ihn in Ruhe ließen und er könne es sich auf keinen Fall leisten seinen Job zu riskieren, in Zeiten wie diesen, schließlich habe er Familie. Ich verstand ihn. Seine Argumente leuchteten ein. Also wandt ich mich an den Konzern, um dessen Tankstelle es schließlich ging. Die Abteilung Öffentlichkeitsarbeit des Konzerns schickte mir einen freundlichen Brief, in dem darauf hingewiesen wurde, daß es sich bei dem Unternehmen um einen global agierenden Erdölkonzern handle, da könnte ich sicher verstehen, daß man sich nicht um jede Tankstelle in Kleinkleckersdorf kümmern könne. Schließlich wurde auf den Tankwart verwiesen, der übe schließlich als Angestellter vor Ort das Hausrecht aus. Siehe oben!
Was sollte ich tun? Ich lebte in einem freiheitlichen, demokratischen Staat. Bisher hatte diese braune Horde nichts schlimmes getan, sie war nur da und sie wuchs. Das störte mich zwar, das machte mir Angst, aber es war nicht verboten. Ein Vorsprechen bei der Polizei wäre also zwecklos gewesen. Ein direkter Angriff gegen die Gruppe wäre höchstwahrscheinlich in Gewalt geendet und ich war alleine, die waren viele... Schließlich breitete sich um die Tankstelle herum, einem Spinnennetz gleich, Hakenkreuzschmierereien aus. Wie die Strahlen von einer Lichtquelle, im Zentrum massiv und zur Rand hin dünner werdend, breiteten sich die Symbole in unserem Stadtbild aus. Wenn ich schon nicht gegen die Leute ankämpfen konnte, so doch wenigstens gegen ihre Schmierereien. Also besorgte ich mir einen Einer weißer Farbe, einen großen Pinsel und legte los. Von den Randbezirken zur Mitte hin arbeitete ich mich vor und übermalte jene Relikte aus einer düsteren Zeit, als mir jemand auf die Schulter tippte:
"Entschuldigung, darf ich mal fragen, was sie da machen?"
"Nun", sagte ich, "ich übermale Hakenkreuze, weil ich etwas gegen den wachsenden Neonazismus tun möchte."
"Aber, wenn sie diese Symbole übermalen, dann denken die Leute nachher es gäbe dieses Problem in unserer Stadt gar nicht. Außerdem ist doch jedes Graffiti auch eine Meinungsäußerung und wenn sie es übermalen, dann beschränken sie ja die freie Meinungsäußerung in unserem freien Lande. Dann sind sie ja ein regelrechter Zensor. Also ich muß schon sagen, solche Leute wie sie, die hatten wir doch schon mal..."
Verstört sah ich den Mann an. Wenn ich ihn richtig verstanden hatte, dann war ich ja jetzt ein Akteur wider die Freiheit. Das wollte ich auf keinen Fall sein, deshalb fragte ich betroffen:
"Ja wenn das so ist, was kann ich denn dann machen, um meinen Fehler wieder gut zu machen?"
"Da hilft nur eins", belehrte er mich freundlich, "sie müssen ihre Farbe wieder abwaschen oder sie malen die Kreuze neu."
Also zog ich los und besorgte mir einen Eimer schwarzer Farbe und legte los. Von da aus, wo ich mit der weißen Farbe angefangen hatte, malte ich nun mit der schwarzen Farbe die Hakenkreuze wieder neu, als mir jemand von hinten auf die Schulter tippte:
"Entschuldigung, darf ich mal fragen, was sie da machen?"
Ich hatte den Streifenwagen nicht kommen sehen und der Beamte, in dessen Gesicht ich jetzt blickte, sah ziemlich finster drein.
"Ich mache einen Fehler wieder gut", versuchte ich zu erklären, "ich hätte nämlich beinahe Zensur betrieben, doch da mir dies fern liegt, stelle ich die Meinungsäußerungen meiner Mitbürger wieder her..."
"So so", sagte der Beamte, als er mir die Handschellen anlegte, "na dann kommen sie mal mit!"
Ich saß auf dem Rücksitz des Streifenwagens und vorne diskutierte der Beamte mit seiner Kollegin, ob sie mich nun auf die Wache oder gleich in die Psychiatrie bringen sollten.
"Auf die Wache", entschied die Polizistin, "ich möchte nicht, daß dieses rechtsradikale Arschloch seiner gerechten Bestrafung entgeht!"
So landete ich in der Untersuchungszelle, wo ich jetzt sitze und auf den Untersuchungsrichter warte. Eines habe ich ganz sicher aus der ganzen Angelegenheit gelernt: ich werde mich nie wieder einmischen, auch dann nicht, wenn mir etwas noch so kritikwürdig scheint, denn der Schein könnte ja trügen und die Dinge sind viel zu kompliziert, als daß ich sie mit meinem beschränkten kleinen Geist durchschauen könnte. Da müssen schon andere kommen, so wie der freundliche Herr, der mich auf meinen Fehler mit der Zensur hingewiesen hat. Der wußte wo es lang geht! Und wenn ich hier raus kommen sollte und alle gehen nach rechts, dann geh' ich halt mit, es wird schon seine Richtigkeit haben.

(Übernommen aus der 'Alten Leselupe'.
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