Gaspar

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rubber sole

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Bleiche Gesichter im Saal. Wenig Publikum. Es herrscht gedrückte Stimmung. Undeutliches Getuschel. Die Haltung des Angeklagten abweisend. Verkrampft. Er fühlt keinen Zuspruch. Keine Unterstützung. Gaspar erwartet keine. Auch nicht vom Nebenmann. Von seinem Anwalt. Dem Pflichtverteidiger. Der ist nervös. Spielt unruhig mit einem Stift. Wippt mit den Füßen.

Mehrere Zeugenvernehmungen. Dann die Aussage des letzten Zeugen. Die vorherigen waren zweifelhaft. Nichts erschien schlüssig. Nun dieser Zeuge. Ein Geistlicher. Ausgerechnet. Der Anwalt bleibt nervös. Gaspar wirkt stoisch. Er kennt das Szenario. Als Wiederholungstäter. Hat keinerlei Erwartungen. Besonders nicht an diesen Zeugen. Ein flüchtiger Augenkontakt. Ein Zucken um die Mundwinkel des Pfaffen. Unbehagen auf seinen Gesichtszügen. Dies unterstreicht seine Unsicherheit. Anflüge von Scham sichtbar. Bemerkt nur von Gaspar. Er kennt diesen Pfarrer. Dessen Blick. Aus früherer Zeit. Dunkle Erinnerungen. Ein unangenehmer Seelenschmerz steigt auf. Lange unterdrückte Emotionen. Auch beim Priester. Der wirkt peinlich berührt. Immer wieder der Blick zu Gaspar. Der hält diesem stand. Der Zeuge wendet sich ab. Beendet seine Aussage.

Die Vorsitzende fragt nach. Macht Notizen. Dann Schlusswort. Der Anwalt grinst. Erleichterung bei ihm. Spruch des Gerichts wirkt befreiend. Kein Kirchenraub nachzuweisen. Gaspar ist nicht schuldig. Zu viele widersprüchliche Aussagen. Bezeugung des Pfarrers war ausschlaggebend. Die Anklage ist hinfällig. Ein fragender Blick des Priesters. Zum Beschuldigten. Gaspars Ausdruck bleibt abweisend. Er entbindet von nichts. Keine Vergebung von ihm. Für das Geschehene. Von vor zwanzig Jahren. Von ihm kein „Quid pro quo.
 
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Ubertas

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Hallo @rubber sole ,
ein hervorragender, eindringlicher Text.
Ein quid pro quo wird es nie geben. Dafür sind die Mühlräder zu groß. Eine Selbstverurteilung ist Hype, nichts mehr.
Danke für deine Worte, ich habe sie gerne und aufmerksam gelesen.
Lieben Gruß, ubertas
 

rubber sole

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Hallo Ubertas,

danke für deine Zustimmung und die Sternenwertung; es freut mich, dass dich der Text berührt. Ja, das ist das Problem, ein quid pro quo in immateriellen Belangen gleichwertig anzuwenden, ist kaum möglich, wer sollte die Wertigkeit festlegen? Ein Schuldeingeständnis hat hier kein Gewicht..

Gruß von rubber sole
 

Ubertas

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So ist es. Selbst auf einer Balkenwaage und bei gefühlter absoluter Parität gäbe es Abweichungen in der Wertigkeit. Wäre das Zünglein an der Waage ein echtes Eingeständnis, gäbe es keine Grausamkeit.
Dein Text berührt mich sehr. Ich mag es, nachzudenken über einen Text, der nicht geschrieben wurde, rein um zu gefallen.
Gruß und zwar einen lieben, zurück!
 

wiesner

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Ein sehr gelungener Text, dem man die persönliche Schreibnote des Autors zugute halten muss. Endlich mal ein anderer Stil! Ich finde, dass dieses Prosastück auf die Empfehlliste gehört.
Der winzige Tippfehler 'Vom seinem Anwalt' im ersten Absatz sollte korrigiert werden, dann wäre wirklich alles richtig gesetzt - keine Selbstverständlichkeit, wie sich leider! in vielen Arbeiten hier zeigt.

Sehr gut gemacht, rubber sole!

Gruß
Béla
 

rubber sole

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>wiesner:

Hallo Béla,

deine positive Wertung meiner Geschichte lese ich gerne. Schön, dass dich auch der hier verwendete minimalistische Schreibstil anspricht - wird nicht von jedem so gesehen. Klar, den Schreibfehler korrigiere ich. Herzlichen Dank für die Wertschätzung.

Gruß von rubber sole
 

Rachel

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Hei rubber sole, ich finde den minimalistisch verkürzten Stil/Satzbau für dieses kurze Gerichtsstück auch ausgesprochen passend; es entsteht aus ihm so etwas Steno- oder Protokollhaftes, was den Inhalt noch authentischer macht. (Ist aber wohl nur für eine kurze Lesestrecke bleibend unterhaltsam.)

LG, Rachel
 

rubber sole

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Hallo Rachel,

danke für deinen Kommentar. Genau so, wie du es beschreibst, ist die Verwendung des 'Telegrammstils' zu sehen: Die Geschichte wirkt auf diese Weise eindringlicher als weitschweifig erzählt.

Gruß von rubber sole
 



 
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