Gedankenspiele - Von Lust und Leid des Abschweifens

Papiertiger

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Meine Gedanken sind wie mein ganz persönliches Kartenspiel. Es hat Elemente eines Quartetts, aber auch von Patience, von Poker oder Uno. Lege ich etwa die Karte namens „Sex“, dann sind schnell alle anderen Karten ausgestochen. Dann wiederum gelingt es mir in rascher Folge eine Karte nach der nächsten zu einer Serie zu legen. Wenn dann wiederum der „Sex“-Trumpf sticht, kann so ein konstruktiver, euphorisierender Lauf abrupt abreißen.

Wie lagen meine Karten heute früh? Ich stellte mir folgende Situation vor:

Ich werde in einen zwar funktionalen, aber edel und kostspielig eingerichteten Raum geführt. An einem großen Tisch sitzt ein Dutzend junger Frauen. Ich sehe ihre grauen, weißen und schwarzen Businessoutfits. Nachdem ich mich gesetzt habe fällt mein Blick unter den Tisch. Die Damen tragen allesamt, enge, schwarze Lederröcke. Manche haben dunkle Nylonstrumpfhosen an. Einige tragen schwarz glänzende Lacklederpumps von Louboutin mit ihren markanten roten Sohlen, andere Ballerinas, der Rest ist in Doc Martens Stiefel geschlüpft. Der warme, aufreizende Duft ihrer geschmackvollen Parfüms erfüllt den Raum.

Von hier aus könnte die Geschichte in eine ziemlich ansprechende Erotikgeschichte weitergehen. Sex. Das kann bedeuten aus Wenig große Summen Geldes zu machen, denken wir an Prostitution, den Pornomarkt oder an bestens bezahlte Schauspielerinnen und Schauspieler, die vor allem deshalb gecastet werden, weil sie dank ihres blendenden Aussehens die sexuellen Phantasien des Publikums anheizen. Geld und Sex. Geld, Sex, Macht. Dauerbrennerthemen. Aber auch etwas fade und vulgär. Nach dem Orgasmus werden sexuelle Phantasien rasch lästig, man ist peinlich berührt und irritiert, wieso man sich schon wieder so sehr in etwas hineingesteigert hat, dass so schnell wieder vorbei ist. Und ich denke an den Satz: ein langfristiges Problem verlangt nach einer langfristigen Lösung.

Dann verliere ich die Lust daran, weiterzuschreiben. Der Sonntag ist vorbei. Ich habe nur diese paar Zeilen zustande gebracht. Das fühlt sich erneut wie ein totales Versagen an.

Einen Tag später sitze ich im Bus zur Arbeit. Plötzlich steigen die Gedanken vom Vortag wieder auf. Ich denke: Hey! Es war gut, dass ich drangeblieben, mich gequält und gefordert habe, vor allem aber ist es gut, dass ich tatsächlich etwas geschrieben habe. Denn es ist abgedroschen, aber eben auch wahr: Schreiben lernt man nur durchs Schreiben. Der Weg ist das Ziel. Ich habe Sätze produziert, Gedanken formuliert, einen Steinbruch entdeckt, mit dessen Material ich arbeiten kann. Das Probieren, das Weitermachen, die Zwischenschritte und Etappensiege sind die unbesungenen Helden des Schreibens. Und ich denke an die TV-Serie „Ein Colt für alle Fälle“ und dessen eingängigen Titelsong über den „'Cos I'm the unknown stuntman , that makes Eastwood look so fine“, also an die Leute, die beim Film die wenig gewürdigte Drecksarbeit machen, ohne dafür richtig annerkannt zu werden. Und ja, nun ist ein weiterer Text ohne Spannungsbogen entstanden - fast könnte man meinen, dass er damit zu sehr dem realen Leben ähnelt und somit Leser verunsichern könnte - den man nicht veröffentlichen sollte. Und doch fühlt es sich wie ein Fortschritt an, wie ein Testlauf vor einem Marathon. Bis morgen bin ich noch nicht fit für ein ganzes Buch oder um bei der Metapher zu bleiben, den 42 Kilometern und mehr, aber es fühlte sich gut an, drangeblieben zu sein.

„Schatz, ich habe einen neuen Beitrag für die Leselupe fertig“, rufe ich in den Nebenraum.

„Ach, wie schön“, schallt es zurück. „Dann hast Du ja jetzt Zeit und kannst die angefangene Arbeit in der Küche beenden. Wenn Du den Geschirrspüler schon öffnest, dann räum ihn doch wenigstens gleich aus!“

Ich seufze. Teilergebnisse sind vielleicht doch nichts, was ich an die große Glocke hängen sollte.“ und frage mich, wieso ich mich immer so schnell ablenken lasse. Und was war nochmal Trumpf?
 



 
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