Gedenke dem Tod

Kinkajoe

Mitglied
Was ein komischer Tag.
Ich hab schon wieder fast verschlafen. Tag für Tag stehe ich viel zu spät auf. Mit Glück schaffe ich es morgens noch schnell zu duschen, bevor ich zur Bahn renne, aber oft genug schaffe ich auch das nicht mal. Heute hat es wenigstens noch für 'nen kurzen Hüpfer unters eiskalte Wasser gereicht. Aber sauber fühlt sich das trotzdem nicht an. Das hat macht mich nur noch genervter gemacht.
Aber genervt bin ich morgens sowieso.

Keine Zeit für Kaffee. Keine Zeit ein Brötchen zu schmieren. Nicht mal Zeit für 'ne Kippe auf dem Weg zur Bahn. Aber das ist normal. Das passiert mir jeden Morgen. Ich komme abends einfach nicht zum schlafen, weißt du. Immer liege ich nur rum und wälze mich, bis ich mir dann doch zum zehnten Mal die Schuhe überziehe und eine Rauchen gehe. Wobei das nicht mal stimmt. Meistens werden es dann doch ein paar viele, bis ich wieder hineingehe. Nur damit sich das Gleiche in dreißig Minuten wiederholt.
Ich weiß gar nicht, wann das angefangen hat. Es hat sich eigentlich nichts geändert. Aber irgendwann habe ich einfach keinen Spaß mehr gehabt. Einfach alles nur Spröde und Grau. Es ist auch nicht erst seit heute so.

Weil ich die doch wieder nicht die Energie hatte meine Wäsche zu waschen, habe ich heute früh einfach wieder die muffige Jogginghose angezogen. Wenigstens müssen wir in der Lagerhalle keine feste Arbeitskleidung tragen. Solange ich meine Stahlkappenschuhe trage, ist die Arbeitssicherheit zufrieden. Eigentlich brauche ich seit 'nem Monat neue, aber dadurch, dass ich immer gleich all mein Geld ausgebe, um von irgendwas einen kleinen Kick Dopamin zu kriegen, kann ich mir keine Neuen Leisten.

Ich hab heute die eingedellten Schuhe also wieder angezogen. Dann hab ich mir meinen Rucksack über geschmissen und bin zur Bahn gelaufen. Na toll. Natürlich hat die Bahn Verspätung. Eigentlich ist das egal. Ich schreibe meinem Chef eine Nachricht und das Thema ist gegessen. Dadurch, dass ich immer fleißig mitarbeite, lässt er mir fast alles durchgehen. Trotzdem macht mich das fertig, schon wieder zu spät zu kommen. Auch wenn ich kaum etwas dafür kann. Es ist immerhin ja die erste Bahn die morgens kommt. Wahrscheinlich sind die Bahnfahrer einfach genauso müde wie ich und pennen mal an 'ner Station ne Minute weg.

Wenigstens muss ich heute nur zehn Minuten extra warten. Gestern ist die erste Bahn gänzlich ausgefallen und ich musste eine halbe Stunde im Regen warten. Bei dem Mistwetter ist mir die erste Kippe aus dem Mund geflogen und die zweite immer wieder von Wind und Regen ausgegangen. Ich hatte mich doch schon extra ganz nach hinten in den kleinen Holzunterstand am Bahnsteig gestellt. Wenigstens regnet es jetzt nicht.
Und da ist auch schon die Bahn. Die paar Minuten Bahn fahrt habe ich mir ein Video über Chinas Politik angeguckt. Eigentlich ist es mir echt egal, was in Fernost passiert. Aber lieber irgendein Video was mir vorgeschlagen wird, als zehn Minuten suchen und nichts gucken.

Obwohl ich einer der wenigen Kollegen bin, der mit der Bahn fährt und die Kollegen mit dem Auto eigentlich keinen Grund haben so spät zu sein, kommen trotzdem noch welche angelaufen, während ich die Tür schon mit meiner Karte entriegele. Die Kollegen haben sich zum Glück inzwischen dran gewöhnt, dass ich nicht der Gesprächigste bin. Dadurch lassen sie mich erst recht morgens mit irgendwelchen wertlosen Begrüßungsfloskeln in Ruhe. Die Arbeit war mal wieder nicht besonders Spannend. Aber dadurch, dass ich Flott und zügig Arbeite geht der Tag trotzdem wie im Flug rum.
Zum Schichtende hat es sich eingebürgert, dass wir Alle draußen noch eine Kippe rauchen, bevor wir unserer Wege gehen.
Irgendwie ein schönes Ritual.

Nach dem ich den Jungs „Bis morgen“ zu nuschle gehe ich also zur Bahn. Sie ist sogar mal pünktlich. Dadurch, dass ich natürlich mitten im Berufsverkehr stecke brauche ich auch gar nicht versuchen mein Handy rauszuholen. Immerhin kann ich an meinem Brustkorb mindestens drei Ellenbogen spüren. Allesamt von anderen Leute die nach dem Wohlverdienten Feierabend nur noch nach Hause wollen und sich dafür wie Sardinen in diese Büchse stecken. Egal.
Ein bisschen innerliches Gemecker und schon sind die zehn Minuten auch wieder rum.
Beim Aussteigen überrascht mich der kalte Regen, der mir gleich ins Gesicht klatscht. Fast so toll, wie die Dusche heute früh. Obwohl ich morgens viel zu früh anfangen muss zu arbeiten, habe ich nach der Arbeit meistens das Gefühl, der Tag ist schon fast wieder vorbei.

Zuhause esse ich etwas.
Es gibt bestimmt hunderte Sachen, die ich eigentlich erledigen sollte. Meine Wäsche liegt seit Wochen dreckig im Wäschekorb. Die Spülmaschine steht mit Sauberem Geschirr rum, obwohl auch die Spüle schon wieder voll gestapelt mit Tellern zum einweichen ist. Eigentlich muss ich auch mal wieder Saugen. Oder zumindest mal richtig durchlüften.
Fürs erste muss es wohl reichen, wenn ich ein Fenster aufmache um nach draußen zu Rauchen. Auch wenn kaum mehr Regen da ist, riecht es noch nach der Feuchte vom Gewitter.
Natürlich nur so lange, bis ich mir die Kippe anzünde und kräftig daran ziehe. Eigentlich echt Nutzlos. Für ein paar Minuten geht's einem entspannter und wenn man Glück hat, kriegt man in zwanzig Jahren Krebs. Dafür zehn Euro pro Tag lohnt sich da eigentlich auch nicht.

Ich lege mich erst mal auf die Couch und mache mir irgendwas zum Gucken an. Eigentlich ist es auch egal was läuft. Hauptsache, ich habe das Gefühl nicht ganz so alleine mit meinen Gedanken zu sein. Manchmal fühlt es sich an als hätte ich ein Prisma in meinem Kopf. Aber statt meine Gedanken wie Regenbögen aussehen zu lassen bricht es sie in Tausende unverständliche Teile die hin und her schwingen.
Wie kann es eigentlich schon wieder 20 Uhr sein? Ich hab doch bloß gekocht und ein paar folgen durchlaufen lassen. Wenn ich mich jetzt hinlege, dann liege ich bestimmt wieder bis 3 Uhr wach.

Ein kleiner Spaziergang wird mich bestimmt müde machen. Und wenn nicht, dann schaffen das bestimmte die Zigaretten, nach denen es mir schmachtet.
Es gibt eine Strecke, die ich Abends gerne laufe. Gerade an Vollmond fühlt es sich alles fast Märchenhaft an. Aber heute ist kein Vollmond. Heute ist einfach nur irgendein Mond. Ich kann dir nicht mal sagen ob zu- oder abnehmend. Er ist einfach da.

Von meiner Wohnung gehe ich nur ein paar Minuten zu einem kleinen Dickicht, am Rand dieses Kaffs. Die Wanderwege kenne ich glaube ich inzwischen alle auswendig. Meistens sieht man mit dem Mond gerade genug um nicht zu stolpern. Der Weg, den ich einschlage, führt an einem kleinen Tümpel vorbei. Hier gibt es manchmal nachts vereinzelt Tiere, die aus ihrer Deckung kommen um was zu trinken. Manchmal, wenn ich ruhig genug bleibe, scheine ich sie nicht zu stören. Heute sind am Rand des matschigen Ufers aber wenn überhaupt nur ein paar Regenwürmer, die vom Regen aufgetrieben wurden.
Ein Stück weiter den Weg entlang ist ein verwahrloster Jagdsitz. Hier sitze ich gerne. Er muss schon ziemlich lange verlassen sein. Nicht nur, dass die meisten Dielen mehr von Pilzen zusammengehalten werden als vom Holz selbst, auch das Guckloch ist Nutzlos, weil ein kräftig gewachsener Baum die Sicht komplett blockiert.

Nach wahrscheinlich sieben Zigaretten gehe ich weiter. Mein Lieblingsort ist eine Wildbrücke die über die Schienen der Sbahn führt.
Es fühlt sich irgendwie zeitlos an, wenn man von hier Oben die vorbeisausenden Züge anschaut und sich klarmacht wie vergänglich doch alles ist. Jeder einzelne, der in dem Zug sitzt, wird irgendwann sterben. Vielleicht durchs Alter, vielleicht an einer Krankheit, vielleicht durch einen Unfall.
Es beruhigt mich, dass obwohl einem jeden der Tod gewiss ist, die Leute Tag ein und Tag aus Ihr Leben leben. Arbeiten, einkaufen, Zug fahren, Freunde sehen. Saufen, Ficken, Schlägereien. Liebe, Hochzeit, Vergänglichkeit.

Wenn ich so drüber nachdenke, weiß ich gar nicht, wieso ich über die Brüstung geklettert bin.
Es war irgendwie natürlich.
Aber nach dem Aufprall hatte ich gar nicht die Zeit das zu hinterfragen, denn der nächste Zug hat mich schon erwischt.

Warum habe ich mich ausgerechnet Heute umgebracht?
 



 
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