Die Geisterakte – Und es war erst Mittwoch!
Die ersten Fledermäuse flatterten durch die Dämmerung. Grillen zirpten, und ein sanfter Wind kündigte die Kühle der Nacht an. Meine Schritte zischten leise auf dem Boden – wie mein letztes Seufzen.
Die Scheinwerfer dieser brummenden Blechmonster, die es in meiner Zeit noch nicht gab, glitten über die Fassaden der umstehenden Häuser und strichen über die schwach glimmenden Laternen. Der Geruch von nasser Erde wurde in meine Nase getrieben, wurde stärker, je näher ich meinem Ziel kam.
Kennst du diese Ecken, in denen der Putz abbröckelt, sich Spinnenweben wie Stolperdrähte von Wand zu Wand spannten und Mohnblumen ein falsches Versprechen flüstern? Wo der Moder in den Balken wohnt und der Schimmel unter den Dielen lauert? Die Hausflure, um die jeder einen Bogen macht, wenn es nur dunkel genug ist? Pass also besser auf, wo du hintrittst, wenn du mir folgst. Denn das hier – das ist mein Arbeitsweg.
Ich blieb stehen und machte eine ruckartige Drehung zur Seite. Hier war es still. Es war nicht die Art Ruhe, in der jemand entspannen würde. Dies war eine Stille, die dröhnend über mir zusammenschlug und Gewichte an meine durchscheinenden Glieder zu hängen schien. Wie ein Moor, das mich langsam, aber unweigerlich tiefer zog.
Wachsam wanderten meine Augen über die verblassende Wandfarbe, die schräg in den Angeln hängende Tür und die letzten Reste der Fensterscheiben, so dicht mit Staub bedeckt, dass es mehr einer grauen Wand glich als Glas. Eine wagemutige, junge Birke baute sich vor dem Eingang auf, streckte ihre Zweige unwillkommenen Besuchern entgegen, als letzte Mahnung.
Ich atmete tief durch – so wie jemand mit einer gesunden Einstellung. Dumm nur, dass ich keine hatte.
Mit einem letzten Ruck zückte ich mein Klemmbrett und ließ mit einem entschlossenen Klicken die Mine des Kugelschreibers aufblitzen. Ich überflog die Daten auf dem Bogen: Familienhaus. Unbewohnt – von Lebenden. Gutachtstraße Nummer 4. Meine 25. Spukhausinspektion diese Woche.
„Und es ist erst Mittwoch!“, grummelte ich mürrisch, warf den Kopf in den Nacken und trottete achtlos durch den zerfallenen Zaun.
Und jetzt gleich ein ganzes Haus! Na, das kann ja heiter werden.
Die Tür knarzte schaurig, als ich sie aufschob. Ein kühler Windstoß, der den Geruch von Moder mit sich brachte, schlug mir entgegen. Der Hausflur klaffte schwarz wie ein bodenloser Schlund zwischen den zerfallenen Wänden. Mir lief es kalt den Rücken hinunter, und ein Schauer ließ meine Substanz kurz zittern. Ich hielt inne. Häkchen dran. Und weiter.
Die Feuchtigkeit in der Luft war so schwer, dass sie förmlich an mir klebte. Schlierige Schichten Schimmel zogen sich über weite Teile des offenliegenden Holzes in der Decke und den Wänden. Ein Kribbeln zuckte durch meine Kopfhaut, und etwas strich über meine Arme, kaum mehr als ein Hauch. Kalt lief es mir den Rücken herunter, während ich die Augen verdrehte.
Das war dann wohl ein Stolperdraht.
Ich folgte dem Flur, vorbei an offenstehenden Türen in anliegende Räume, in ein weites Zimmer. Unwillkürlich atmete ich auf, als wäre eine unsichtbare Last von meinen Schultern verschwunden.
Das schwache Abendlicht ergoss sich über den fleckigen Teppich, umspielte die Unterseite des Sofas, das quer im ehemaligen Wohnzimmer lag, und tauchte die schief hängenden Gemälde einstiger Besitzer in ein sanftes Schimmern.
Meine Haare glitzerten, als sich die schwachen Sonnenstrahlen durch das schmierige Fenster in den kleinen Dunsttropfen darin brachen. Lange Schatten waberten durch die dunklen Ecken, wie stille Beobachter. Glasscherben und herausgebröckelter Putz knirschten so laut unter meinen Schuhen, dass die Dielen eifersüchtig verstummten.
Ich nahm einen tiefen Atemzug, senkte den Kopf und machte übellaunig einige Notizen.
Plötzlich schepperte und klirrte es hinter mir, dass es nur so in meinen Ohren klingelte. Ein Knurren, tief und bedrohlich wie das eines angriffslustigen Ungeheuers, grollte durch den Flur, schlug mir stickig und schwül entgegen. Das Haus erbebte, Kommoden und Schränke erzitterten, das Geschirr klapperte. Doch nichts übertraf die polternden, dumpfen Schritte, die sich in meine Sinne bohrten wie ein stumpfer Nagel.
Staub rieselte von der Decke, Holzsplitter lösten sich und nieselten auf mich herunter. Die donnernden Bewegungen brüllten über mir durch die Etage, fauchten den Gang entlang auf die Stufen zu. Flink wie eine Raubkatze, aber laut wie ein Elefant kam etwas Unsichtbares die jaulende Treppe heruntergepoltert.
Das Haus tobte, die Wände vibrierten.
Mitten im Tumult, in Staubwolken und klirrenden Scherben, starrte ich auf die Wand.
Schweigend beobachtete ich, wie sich ein großes Stück der vergilbten, mit rosa Blümchen verzierten Tapete löste. Die Ecken rollten sich langsam ein, ehe es den Halt verlor und wie ein verwelktes Blatt im Herbst zu Boden trudelte.
Ich zwang mich zur Geduld. Hat auch lange genug gedauert, zuckte es durch meine Gedanken.
Ohne mein Desinteresse zu überspielen, wandte ich mich an den Geist, der vor mir Gestalt angenommen hatte und nun als dampfender, aufgeblähter Klops in der Luft hing, offensichtlich begeistert von seinem eigenen Auftritt.
Ich legte den Kopf in den Nacken und rief: „Gerade noch rechtzeitig, sonst hätte ich Ihnen eine Mahngebühr berechnen müssen – aufgrund verspäteter Spukaktivitäten.“ Das breite Grinsen verlor an Glanz, und zwei verdutzte Murmelaugen starrten mich aus Herr Webers breitem Doppelkinn-Gesicht an. Ich fuhr unbeirrt fort:
„Nach den Richtlinien zum Spuken in Wohnhäusern muss der Spuk eintreten, ehe mögliche Besucher das im Antrag benannte Spukobjekt betreten und zweckentfremden können!“, zitierte ich gefühlskalt.
Herr Weber schrumpfte merklich in sich zusammen, bis er nur noch knapp einen Kopf größer war als ich. Mit finsterem Ausdruck senkte ich den Blick und überflog meine Notizen.
„Dazu kommt, dass es diesem Raum, der nach eigenen Angaben als Hauptquelle der zu erlebenden Schreckmomente dient, deutlich an Moder- und Verwesungsgeruch fehlt.“ Ich klopfte mit dem Stift auf mein Klemmbrett.
„Aber mein Auftritt!“, beharrte Herr Weber unsicher. „Das kostet einfach Zeit und…“
„Ersparen Sie uns bitte die Diskussion“, unterbrach ich ihn entschieden und lief durch seinen inzwischen wieder natürlich geformten Geisterkörper.
„Sie müssen nach Protokoll vorgehen, wenn Sie Ihre Spuklizenz behalten wollen!“
Ich legte eine Hand auf das Geländer, während die Stufen unter mir ächzten. Das Holz war rau, und Splitter fuhren mir durch die Substanz.
Auf halber Höhe blieb ich stehen und schaute hinunter ins Wohnzimmer, betrachtete den ausgetretenen Teppich und die einst geblümte Wand.
„Die Hauptquelle Ihrer Spukaktivitäten ist im Übrigen viel zu einladend“, verkündete ich und vermerkte es in den Unterlagen.
„Ich weiß nicht, wie das überhaupt die erste Prüfung überstehen konnte, aber das müssen Sie umgehend anpassen.“
Herr Weber nickte gehorsam. Er folgte mir die wimmernde Treppe hinauf. Das Geländer war teilweise weggebrochen oder nur noch morsche Stümpfe. Hierfür landete ein weiterer Haken auf meinem Bericht.
Uns begrüßte ein langer Flur, vom letzten Rest des Sonnenlichtes geflutet. Warme Lichtflecken wurden an die Decke geworfen und tauchten alles in verträumte, sanfte Farben. Eine Handvoll Türen führten vom Gang in die Zimmer, wie schweigende Wächter, die von einer vergangenen Zeit zeugten.
Ich fuhr mit einem Finger über eine der dunklen Kommoden. Eine hauchfeine Schicht Staub lag auf den Möbeln, Kanten und Fenstern. Die floralen Muster der Tapete zeichneten sich deutlich ab und luden dazu ein, sich niederzulassen.
Unzufrieden zog ich die Augenbrauen zusammen und notierte das noch intakte Fenster am Ende des Flures, während ich weiterlief und mir klar wurde, dass dies erst der Anfang war. Die Zimmertür quietschte, als ich sie aufstieß. Staub und ein paar kümmerliche Spinnweben gerieten in Bewegung.
Ganz toll! Wäre ich unten geblieben, hätte ich jetzt Feierabend machen können!, durchfuhr es mich frustriert. Ich presste den Kugelschreiber so fest auf, dass er das Papier fast zerriss. Jeden einzelnen Mangel hielt ich verkrampft auf dem Stück Papier fest.
Herr Weber schwebte unterdessen immer unruhiger neben mir her. Ich atmete tief durch und machte auf dem Absatz kehrt. Das reichte mir.
Erschrocken schwabbelte Herr Weber von mir weg.
„Ich muss Sie darauf hinweisen, dass Sie nicht nur an Ihrem Hauptspukort, sondern auch hier auf dieser gesamten Etage das entsprechende Gänsehautmaß der DIN-Norm G482, Absatz 4741 zu Gänsehautregularien bei der Gesamtatmosphäre in geisterbesetzten Wohnhäusern bei weitem nicht erfüllen.“
„Wer hält sich denn überhaupt daran?“, murmelte er missmutig und wich meinem bohrenden Blick aus. Seine Substanz bekam ein leicht rotes Glühen.
Ich räusperte mich verärgert.
Das hatte mir noch gefehlt – ein streitlustiger Sturkopf, der seinen Geisterhintern so wenig bewegte, dass er nicht einmal von den verschärften Spukkontrollen seit 20 Jahren wusste. Ich funkelte ihn mit rot blitzenden Augen an und setzte kommentarlos fort:
„Sie sollten alle aufgeführten Mängel…“ – ich reichte ihm eine Durchschrift meines Berichtes – „…innerhalb von 30 Tagen ausbessern. Melden Sie sich anschließend in der Abteilung für Spukwohnungen, -häuser und -wohnwagen bei Ihrem zuständigen Geist.“
Die Farbe von Herr Weber wurde tiefrot, und seine Nase spie Dampf, als er wütend schnaubte.
„Es wird eine weitere Prüfung mit Ihnen vereinbart. Bitte beachten Sie, dass die Spukabteilungen sich in die Todesjahre untergliedern, nicht in Geburtsjahre.“
Er riss mir die Durchschrift aus der Hand und verbrannte sie beinahe unter seinen brodelnden Emotionen.
„Ich empfehle mich“, verabschiedete ich mich, klemmte mir das Brett unter den Arm und ließ den rauchenden Herr Weber im Flur schweben. Die Zimmertür krachte mit einem ohrenbetäubenden Donnern hinter mir zu, nur um quietschend wieder aufzuschwingen.
Mit einem schnellen Blick aus dem Fenster wurde mir schmerzlich bewusst: Die letzten Sonnenstrahlen waren längst verglüht, der Himmel schon grau gewaschen.
Während ich die in das gelbliche Licht der Laternen getauchte Straße hinunterhastete, stopfte ich Klemmbrett und Unterlagen zurück in meine Tasche. Vielleicht blieb ja noch ein Zipfel Nacht für mich übrig.
Einige Schemen und dunkle Umrisse kreuzten meinen Weg, nickten knapp. Vermutlich nur aus Anstand – oder weil sie froh waren, heute nicht auf meiner Liste zu stehen. Noch nicht.
Die Aktenbearbeitung zog sich. Sterne standen längst am Himmel, und selbst die Sommerhitze hatte endlich aufgegeben, als ich den letzten Ordner entnervt ins Regal schob.
Feierabend. Endlich.
Ich schlängelte mich durch die Schlossflure, wich Kollegen aus, die zum Schwafeln ansetzten, und streifte an bekannten Quasselgeistern vorbei, ohne sie eines Blickes zu würdigen.
Die kühle Nachtluft prickelte auf meiner Haut, der Mond schimmerte milchig durch meine Essenz.
Und dann – mitten im friedlichen Dunkel, zwischen schwankenden Baumkronen und dem schwachen Laternenschein, kam er wieder – dieser eine, unerträgliche Gedanke:
Ich bin tot. Und trotzdem angestellt. In einer verdammten Geisterbehörde!
Paragraf 17b, Absatz 3: Ruhe in Frieden nur mit Genehmigung.
Die ersten Fledermäuse flatterten durch die Dämmerung. Grillen zirpten, und ein sanfter Wind kündigte die Kühle der Nacht an. Meine Schritte zischten leise auf dem Boden – wie mein letztes Seufzen.
Die Scheinwerfer dieser brummenden Blechmonster, die es in meiner Zeit noch nicht gab, glitten über die Fassaden der umstehenden Häuser und strichen über die schwach glimmenden Laternen. Der Geruch von nasser Erde wurde in meine Nase getrieben, wurde stärker, je näher ich meinem Ziel kam.
Kennst du diese Ecken, in denen der Putz abbröckelt, sich Spinnenweben wie Stolperdrähte von Wand zu Wand spannten und Mohnblumen ein falsches Versprechen flüstern? Wo der Moder in den Balken wohnt und der Schimmel unter den Dielen lauert? Die Hausflure, um die jeder einen Bogen macht, wenn es nur dunkel genug ist? Pass also besser auf, wo du hintrittst, wenn du mir folgst. Denn das hier – das ist mein Arbeitsweg.
Ich blieb stehen und machte eine ruckartige Drehung zur Seite. Hier war es still. Es war nicht die Art Ruhe, in der jemand entspannen würde. Dies war eine Stille, die dröhnend über mir zusammenschlug und Gewichte an meine durchscheinenden Glieder zu hängen schien. Wie ein Moor, das mich langsam, aber unweigerlich tiefer zog.
Wachsam wanderten meine Augen über die verblassende Wandfarbe, die schräg in den Angeln hängende Tür und die letzten Reste der Fensterscheiben, so dicht mit Staub bedeckt, dass es mehr einer grauen Wand glich als Glas. Eine wagemutige, junge Birke baute sich vor dem Eingang auf, streckte ihre Zweige unwillkommenen Besuchern entgegen, als letzte Mahnung.
Ich atmete tief durch – so wie jemand mit einer gesunden Einstellung. Dumm nur, dass ich keine hatte.
Mit einem letzten Ruck zückte ich mein Klemmbrett und ließ mit einem entschlossenen Klicken die Mine des Kugelschreibers aufblitzen. Ich überflog die Daten auf dem Bogen: Familienhaus. Unbewohnt – von Lebenden. Gutachtstraße Nummer 4. Meine 25. Spukhausinspektion diese Woche.
„Und es ist erst Mittwoch!“, grummelte ich mürrisch, warf den Kopf in den Nacken und trottete achtlos durch den zerfallenen Zaun.
Und jetzt gleich ein ganzes Haus! Na, das kann ja heiter werden.
Die Tür knarzte schaurig, als ich sie aufschob. Ein kühler Windstoß, der den Geruch von Moder mit sich brachte, schlug mir entgegen. Der Hausflur klaffte schwarz wie ein bodenloser Schlund zwischen den zerfallenen Wänden. Mir lief es kalt den Rücken hinunter, und ein Schauer ließ meine Substanz kurz zittern. Ich hielt inne. Häkchen dran. Und weiter.
Die Feuchtigkeit in der Luft war so schwer, dass sie förmlich an mir klebte. Schlierige Schichten Schimmel zogen sich über weite Teile des offenliegenden Holzes in der Decke und den Wänden. Ein Kribbeln zuckte durch meine Kopfhaut, und etwas strich über meine Arme, kaum mehr als ein Hauch. Kalt lief es mir den Rücken herunter, während ich die Augen verdrehte.
Das war dann wohl ein Stolperdraht.
Ich folgte dem Flur, vorbei an offenstehenden Türen in anliegende Räume, in ein weites Zimmer. Unwillkürlich atmete ich auf, als wäre eine unsichtbare Last von meinen Schultern verschwunden.
Das schwache Abendlicht ergoss sich über den fleckigen Teppich, umspielte die Unterseite des Sofas, das quer im ehemaligen Wohnzimmer lag, und tauchte die schief hängenden Gemälde einstiger Besitzer in ein sanftes Schimmern.
Meine Haare glitzerten, als sich die schwachen Sonnenstrahlen durch das schmierige Fenster in den kleinen Dunsttropfen darin brachen. Lange Schatten waberten durch die dunklen Ecken, wie stille Beobachter. Glasscherben und herausgebröckelter Putz knirschten so laut unter meinen Schuhen, dass die Dielen eifersüchtig verstummten.
Ich nahm einen tiefen Atemzug, senkte den Kopf und machte übellaunig einige Notizen.
Plötzlich schepperte und klirrte es hinter mir, dass es nur so in meinen Ohren klingelte. Ein Knurren, tief und bedrohlich wie das eines angriffslustigen Ungeheuers, grollte durch den Flur, schlug mir stickig und schwül entgegen. Das Haus erbebte, Kommoden und Schränke erzitterten, das Geschirr klapperte. Doch nichts übertraf die polternden, dumpfen Schritte, die sich in meine Sinne bohrten wie ein stumpfer Nagel.
Staub rieselte von der Decke, Holzsplitter lösten sich und nieselten auf mich herunter. Die donnernden Bewegungen brüllten über mir durch die Etage, fauchten den Gang entlang auf die Stufen zu. Flink wie eine Raubkatze, aber laut wie ein Elefant kam etwas Unsichtbares die jaulende Treppe heruntergepoltert.
Das Haus tobte, die Wände vibrierten.
Mitten im Tumult, in Staubwolken und klirrenden Scherben, starrte ich auf die Wand.
Schweigend beobachtete ich, wie sich ein großes Stück der vergilbten, mit rosa Blümchen verzierten Tapete löste. Die Ecken rollten sich langsam ein, ehe es den Halt verlor und wie ein verwelktes Blatt im Herbst zu Boden trudelte.
Ich zwang mich zur Geduld. Hat auch lange genug gedauert, zuckte es durch meine Gedanken.
Ohne mein Desinteresse zu überspielen, wandte ich mich an den Geist, der vor mir Gestalt angenommen hatte und nun als dampfender, aufgeblähter Klops in der Luft hing, offensichtlich begeistert von seinem eigenen Auftritt.
Ich legte den Kopf in den Nacken und rief: „Gerade noch rechtzeitig, sonst hätte ich Ihnen eine Mahngebühr berechnen müssen – aufgrund verspäteter Spukaktivitäten.“ Das breite Grinsen verlor an Glanz, und zwei verdutzte Murmelaugen starrten mich aus Herr Webers breitem Doppelkinn-Gesicht an. Ich fuhr unbeirrt fort:
„Nach den Richtlinien zum Spuken in Wohnhäusern muss der Spuk eintreten, ehe mögliche Besucher das im Antrag benannte Spukobjekt betreten und zweckentfremden können!“, zitierte ich gefühlskalt.
Herr Weber schrumpfte merklich in sich zusammen, bis er nur noch knapp einen Kopf größer war als ich. Mit finsterem Ausdruck senkte ich den Blick und überflog meine Notizen.
„Dazu kommt, dass es diesem Raum, der nach eigenen Angaben als Hauptquelle der zu erlebenden Schreckmomente dient, deutlich an Moder- und Verwesungsgeruch fehlt.“ Ich klopfte mit dem Stift auf mein Klemmbrett.
„Aber mein Auftritt!“, beharrte Herr Weber unsicher. „Das kostet einfach Zeit und…“
„Ersparen Sie uns bitte die Diskussion“, unterbrach ich ihn entschieden und lief durch seinen inzwischen wieder natürlich geformten Geisterkörper.
„Sie müssen nach Protokoll vorgehen, wenn Sie Ihre Spuklizenz behalten wollen!“
Ich legte eine Hand auf das Geländer, während die Stufen unter mir ächzten. Das Holz war rau, und Splitter fuhren mir durch die Substanz.
Auf halber Höhe blieb ich stehen und schaute hinunter ins Wohnzimmer, betrachtete den ausgetretenen Teppich und die einst geblümte Wand.
„Die Hauptquelle Ihrer Spukaktivitäten ist im Übrigen viel zu einladend“, verkündete ich und vermerkte es in den Unterlagen.
„Ich weiß nicht, wie das überhaupt die erste Prüfung überstehen konnte, aber das müssen Sie umgehend anpassen.“
Herr Weber nickte gehorsam. Er folgte mir die wimmernde Treppe hinauf. Das Geländer war teilweise weggebrochen oder nur noch morsche Stümpfe. Hierfür landete ein weiterer Haken auf meinem Bericht.
Uns begrüßte ein langer Flur, vom letzten Rest des Sonnenlichtes geflutet. Warme Lichtflecken wurden an die Decke geworfen und tauchten alles in verträumte, sanfte Farben. Eine Handvoll Türen führten vom Gang in die Zimmer, wie schweigende Wächter, die von einer vergangenen Zeit zeugten.
Ich fuhr mit einem Finger über eine der dunklen Kommoden. Eine hauchfeine Schicht Staub lag auf den Möbeln, Kanten und Fenstern. Die floralen Muster der Tapete zeichneten sich deutlich ab und luden dazu ein, sich niederzulassen.
Unzufrieden zog ich die Augenbrauen zusammen und notierte das noch intakte Fenster am Ende des Flures, während ich weiterlief und mir klar wurde, dass dies erst der Anfang war. Die Zimmertür quietschte, als ich sie aufstieß. Staub und ein paar kümmerliche Spinnweben gerieten in Bewegung.
Ganz toll! Wäre ich unten geblieben, hätte ich jetzt Feierabend machen können!, durchfuhr es mich frustriert. Ich presste den Kugelschreiber so fest auf, dass er das Papier fast zerriss. Jeden einzelnen Mangel hielt ich verkrampft auf dem Stück Papier fest.
Herr Weber schwebte unterdessen immer unruhiger neben mir her. Ich atmete tief durch und machte auf dem Absatz kehrt. Das reichte mir.
Erschrocken schwabbelte Herr Weber von mir weg.
„Ich muss Sie darauf hinweisen, dass Sie nicht nur an Ihrem Hauptspukort, sondern auch hier auf dieser gesamten Etage das entsprechende Gänsehautmaß der DIN-Norm G482, Absatz 4741 zu Gänsehautregularien bei der Gesamtatmosphäre in geisterbesetzten Wohnhäusern bei weitem nicht erfüllen.“
„Wer hält sich denn überhaupt daran?“, murmelte er missmutig und wich meinem bohrenden Blick aus. Seine Substanz bekam ein leicht rotes Glühen.
Ich räusperte mich verärgert.
Das hatte mir noch gefehlt – ein streitlustiger Sturkopf, der seinen Geisterhintern so wenig bewegte, dass er nicht einmal von den verschärften Spukkontrollen seit 20 Jahren wusste. Ich funkelte ihn mit rot blitzenden Augen an und setzte kommentarlos fort:
„Sie sollten alle aufgeführten Mängel…“ – ich reichte ihm eine Durchschrift meines Berichtes – „…innerhalb von 30 Tagen ausbessern. Melden Sie sich anschließend in der Abteilung für Spukwohnungen, -häuser und -wohnwagen bei Ihrem zuständigen Geist.“
Die Farbe von Herr Weber wurde tiefrot, und seine Nase spie Dampf, als er wütend schnaubte.
„Es wird eine weitere Prüfung mit Ihnen vereinbart. Bitte beachten Sie, dass die Spukabteilungen sich in die Todesjahre untergliedern, nicht in Geburtsjahre.“
Er riss mir die Durchschrift aus der Hand und verbrannte sie beinahe unter seinen brodelnden Emotionen.
„Ich empfehle mich“, verabschiedete ich mich, klemmte mir das Brett unter den Arm und ließ den rauchenden Herr Weber im Flur schweben. Die Zimmertür krachte mit einem ohrenbetäubenden Donnern hinter mir zu, nur um quietschend wieder aufzuschwingen.
Mit einem schnellen Blick aus dem Fenster wurde mir schmerzlich bewusst: Die letzten Sonnenstrahlen waren längst verglüht, der Himmel schon grau gewaschen.
Während ich die in das gelbliche Licht der Laternen getauchte Straße hinunterhastete, stopfte ich Klemmbrett und Unterlagen zurück in meine Tasche. Vielleicht blieb ja noch ein Zipfel Nacht für mich übrig.
Einige Schemen und dunkle Umrisse kreuzten meinen Weg, nickten knapp. Vermutlich nur aus Anstand – oder weil sie froh waren, heute nicht auf meiner Liste zu stehen. Noch nicht.
Die Aktenbearbeitung zog sich. Sterne standen längst am Himmel, und selbst die Sommerhitze hatte endlich aufgegeben, als ich den letzten Ordner entnervt ins Regal schob.
Feierabend. Endlich.
Ich schlängelte mich durch die Schlossflure, wich Kollegen aus, die zum Schwafeln ansetzten, und streifte an bekannten Quasselgeistern vorbei, ohne sie eines Blickes zu würdigen.
Die kühle Nachtluft prickelte auf meiner Haut, der Mond schimmerte milchig durch meine Essenz.
Und dann – mitten im friedlichen Dunkel, zwischen schwankenden Baumkronen und dem schwachen Laternenschein, kam er wieder – dieser eine, unerträgliche Gedanke:
Ich bin tot. Und trotzdem angestellt. In einer verdammten Geisterbehörde!
Paragraf 17b, Absatz 3: Ruhe in Frieden nur mit Genehmigung.
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