Gekränkt

voltariusm40

Mitglied

B. G. Voltarius, Gekränkt

Der Identität beraubt und ausgegrenzt

Zur Geschichte


Es findet das jährliche Dixieland-Festival in Dresden statt. Die aktivierenden swingenden Rhythmen regen das Bewegungsgefühl der Teilnehmer während der abendlichen Paradefahrt mit einer Dixieland-Formation auf dem Raddampfer auf der Elbe an. Die enthusiastische freudige Erregung an den Melodien ebnet den Kontakt zu anderen in Hochstimmung befindlichen Fans. Zufällige Blicke kreuzen sich, so mit einem anderen Dixie-Fan für kurze Momente. Er sucht den Kontakt. Die Ich-Erzählerin findet ihn attraktiv und erregend. In den folgenden Dates kommt es zu zufälligen sanften Berührungen, es entspinnt sich eine gegenseitige Begeisterung. Es entwickeln sich Empfindungen füreinander. Sie verlieben sich. Wird sie seinem Drängen nachgeben, in ihrer vertrauten Heimat mit ihm eine gemeinsame Zukunft zu gestalten?

Die Protagonistin, eine in Bayern lebende Erzieherin, weilt für mehrere Tage in ihrer alten Heimatstadt an der Elbe. Sie wird von der Erregtheit der Menschen in der Stadt während des Festivals angesteckt und an Vorwendezeiten erinnert, als zur Dixieland-Parade mehr Leute auf der Straße waren, als zur verordneten Mai-Demonstration und mit dem Spiel der aus den fernen Ländern kommenden Musikern das Tor zur großen weiten Welt aufgestoßen wurde. Mit ihrer Freundin schwelgt sie in der Rückbesinnung und genießt gleichzeitig die aktuellen musikalischen Darbietungen.

In den Plaudereien, Kontakten und Begegnungen geht es um Sehnsuchtsgefühle nach der alten Heimat, um vergangenes produktiv erfülltes Leben. Sie fragt sich, warum fühlen sich Ostdeutsche ausgegrenzt, benachteiligt, geringgeschätzt. Es geht in den Gesprächen ferner um belastende Erinnerungen an unliebsame Ereignisse zur Wendezeit. Es dreht sich in den Episoden auch um selbstverliebte Männer, verwöhnte Kinder, selbstbewusste Frauen, um Verliebtheit, um Fragen zur politischen Situation, um flüchtige Momente eines aufkeimenden Glücks und um Fragen nach der Zukunft.

Gekränkt

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Das laute Flehen, Bitten und markerschütternde Klagegeschrei der Nonnen sei stets zu vernehmen gewesen, berichteten Anwohner, wenn einzelne Ordensschwestern zum Turm im Wäldchen gerannt seien und dort vor dem Relief mit Adler und Schlange beschwörend laut und schrill ihre Wehklagen vorgebracht hätten. In der christlichen Mythologie der Klostergemeinschaft wurde der Adler als Symbol des auferstandenen und zum Himmel fahrenden Christus gesehen. Der Adler stand für Kraft und Gerechtigkeit. Über ihn schickten die Ordensfrauen ihre Fürbitten in den Himmel. Er wurde als Bote des höchsten Gottes gesehen. Die Schlange der Zwietracht, das Sinnbild der mythologisch bedeutsamen Eris, der Göttin der Zwietracht, schrien die Schwestern an. Sie möge ihre Attacken des Zankes und Streites einstellen. Sie solle ihre Mitschwestern nicht in Versuchung führen, sie solle den Teufel verscheuchen. Sie beteten für Eintracht und Harmonie.

Auf dem Berg im Norden der bayerischen Kreisstadt ragt ein Aussichtsturm aus dem ihn umgebenden Wäldchen heraus. Der helle Turm erinnert mich an einen Gleichen aus dunklem Gestein gebauten in meiner ehemaligen Heimatstadt an der Elbe. Dieser hier ist aus Muschelkalk errichtet. Komme ich zu ihm, wird stets eine gewisse Sehnsucht nach dem Vergangenen, nach meiner Heimat geweckt. Auf der Turmspitze ist eine achteckige gusseiserne Befeuerungsvorrichtung, eine Feuerschale für Flammen, die an Gedenktagen entfacht werden und hochschlagen, angebracht. Stehe ich vor dem Turm, denke ich an die von den Anwohnern charakterisierten kniefälligen, kreischenden, flehentlich klagenden Nonnen.

Außen mittig am Turmschaft ist ein Schmuckrelief angebracht. Um einen Adler schlingt sich die Schlange der Zwietracht. Eine Erzählung von Anwohnern des Kinderheimes, in dem ich arbeite, kommt mir in den Sinn. Vor Jahren noch hatten Nonnen im Heim den Ton angegeben und mit einem straffen Reglement den Tagesablauf der Kinder geregelt. Ihr Drill war bei einigen frei von Empathie und Zuneigung. Mit Strenge und Züchtigungen - gepaart mit qualvollen Maßnahmen - drangsalierten sie die Kinder. Die Nonnen selbst waren im nahegelegenen Kloster untergebracht und in ein strenges, hierarchisches, machtdominiertes System mit totalem Gehorsam und diktatorischen Regeln eingebunden. Diese Atmosphäre war wohl nicht ohne Einfluss auf deren seelisches Befinden und auf ihren Umgang mit den zu betreuenden Kindern.

Die Ebene vor dem Turm erreicht man über elf Stufen. Ein quaderförmiges, kindshohes Mauerwerk bildet den Sockel des Turmes.

Ich betreue eine Gruppe von Kindern des nahegelegenen Kinderheimes.

Um den Turm bietet eine ausgedehnte Rasenfläche Freiraum für das Tummeln der Kinder. Ein kleines Wäldchen schließt sich an. Neben dem Turm stehen Bänke, auf denen die Kinder ihre Jacken abgelegt haben. Meine Jeansjacke liegt am Rand. Meine Haare habe ich hochgebunden. Es ist ein sonniger Tag, einzelne Schönwetterwolken ziehen vorbei. Ich empfinde eine wohlige Wärme. Der etwas weitgeschnittene violette Pulli gibt mir genügend Luft am Körper.

Der Turm steht auf Kalkgestein und wurde aus diesem gebaut, der in nahegelegenen Steinbrüchen gewonnen wurde. Dieser Muschelkalkboden ist eine gute Grundlage für das Wachstum bestimmter Weinsorten wie Silvaner und Riesling. Unterhalb des Turmwäldchens dehnt sich deshalb ein breitgezogener Weinberg aus. Er wird von der Mittagssonne intensiv angestrahlt.

Wir spielen Der raubgierige Löwe und in Abwandlung Fuchs, komm heraus. Ballspiele, Fangen. Umhersausen. Manche Kinder sammeln kleine Hölzer im angrenzenden kleinen Gehölz oder Muscheln, die sie im Kalkgestein um den Turm ausbuddeln. Vor dem Abmarsch ins Heim zurück gruppiere ich sie um mich und erzähle eine Geschichte, um sie quasi wieder zur Ruhe kommen zu lassen. Ich fabuliere über Raubritter und das Hintere Raubschloss in der Sächsischen Schweiz. Es war mein geliebtes Wandergebiet. Steile, bizarre Felswände und Sandsteintürme am Elbtal, wo die Ritter hausten. Ihre Behausung erreichten sie mit besonderen Steiggeräten über fast senkrecht ansteigende Felskamine. Sie waren vor Überfällen geschützt. Sie selbst aber beobachteten die im Tal in ihren Pferdefuhrwerken vorbeiziehenden Gruppen von Kaufleuten, die sie überfielen und ausraubten. Manche erbeuteten Sachen gaben sie an arme Leute in den umliegenden Dörfer ab.

Die Turmuhren der vielen Kirchen der Kreisstadt schlagen zur vollen Stunde. Die Kinder müssen noch ihre Hausaufgaben erledigen. Kommando zum Aufbruch, Durchzählen. Im Gänsemarsch auf dem abfallendem Weg durch den Weinberg, ein kurzes Stück den quer verlaufenden gepflasterten Fahrweg entlang zur Hintertür des christlichen Heimes, in dem die Kinder betreut werden.

Die Schüler wechseln vor dem Eintritt in die Gemeinschaftsräume die Schuhe gegen Hausschlappen. Da fällt mir in der Socke eines Jungen ein riesengroßes Loch auf. Ich fordere ihn auf, den defekten Strumpf auszuziehen. Ich hole meine Nähutensilien, suche im Bastelraum nach einem farblich passenden Stopfgarn, das ich durch das ovale Öhr der großen Nadel fädele und platziere hinter dem Loch ich einen Stopfpilz. Als ich beginne, parallele, eng nebeneinander liegende Kettenfäden, einen nach dem anderen, einzuziehen, versammeln sich meine Kolleginnen und viele Kinder um mich und fragen, was ich da mache. Sie hätten solch eine Reparatur noch nicht gesehen. Wenn heute Socken löchrig seien, kaufe man doch neue. Ich erkläre ihnen, dass es im Osten kein Überangebot, keinen Überfluss an Sachen gab. Sie mussten lange halten, also wurden sie repariert, wie viele andere Dinge auch. Nun ziehe ich die querverlaufenden Einschlagfäden ein. Ich kann zum Schluss zeigen, dass das Loch gleichmäßig und strapazierfähig verschlossen ist.

Die Kinder suchen sich einen Schreibplatz und beginnen mit den Hausaufgaben. Ich schaue jedem einzelnen Schüler über die Schulter und verfolge die korrekte Erledigung der Aufgaben. Bei Fehlern zeige ich darauf und animiere, das Problem erneut zu durchdenken. Von den Kindern werde ich mit Du und den Vornamen angeredet. Anfangs war es gewöhnungsbedürftig. Aber es schafft Vertrautheit. Mehrere Kinder füllen sich eine Tasse mit Tee.

Während ich mir ebenfalls eine Tasse Tee eingieße, übergibt mir die Chefin der Einrichtung einen Brief. Adresse in Maschinenschrift, Absender weist auf oberste kirchliche Leitung hin. Beim Lesen des Absenders überzieht mich Gänsehaut. Ein Schauder durchzieht meinen Körper. Ein Brief vom Machtzentrum macht mich unsicher. Erinnerungen an eine inquisitorische Befragung blitzten in mir auf. Ich scheue mich, in dem Moment den Brief zu öffnen. Welche prekäre Überraschung ist darin verborgen? Was wird mir schriftlich mitgeteilt? Ich stecke den Brief in meine Tasche. Die erledigten Hausaufgaben der Kinder schaue ich mir an und lasse Verschiedenes verbessern.

Am Abend greife ich nach Erledigung der abendlichen Tätigkeiten zum Brief. Ich bin innerlich aufgeregt. In mein Gedächtnis dringen Momente meines Einstellungsgesprächs, das vor Jahren mit drei obersten klerikalen Machtmenschen stattfand. Wie in einer mittelalterlichen Inquisition hagelten die Fragen auf mich. Ob ich im Osten für den Geheimdienst gearbeitet hätte? Warum ich im Osten zur Wendezeit vom Unterricht in der Schule entbunden und mir die Arbeit als Lehrerin verweigert worden sei? Letztlich wurde ich zum Gehalt einer Anfängerin eingestellt. Nun öffne ich den Brief. Es stehen wenige Sätze darin. Man bittet mich, den Nachweis meiner Taufe vorzulegen. Über Jahre ruhte im Osten meine konfessionelle Zugehörigkeit. Dort waren atheistische Bekenntnisse gefragt. Im theologischen Sinn ist die Gemeinschaft des Getauften mit dem Herrn des Kosmos, mit der transzendenten, allumfassenden Macht unauflösbar. Also muss ich mich um ein Schriftstück bemühen.

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Für Mitte Mai plane ich, mehrere Tage in Dresden zu verbringen. Am Tag vor der Abreise schaue ich die Wettervorhersage im Fernsehen an. In enganliegenden Hosen, gestikulierend mit ausgestreckten Fingern, sporadisch in die Knie gebeugt, erklärt er mit ausgedehnten Bewegungen die abstrakten bunten Farbsymbole, die über den Atlantik nach Europa ziehen und an Wassily Kandinsky erinnern. Es sei sonniges bis bedecktes Wetter zu erwarten. Also muss ich mich mit meiner Kleidung darauf einstellen. Für die Reise werde ich ein rotes Shirt und eine schwarze Hose anziehen, das könnte zu meinen dunklen Haaren passen, als outdoor-Kleidung vielleicht eine Jeans- oder Funktionsjacke. Meinen Talisman, eine kleine Puppe, lege ich schon in meine Handtasche.

Die kalten Tage sind vorbei. Nun wird die Sehnsucht der Leute nach Wärme erfüllt. In den Gärten und Parks Dresdens verblühen die Bäume. Der Wind wirbelt die Blütendecke am Boden auf und fegt den Blütenschnee an den Bordsteinen zusammen. Der bisherige kalte Wind weicht warmen Luftzügen. Am tiefblauen Himmel ziehen einzelne Schönwetterwolken vorüber. Die Sonne behauptet sich und wärmt. Ich ziehe meine Jacke aus und trage sie über dem Arm.

Ich habe auf der Neustadtseite in der Nähe des Goldenen Reiters ein Hotelzimmer bezogen und bin nun auf dem Weg zur Anlegestelle der Elbdampfer am Terrassenufer unterhalb der Brühlschen Terrasse. Augustusbrücke, Anblick der historischen Silhouette am gegenüberliegenden Elbufer, Erinnerung an Canalettos Panorama-Gemälde. Der Eindruck stimmt mich heiter. Eine Droschke, von zwei braunen Pferden gezogen, fährt über die Brücke in Richtung Semperoper. Viele Dresdner fühlen sich seit Tagen in einer fieberhaften Erregung. Warum? Auch ich verspüre in meinem Inneren eine Erwartungshaltung. Es findet gerade das jährliche Dixieland-Festival statt. Bands aus einer Vielzahl von Ländern sind zu erwarten. Seit vielen Jahren freue ich mich darauf. Meine Freundin Hannah, mit der ich seit der Studienzeit freundschaftlich und vertrauensvoll verbunden bin, schrieb, dass sie Karten für mehrere Dixie-Konzerte gekauft habe. Wir würden mit einer Dixie-Dampferfahrt auf der Elbe beginnen.

Zum vereinbarten Termin Treffen an der Anlegestelle, herzliche Umarmung, Lachen, und Freude, nach Jahren der E-Mail-Korrespondenz körperliche Nähe zu spüren. Leichtes Rouge auf ihren Lippen betont ihren gutgeformten Mund. Das regt mich an, mein Erscheinungsbild zu kontrollieren. Ich gehe etwas abseits, hole meinen Minispiegel aus der Tasche, trage etwas Puder auf und gebe meinen Lippen etwas Kontur. Hannahs hellgrüne Jacke passt gut zu ihren roten Haaren, die zu einem Pagenschnitt gestutzt sind.

Wir gehen an Bord des Schaufelraddampfers. Die historischen Dampfer der Weißen Flotte gelten als die ältesten der Welt. Sie sind weiß angestrichen, deshalb der Name. Die Riverboat-Shuffle sorgt während dieser Paradefahrt am Nachmittag und Abend für Kurzweil und bombige Stimmung. Die Jazz-Band spielt auf dem Oberdeck des Dampfers. Sie schmettert nahezu ohne Pause ihre Melodien ihrem Publikum entgegen. Schwerpunkt ihres Programms sind die New-Orleans-Jazz-Melodien. Wahrscheinlich ist der Name der Band entlehnt von den Farbigen, die auf den Flussdampfern des Mississippi getanzt haben, zögernd, schleppend - also to shuffle. Wir erkunden zuerst den Dampfer. Über eine Öffnung im Deck können wir die Pleuelstangen der Dampfmaschine beobachten, wie sie die Kraft auf die außen an jeder Seite rotierenden Schaufelräder übertragen. Über ein Sichtfenster im Radkasten lässt sich die Schaufelbewegung im Wasser beobachten. Ratternde Geräusche zeigen an, dass sich der Dampfer bald in Bewegung setzen werde.

Wir verweilen kurz seitlich an der Reling und suchen uns einen Platz auf Deck. Gemeinsam erinnern wir uns an Konzerte zu Vorwendezeiten. Über Nacht harrten wir damals in der Wartegemeinschaft aus, um bei Kassenöffnung an der Vorverkaufsstelle mit zu den Ersten zu gehören.

Durchmischt mit den lauten Klängen der Band rufen wir in unseren Erinnerungen zurückliegende Erlebnisse auf. Gegenseitig werfen wir uns Fetzen unserer Rückblicke zu. Es war stets ein Nervenkitzel, den imaginären Luftstrom des freien westlichen Raumes zu spüren, wenn die Musiker aus den fernen Ländern die Jazzmelodien der dreißiger, vierziger Jahre interpretierten. In dem eintönigen, meist reglementierten Ost-Alltag waren solche swingenden Rhythmen für uns imposante Begebenheiten. Der mit den Melodien uns zuströmender Hauch der freien Welt machte uns in den Gedanken frei. Die Reling war für uns wie ein Sicherheitsrahmen. Der Alltag war draußen, wir selbst waren drin, so als seinen wir im eigenen Heim, umgeben von schützenden Wänden. Ein Gefühl von Sicherheit und Vertrautheit machte sich breit. Draußen mussten wir die bürokratischen Normen, die ideologisch reglementierten Regeln in Versammlungen, Besprechungen, Sitzungen einhalten. Da wurde man manchmal unter Druck gesetzt, bis man das Gefühl hatte, der Hals wird zugeschnürt. Auf dem Dampfer, umgeben vom imaginären Sicherheitszaun, konnten wir frei atmen. Hier kam die Lust auf, Normen zu brechen, sich daneben zu benehmen, Ergötzung, Spaß zu haben. Jede Handlung wurde zu einem beliebten Gemeinschaftserlebnis, das Herz schlug schneller, die Hufe scharrten.

Und jetzt, wenn Trompeten und Klarinetten als Hauptstimmen hervortreten und die Schallwellen weit getragen werden, sind unsere Körperreaktionen in Erinnerung an die Vergangenheit aktiviert. Fußklopfen, Fingerschnippen, körperliches Schwingen erfassen uns. Wir lassen unsere Nerven tanzen, Die intellektuelle Steuerung lassen wir draußen, wir sind instinktgesteuert. Unser vegetatives Nervensystem ist angestachelt. Das Erlauschen mancher Melodien fühlt sich an, als würden tausend Ameisen über unseren Körper krabbeln. Wir blenden alles aus. Es wird kein Überblick gebaucht, wir sind ja in Sicherheit.

Und viel stürmischer Beifall wird nach den einzelnen Stücken gezollt. Die Zuhörer sind von ihren Plätzen aufgesprungen und bilden um die Band einen Halbkreis. Alle geben ihren spontanen körperlichen Äußerungen freien Lauf.

In meinem Blickwinkel nehme ich wahr, wie ein dunkelhaariger Mann mittleren Alters mich permanent fixiert. Für wenige Augenblicke kreuzen sich unsere Blicke. Ich bin kein junges Girl mehr. Es ist sehr selten, dass mich Männer längere Zeit ansehen, dass sich Männer nach mir umdrehen. Ein winzig kleines Lächeln modelliert meinen Mund. Für kurze Zeit bleibt mein Blick an seinen Augen haften. Goethe meinte, mit dem Blick werde die Persönlichkeit abgewogen. Ist es ein klarer, heiterer Blick? Zwei- oder dreimal blicke ich wie zufällig in seine Richtung. Jedes Mal begegnen sich unsere Blicke. Wie unter magnetischer Einwirkung schaue ich erneut, aber mit Vorbedacht, zu ihm. Er blickt mir interessiert entgegen. Ich lächle leicht. Entzücken aber auch Zweifel erfüllen mich. Ich wende mich schmunzelnd ab. Aus seitlichem Blickwinkel versuche ich, seine Augenstellung, seine Gesichtsauszüge, seine Mundstellung, kurz seine Fassade zu ergründen. Seine Augenfarbe kann ich nicht identifizieren. Der Kurzhaarschnitt steht ihm. Auch macht ihn der dezente kurz gehaltene Bart interessant. Ich finde ihn attraktiv. Wenig später kämpft er sich durch den Pulk der klatschenden, übermütigen Fans und stellt sich neben uns. Enthusiastisch beteiligt er sich an den Beifallsäußerungen. Nach kurzer Zeit mischt er sich in unser Gespräch und sagt, er sei Richard und wünsche uns einen schönen Tag.

Richard; der Name geht mir durch den Kopf. Eigentlich ein zeitloser Name, den alte wie auch junge Leute haben; im Mittelalter hießen Könige und Herzoge Richard. ich denke an Shakespeares Richard den Zweiten.

Als wieder Melodien gespielt werden, in denen die Trompete führend ist, meint er, dass Louis Armstrong mit solchen Jazzstücken die vormaligen Ostblockstaaten bereist habe. Auf Pressekonferenzen habe Armstrong für die Afroamerikaner Bürgerrechte eingefordert. Oft sei er mit Ella Fitzgerald in einem Gesangsduett aufgetreten.

Ich schaue meine Freundin Hannah an und will ihr zu verstehen geben, dass Richard mit seinem Wissen brillieren will. Aber Hannah hält entgegen, dass Armstrong mit Hello Dolly und dem Brecht-Weil Mackie-Messer-Song stets Beifallsstürme entfesselt habe, mit seiner Tour durch Osteuropa habe er in den Ost-West-Konflikt eingegriffen.

Ich sage, wir Jugendliche waren vom Rock-Jazz begeistert. Die Trompeten- und Saxophonklänge und die Percussionseinlagen regten alle unsere Glieder, unser Bewegungsgefühl an, mit wahren Freudensprüngen wurde Beifall bekundet.

Als der Elbdampfer an den drei Elbschlössern vorbeifährt, fragt Richard nach dem historischen Hintergrund der Prachtbauten. Er sei erst seit Kurzem in Dresden und kenne noch nicht viel über die Stadt.

Hannah und ich klären ihn auf. Drei Schlösser: Lingnerschloss, Schloss Albrechtsburg und Schloss Eckberg. Der Stifter des Hygienemuseums und Odol-Mundwasserproduzent, Karl August Lingner, habe Schloss und Park nach seinen Vorstellungen gestalten lassen. Interessant sei damals eine private Standseilbahn und eine Orgel gewesen, deren Töne per Telefon an Freunde übertragen wurden. In seinem Testament habe er verfügt, dass die Bevölkerung zu Park und Schloss freien Zugang erhalten solle. Im Schloss sollen Café, Restaurant und Tagungsräume eingerichtet werden. Nach dem Krieg habe der Club der Intelligenz die Hoheit über das Schloss übernommen. Auf der Terrasse könne man gut tanzen, wir haben es selbst ausprobiert. Der imposante Ausblick auf die Stadt aus der Höhe habe uns Leichtigkeit und Beschwingtheit verliehen.

Wir kommen in unserer Unterhaltung auf den Musikstil der schwarzen Amerikaner zurück. Ich steuere dem Gespräch bei, dass so im Osten die Jazz-Musik von den Regierenden als progressiv eingestuft worden sei.

Von Ferne sehen wir bereits das Blaue Wunder. Der Dampfer fährt am Körnerschen Weinberghäuschen vorbei, wo Friedrich Schiller 1730 einige Zeit weilte. Schiller sei damals auf seinen Wanderungen am Elbufer auch im Gasthaus Schillergarten, das neben dem Blauen Wunder steht, eingekehrt, erklären wir. Dabei habe er auch die Gastwirtstochter Gustel, wie sie genannt wurde, kennengelernt. Im Wallensteins Lager seiner Wallenstein Trilogie habe er sie verewigt: Was? Der Blitz. Das ist ja die Gustel aus Blasewitz."

Als die Band auf dem Dampfer Ice Cream, mit dem Mr. Acker Bilk im Osten das Publikum begeistert hatte, spielt, kommt Hannah auf Erinnerungen aus der Vorwendezeit zurück. Damals sei es uns vorgekommen, als sei mit dem internationalen Dixie ein riesengroßes Tor zur weiten Welt aufgestoßen worden, als sei der Vorhang für spektakuläre Aufführungen im grenzenlosen Universum geöffnet worden und das Flair, besonders aus dem amerikanischen Mutterland des Jazz, habe sich ausgebreitet. Für uns war Jazz der Inbegriff der Freiheit. Wir verspürten Kraft, Energie, Anziehungskraft, sagt Hannah.

Richard fragt, weshalb die Loschwitzer Brücke als Blaues Wunder bezeichnet werde. Ich kläre kurz auf. Wunder deshalb, weil die Ende des neunzehnten Jahrhunderts gebaute Brücke damals ohne Pfeiler im Flussbett auskam. Mit dem blauen Anstrich habe sie in der Öffentlichkeit ihren Namen erhalten. Damals musste noch Brückengeld gezahlt werden. Zwei Pfennige für Fußgänger und zwanzig Pfennige für Benzinkutschen. Vor Kriegsende sei sie noch von Dresdnern vor Sprengung gerettet worden, sagt Hannah.

Kurze Zeit später zeigen wir auf Laubegast, wo sich ein Denkmal der Neuberin befinde, die zu Goethes Zeiten Schauspielerin am Dresdner Theater war. Goethe habe ihr in Wilhelm Meisters Lehrjahre ein literarisches Denkmal gesetzt.

Die Trompeteneinlage Take Me Back To New Orleans lenkt meine Gedanken wieder verstärkt auf die dargebotenen Melodien und ruft in mir begeisterte Assoziationen zur Musik der Südstaaten der USA hervor.

Aber bei der Vorbeifahrt in Pillnitz kann ich eine kleine Episode beisteuern. Ich berichte, dass vor längerer Zeit im Sommer auf der breiten Treppe zur Elbe eine Gruppe von dreißig Kindern aus Korea gesessen und einen Ausflug gemacht habe. Die Kinder hatten ihre Schuhe ausgezogen und neben ihre Füße gestellt. Eine Stufe tiefer floss das Wasser vorbei. Es fuhr ein Elbdampfer vorüber, der einen Wellenberg auslöste, der sich bis zum Ufer ausbreitete und dabei die kleinen Schuhe wegschwemmte, die nun als winzige Schiffe auf der Elbe schwammen.

Als wir uns in der Musikpause wieder zu unseren Plätzen begeben, fragt Richard, ob er auch an unserem Tisch Platz nehmen dürfe. Er darf. Er sitzt nun mir schräg gegenüber und versucht immer wieder, meinen Blick einzufangen.

Am Rand meines Blickfeldes sehe ich schattenförmig seinen Bewegungsablauf.

Kurzzeitig lasse ich zu, dass sich unsere Blicke kreuzen und etwas länger als einen Augenblick aufeinandertreffen. Ich sage mir, der Blickkontakt darf nur kurzzeitig sein. Ich bleibe sparsam mit meinen Begegnungen auf der Blickkreuzung. Er finde meine Augenfarbe interessant. Ich erkenne sofort Manöver und Klischee des Anbandelns. Er lobt meinen Hosenanzug. Ich fühle mich wohl in meinem Anzug. Er emanzipiert mich. Es ist kein klassischer Anzug. Der leuchtende Rotton und der legere Schnitt sollen meine Weiblichkeit unterstreichen. Aber ich fühle mich auch geschmeichelt, beachtet zu werden. Schon lange habe ich keine Aufmerksamkeit, keine anerkennenden Worte mehr erhalten. Es macht mir Spaß, ihn herauszufordern.

Die Band spielt weiter. Die Glenn Millers Moonlight Serenade ruft stürmischen Beifall hervor, es folgt In the mood. Richard meint, dass die Saxophone den typischen Glenn-Miller-Sound ergeben würden. Ich finde, dass die Klarinette die Saxophone führe.

Absichtlich rede ich schnell. Ich denke, es erzeuge den Eindruck von Lebendigkeit und Vitalität. In der Ausdruckweise versuche ich, schlagfertig zu sein. Ich entgegne mit spitzer Zunge, fordere den Widerspruch heraus. Ich fasse es als Spiel auf, ihm dezent zu widersprechen.

Als der Dampfer wieder am Kai in Dresden festmacht, gibt es noch eine Attraktion. Ein imposantes Höhenfeuerwerk steigt über dem Elbtal auf.

Richards Versuch, uns in eine Bar zu locken, lehnen wir ab. Er lässt nicht locker. Im Café Coselpalais gegenüber der Frauenkirche könne man gut plaudern. Drucksend räume ich die Möglichkeit für einen Smalltalk ein. Meine Freundin Hannah muss aber nach Hause. Also schlendere ich mit Richard in Richtung Frauenkirche.

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Auf dem Weg Richtung Neustädter Markt erwähne ich, dass ich meine Rechnung selbst bezahle. Ich möchte mich ihm gegenüber nicht verpflichtet fühlen.

Gegenüber der Kirche sehen wir das im Stil des Dresdner Barocks gestaltete Café. Wir stehen am Eingang zum Ehrenhof, verweilen kurze Zeit an den Torbauten und studieren die Skulpturen auf den vier Säulen. Im Ehrenhof sind Pflanzkübel und Sonnenschirme aufgestellt. Die Wände der umgebenen Gebäude sind im gelbbraunen Farbton gehalten. Über den Rundbogenfenstern registriere ich Stuckelemente. An der hohen Stirnwand beeindruckt mich ein Brunnen mit Figuren. Wir betreten das Vestibül mit einer großen Kuchentheke. Seitlich stehen auf dem Tresen mächtige silberfarbene Leuchter. In den Abendstunden wird noch ein kleines Angebot an Dessertstücken, Petit fours und sachsentypischen Gebäcks präsentiert. Wir steuern auf einen runden Tisch im angrenzenden Vogelzimmer hinter einer farbig abwechslungsreich gestalteten Keramikobstsäule zu. Die gepolsterten Armlehnstühle sind bequem. Rechts von mir steht ein sehr großer Pflanztopf. Ich habe einen guten Blick auf die Fensterbretter, auf denen Vogelfiguren aus Meissner Porzellan stehen. Aus der Ferne kann ich nicht erkennen, um welche Vogelart es sich handelt. Vielleicht sind es exotische Vögel, die König August der Starke gern sammelte. An der Decke fallen Stuckleisten und goldfarbene Deckenleuchten auf. Die Bedienung kommt und zündet die Kerzen auf dem Tisch an. Sie verbreiten eine behagliche Atmosphäre. Wir geben eine Bestellung für Getränke auf.

Als ich ihm gegenübersitze, setzt er seine Komplimente fort. Ich hätte beeindruckende rehbraune Augen, die ihn faszinierten. Meine Frisur sei gut auf meine Persönlichkeit abgestimmt und die Kleidung verleihe mir ein dynamisches Aussehen. Mir ist klar, dass solche Worte nur allgemeine Feststellungen sind und die Umwerbungen ein bestimmtes Ziel verfolgen.

Als Richard vom Tisch aufsteht, um ein Gemälde an der Wand zu betrachten, fällt mir seine leichte Wölbung in Körpermitte auf. Mir geht eine kulturell-bayerische Vorstellung zum Körperlichen durch den Kopf: Früher demonstrierten männliche Machtmenschen, manche bayerische Könige und Politiker, mit ihrer Körperfülle ihr Durchsetzungsvermögen, ihre Vitalität. Damals nahm niemand Anstoß an der fülligen Körpermitte. Mit einer Wampe ließen sich Standpunkte und Überzeugungen besser durchsetzen, damit wurden Lebensfreude und Bodenständigkeit signalisiert. Damals erntete man in Bayern damit Wertschätzung. Ich weiß, diese kulturellen Vorstellungen haben sich in der heutigen Zeit geändert, es gilt für den modernen Mann der Waschbrettbauch als die Eintrittskarte in die Wirtschaftsführungsebene. Hierdurch werde Leistungsbereitschaft, Disziplin und Intellekt demonstriert. Richard kommt zurück. Ich verjage meine philosophischen Betrachtungen. Er animiert zum Trinken. Ich erhebe mein Glas, schaue ihn an. Unsere Blicke heften sich aneinander, verweilen einige Zeit. Dann kommt mir mein Vorsatz in Erinnerung. Ich schaue zur Seite auf den Pflanztopf.

Langsam vortastend, schiebt er seine Hände über den Tisch. Suchend bewegen sich seine Finger in Richtung meiner Hand. Der Mittelfinger und der Zeigefinger nähern sich meinen Fingern. Ein freudiges Gefühl durchzieht mich kurzzeitig. Diese Empfindungen muss ich bremsen. Die Ratio muss die Oberhand behalten. Ich ziehe meine Hand zurück.

Er heftet seinen Blick auf meine Augen. Es gibt einen kurzen Informationsaustausch über unsere Sehorgane. Für kurze Zeit verschmelzen wir miteinander. Als intensive Empfindungen in mir aufzusteigen beginnen, unterbreche ich den Blickkontakt und schaue auf andere Gäste. Mit romantischen Wortspielereien beschreibt er meinen Blick, meine Augenfarbe, meine langen Wimpern. Ich erkenne, dass er geübt sein muss in solchen blumenhaften Formulierungen. Er muss die Wirkung schon mehrfach erprobt haben. Aber ich weide mich in solchen schönen Worten. Ich fühle mich hofiert.

Wir unterhalten uns noch über die Jazzmusik. Ich sage, dass New Orleans wohl als die Wiege des Jazz gelten könne. Der New Orleans Stils wurde von Chris Barber und Acker Bilk und anderen interpretiert und auf Vinylplatte im Osten als Bück-dich-Ware unter dem Ladentisch gehandelt. Chris Barber habe im östlichen Teil einige Konzerte gegeben. Sein Auftritt mit seiner Band im Haus der Offiziere der Sowjetarmee in Potsdam habe Aufsehen, Bewunderung und große Zustimmung hervorgerufen.

Richard meint, dass der ursprüngliche Jazz sehr herb und herausfordernd gewesen sei. Ich sage, dass ich den Dixieland-Jazz virtuos gefälliger, zwar kräftig aber fröhlich finde. Ich erinnere daran, dass zu den Dixieland-Umzügen in Vorwendezeiten mehr Menschen auf der Straße waren als zu den verordneten Demonstrationen zum Ersten Mai.

Wir plaudern über seine Tätigkeit. Sparsam in seinen Erklärungen, sagt er, dass er in der Informatik arbeite und noch nicht lange in Dresden sei. Ich erzähle über meine zu betreuenden Kinder, die ihre Eigenarten hätten. Die Kinder aus über zwanzig Ländern haben ihre Heimat verlassen müssen. Wegen meines Dresdner Dialekts haben mich die Kinder gefragt, aus welchem Land ich käme.

Wir trinken die Gläser aus, teilen uns den Rechnungsbetrag und verlassen den Gourmettempel. Auf dem Weg zu meinem Hotel schlendern wir über die Augustusbrücke. Wir blicken zurück und lassen uns von der angestrahlten Silhouette der Katholischen Hofkirche, der Kunstakademie mit der vergoldeten Fama, der Göttin des Sieges und des Klatsches, und den Gebäuden der Brühlschen Terrasse beeindrucken. Heimatgefühle, Gedanken in die Vergangenheit ziehen in mir auf. Als Kind, als Jugendliche, als Erwachsene hatte ich diesen Blick liebgewonnen. Die Bilder Canalettos mit diesem Motiv berühren mich immer wieder von Neuem. Dieser Canaletto-Blick ist weltbekannt. Mit der Wende wurde ich aus dem Gewohnten herausgerissen und in ein mir fremdes Land geschleudert. Ich hatte meine Heimat verloren. Ich musste mich von Altvertrautem, Gewohntem, Liebgewordenem trennen. Die Sicherheit und Geborgenheit im Bekannten und Heimischen, das Zusammengehörigkeitsgefühl war für mich ein natürliches, ein elementares Lebensgefühl gewesen. Dieser Zustand der Nähe und Wärme, der Ruhe und des Vertrauens, der Akzeptanz durch andere, der Zufriedenheit, dieses fundamentale Wohlgefühl, war damals gewichen. Meine existentielle Sicherheit, welche die Zukunft absichern sollte, war nicht mehr gegeben. Ich musste unter neuer Herrschaft eine Arbeit aufnehmen. Mir war klar, wo Herrschaft – da auch Knechte.

Schweigend laufen wir einige Zeit nebeneinander. Ich bin in meine Gedanken versunken. Plötzlich lenkt er meinen Blick auf den Himmel. Trotz erleuchteter Stadt können einige der hellsten Sternbilder wahrgenommen werden. Er zeigt auf Kassiopeia. Er meint, dass die fünf Hauptsterne ein markantes W bilden. Man spräche vom Himmels-W. Auch die Milchstraße ziehe sich durch, ebenso der Nullmeridian des Himmels. Die eitle Kassiopeia habe den Zorn der Götter auf sich gezogen, weil sie behauptete, schöner als die Töchter des Meeresgottes zu sein. Ich, als belesenes Mädel, wie mein Lehrer in der Schule sagte, hatte viel von Brecht gelesen. Deshalb frage ich Richard, ob er die Szene mit der Kassiopeia von Brecht entlehnt habe, der ausführlich beschrieb, wie er das Sternbild seiner damaligen Freundin Marianne Zoff erklärt habe.

Die Eingangstür des Hotels ist bereits verschlossen. Wir stehen neben der Tür, ich lehne mich an die Hauswand. Richard stützt sich an der Wand ab, so dass ich zwischen seinen Armen klemme. Was machen wir mit dem angebrochenen Abend, ob er mit auf das Zimmer kommen dürfe, fragt er. Er kommt näher und versucht, meinen Mund zu berühren. Ich drehe meinen Kopf zur Seite und husche flink, in die Hocke gehend, unter seinen Armen aus der Sperre heraus. Ich suche den Hausschlüssel, verabschiede mich und schließe die Tür auf. Ehe ich hinter der Tür verschwinde, fragt er, ob mein Angebot für einen Stadtspaziergang noch gelte. Rasch legen wir Treffpunkt und Zeit fest, dann lasse ich ihn stehen und drücke die Tür zu.

Im Zimmer öffne ich das Fenster, lege mich auf das Bett und denke über den Tag, die herrliche Dampferfahrt, die Musik und über Richard nach. Sein sportlicher Haarschnitt und der Dreitagebart geistern in meiner Erinnerung und lassen ihn als attraktiven Mann in meiner Vorstellung erscheinen. Ich wusch mir die Hände.

Meine Klamotten aus dem Koffer verstaute ich in einem massiven Schrank und in einer altertümlichen Kommode. Ich schaue noch einige Zeit aus dem Fenster. Auf der gegenüberliegenden Seite der asphaltierten Straße kommen johlend Leute unterschiedlichen Alters aus einer Bierstube. Ein Älterer in großen hohen Arbeitsschuhen stapft schwerfällig über das Pflaster einer neben dem Hotel einbiegenden Straße. Eine Frau im weiten Stoffmantel und mit Kopftuch zieht einen Handwagen über das resonanzverstärkende Hoppelpflaster, so dass eine heftige Geräuschkulisse auf der Straße wirkt. Aus Romanen kenne ich Schilderungen aus der Goethezeit, als noch eisenbereifte Räder von Kutschen, häufig noch ungefedert, ständig einen hohen Lärmpegel erzeugten. Wenigsten bestand das Problem des zur Goethezeit üblichen Nachttopfleerens aus dem Fenster nicht mehr, denn Gestank und Schlamm auf den Straßen mussten damals schon sehr belastend gewesen sein.

Plötzlich werde ich durch laute Glockenschläge von der Kirchturmuhr aus meinem Sinnieren herausgerissen. In regelmäßigen Intervallen werde sich nun die Turmuhr bemerkbar machen und das Fortschreiten der Zeit zu Gehör bringen. Ich setze mich auf einen Holzstuhl, lese noch einige Seiten und lege mich ins Bett. Ich bin voll auf die Glockenschläge eingestellt. Ich lausche förmlich - jetzt zwei Schläge. Nach weiteren fünfzehn Minuten wird sich gut hörbar die Zahl der Schläge um eins erhöhen. Zur vollen Stunde höre ich zusätzlich einen zweiten Klangkörper, der erste weist auf die volle Stunde hin, der Klöppel des zweiten signalisiert bei tieferer Tonlage die entsprechende Zahl für die Stunde. Mit voranschreitender Nachtzeit habe ich den Eindruck, als wolle jeweils zur vollen Stunde das Schlagwerk nie enden. An ein Einschlafen ist nicht zu denken. Ich warte auf die nächsten Schläge. Manche Menschen können den Schlaf herbeiwedeln wie einen lieblichen Duft. Aber mich stören Geräusche in der Einschlafphase und während des Schlafes.

Wenn auch Napoleon einer Frau nur vier Stunden und einem Mann fünf Stunden Schlaf zubilligte und einen Menschen, der sechs Stunden schlief, einen Idioten nannte, brauche ich den Achtstundenschlaf. Ich denke kurzzeitig an mein Immunsystem, meinen Stoffwechsel, mein Gehirn, sie alle benötigen einen Erholungsvorgang.

Mit innerer Spannung erwarte ich die nächsten bevorstehenden Schläge, es gelingt mir nicht, innerhalb der zur Verfügung stehenden Zeit von fünfzehn Minuten einzuschlafen. Beim nächsten Glockenschlag werde ich wieder zählen.

Soll ich mich vielleicht in die Glockenschläge verlieben? Gedanken an Beethovens Eroica mit den beschwingten Tänzen der Landleute stimmen mich innerlich heiter.

Früher hieß es immer, die Turmuhren dienten der Zeiteinteilung und würden das richtige Zeitgefühl auch bei Nacht vermitteln. Ich will aber kein Gefühl für die Zeit entwickeln. Ich will im Schlaf nicht denken. Ich will einfach schlafen, nur schlafen und das ganz entspannt. Die Zeit der Nachtwächter im Mittelalter und das Lied des Nachtwächters aus Wagners Meistersinger gehen mir durch den Kopf: Hört´ ihr Leut´ lasst euch sagen, die Glock´ hat Elfe geschlagen.

4

Ich schaue mir am folgenden Tag die Wetter-App an: sonniger Tag, wolkenfreier Himmel. Zur Erledigung des eigentlichen Grundes meiner Fahrt an die Elbe muss ich die Pfarrei meines Geburtsortes im Vorgebirge aufsuchen, bei der ich vorher einen neuen Taufschein beantragt hatte. Büro des Pfarrers, ich setze mich auf einen harten Holzstuhl. Er fragt mich, weshalb ich eine neue Bestätigung meiner Kirchenmitgliedschaft benötige. Die mit der Taufe begründete Gemeinschaft mit Gott sei doch unauflösbar. Aber er wisse schon, in der Zeit der Herrschaft der Arbeiterklasse sei von der Obrigkeit auf atheistische Einstellung wertgelegt worden. Ich erläutere ihm, dass ich bei der Kirchenbehörde angestellt sei und in einem Kinderheim arbeite.

Mir geht durch den Kopf, dass ich in der Vorwendezeit in angeordneten Schulungen Ludwig Feuerbachs Schrift über das Christentum zu lesen hatte. Ich stimme mit Feuerbach überein. Wie er bejahe ich das Leben. Nach dem Tod gebe es kein ewiges Leben. Wie er, lehne ich einen persönlichen Gott ab. Ein denkender Mensch brauche keinen religiösen Glauben. Nur aus den folgerichtigen Abläufen in der Natur könne man Erkenntnisse gewinnen. Alles Menschliche sei auf physiologische Vorgänge zurückzuführen. Für die Erklärung der Welt brauche ich keinen übersinnlichen, übernatürlichen, außerweltlichen Gott. Und Jesus als mein Herr muss nicht über mich bestimmen, ich komme ohne den Bund mit Gott aus.

Der Pfarrer holt das dicke Kirchenbuch, in dem die Amtshandlung über meine Taufe dokumentiert ist. Unter dem Datum findet er die Eintragungen zu meinem Namen. Damals hatten meine Eltern und die Taufpaten das Glaubensbekenntnis abgegeben und versprochen, mich christlich zu erziehen. Mit dem Taufschein in der Hand verabschiede ich mich vom Pfarrer. Auf dem Weg zum Bus geht mir Nietzsches klare Aussage: Gott ist tot durch den Kopf. Hat er recht?

5

Das schwierigste Unterfangen meiner Tour in die Barockstadt muss ich gedanklich planen. Ich will meine ehemalige Schuldirektorin besuchen und mit ihr abrechnen, sie zur Rechenschaft ziehen, von Angesicht zu Angesicht die Beweggründe ihrer damaligen Handlung erfahren.

Ja damals, in jener Zeit, als einschneidende Veränderungen die Gesellschaft im Osten umwandelte, ja regelrecht umstülpte. Als sich eine Wende vollstreckte, als sich das Leben der Leute änderte. In jenen Tagen, als Tausende, Millionen ihre Arbeit verloren, ihrer Existenz beraubt, als ihre Zukunft verdunkelt wurde. In jenen Tagen vollzog auch sie eine Abkehr, nach außen gut sichtbar. Sie drehte sich auf die andere politische Seite.

Ich spiele den Kontakt zu ihr, den möglichen Dialog in meiner Vorstellung durch. Den Dialog führe ich mit meinem Maskottchen, meiner kleinen Puppe, die auf dem Stuhlkissen platziert ist.

Zu Vorwendezeiten wohnte die Schulleiterin in einer Plattenbauwohnung. Nun als Beamtin lebt sie in einem Einfamilienhaus mit Garten. Ich trete durch das Gartentor. Ich sehe unterschiedliche Baumarten. An einem kleinen Teich wachsen verschiedene niedrige und halbhohe Gewächse mit Blüten im leuchtenden Zinnoberrot. Rosensträucher, Büsche mit rosa und weißen Blüten fallen mir auf. Ich höre Bienen summen.

Auf einem schmalen Plattenweg erreiche ich die Eingangstür und klingele. Die Tür wird geöffnet.

. Gerlinde, ich grüße dich.

. Ja Sonja, welch eine Überraschung, komm herein. Wir haben uns ja viele Jahre nicht gesehen.

. In der Tat, eine lange Zeit ist vergangen.

. Ach setz´ dich bitte. Ich mach´ uns erstmal einen Kaffee.


Ich blicke auf eine Sitzgruppe, die mit türkisfarbenem Stoff überzogen ist, postiere mich auf einem gepolsterten Armlehnstuhl und schaue mich nach allen Seiten um. Die Tür zu einem Nachbarzimmer steht offen. Bücherregale, Schreibtisch, Computer sind in meinem Blickfeld zu sehen. Gerlinde kommt mit einem Tablett, auf dem Tassen mit dampfendem Kaffee und zugehörige Utensilien stehen, zurück. Sie stellt die Dinge auf den Tisch.

. Wie geht es dir, fragt sie.

. Ich arbeite in einem Kinderheim. Mein Abschluss als Lehrerin wurde im Westen nicht anerkannt, als ob man Deutsch und Mathematik in beiden deutschen Teilen unterschiedlich lehrt.

. Ja, im Westen gab es andere Anforderungen an den Lehrerberuf.


Meine innere Wut, meine Empörung entlädt sich in einem impulsiven Redeschwall.

. Du hast mich damals aus der Schule katapultiert, um deine Haut zu retten. Du hast mir Berufsverbot auferlegt. Du hast mir den Schuldienst wegen Nichteignung gekündigt. Kurzzuvor war ich als Vorsitzende der kleinen politischen Organisation mit sechs Mitgliedern in der Schule gewählt worden. Damit hast du mich als systemnah eingestuft. Solche Lehrer könnten in der neuen Zeit nicht mehr tätig sein.

. Sonja, ich kann nachempfinden, wie dir zumute war. Ich steckte auch in einer Krise.

. Gerlinde, deine scheinheiligen Erklärungen sind vollkommen unpassend. Ich habe mich stets gewissenhaft auf den Unterricht vorbereitet. Bei mir haben die Kinder etwas gelernt. … Und du ordnetest mich in die Kategorie: nicht geeignet ein. Mit Liebe, Zuneigung, voller Elan habe ich den Kindern die Grammatik, den Satzbau, die gute Ausdrucksweise, lineare Gleichungen, das Rechnen mit Dezimalbrüchen und Unbekannten beigebracht. … Du hast hier eindeutig gesellschaftliche Aspekte in den Vordergrund gerückt, Du hast Rechnen, Lesen und Schreiben politisch gesehen. … Welch ein Hohn – im vorauseilenden Gehorsam hast du die Machtpose der Sieger umgesetzt.

. Ich musste handeln. Ein neues System wurde errichtet.

. Mit welchem Recht hattest du dir angemaßt, ein solches Urteil zu sprechen. … Hierfür gab es keine rechtliche Grundlage, das war Anarchie. ... Das ostdeutsche Gebiet war noch nicht unter westdeutscher Hoheit. War das die neue Demokratie? Das hatte nichts mit freiheitlicher Demokratie zu tun. Das war autoritär.

. Sonja, auf der Straße haben die Menschen gegen das untergehende Regime demonstriert.

. Gerlinde, das war praktiziertes Berufsverbot. Vorauseilend hast du die alte Herrschaftsgewalt durch eine andere Macht ersetzt. Das war antidemokratisch, das war massive berufliche Ausgrenzung, das war Diskriminierung.

. Sonja, die Leute wollten eine neue Macht. So auch in der Schule.

. Ich hatte der Gesellschaft nichts getan. Es gab keinen Grund, mich zu benachteiligen. Kein schweres Dienstvergehen, kein schwerwiegendes Fehlverhalten war mir vorzuwerfen. Eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses, eine Kündigung und Entlassung waren nicht begründet. Ich wurde meiner Lebensgrundlage beraubt. Berufsfreiheit war doch ein Freiheitsrecht. Ich wurde in meiner Freiheit beschnitten! Das hast du veranlasst. Schamlos, auf deinen eigenen Vorteil bedacht.

. Es war eine unruhige Zeit. Die Anforderungen änderten sich.

. Ja, es war eine gesetzlose Zeit, eine schlimme Periode. Aber in Zeiten der linken Herrschaft hast du die brandrote Vorkämpferin gemimt. Dem Geheimdienst standest du nah, pflegtest vertrauliche Kontakte. Stetig und eifrig hattest du Informationen über die Kollegenschaft weitergeleitet.

. Ich war dazu verpflichtet.

. Zu Wendezeiten warst du drehfreudig. Das Verhalten des rindenfarbenen Spechtes im Wald - des Wendehalses - hattest du genau studiert und nachgeahmt. Die Fahne rasch in den Wind gedreht, die knallrote Farbe zugetüncht. Mit einem Federstrich das Kollegium stark ausgedünnt. Aus dem roten Verein lautstark unverzüglich ausgetreten und der CDU zugewandt. So hast du deine Haut gerettet. So erhieltst du Förderung im Beruf, wurdest Bedienstete im neuen System. Aus rot wurde schwarz. Stendhal hätte sich gewundert.

. Die Zeit schritt voran, im Eilschritt. Ich musste Entscheidungen treffen.

. Was musstest du? Ja, du musstest nach außen gut hörbar deine geänderte Einstellung laut verkünden. Damit war dein weiterer Aufstieg gesichert.

. Ich war auch Befragungen ausgesetzt.

. Natürlich, in diesen Befragungen hattest du deine rote Überzeugung revidiert, deine ideologische Position gewandelt.


Ihr Verhalten erinnert mich an die Praktiken und Glaubenssätze des Jesuitenordens. Darin wird erklärt, dass man etwas, was man für weiß halte, schwarz sein kann, wenn es die Institution bestimme. Laut verkündet der Orden, dass praktisch alles, was die meisten Menschen für wahr halten, eine absolute Lüge sei.

. Ich lag auf der Straße. Mit einem spärlichen Anfängergehalt musste ich in einem Kinderheim neu beginnen. Fernab von meiner geliebten Heimat. Getrennt von meinem Freundeskreis, vom Vertrauten. Neuanfang in einer mir fremden Gesellschaft, in der mein Abschluss nicht anerkannt wurde.

. Nun ist es gut. Alles Schnee von gestern. Weggetaut. Verschwunden. Deine Nörgelei ist unerträglich. Sicherlich willst du jetzt gehen.


Ich ziehe meine Jacke über und verlasse das Haus.

6

Nachmittags kräftiger Sonnenschein, sehr warmer Maientag. Keine Wolke am Himmel. Ich setze meine Sonnenbrille auf und denke nach Bayernart: Schon eine Sonnenbrille macht aus einem Bauerntrampel eine flotte Italienerin.

Verabredung mit Richard. Treffen im Großen Garten an der Hauptallee am Mosaikbrunnen. Minnesüße Maienluft umstreicht mein Gesicht. Kleine bunte Luftschlösser entspinnen sich in meinem Kopf. Flora, die Göttin der Blüte, die Liebreizende, zieht durch die Natur und vereint mit Venus, der Göttin der Liebe, verbreiten sie zärtliche Gefühle und regen gedanklich in mir das Summen fröhlicher Lieder an.

Spaziergang die Hauptallee entlang. Im Blickfeld das frühbarocke Palais mit der liegende Figurengruppe Die Zeit entführt die Schönheit. Links Rhododendronbüsche. Verweilen am Palaisteich. Richard kredenzt Wein im Plastikbecher. In seinem Einkaufsbeutel scheint noch weiterer Vorrat zu sein. Auf dem Wasser landen Enten und anderes farbiges Federvieh. Wahrscheinlich kommen sie vom nahegelegenen Zoo.

Von weitem sind Jazz-Rhythmen von der Freilichtbühne zu hören, quasi zur Einstimmung auf das eigentliche Konzert. Vogelgezwitscher zur Dämmerzeit. Ich verspüre ein säuselndes Lüftchen um mein Gesicht streichen. Einige Bäume verblühen bereits, andere Büsche recken ihre Blüten hervor. Verträumt, selbstversunken, gedanklich mit dem ersehnten Lenz beschäftigt, gehe ich neben Richard die Südallee entlang. Schemenhaft flammt in mir Botticellis Gemälde Frühling mit Flora, der Göttin der Blüte, die einen Blumenkranz am Hals trägt, auf. Nach dem Palaisteich am kleinen Bächlein biegen wir in Richtung Freilichtbühne ab. Jeder von uns beiden hat eine Decke unterm Arm. Auf der Wiese außerhalb der Spielstätte breiten wir unsere Decken aus. Die Dixieland-Klänge sind dort kraftvoll zu hören. Als Schwerpunkt des Programms für den Abend soll Rock-Jazz gespielt werden. Das jugendliche Fan-Publikum strömt zum Eingang.

Kurze Zeit später verschwindet die Sonne hinter den hohen Bäumen. Es dauert nicht lange und kühle Luft weht über uns hinweg. Bruchstücke eines Gedichtes von Herrmann-Neiße kommen mir in den Sinn:

Der Mai ist zum Kotzen, / am Tag ist er heiß, / als wollte er protzen. / Sinkt der Abend hernieder, / friert man wieder.

Auf den gewaltigen Bäumen um das Theater haben sich mehrere Vögel niedergelassen, die von der Helligkeit angezogen werden. In den Spielpausen der Bands hören wir ihr Abendgezwitscher.

Richard holt aus seiner Tragetasche eine Flasche mit perlendem Inhalt heraus und öffnet sie. Gut geplant. Es wird rasch dunkel. Wir beschließen, uns beide gemeinsam auf eine Decke zu legen. Mit der anderen decken wir uns zu. Wir kuscheln ganz dicht zusammen. Nach einiger Zeit legt Richard seinen Arm unter meinen Kopf und drückt mich an sich. Seine Wange berührt die meine. Seine Hände umstreichen meinen Körper. Ich lasse es geschehen. Ich fühle mich geborgen. Es ist wohlig. Meine bisher bewusst gespielte Sprödigkeit fällt allmählich ab.

Auf meinem Gesicht spüre ich die Frische der Nachtluft. Es drängt mich nach Wärme. Er zieht die obere Decke ganz über uns. Ich fühle mich angezogen. Unsere Lippen berühren sich. Er begehrt mich. Ich weiche nicht zurück. Wir, ineinander verschlungen, als wären wir ein einzig Individuum.

Ich höre die Dixie-Rockmusik, die von der Freilichtbühne zu uns dringt. Die Melodien erscheinen mir leicht und beschwingt, manchmal kraftvoll. Am Schluss sind wir wieder zwei geworden. Korrekt gekleidet. Es gibt Richard und es gibt mich. Langsam, uns an den Händen haltend, pilgern wir zu unseren Unterkünften. Es ist ein langer Marsch. Immer wieder umschlingen wir uns.

7

Am Folgetag geplanter kleiner Stadtrundgang. Kräftiger Sonnenschein. Ich setze meine Sonnenbrille auf. Es hebt mein Selbstbewusstsein. Meine Sehnsucht nach Wärme wird erfüllt. Die Farben der restaurierten Häuserwände werden im Sonnenlicht grell reflektiert.

Richard kommt mir am Georgentor entgegen. Kurze Umarmung zur Begrüßung. Am Rundbogen des Tores blicken wir auf das Flachrelief Adam und Eva, die um das verlorene Paradies trauern. Sünde und Tod soll es darstellen. Wir schlendern weiter: Großer Schlosshof mit Motiven der Sgraffitomalerei. Neumarkt. Blick nach oben zur bronzenen, vergoldeten Fama auf der gläsernen Kuppel der Kunstakademie. Beim Anblick der klatschsüchtigen Fama, der Göttin des Ruhms, des Gerüchts und des Tratsches, auf der Glaskuppel fällt mir eine von meiner Mutter erzählte Geschichte über den blauen Blitz im Dorf des Vorgebirges ein. Ich referiere die Geschichte. Der Gemeindediener fuhr mit einem blauen Fahrrad - deshalb der Spitzname - durch den Ort. An bestimmten Plätzen hielt er an, schwang seine große Glocke, wartete, bis sich mehrere Einwohner um ihn geschart hatten. Dann verlas er die neuesten Nachrichten. Anschließend hatte er auch den jüngsten Klatsch unter die Leute gebracht. Fama hätte ihre Freude gehabt.

In einer Nische am Fuße der Akademie legt Richard seinen Arm um meine Schulter, kommt näher und küsst mich. Ich lasse ihn gewähren und erwidere sanft seine Zärtlichkeit. Seine Lippen sind weich.

Wir steigen neben der Kunstakademie die Stufen hinauf zur Brühlschen Terrasse, bis wir das Semperdenkmal im Rücken haben. Vor der Fassade des Albertinums mit dem Selbstbildnis von Curt Querner, meinem geliebten Maler aus dem Nachbarort meiner Kindheit, bleiben wir stehen. Abends wird es immer angestrahlt. Ich berichte über meine Gespräche mit Querner, der gelegentlich zu meiner Tante kam, die auch in unserem Haus wohnte. In den dreißiger Jahren habe er gegen die Machtstrukturen gewirkt. Nach dem Krieg lenkte er seinen Blick auf das bäuerliche Leben. Er galt als Meister des Aquarells. Mit leichtem Glottisschlag sagte er: auf dem Scheitel des Berges, neben dem Knorzel, im Schnee, im Pelz, in dicken Hosen und Stiefeln fühlte ich mich wie ein Herr über der Landschaft, wenn ich malte. Ich fühlte mich sehr frei. In kurzer Zeit musste er bei Sturm und Kälte die Widerwärtigkeiten der Natur aushalten und das Stimmungsbild auf das Papier bannen. Denn bei seiner Nass-in-Nass-Technik mit Pinsel und Schwamm durfte die Farbe nicht antrocknen, bis das Bild fertig war. Die alten Weiden am Bach zur Schneeschmelze, mit viel Blau, dazwischen aufflammendes Rot, etwas Schwarz leicht bedrohlich. Einfach famos. Querners Blau liebe ich. Das waren seine Hauptmotive. Oder der Bauer Rehn, dieser hart arbeitende Bauer, war viele Mal sein Motiv.

Ich offenbare Richard meine Empfindungen, meine Sehnsucht an die alte Heimat, an die geliebten Plätze. Ich sage ihm, dass ich mich jetzt heiter und vergnügt fühle, weil ich gegenwärtig an Orte meiner Jugend zurückgekehrt bin. Für meine gewohnte Umgebung empfinde ich wieder Sympathie. Damals während der Umwälzungen sei das Miteinander, das aktive emotionale Engagement verschwunden gewesen.

Auch mein Garten im Vorgebirge war ein Stück Heimat, ein Ort der Ruhe, der Zufriedenheit. Ein Freiraum für individuelle Freiheit. Dort hatte ich meinen inneren Frieden. Der Garten war oft Ersatz für die fehlenden Möglichkeiten, in die Ferne zu reisen. Ich berichte, dass die Männer im Garten ihre Werkstatt im Freien hatten. Es wurden oft die Dinge gebastelt und gebaut, die es nicht zu kaufen gab. Der Kleingarten war kein Lustgarten, kein Ort des Nichtstuns. Jede Stunde wurde für Graben, Hacken, Pflanzen, Wässern, Ernten genutzt.

Die Frauen zogen bei Hitze das Badekostüm an oder trugen die praktische einfache Kittelschürze, die vorn offen war und übereinandergeschlagen, mittels Band zusammengehalten wurde. Gartenarchitektonische Kostbarkeiten wurden nicht gepflegt, der Garten war schlicht. Zum Wochenende traf sich die gesamte Familie, der Familienverband im Garten. Ohne Anstehen vor Gaststätten, wo man platziert wurde, saß man hier unter freiem Himmel. Ungezwungen, mit lockeren Tischsitten wurde die Hausmannskost mit frischem Gemüse aus dem eigenen Garten eingenommen.

So verlagerte sich zum Wochenende der Mittelpunkt des Familienlebens ins Grüne, in die Natur – frei von politischen Normen und Reglements, frei vom Versammlungsdruck, frei vom Druck gesellschaftlicher Organisationen, frei von Hektik und Betriebsamkeit. Durch den Anbau von Obst und Gemüse versprach sich die oberste Führung des Landes eine Füllung der Lücken in der Versorgung. Damit war auch die Gartenarbeit als kulturvoll und persönlichkeitsbildend eingestuft.

Er umfasst mich, drückt mich fest an sich. Ich lehne am Sockel des Sempermonuments. Er haucht mir ins Ohr, ob wir zusammenbleiben und eine gemeinsame Zukunft gestalten könnten. Die Erinnerungen an alte Heimatgefühle könnten wieder in reale Empfindungen übergehen.

Auf einer Bank sitzend, mit freiem Blick zur Elbe, wo Dampfer anlegen und seitlich auf die schräg von der Sonne angestrahlte, sehr plastisch erscheinende katholische Hofkirche, umfasst Richard meine Schulter, neigt den Kopf, schmiegt sich an. Seine Lippen berühren meine Wangen. Leise flüstert er mir zu, dass er mich sehr mag. Ich sei enorm sympathisch. Er möchte Empfänger meiner Ausstrahlung sein. Wir könnten eine gemeinsame Wohnung beziehen und für immer zusammenbleiben, schlägt er vor. In der Tat, ich könnte mich mit seinen Gedanken anfreunden. In mir keimt die Hoffnung, verflossene Heimatgefühle wiederzuerwecken. die vielen Erinnerungen an liebgewordene Orte meiner vertrauten Heimat ins reale Leben zurückzuführen. Ich würde alte Freundschaften wiederbeleben. Ich würde mit meinen früheren Freundinnen zu den geliebten Plätzen meiner Jugend pilgern, an denen wir viel erlebt haben.

Ich bin innerlich erregt. Ich spüre, wie mein Herz pocht. Ich stelle ihm detektivisch einkreisende Fragen, um herauszubekommen, ob er Familie hat und wo sie lebt, oder ob es sonst jemand in seinem Leben gibt, was er in seiner Freizeit mache.

8

Ich muss unbedingt Oma Mehnert in meinem ehemaligen Wohnhaus im Plattenneubaugebiet in Zschertnitz an der Südhöhe Dresdens aufsuchen. Ich wohnte als Kind, Jugendliche und Erwachsene in dem Haus. Nach dem Einzug der Genossenschaftsmitglieder, so auch meiner Eltern, formierte sich unter den damaligen Ostbedingungen eine Wohngemeinschaft - quasi als Gegenpol zu den administrativ angeordneten Versammlungen in den Betrieben, zu den Reglementierungen im Alltag. Eigentlich war es auch eine Notgemeinschaft. Gegenseitige Hilfe. Unterstützung bei der Beschaffung knapper Ressourcen.

Ich klingle bei Oma Mehnert im Erdgeschoss. Sie öffnet mir. In ihrem dunklen Rock mit heller einfarbiger Bluse wirkt sie elegant. Sicherlich hat sie blitzschnell ihre Kittelschürze, die sie meist über ihrer Kleidung trug, in der Küche an einen Haken gehängt. Sie geleitet mich in ihre kleine Küche. Am Fenster steht eine Tasse mit Kaffee. Ich entsinne mich, wie sie damals ihren Kaffee mit dem Melitta-Filter bereitete und portionsweise kochendes Wasser über den gemahlenen Kaffee in der Filtertüte goss. Jetzt drückt sie auf mehrere Knöpfe ihrer Maschine und blitzschnell kredenzt sie mir einen Frischgebrühten.

Oma Mehnert offenbart ihre Überraschung, dass sie von einer Westlerin, wie sie mich bezeichnet, Besuch bekommt. Ihre halblang geschnittenen grauen Haare geben ihr ein gepflegtes Aussehen. Ich kannte sie noch mit rotbraunem, mahagonifarbenem Haar, das sie meist hochgesteckt hatte. Von ihrem geliebten Platz aus in der Küche konnte sie den grünen Raum mit Grasflächen und hochgewachsenen Laubbäumen zwischen den quadratisch angeordneten Häuserblocks gut überschauen.

Sie ist jetzt Rentnerin. Nun fern von ihrer geliebten Bühne. Die Zeit als Souffleuse ist vorbei. Über zwanzig Jahre war sie in ihrem Souffleurkasten über den zwanzig Zentimeter hohen Schlitz im hölzernen Kasten über die Augen mit den Darstellern auf der Bühne verbunden. Der tägliche Blick in den Spiegel bestätige nun ihre Assoziationen vom Herbst des Lebens. Sie gesteht, dass sie nur selten vor dem Spiegel ihre Brille aufsetze, um die Konturen der Falten und Furchen nicht deutlich wahrnehmen zu müssen. Ohne Brille seien ihre Züge weichgezeichnet. Noch vor Jahren habe sie in ihrem Spiegelbild – Gefallsucht und Gelüste, aber auch Cleverness und Freimut entdeckt. In der Antike, habe sie überlegt, galt der Spiegel als Abbild der Seele, die darin gefangen war. Zu Kinderzeiten habe sie aus Märchen und Sagen erfahren, dass der Spiegel übersinnliche Eingebung, Voraussagungen, Erkenntnis bringen könnte. Sie wusste, dass die chinesische Tradition den Spiegel als Symbol der Verbannung des Bösen verehre. Aber Mehnert wähnte manchmal neben sich im Spiegel den Satan, den Geist der Finsternis, den Antagonisten. Sie fühle quasi den rebellierenden Widersacher, der sich in den Weg stelle und Gegenkraft initiiere. Sie überlege, ob eine alternde Frau den Spiegel ignorieren und ihn durch den schönen Schein ersetzen solle, besonders wenn die Zahl fünf überschritten war. Eine passende Kleidung wählen, in der man immer gut aussähe. Sie erinnere sich, mit zwanzig wählte sie himmelblau. Wahrscheinlich angeregt durch die Verknüpfung ihrer Gedanken, wenn sie entspannt im Gras lag, in den Himmel schaute, an Raum und Ewigkeit dachte, inneren Frieden verspürte und Harmonie als Gefühl in ihr aufstieg.

Mit der Betonung der persönlichen Attraktivität hatte es ihre Arbeitskollegenschaft im Theater da besser. Vor dem Auftritt auf der Bühne wurde das Körperäußere der Darsteller entsprechend der Rolle, die sie spielten, langwierig, kunstvoll angepasst. Ja, sie wurden verschönert. Manche konnten sich, wenn es die Rolle hergab, über einige Stunden wieder jung fühlen, die Männer vielleicht gedanklich als Don Juan in sinnlicher Leidenschaft. Luise Mehnert konnte diese Vorzüge nicht genießen. Sie steckte in ihrem Holzkasten, äußerlich nicht hergerichtet, nicht verjüngt, nicht faltengeglättet. Aber ebenso in permanenter Anspannung. Sie, die Flüsterin, die Einbläserin sprach die Rollen flüsternd mit. Viele Rollentexte kannte sie auswendig. Nicht nur die Wörter, die Sätze, die gesamte Rolle hatte sie verinnerlicht. Auch die Gestik, die Mimik, die Bewegungen, den körperlichen Ausdruck beherrschte sie. Zuhause vor dem Spiegel verkörperte sie für sich allein die Figuren. Im Allgemeinen war sie im Schauspielhaus eingesetzt, sie hatte aber auch Aufgaben im Theater der Jungen Generation, wo sie auch kleine Rollen übernahm.

Schon als Kind hatte sie den Wunsch, später Schauspielerin zu werden. Aber ihr Stiefvater drängte darauf, dass sie einen soliden Beruf ergreifen sollte. Sie lernte Buchhändlerin. So war sie mit dem geschriebenen Wort verbunden. Aus dem Studium wurde nichts. Später wechselte sie zum Theater. Das gesprochene Wort entsprach eher ihren Intentionen. Ja, das Wort. Viele, viele Male hatte sie Faust in seinem Studierzimmer sagen hören und flüsternd mitgesprochen: Im Anfang war das Wort! … Mir hilft der Geist. Auf einmal seh‘ ich Rat … Im Anfang war die Tat!

Mit dem Nachbarn Zietschmann war Mehnert damals am selben Tag in der Platte eingezogen. Der Dorfkern von Zschertnitz mit seinen historischen Bauernhäusern wurde für das Neubaugebiet geopfert. Eine Neubauwohnung in Zschertnitz zu erhalten, wurde zu dieser Zeit als Geschenk angesehen. Zwar war es ein anderes Wohnen als in einer Altbauwohnung. Verspielte Fassaden, individuelle Vorgärten, kurzer Weg zur Kirche gehörten nicht zum neuen Wohnen in einer auf Gleichheit beruhenden Gesellschaft. Altbau stand für Wohnen in einem altbackenen Gesellschaftsmodell.

Wenn man in der Platte eine Wohnung erhielt, fühlte man sich erst mal auf der Sonnenseite mit neuem Lebensgefühl. Die Platte war Sinnbild für die Wohnform in Ostdeutschland, uniformiert, vereinheitlicht. Alle wohnten auf gleichem Niveau. Hier gab es nach damaligen Begriffen Komfort – stets warmes Wasser oder Durchlauferhitzer und eine warme Wohnung mit Badewanne. Die Zeit, in der man sich im frostigen Winter unter einem Gebirge aus Federdecken eine warme Höhle schaffen musste, um in grenzenlose Träume fallen zu können, war nun vorbei. Die Wohnungen wurden permanent beheizt, so stark, dass die Fenster geöffnet werden mussten, weil die Heizungen ohne Abstellventile montiert wurden. Die Satirezeitschrift Eulenspiegel veröffentlichte damals Fotos, auf denen Neubauwohnungen häuserweise mit offenen Fenstern, sowohl in Rostock als auch in Dresden, zu sehen waren.

Schule und Kindergarten waren im Neubaugebiet gleich um die Ecke. Unweit eine Kaufhalle, auf deren Gelände früher das berühmteste Ballhaus Dresdens Paradiesgarten stand. Es wurde in den Kriegstagen zerstört.

Das Wohnen in einer Plattenbausiedlung aus zusammengeschraubten Modulen grauen Waschbetons unterschied sich von der als überholt geltenden bürgerlichen Wohnkultur auf dem Weißen Hirsch. Die Platte war industriell errichtet und standardisiert. Die Häuser sahen fast überall gleich aus, eben wie Zigarrenkisten. Die Wohnungen gleichen Typs waren nahezu überall gleichgroß mit gleichem Grundriss, eben gleichförmig. Viel Fantasie zum Einrichten wurde nicht gebraucht. Die Möbel an den richtigen Fleck stellen, das konnte jeder. Fernseher, Wohnzimmerregale und Kleinmöbel standen fast überall an der gleichen Stelle, eben einheitlich, konform. Die aus leichtem Kunststoff gefertigten Zimmertüren wurden von den Leuten als Papptüren bezeichnet. In Zschertnitz waren die aus Pressstoff mit innenliegenden Papierwaben gefertigten Wohnungstüren aufgrund schlechter Lagerung verzogen. So hatte jede Wohnungstür an der unteren linken Ecke einen Schlitz zum Gewände hin. Durch diese Klinse gelangten die unterschiedlichen Küchengerüche ins Treppenhaus. Sie vermischten sich zu einem Einheitsgeruch. Durch den Spalt drang aber auch akustischer Ballast. Nachmittags hörte man die Klänge der Puhdys, von Karat oder die Musik westlicher Sender, abends Lieder von Karel Gott. An der Wohnungstür Vorbeigehende bekamen die Heftigkeit von Streitgesprächen in der Wohnung ebenso mit wie abends den Lichtschein durch den Spalt, der die Anwesenheit der Bewohner signalisierte.

In diesen Zeiten hatte Luise Mehnert viele gesellige Zusammenkünfte im Haus organisiert. Grillabende auf der Rasenfläche hinterm Haus waren ebenso beliebt wie ihre schmackhafte sächsische Arbernsuppe, wie die Kartoffelsuppe im Elbland genannt wurde und bei der Zubereitung alle Jugendliche des Hauses mithalfen. Man fühlte sich wohl in der nichtreglementierten Gemeinschaft.

Als mich Frau Mehnert in ihre Wohnung bat, hatte sie ein Fotoalbum unter dem Arm, das sie gerade aufschlagen wollte, sie legte es zur Seite. Es klingelt an der Wohnungstür, sie öffnet die Tür. Zietschmann, der Nachbar im Erdgeschoss, kommt herein. Seine graumelierten brünetten Haare stehen strubbelig nach oben. Gern macht er einen Plausch mit Mehnert. In seiner Alltagskleidung, abgewetzte blaue Jeans und kariertes Hemd, scheint er gerade von Arbeit zu kommen, Er setzt sich zu uns und erhält ein Käffchen.

"Ach, die Frau 'Neu-Wessi'. Willst de uns bekehren? Mit der 'West-Kultur' missionieren?", sagt er, als er mich sieht.

"Ich will niemand beschwatzen, nur mal begrüßen. Und es freut mich, wieder meine Heimatsprache zu hören. Dem Sächsischen wohnt sowas Ursprüngliches inne. Im Westen wird der Sachse zwar als angestaubt eingeordnet. Klar, man versteht ihn schlecht. Er nuschelt. Viele Laute klingen wie von Urvölkern. Aber wir wissen alle, der Sachse ist ein geschickter, erfinderischer Bastler, ein neugieriger, fleißiger Tüftler. So konnte er sich zu Vorwendezeiten gut durchwurschteln."

Oma Mehnert hat noch immer das Fotoalbum neben sich liegen. Sie schlägt es wieder auf. Als ehemalige Souffleuse am hiesigen Theater verliert sie sich gedanklich gern in der vergangenen Theaterwelt.

Sie sagt, dass in diesem Jahr einige ehemalige Dresdener Schauspieler einen runden Gedenktag haben. Sie blättert und sagt, hier die Traute Richter. Die Richter sei als Frau Charlotte von Stein im Gespräch mit dem abwesenden Herrn von Goethe fulminant, einfach überwältigend gewesen. Über dreihundert Mal habe sie diese Rolle gespielt.

Joachim Zschocke als Richard der Dritte und auch Tartuffe. Der Horst Schulze, erst in Dresden, dann in Berlin, sei als Mephisto unübertroffen gewesen. Und sie zeigt auf sein Bild. Schulze sei als Publikumsliebling der Dresdner wirklich umjubelt worden. Den Bel Ami habe er über dreihundert Mal gespielt, als Papageno - einfach meisterhaft. Genauso sei die Antonia Dietrich von den Dresdnern abgöttisch verehrt worden, als Frau Jenny Treibel große Spitze.

Rolf Hoppe sei seinen Dresdnern treu geblieben. Was habe der alles gespielt – König Lear, Dorfrichter Adam im Zerbrochenen Krug, den Klosterbruder in Nathan der Weise. Ja, viele Rollen jahrzehntelang.

Und Marita Böhme als Eliza Doolittle in My fair Lady oder in Bel Ami zuzuschauen, sei immer ein Genuss gewesen. Peter Herden habe den Professor Higgins über vierhundert Mal gespielt.

Die Publikumslieblinge habe Mehnert alle persönlich gekannt. Sie saß mit ihnen in der Kantine und habe auf der Bühne in kritischen Situationen geholfen.

Ich schließe mich vielen ihrer Gedanken an und gebe mich auch Erinnerungen hin. Alle diese bekannten Schauspieler habe ich viele viele Male auf der Bühne erlebt. Ich habe sie alle verehrt, sage ich.

Unsere Schule hatte einen Patenschaftsvertrag mit dem Theater. Unsere Schulkinder besuchten regelmäßig Theatervorstellungen. Ein Theaterbesuch war für viele Menschen ein wichtiges Kulturgut.

Die hohe Theaterkultur der DDR wurde international beachtet. Die enorme Dichte der Theater- und Orchesterlandschaft ist bis heute erhalten geblieben.

Die Kunst habe zum Alltag gehört, sagt Frau Mehnert, es sei ein Bedürfnis gewesen, sich mit dem künstlerischen Schaffen auseinanderzusetzen. Zu DDR-Zeiten sei sie oft in die Gemäldegalerie im Albertinum gegangen. Durch eine Jahreskarte war alles günstig. Die regelmäßigen Kunstausstellungen der ostdeutschen Maler habe sie besichtigt und deren Produkte neugierig und kritisch beäugt. Und jetzt, kaum ein ostdeutscher Kunstmaler sei in der Ausstellung Neue Meister zu finden. Aber für einen anderen in Westdeutschland lebenden Maler seien für seine Farbkompositionen zwei, ja drei Räume eingerichtet worden.

"Freilich, es herrscht Schweigen, Grabesstille über DDR-Kunst", sagt Zietschmann.

„Nicht nur Kunst. Schon gleich zu Wendezeiten sind alle rot-eingebundenen Bücher aus den Bibliotheken entfernt wurden“, sagt Luise Mehnert.

„Ja, Frau Mehnert, Rot steht nicht nur für Liebe, Leidenschaft und Erotik. Rot ist auch ein Warnsignal. Hier warnt Rot vor dem politischen Inhalt, selbst wenn eine andere inhaltliche Füllung drin war. Aber Se sehen, manchmal gibt’s Abweichungen.“

„Ich kam in meinem Leben mit Rot ganz gut zurecht, außer wenn ich mich geschnitten hatte. Und jetzt sieht man im wahrsten Sinne rot - als feindliche Denkart.“

„Ach Frau Mehnert, Büchervernichtungen, Bilderstürmerei gab es häufig in der Geschichte“, sage ich.

„Se ham recht, schon in der Antike wurdn Bücher verbrannt, Später, Karl der Fünfte und Heinrich der Achte ließen die Bücher von Luther verbrennen.“

„Ja, ja, im Mittelalter brannten heidnische Bücher und in der Neuzeit wurden Bibliotheken geplündert und Bücher vernichtet oder Bilder hinter Schloss und Riegel gehalten.“

Neulich habe Schaller im Kabarett Herkuleskeule verkündet, sagte Oma Mehnert, dass Bilder von Mattheuer, Bücher von Christa Wolf, Lieder von Silly für uns ein Lebensmittel waren und in der Abteilung Deutsche Malerei kein Bild eines ostdeutschen Malers zu finden sei. Das sei eben moderne Bilderstürmerei.

"Ja - über ostdeutsche Künstler wurde ein Bannfluch gelegt, alle Bilder aus der Zeit sind geächtet", sage ich.

"Ich globe, die wolln de DDR-Identität auslöschen", sagt Zietschmann.

"Ja, ja, das böse Erbe muss verjagt werden."

"Der neue Weg nach der Wende ist vermint. Und diese Mine mit größter Sprengkraft heißt DDR-Identität. Die muss getilgt werden", pflichte ich bei.

"Na ja, de Westdeutschen wolln de eigene Identität überstülpen. Se wolln sich behaupten", sagt Mehnert.

"Ich kann euch sagen, ich habe een westdeutschen Chef, dr sieht in jeder zusammenstehndn Gruppe eene Gefahr. Zu Ostzeiten trafen wir uns nach Feierabend mal in dr Kneipe, feierten Geburtstage gemeinsam, zur Frühstücksrunde gaben wir Kuchen oder was Herzhaftes aus. Wenn heute dr Chef von solchen Runden erfährt, sieht er eene Bedrohung seiner Person drin. Dr denkt, es werde über ihn geredet und es formiere sich eene Gegengewalt. Telefongespräche werden mitgeschnitten, dr will über alles informiert sein", sagt Zietschmann.

„Wir Ostdeutschen sind unsere Identität los, unser bisheriges Leben gilt nichts mehr, unser produktiv erfülltes Leben wird negiert", betont Mehnert.

„Im Westen wird gesagt, die Ostdeutschen seien undankbar, sie fühlten sich zurückgesetzt, Die Wessis sagen, die Ossis seien verschandelt, versaut und überempfindlich".

„Es ist so, als Ostdeutscher fühl ich mich nicht anerkannt, als Ostdeutscher fühl ich mich verletzt, herabgesetzt, ausgegrenzt", wirft Zietschmann ein. „Gekränkt, ja, so richtsch gekränkt.“ Er trinkt von seinem Kaffee.

"Schon damals, als de westdeutschen Staatsdiener hier im Osten de Sonderzahlung, de Buschzulage, kriegten, war isch total sauer, isch fühlte misch zurückgesetzt", sagt Zietschmann.

"Mein Großvater hatte schon erzählt, dass zu Kaiserszeiten, eine Buschzulage gezahlt wurde, wenn Leute in die Kolonien zum Arbeiten geschickt wurden", berichtet Frau Mehnert.

"Genau, trostlose Gegend - hier im Osten, unterentwickelt, keene Zivilisation. Da fühlsch misch gleich benachteiligt, geringgeschätzt", empört sich Zietschmann.

Mehnert schenkt Kaffee nach und bietet Prasselkuchen an.

"Mein geliebter Prasselkuchen, der so schön knackst, eben prasselt. Das kriegen die im Westen nicht hin. Das ist Ostspezialität", stelle ich beglückt fest.

Aber Zietschmann ist noch auf Widerborstigkeit gestellt:

"Ich krieg' weenschr Lohn für gleiche Arbeit als meine Kollegen am Rhein. Da fühl ich mich erniedrigt. Dr Osten ist immer noch Kolonie dr Mächtigen im Westen. Wir sind noch Anschlussgebiet. Isch fühl misch ausgeschlossen und benachteiligt. Da findet sowas wie eene koloniale Unterwerfung statt.

Die Ostdeutschen sind eben Eingeborene, auf die man herabsieht, die minderwertig sind. Das hat seelsche Deformationen unter den Ostdeutschen hervorgerufen. Da hab isch so meene Wut. So ne Ausgrenzung is für misch eene totale Kränkung. Mein Selbstwertgefühl is runter gedrückt. Mein Selbst wird systematisch aufgelöst."

"Gehst du deshalb montags mit spazieren? Kriegst du nicht mit, wem du nachläufst, wem du an den Fersen hängst?", fragt Mehnert.

"Ich bin entrüstet und hab Zorn. Ich hab keen Vertrauen in de Maßnahmn von oben. Ich war schon immer skeptsch gegenüber den Anordnungen und Regeln der Obrigkeit. Auch heute lehne ich se ab. Uns hört keener zu. Früher wurde ich mit Ideologie drangsaliert - heute mit der Macht des Geldes", sagt Zietschmann. "Montags finde isch Verbündete. Schau."

Er zeigt auf seinem Handy Fotos. Ich traue meinen Augen nicht, als ich einen Mann mit Trageelement sehe, der neben Zietschmann steht und Richard ähnelt.

„Wer ist der Mann, der neben dir steht?“, frage ich.

„Das ist Richard.“ Also doch, stelle ich fest. Darüber hat er nicht gesprochen.

"Aber eure Verletzung, euer geschädigtes Selbstwertgefühl dreht ihr montags in Wut um und richtet diese gegen andere. Das ist das Gefährliche", sage ich.

"Früher hat uns die Mangelwirtschaft permanent beschäftigt, heute hat uns der Überfluss verhext, in den Kaufzwang gezogen", meint Mehnert.

"Wir müssen uns an der Hatz durch den Konsumtempel beteiligen. Früher hielten wir zusammen. Und heute, warum mögen sich Ost- und Westdeutsche nicht?", frage ich.

"Die Ostdeutschen sind eben andere Deutsche! Diese Ausgrenzung ist die eigentliche Kränkung", sagt Mehnert.

„Wird es in Zukunft eine Gleichbehandlung der Quasi-Einwanderer im eigenen Land geben? Eigentlich sind die Ostdeutschen Exil-Ostdeutsche, denn sie wohnen in einem Land, das insgesamt, mehrheitlich von Westdeutschen bewohnt wird.“

„Da kann man sich als Migrant fühlen.“

"Aber warum bin ich in dem einig Volk von Brüdern immer noch der Ossi", frage ich, "warum darf ich nicht einfach ein Deutscher sein? Ja, diesen Stallgeruch Ossi wird man nicht mehr los", sage ich.

"Nun, großes Westeinkommen wirste schon hamm. Im Westen verdient man doch gut und de Renten sinn später och höher", sagt Zietschmann.

„Von wegen hohes Gehalt. Mein Ost-Abschluss wurde nicht anerkannt. Ich musste eine Erziehertätigkeit zum Anfängergehalt aufnehmen. Hier im Osten hätte ich heute als Lehrerin eine gute Beamtenentlohnung erhalten. Aber zur Wende wurde ich entlassen."

Wir trinken noch Mehnerts selbstbereiteten Pfeffi. Dann verabschiede ich mich.

9

Vor meinem Hotel wartet Richard auf mich. Ich frage nicht, wie lange er sich schon dort in Geduld gefasst habe. Wir beide verspüren das Bedürfnis, etwas zu essen. Wir möchten etwas Herzhaftes. Wir suchen ein nahegelegenes tschechisches Restaurant mit böhmischer Küche auf. Beim Studium der Speisekarte stört mich, dass als sogenannte Sättigungsbeilage, wie der Begriff im ostdeutschen gastronomischen Jargon lautete, nur Hefeknödel aufgeführt sind. Ich erkläre Richard, dass ich als Kind in einem tschechischen Ferienlager über mehrere Wochen früh, mittags, abends nur Hefeknödel in den unterschiedlichsten Varianten vorgesetzt bekam. Seitdem bin ich feindselig gestimmt gegenüber dieser Mehlspeise. Richard fragt mich, ob wir ein anderes Lokal suchen sollen. Ich erkundige mich bei der Bedienung nach einer Alternative und erhalte Bratkartoffeln.

Er sitzt mir gegenüber. Er fixiert mich mit seinen Augen, hebt meinen liebevollen Blick und meine interessante Augenfarbe hervor. Stendhals Worte kommen mir in den Sinn: Blicke - sind die große Waffe der tugendsamen Koketterie. Mit einem Blick könne man alles sagen. Ich erkenne wieder Richards routinierte Art, mich mit Schmeicheleien zu überhäufen. Aber es gefällt mir. Ich lasse die tiefgehenden Emotionen zu. Er finde mich reizend und faszinierend. Dieses Hofieren hebt mein Selbstbewusstsein. Ich sonne mich im Klang der liebreizenden Worte. Mir fällt aber gleichzeitig sein verstärktes Imponiergehabe auf, dezent bringt er einige seiner Vorzüge an. Mir fällt auf, dass sich seine Sprechmelodik etwas ändert. dass sie einen gefühlvollen Unterton erhält.

Er blickt mich mit entspannten Gesichtszügen an, ein sanftes Lächeln breitet sich um seinen Mund aus. Ich bin mir nicht sicher, ob sich Ehrlichkeit oder Berechnung hinter der Mimik verbergen. Erwartungsgemäß streifen seine Finger erprobt meine Hand. Dezentes Streicheln über meine Finger, meinen Handrücken.

Ich frage, was er in seinen Mußestunden, was er montags treibe. Er spiele Skat. Auch Spaziergänge, frage ich. Kaum.

Für die Füllung von Gesprächspausen schlage ich ein Frage-Antwort-Spiel vor, eine Anregung habe ich bei Marx gefunden, wie er seine Jenny in jungen Jahren befragte.

„Was ist deine Lieblingsfarbe“, frage ich Richard. „In welchem Gewässer würdest du gern baden?“

Er fragt: "Was ist deine Lieblingsspeise? Was kochst du gern?"

"Ich habe ein Buch, in dem Gerichte aufgeführt sind, die von Marx und Luther bevorzugt wurden. Sie sollen große Genießer gewesen sein. Die Rezepte sind klar formuliert und leicht ausführbar. Grillen war zu DDR-Zeiten sehr beliebt. Es wurde viel Fleisch gegrillt, das es in den achtziger Jahren reichlich gab. Allerdings gab es Grillkohle nur sporadisch. Also deckten sich die meisten damit ein. Unsere Freunde meinten nach der Wende, sie hätten noch einen Vorrat für vierzig Jahre.

"Was liest du gern?"

"Neben Tolstoi, Dostojewski hat mich neulich eine Kurzgeschichte Die kaputten Schuhe berührt, weil sie mich an eine Erzählung meiner Mutter erinnerte, die in der Nachkriegszeit selbstgefertigte Schuhe aus Autoreifen trug."

Richard will Sekt bestellen. Er fragt mich, welche Sorte. Ich möchte an meine Jugendzeit, an Zusammenkünfte in meiner Clique erinnert werden. Also soll es der damalige handmade Kultsekt Rotkäppchen, halbtrocken sein, die Flasche aus grünem Glas mit Plastikkorken. Zu Silvester haben wir uns auch mal die schaumige Brause direkt aus der Flasche in den Mund gegossen.

Richard lenkt unser Gespräch in eine andere Richtung. Er plane, mit mir ein gemeinsames Heim einzurichten. Wo ich denn wohnen möchte? In welcher Gegend von Dresden er eine Wohnung suchen solle. Diese Frage überrascht mich. Ich weiche aus.

Als Kind sei ich gern durch die Innenstadt gegangen, weil der liebliche, für mich betörende Duft nach frischer Schokolade durch die Straßen zog. Er kam permanent von der Schokoladenfabrik Elbflorenz. Dieser Geruch war für mich wie ein Rauschmittel, beim Einatmen fühlte ich mich in Hochstimmung, erläutere ich. Aber jetzt als Erwachsene möchte ich lieber am Stadtrand wohnen. Ins Grüne solle es nicht weit sein. In den Nachmittagsstunden möchte ich Sonnenstrahlen genießen.

Mit malerisch, verträumten Schilderungen kennzeichnet er unsere gemeinsame Zukunft. Immer wieder fügt er Komplimente an mich ein. Ich genieße die schönen Worte. Aber die Rührseligkeit macht mich auch stutzig. Ich frage mich, ob er fabuliere und vieles erdichte? Über ihn, seine Vergangenheit, seine familiäre Umwelt, seine Freizeitbeschäftigungen habe ich kaum etwas erfahren können. Geschickt wechselt er immer das Thema. Dennoch sitze ich seinen Schmeicheleien auf. Die Nacht verbringen wir gemeinsam im Bett.

Am Morgen sitze ich auf der Bettkante und sinne über die Nacht nach. Ich fühle mich in heiterer Stimmung, jugendlich frisch.

Auf dem Fenstersims des geöffneten Fensters sitzt eine Amsel, die ihr Morgengesang tiriliert. Sie hat ein braunes Gefieder, also ist es ein Weibchen. Von einem Baum in unmittelbarer Nähe wird melodiös der Reviergesang erwidert. Es wird wohl das Männchen sein. Die vom Gegenspieler erwiderten Strophen sind fast gleichlang. Sie klingen harmonisch. Die Amsel soll eine talentierte Komponistin sein. Während der Brutzeit soll die Amsel monogam leben. Wenn die Amseln am Standort verbleiben, halten sie über mehrere Brutperioden zusammen. Für eine neue Brut baut das Weibchen meist ein neues Nest. Ich frage mich, soll ich es der Amsel gleich machen? Soll ich mir ein neues Nest bauen?

10

Die Dixieland-Parade zum Internationalen Festival und die Abschluss-Session stellen das Finale und quasi die Höhepunkte der Festwoche dar. Verabredung mit meiner Freundin Hannah. Unweit des Sachsenplatzes reihen wir uns in den Festzug ein. Auf den Ladeflächen von Lastwagen spielt jeweils eine Band. Massen von Fans folgen. An Plätzen und Kreuzungen gibt es von den Musikergruppen besondere Einlagen und Kostproben ihres Repertoires. Lebhafter Beifall und Jubel der Fans. Die Bläser geben improvisierende Zugaben, besonders Klatschen für das jazzadaptierte Wiegenlied von Brahms ebenso honoriert werden die ruhigen New Orleans Melodien oder den Boogie für Louis.

Während der Parade haben wir uns noch richtig auszuquatschen.

"Sag Hannah, macht dir das Lehrerin-Dasein noch Spaß? Ist ja heute recht stressig?", frage ich.

"Naja, zu DDR-Zeiten wurde diszipliniert aufgepasst während des Unterrichts. Es herrschte Ruhe. Die Aufgaben wurden meist ohne Murren erledigt. Wenn einige schwierig waren, machte ich Elternbesuche. Oder ich bin als Lehrerin zum Betrieb des Vaters und sprach mit ihm. Manchmal wurde er vor seinem Kollegenkreis zum Verhalten seines Sprösslings befragt. Das hat gewirkt. Der Vater wollte sich nicht wegen missglückter Erziehung vor seinen Kollegen blamieren. Aber heute gibt es manchmal schon Unruhe in den Klassen. Die Kinder laufen im Unterricht umher, manche essen etwas, quatschen dazwischen. Aber die Mehrzahl der Kinder ist falsch erzogen."

"Wie meinst du das. Ich sehe, dass manche überhaupt nicht erzogen werden."

"Nun, viele Sprösslinge sind über alle Maße verwöhnt und entfalten sich zu Narzissten. Kein Bock, sich anzustrengen. Wenn sie mit Maßnahmen in der Schule nicht einverstanden sind, stehen gleich die Eltern auf der Matte. Eltern der Mittelschicht lassen die ganze Wucht ihrer Gefühle herunter prasseln. Auf die kleinen Heranwachsenden. Übersteigerte Selbstliebe. Normales Reifen wird als Hochbegabung ausgelegt."

"Klar, unsere Gesellschaft, die Ich-Fokussierung, Ich-Bezogenheit fördert. Ständig wird suggeriert, man müsse die eigene Person als Marke deutlich machen“, sage ich.

"Was früher als normale Entfaltung galt, entartet in unserer heutigen überalterten Gesellschaft zur Sensation“, erklärt Hannah.

"Im Westen sehe ich: Bekanntheit ist heute wichtiger als Würde. Vorankommen ist wichtiger als Haltung."

Wir unterbrechen unseren Dialog. Standkonzert der Bands. Auf einem größeren Monitor wird eingeblendet: New Orleans Rhythm: Farewell Blues. Es sind einfühlsame Melodien. Dann folgen: Showboat Shuffle.

Aus Übersee schwappt eine Tendenz herüber: Sucht nach Selbstdarstellung und Berühmtheit. Das Image wird überbewertet", sage ich.

„Die Menschen werden heute von einer Gier nach Bedarfsgütern und möglichen Vorteilen getrieben. Vorteile in der Schule, im Beruf, auch in der Privatsphäre.“

„Ja, in solch einem Umfeld werden kontinuierlich Angeber, Aufschneider, Gecken herangezogen – ich, ich, ich“, ereifert sich Hannah, dabei streicht sie ihr Haar aus dem Gesicht. Leichter Wind beginnt zu wehen.

„Natürlich, heute wird die Ich-Fokussierung, Ich-Bezogenheit gefördert“, sage ich.

Hannah entdeckt am Zuganfang den Getränkewagen der Feldschlösschen-Brauerei. Sie zieht mich energisch seitlich an den schreitenden Musikfreunden vorbei, um an die Ausschankstelle am fahrenden Bierfass zu kommen, wo ununterbrochen unentgeltlich Bierproben verteilt werden. Hannah meint, dass wir einige Schlucke bräuchten, um unser Gemüt aufzuhellen. Aber energisch fährt sie fort:

„Da gucken irgendwie narzisstische Defizite durch. Nicht nur bei Prominenten. Also bei Politikern, Managern, Stars. Nein, die gesamte Bevölkerung ist erfasst. Eine neue Männergeneration wächst heran."

„Ich sehe es beim Partner unserer gemeinsamen Freundin, die beide jetzt in Hessen wohnen. Der hat sich total verändert. Der ist zu einem Gecken, zu einem Narzissten mutiert. Übersteigerte Größenfantasien. Ringt ständig um Anerkennung."

„Aber viele wollen damit nur ihre innere Verlorenheit und Unsicherheit überdecken; ich glaube, sie leugnen Gefühle, die ihrem Image widersprechen.“

„Klar, die meisten der heutigen selbstgefälligen Männer verwechseln das Selbstbeschmeicheln mit einem tiefen Gefühl, vielleicht mit Liebe zum Partner."

„Genau, Manipulieren, Macht ausüben, Anerkennung erhalten, in Gesprächen wie ein Pfau spreizen. Es sind Egoisten, die nur immer ihre eigenen Interessen sehen."

„Ist nicht ein großer Teil der Frauen der jüngeren und mittleren Generation auch eigennützig, nur auf den eigenen Vorteil bedacht?“

„Frauen besitzen mehr soziale Kompetenz und emotionale Intelligenz, ja generell mehr Empathie als die Männer“, sage ich.

„Die Zeit der Virginia Woolf und Simone Beauvoir ist vorbei. Damals ragte das männliche Über-Ich wie ein Leuchtturm aus dem weiblichen Meer heraus.“

„Die Frauen sind doch heute gleichberechtigte selbständig denkende Wesen."

„Glaub nur, Sonja, ich sehe es bei meinen Kollegen. Bei vielen trifft die Feststellung Virginia Woolfs noch zu. Warte, ich suche meinen Spruchbeutel, den ich immer bei mir habe."

Hannah sucht in ihrer Tasche, blättert in dem Minibüchlein und liest etwas energisch:

"Die zornigen Männer brauchen die Frau nur als Spiegel. ... darin wird der Mann in mythischer doppelter Größe widergespiegelt ... und so erfährt er seine Bestätigung."

„Aber die Kerle, die Kraftmeier plagt auch die Angst. Angst vor dem Verlust ihres aufgeblähten Selbstwertgefühls."

"Eigentlich sind viele tief verunsichert, besonders wenn sie einer emanzipierten Frau gegenüberstehen“, meint Hannah.

Oberhalb des Terrassenufers winken vom Balkon Europas hunderte Enthusiasten. An der Augustusbrücke vorbei, biegt der schreitende Menschenzug Richtung Dr.-Külz-Ring ab. Wir sehen, dass entlang der Prager Straße, zwischen Hauptbahnhof und Altmarkt mehrere Dixie-Formationen auf Bühnen Freiluftkonzerte geben. Die dort weilenden jazzbegeisterten Menschen stillen ihren Appetit an Getränke- und Snacks-Buden. Wir kaufen uns Quarkkeulchen, gebraten wie Frikadellen, mit Zucker und Zimt. Diese sächsische Spezialität aus Kartoffelquarkteig erhalte ich nicht im Westen.

11

Abendliche Abschluss-Session. Massen von Fans strömen zu den Elbwiesen. Treffen mit Hannah am Narrenhäusel in Elbnähe. Mildes warmes Wetter. Ich habe einen Rock mit Bouclé-Struktur und mit konturenlosen Karos angezogen, ergänzt mit einem anschmiegsamen weichen beigefarbenen Twinset. Wir suchen uns im Freien einen Platz, trinken Kaffee, genießen den sächsischen Kirmeskuchen. Hannah lobt den oberen Belag des Kuchens. Der Bäcker brauche schon Erfahrung, damit sich auf dem Käsekuchen aus Streusel und Butter eine breite, leicht knusprige Schicht bilde, es sei eben eine Spezialität. Nach dem Kaffeegenuss Fortsetzung des Plausches im Gehen. Könnte endlos ausgedehnt werden. Frauen bringen dies. Wir hatten lange Zeit keinen persönlichen Kontakt. Aber wir müssen am Elbufer noch einen Platz ergattern. Am oberen Rand der Elbwiesen mehrere Getränkestationen. Viele Dixie-Begeisterte haben Getränkeflaschen in der Hand.

Vier Musiker von weniger bekannten Bands spielen vor Beginn des Konzerts dezent ununterbrochen. Es beginnt zu dämmern. Von weitem erblicke ich Richard. Ich lasse ihn mit seinem Blick das Menschengewühl durchkämmen, ein Zeichen gebe ich nicht. Nach einiger Zeit entdeckt er uns. Zusammenrücken. Er zwängt sich zwischen die Sitzenden. Mir scheint, sein Jersey Sakko passe gut zur grauen Cordhose.

Als es fast dunkel ist, wechseln die Musiker auf der Bühne. Verschiedene Formationen spielen energiegeladen, stürmisch Stücke aus ihrem Programm. Improvisierend geben Bläser und Klarinettisten Einlagen. Bei Holly Dolly winden sie sich akrobatisch, vor, zurück, zur Seite und betonen so ihr Spiel. Sie erhalten begeisterte Beifallsbekundungen. Viele bekannte Dixieland-Klassikerstücke sind zu hören. Bei Gershwins 's Wonderful oder dem von Armstrong geschriebenen What A Wonderful World oder dem Mackie-Messer-Song springen die Leute von ihren Plätzen auf. When the Saints Go Marching In und Ice Cream bilden den Abschluss des Konzerts. Langanhaltender Beifall. Bewusst nehmen wir noch abschließend den imposanten Anblick der angestrahlten Silhouette der Brühlschen Terrasse wahr. Hannah begleiten wir zur Straßenbahn. Richard geht mit zum Hotel.

Ich bleibe im Vorgarten stehen. Wir stehen im Halbdunkel unter einem Baum. Laternen geben seitlich ein diffuses Licht. Er umarmt mich. Er haucht mir ins Ohr, dass er die letzte Nacht meines Dresden-Aufenthaltes mit mir im Bett verbringen möchte. Ich kämpfe mit meinen Gefühlen. Die anhaltenden leidenschaftlichen Empfindungen der vergangenen Tage wühlen mich auf. Zwei Seelen, zwei Kräfte ringen in mir. Die Gefühlswallungen meiner unendlich erscheinenden Begeisterungsphase, meines Ausflugs in das Land der Romantik balgen sich mit aufsteigenden pragmatischen Überlegungen.

Die Glockenschläge der unweit entfernten Kirchturmuhr holen mich zum nüchternen Augenblick zurück. Langsam lockere ich seine Arme, die wie eine Fessel um meinen Körper gespannt sind. Ich sage, dass ich morgen Dresden verlasse. Diese Nacht müsse ich über die Zukunft nachdenken. Er könne dabei helfen, sagt er. Aber ich will allein, unbeeinflusst von momentanen Gemütsbewegungen meine rationalen Gedanken ordnen und über Zukunftsbilder nachdenken. Ich löse endgültig seine Arme von meinem Körper. Sein inständiges Bitten schiebe ich beiseite. Mit einem zarten Nein in sein Ohr gehaucht, verabschiede ich mich zur Nacht.

12

Nach kurzem Verweilen gehe ich sinnend zur Hauptstraße, an Schaufenstern und dem Goldenen Reiter vorbei. Oberhalb des Elbufers setze ich mich im Dunkeln auf eine Bank. Dem Canaletto-Blick auf das gegenüberliegende Elbufer folgend, versuche ich meine Gedanken zu ordnen. Ich finde, dass ich meinen leidenschaftlichen Ausflug ins Land der romantischen Liebe beenden sollte. Zwar bin ich noch in der Begeisterungsphase, mir fällt es sehr schwer, rationell zu entscheiden. Aber ich habe auch emotional keine Gewissheit. Ich habe viele Fragen, die mich bedrücken. Ich frage mich, werde ich dauerhaft geliebt? Wir haben die Ich-Grenzen etwas aufgehoben. Könnte daraus eine gemeinsame Hoffnung entspringen? Wie tief ist unsere Verliebten-Beziehung? Als Frau will ich jetzt weniger romantisierend denken. Ich frage mich, könnte ich mit Richard mein Leben fortsetzen, ja gemeinsam gestalten?

Jawohl, ich fühlte mich in letzter Zeit zuhause einsam, wenig beachtet, nicht immer als Frau geschätzt, vielleicht auch vernachlässigt.

Die Begegnung mit Richard führte mich in eine Begeisterungsphase, meine Mangelgefühle wurden gestillt. Aber meine Kräfte des Verstandes waren untergeordnet, vielleicht verzerrt. Mehrmals fragte ich Richard nach seiner Familie. Seine Freizeitbeschäftigung offenbarte er kaum. Stets wich er aus. In den wenigen Tagen konnte ich seine Persönlichkeit nicht ergründen. Er ist attraktiv, also schrieb ich ihm gefühlsmäßig positive Eigenschaften zu. Sind sie wirklich vorhanden? Kurzzeitig verspürte ich ein besessenes Denken an ihn. Ich bildete mir ein, viele positive Merkmale, ja Wesenszüge an ihm zu erkennen, die aber wahrscheinlich in meinem Gedächtnis schon vorhanden waren und vielleicht als Wunsch auf ihn fixiert wurden.

Die auf der anderen Seite des Elbufers angestrahlte Silhouette der Brühlschen Terrasse und der Hofkirche gibt einen imposanten Kontrast zum dunklen Himmel. Beim Anblick der gläsernen Kuppel der Kunstakademie mit der goldenen, aus Kupfer getriebenen, beflügelten Fama. scheint mir in meinen mythischen Gedanken, als ränge die Siegesgöttin mit ihrem Götterkollegen Amor. Ich weiß, dass sie dort auf einem Bein stehend, mit dem anderen anscheinend triumphierend Schwung holt. In der einen Hand hält sie die Posaune und in der anderen den Lorbeerkranz. In der Mythologie saust sie nachts zwischen Himmel und Hölle und verkündet wahre Geschichten und Legenden und Klatschstorys. Sie soll in der mythischen Vorstellung laut Ovid aus ihrem mit tausend Öffnungen versehenen Wachtturm ihrer Burg auf dem hohen Berggipfel die Nachrichten verkündet haben, dass ein trojanischer Prinz ein Stelldichein mit der karthagischen Königin habe, die ihm verfallen sei. Beide verbrächten die Zeit in Lustraserei und vergäßen dabei die Regierungsgeschäfte.

Der Kern der mythischen Aussage bringt mich auf den Boden der sachlichen Tatsachen zurück.

Ja, ich fühlte mich in der vergangenen Zeit in meiner Zweisamkeit einsam. Ich frage mich jetzt, könnte ich auch als unbegleitete Frau leben? Nicht als Frau, der etwas fehlt, nicht als weibliches Wesen, das auf der Feminismus-Welle schwimmt. Soll ich meine Souveränität pflegen und meine innere Einstellung entwickeln lassen, dass ich keinen Mann an meiner Seite brauche? Ich müsste mich nicht ständig auf ein männliches Gegenüber einstellen und immer daran arbeiten, dass die gelingende-misslingende Zweisamkeit aus der Schwebe in einen stabilen Zustand übergeht. Als Frau ohne feste Bindung könnte ich meine Aufmerksamkeit und Zuneigung weiträumiger und großherziger verteilen. Es wird behauptet, ungebundene Frauen gehörten zur glücklichsten Volksgruppe überhaupt. Denn eine dauerhafte Liebe klappe nur selten, das liege wohl am Wesen der romantischen Liebe. Die Männer seien nicht loyal, berichten manche Frauen. Eifersucht, Kontrolle, Psychospielchen trieben viele Männer an. Aber diese Spielchen werden wohl auf beiden Seiten beherrscht. Das wurzele in der romantischen Zweierbeziehung. Ich frage mich, ist die Einsamkeit zu zweit verschlingend? Würde ich mich als einspännige Frau nicht mehr alleingelassen fühlen? Wäre dann mein Leben erfüllter? Aber ich will keine Protagonistin des einundzwanzigsten Jahrhunderts für vereinzelte weibliche Individuen sein.

Meine Gedanken werden vom Dunkel der Nacht erfasst. Ich denke an mein familiäres Zuhause. Mir wird bewusst, mein Spiel der Zweierliebe läuft noch. Es geht weiter. Ich werde zu meiner gelebten Beziehung zurückkehren. Ich will keinen Abbruch und keinen Aufbruch in eine fragliche Zukunft. Vielleicht muss ich in meiner Zweierbeziehung mehr die alleinstehende Frau ohne die permanente Fixierung auf die Zweierliebesbeziehung zu den Männern entdecken. Oder müssen wir Wege finden, gemeinsam Spaß zu haben?

Wenn Er von meinen Eskapaden erführe, wäre Er sicherlich zu tiefst gekränkt, gedemütigt, im Inneren verletzt. Ich denke daran, dass wir dieselben Bücher lesen, dieselben Theaterstücke ansehen, mit gemeinsamen Freunden über Kultur, über Philosophie reden, zu politischen Situationen die gleichen Positionen haben und die Beziehung seit ewig lang hält. Ich rufe mir in Erinnerung, dass Liebe eher ein Tun als ein Gefühl ist, die aus kleinen winzigen Handlungen besteht. Ich nehme mir nun vor, mit kleinen Momenten, das emotionale Bankkonto aufzufüllen.

Am frühen Morgen, als ich gerade die morgendlichen Tätigkeiten im Bad beendete, klopft es an meiner Zimmertür im Hotel. Ich öffne. Richard steht vor der Tür. Ich lasse ihn eintreten. Sofort fällt er auf die Knie und bittet, ich solle bei ihm bleiben. Er wolle mit mir die Zukunft gestalten. Es werde gut gehen, das fühle er.

Ich ziehe ihn in die Vertikale des aufrechten Ganges zurück. Ich habe viele Stunden über uns nachgedacht, sage ich ihm. Nur mit Romantik sei keine Zukunft zu gestalten. Ich wisse nichts über ihn. Fragen zu seiner Vergangenheit und zur Familie sei er ausgewichen. Er habe auch verschwiegen, dass er montags demonstriere. Wir passten in unseren Ansichten wohl nicht zusammen.

In wenigen Tagen könne man keinen Menschen kennenlernen. Die gegenwärtigen leidenschaftlichen Gefühle könne ich nicht als Grundlage für Zukunftsvorstellungen nehmen. Die Begeisterungsphase halte nicht ewig an. Emotionale Antriebe, sexuelle Wünsche machten nicht das komplexe alltägliche Zusammenleben aus. Ja, wir haben die vergangenen Tage unbeschwert, gesellig, in totaler Verliebtheit verbracht. wir haben uns begehrt. Die spontane, stürmische Leidenschaft habe uns beherrscht. Wir haben wilde Stunden durchlebt.

Aber ich mag die stürmische See mit ihren Untiefen und Ungewissheiten nicht. Ich fühle mich im ruhigen Wasser, im friedseligen Hafen wohl.

Ich gebe ihm ein Gleichnis. Die impulsiven Kräfte der Verliebtheit haben die Psychologen mit dem Sonnenwagen verglichen, den Phaeton nicht steuern konnte.

Die Verliebtheit sei mit den mächtigen Pferden des Sonnenwagens gleichzusetzen. Phaeton, der Sohn des Sonnengottes Helios, überschätzte seine Kräfte. Er konnte den Sonnenwagen nicht führen. Er wurde ins Verderben gerissen. Der Mythos sage, dass die Begeisterung der Verliebtheit den Menschen in seiner Existenz gefährde.



- Ende -
 
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