Gerettet

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Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo, Walther,
ich habe etwas gesucht, um ein Gedicht von Dir zu finden, das bisher noch keine Resonanz hatte. Und ich wurde fündig.

Es ist ausgerechnet ein Rettungsruf.

Nun müssen wir unterscheiden zwischen dem lyrischen Ich und dem Dichter.

Hier aber sehe ich einen Ansatz persönlichen Erlebens.
Warum schreibe ich? Warum schreibe ich in Foren?

Es ist ein zutiefst pessimistisches Gedicht, ein Hilferuf, den keiner vernimmt, der vielleicht zu leise ist oder zu laut oder an einer falschen Stelle. Vielleicht kommt auch gerade niemand vorbei.

"Da hat einer" - klingt zunächst unpersönlich. Irgendjemand, was geht der mich schon an.
Und dann ist es: Das bin ich. (Zweite Verszeile.)
Äther ist natürlich die alte Überträgersubstanz elektromagnetischer Wellen, die die Information trägt, Symbol hier für das Internet.

Und dann lese ich, liest ein anderer, spricht mit und sieht.

Und verlässt den Text, selbst hilflos.


Christa Wolf sagte: "Kein Ort, nirgends"
 

Walther

Mitglied
lb bernd,

der text "Gerettet" ist ein typischer vertreter meines vers libre, der aus elementen der textcollage, des stream of thinking und den vorgaben der japanischen haiku-dichtung sich speist. es geht darum, in wortkaskaden assoziationsräume zu schaffen. das gedicht, und das ist die haiku-wurzel, schafft räume, es zu komplettieren. es beschreibt, regt an, es wertet nicht.

die collage beruht darauf, bestehende redewendungen aufzugreifen und zu verfremden, zusammenhänge neu zusammenzusetzen, um so überraschende blickwinkel zu eröffnen. der stream of thinking ansatz läßt gedanken eigengesetzlich ablaufen und kommt zu ende, wenn ein ende erreicht ist. diese texte sind nicht geplant, sie entstehen im gestaltungsprozeß selbst assoziativ.

deine interpretation ist daher eine mögliche und berechtigte. sie ist zugleich erweiternd und einschränkend. das macht diese texte m.e. interessant. selbst ich habe, wenn ich sie nach einiger zeit lese, immer wieder neue gedanken und überlegungen. die geschilderten bilder verändern sich also von mal zu mal.

wichtig ist, daß man sich für diese texte zeit nimmt. das erste überfliegen darf schnell und atemlos sein, die meisten der texte haben ja speed, weil ihre erschaffung meistens rasant von statten geht. schon beim nächsten lesen gerät man aber in die verästelungen und zweifelt daran, ob der beim ersten überfliegen gewonnene eindruck der richtige ist.

das prinzip dieser texte ist es, nicht bzw. nie fertig zu sein. der leser stellt sie beim lesen und erforschen, beim sich treiben lassen, fertig.

danke für deinen eintrag!

lg w.
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Das Werk hat viele Dimensionen, wenn man alle Mehrdeutigkeiten betrachtet.
Liest man ein Werk erneut, ist es ein anderes. Man kann kein Gedicht zweimal zum erstenmal lesen.

Und beim erstenmal liest man anders.

Ein Werk, das man mehrmals liest (nicht nur potentiell) ist etwas Besonderes.
 



 
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