Geständnisse

Haki

Mitglied
Die Welt um ihn herum fühlte sich kalt an. Sein Körper schmerzte mit jedem Atemzug ein wenig mehr. Was war geschehen?
Er versuchte, sich zu rühren, doch es gelang nicht. War er denn so schwach geworden?
Langsam öffnete er die Augen. Dämmriges Licht erfüllte den Raum. Der Geruch von Blut drang ihm in die Nase.
Er lag auf dem Rücken auf einem alten Holzbrett. Langsam wandte er den Kopf nach rechts, wo sich dicke Gitterstäbe befanden. Dahinter lag Dunkelheit. Plötzlich bemerkte er darin ein Augenpaar, welches ihn anstarrte und er schrak hoch. Schnell wandte er den Blick ab.
Er wollte ganz gewiss nicht an diesem Ort sein. Seine Hände fingen bereits wieder an, zu zittern.
Vorsichtig setzte er sich auf. Knurrte schwach, als ihn die Wunde an seiner Schulter niederringen wollte, und lehnte sich mit dem Rücken an die Wand. Jetzt registrierte er auch die schwere Eisenkette, welche sich an seinem Hals befand. Das andere Ende war neben ihm in der Wand befestigt worden. Es sah sehr stabil aus und in seiner jetzigen Verfassung war es ihm ja doch kaum möglich, sein eigenes Gewicht zu tragen.
Jemand hatte die Gewehrkugeln aus seinem Körper entfernt und einen Verband angelegt. Wohl nur, um ihn in diesem nach getrocknetem Blut stinkenden Loch länger leiden zu sehen. Er knurrte erneut. Sollten sie ihn doch einfach beseitigen. In diesem Land war er für sie doch auch nur Abfall.
Er schüttelte kurz den Kopf und atmete tief durch. Dann ballte er seine zitternden Klauen zur Faust und zwang sich, noch einmal aufzuschauen. Dort waren sie noch immer. Die zwei Augen außerhalb seiner kleinen Zelle, die ihn unermüdlich anstarrten.
„Wer... wer seid ihr?“, fragte er nun zögernd und mit schwacher Stimme.
Ein Augenblick verging, in dem nichts geschah. Anschließend blinzelten die Augen einmal und die Gestalt wandte sich ruckartig um und ging.
Verwirrt blickte Kaysha dem Schatten nach, hörte noch die Echos ihrer Schritte auf dem leeren Korridor. Dann schlug eine Tür zu und die Geräusche waren verstummt.
Wohin war sie gegangen? Was sollte das?
Er wollte aufstehen, um besser durch seine Gitterstäbe sehen zu können, doch die Kette an seinem Hals tat ihr bestes, ihn nur vorbeugen zu lassen, um ihm dann durch seinen eigenen Schwung die Luft zu rauben und wieder zurück zu reißen. Keuchend landete er wieder auf dem Brett und umfasste mit beiden Händen seinen Hals, als versuche er, den Schmerz zu mildern. Es trieb ihm Tränen in die Augen, er musste husten. Dann atmete er tief durch und ließ sich wieder zurück sinken.
Und dann wartete er.
Die Flamme der Kerze außerhalb seiner Zelle tanzte genüsslich vor sich hin.

So saß er allein in seinem Verließ und nur das Kerzenlicht und Trostlosigkeit umgaben ihn. Keine Geräusche vernahm er von außerhalb seiner Zelle. Kein schweres Atmen, kein gequältes Stöhnen. Hier unten schien niemand außer ihm zu sein. Oder besser gesagt, niemand mehr. Denn der Gestank von Blut und Pein drang von überall her in seine Nase.
Wieso war er allein hier? War das nur Teil eines Plans, in welchem er wahnsinnig vor Angst werden sollte? Oder hatte man etwas anderes mit ihm vor?
Der einfachste Gedanke war, dass er in dieser Zelle wie sein Vorgänger wohl verrotten wird. Was sollte jetzt noch passieren?
Seine Gedanken wanderten zu dem Mädchen.
Zula war entweder tot oder entkommen. Er konnte ihr nicht helfen, doch er hoffte inständig, dass sie noch lebte. Sie konnte am wenigsten für all die schlimmen Dingen, die geschehen waren. Sie war die einzige Unschuldige.
Er vergrub sein Gesicht in den Händen.
Sie hätte ihm damals nicht helfen sollen. Es war ein Fehler, sich mit dem Jakesh anzufreunden. Das hatte noch keinem gut getan. Die, die es dennoch gewagt hatten, waren entweder tot oder verschwunden. Und „verschwunden“ könnte in diesem Fall auch „tot“ heißen. Bis jetzt hatte er noch keinen von ihnen wieder gesehen.
Das laute Klicken einer schweren Tür riss ihn aus seinen Gedanken. Drei Menschen näherten sich seiner Zelle. Als die Schritte verhallt waren, schaute er auf. Vor ihm standen dunkel gekleidete Männer, davon kannte er einen schon etwas näher. Es war der Kopfgeldjäger, welcher ihn gefangen nahm. Einer der anderen beiden trug ein schwarzes Gewand. Er hatte kurze braune Harre und schien nur wenig älter zu sein, als Kaysha selbst. Doch als der Mann ihm in die Augen sah, auch nur kurz, es jagte ihm einen Schauer über den Rücken. Es waren die selben kalten Augen, welche ihn aus der Dunkelheit heraus beobachtet hatten.
Die dritte Person war wohl ein Soldat. Er trug eine grau-braune Uniforn. An seiner Hüfte trug er ein Schwert, daneben eine Pistole. Sie standen alle Drei hinter den Gitterstäben und musterten ihn, wobei der Soldat besonders interessiert auf ihn hinab sah.
Der Bandit hatte die Ohren angelegt und blickte misstrauisch und unwohl in die Gesichter seiner Besucher. Er schluckte, fühlte sich wie ein Ausstellungsstück.
Schließlich war es der Soldat, welcher das Schweigen brach.
„Ich hätte nie gedacht, dass ich noch einmal lebend einen der Echsenmenschen sehe.“, sagte er mehr zu sich selbst, als an den Banditen.
„Sie halten sich versteckt.“, pflichtete ihm der Mann im schwarzen Gewand mit einer ausdruckslosen Stimme bei.
Der Kopfgeldjäger griff in seine Manteltasche und holte einen kleinen verbogenen Eisenring mit zwei klirrenden Schlüsseln daran hervor. Diese hielt er dem Solaten hin und meinte: „Er ist mehr als lebendig. Hier sind seine Schlüssel. Macht mit ihm, was Ihr wollt, Hauptmann.“ An Kaysha gewandt, fügte er hinzu: „Wer weiß, wenn Ihr ihn immer füttert und streichelt, gibt er bestimmt ein gutes Haustier ab.“
Er grinste breit, doch der Bandit senkte nur den Kopf und knurrte schwach zurück.
„Vorher wird er uns jedoch noch einiges erzählen müssen.“, mischte sich der Mann in schwarz ein.
„Kann er überhaupt sprechen?“ Der Hauptmann nahm das Schlüsselbund an sich und steckte es ein. Dabei ließ er Kaysha nicht aus den Augen.
„Keine Sorge, ich bringe ihn zum Sprechen.“ Auf das ausdruckslose Gesicht huschte ein angedeutetes Lächeln.
Ein weiterer Schauer lief Kaysha den Rücken hinunter, als er diese Reaktion beobachtete. Er wandte den Blick ab und schwieg. Er sah auf seine zitternden Klauen, versuchte sich zu beruhigen.
Dieser Mensch schaffte es tatsächlich, ihm durch seine bloße Anwesenheit Angst einzujagen. Und er genoss es.
„Ihr werdet alle Zeit der Welt haben.“, meldete sich nun wieder der Jäger zu Wort. „Doch zuerst wird der geschäftliche Teil geregelt. Ihr bekommt die Kreatur und ich den Lohn für meine Mühen.“ Er wandte sich an den Hauptmann. „Da ich ihn euch lebend hier her brachte, hoffe ich doch, dass ich gerecht entlohnt werde.“ Ein Lächeln stahl sich auf sein Gesicht.
Nun endlich riss auch der Hauptmann den Blick von dem Gefangenen los und sagte: „Ihr kennt mich doch, Mako. Habe ich je mein Wort nicht gehalten? Es ist schon alles vorbereitet. Lasst uns gehen.“ Damit wandte er sich ab und ging, ohne auf seine Begleiter zu warten, aus dem Gefängnistrakt. Mako sah ihm noch kurz hinterher, dann dreht er sich ein letztes Mal zu Kaysha um und meinte: „Ich wünsche dir viel Glück. Du wirst die Zeit mit mir vermissen.“
Er folgte dem Hauptmann. Die Schritte seiner Stiefel verhallten im Dunkel. Schließlich war es still. Nur der Mann im Gewand war zurück geblieben und stand reglos vor seiner Zelle.
Was wollte er noch hier?
Der Bandit hielt den Blick gesenkt und schwieg. Einen Moment später sprach der Mann: „Ich denke, wir...“ Er brach ab und im selben Augenblick zuckte Kaysha zusammen, als er sich vor dem Grummeln seines eigenen Magens erschreckte. Er winkelte sein linkes Bein an, sank mit dem Kopf dagegen und schloss die Augen. Er spürte das plötzliche Grinsen seines Gegenübers fast körperlich. Auch ohne dieses zusätzliche Anzeichen von Schwäche war er schon genug gedemütigt worden.
Doch er hatte wirklich Hunger, wusste nicht, wann er das letzte Mal etwas gegessen hatte.
„Wie es scheint, werden wir uns später miteinander bekannt machen. Ich werde einer Wache Bescheid geben, man solle Euch etwas zu Essen bringen lassen.“
Bei diesen Worten horchte der Bandit auf. Ungläubig sah er ihn an und dann geschah etwas seltsames. Der Mensch betrachtete ihn voller Mitleid.
Kaysha wandte den Blick erneut ab.
War das ein Test? Eine fein einstudierte Grausamkeit?
Dennoch murmelte er leise: „Danke.“
Damit drehte sich der Mann um und verließ ebenso wie seine Vorgänger, den Trakt.

Nicht viel später kam tatsächlich eine Wache, welche ihm eine Schüssel Reis, eine kleine Scheibe Brot und einen Becher Wasser brachte.
Da die Kette um seinen Hals nicht lang genug war, um aufzustehen, konnte die Wache ohne Probleme seine Zelle betreten und ihm das Essen reichen.
Mit zitternden Klauen nahm Kaysha es ihm ab, verschüttete dabei etwas von dem Wasser. Dann setzte er den Becher an und leerte den Rest in einem Zug. Das tat seiner vertrockneten Kehle gut.
Er stellte den Becher ab und noch während die Schritte der Wache verklangen, schlang er gierig die kleine Schüssel Reis und das trockene Brot hinunter.
Viel war es nicht, doch hinterher ging es ihm ein wenig besser.
Er stellte Becher und Schüssel beiseite, dann legte er sich hin und versuchte zu schlafen.


Schreie und gequältes Stöhnen drangen an sein Ohr. Etwas schleifte über den rauen Steinboden. Es dauerte einen Moment, bis er begriff, dass er selbst es war, welcher von zwei Wachen durch den dunklen Gang geschliffen wurde. Gehen konnte er nicht mehr. Seine Kräfte waren verbraucht. Das viele Blut an seinem nackten Oberkörper trocknete bereits.
Die Menschen waren sehr einfallsreich, wenn es darum ging, anderen Leid zu zufügen. Doch er hatte ihnen alles erzählt. Er wusste nicht, wo andere seines Volkes waren und ob es sie überhaupt noch gab. Er lebte unter den Menschen und was mit seinem Stamm geschah, konnte er nur ahnen.
Doch sie glaubten ihm nicht.
In einem, mit dämmrigen Licht erfüllten Raum, war er an beiden Handgelenken an die Wand gekettet worden. In der Mitte des Raums stand ein kleiner Tisch mit einer brennenden Kerze darauf und einer Auswahl an verschiedensten Instrumenten, um den Gefangenen zum Reden zu bewegen.
Er erinnerte sich nicht mehr daran, wie lang er allein in diesem Raum war. Es fühlte sich an, als wären Tage vergangen, bis schließlich die Tür geöffnet wurde und zwei Personen eintraten. Einer der beiden ging ohne ein Wort zum Tisch und studierte der Reihe nach die Zangen und Scheren vor ihm. Die andere Gestalt war in einen schwarzen Umhang gehüllt und hatte ihm vor nicht allzu langer Zeit etwas zu Essen bringen lassen. Er kam bis auf einen Schritt an den Gefangenen heran und starrte ihm in die Augen. Als dieser nach kurzem Zögern den Blick erwiderte, zuckte er merklich zusammen. Etwas hatte sich in seinem Ausdruck verändert. Kaysha spürte, dass er von diesem Mann kein Mitleid zu erwarten brauchte. Er wandte den Blick ab, zeitgleich drehte sich der Mann um und als er ebenfalls zum Tisch ging, bewegte sich die Wache, die mit ihm eingetreten war, zur Tür. Wohl um sicherzustellen, dass sie ungestört blieben.
Kaysha schluckte, beobachtete, wie der Mann die vielen verschiedenen Werkzeuge betrachtete, die ausgebreitet vor ihm lagen. Besonders die Dolche schienen es ihm angetan zu haben. Interessiert nahm er einen nach dem anderen in die Hände, drehte ihn, musterte den Schliff und überlegte wohl, mit welchem er den größten Erfolg – den größten Schmerz – erzielen könne.
„Ich glaube“, begann der Mensch nachdenklich. „Zuerst sollten wir uns miteinander bekannt machen.“
Er schien seine Wahl getroffen zu haben. Mit einem kleinen spitzen Dolch in den Händen wandte er sich zu Kaysha um und lächelte ihn an.
„Wie ist dein Name?“
Anstatt zu antworten, starrte der Bandit nur auf die Waffe. In seinem Kopf durchlebte er bereits verschiedenste Szenarien. Er zitterte, wich einen Schritt zurück – den einzigen, den er gehen konnte – und presste seinen Körper an die kalte Wand hinter ihm.
Der Mann kam langsam wieder näher, drehte den Dolch in den Händen. Er ließ den Banditen nicht aus den Augen, konnte sehen, was in ihm vorging. Und es gefiel ihm.
„Bitte, ich...“, versuchte Kaysha zu antworten. Seine Stimme zitterte.
„Beantworte einfach die Fragen. Dann ist es schneller vorbei.“, unterbrach der Mann ihn kalt. Er war nun nah genug, um dem Gefangenen ohne Probleme den Dolch an die Kehle zu setzen. Er führte die Bewegung jedoch nicht zu ende, sondern beobachtete interessiert die Reaktion des Banditen. Dieser presste sich mit aller Gewalt an die Wand. Er drehte den Kopf zur Seite und schluckte.
Als etwas Warmes plötzlich an seinem Hals hinab auf den nackten Oberkörper lief, hatte er Mühe, ein Wimmern zu unterdrücken. Das Zittern machte die gesamte Situation nur noch unerträglicher.
„Kaysha“, flüsterte er schließlich seinen Namen.
Ein Augenblick verging, dann wurde die Klinge zurück gezogen und ein zufriedenes „Gut so“ erklang. Kaysha seinerseits sah nur starr zu Boden und atmete in tiefen Zügen. Sein Mund war trocken. Er bekam kaum Luft.
„Woher kommst du?“, erklang die zweite Frage. Im selben Moment zuckte das Messer wieder vor und drückte Kaysha gegen das Brustbein. Er stockte und brach seine Versuche, zu atmen, ab.
„Aus... aus der Eiswüste.“
„Genauer!“ Der Druck verstärkte sich, die Klinge drang mühelos durch sein Schuppenkleid in sein Fleisch. Er stöhnte vor Schmerz, als der Dolch langsam über die Rippen gezogen wurde. Dann stoppte er plötzlich und begann gemächlich, die Spitze der Klinge oberhalb des Magens in sein Fleisch zu bohren.
Kayshas Augen weiteten sich, dann schrie er. Spürte, wie die Klinge tiefer und tiefer eindrang, Fleisch und Sehnen zerstörte. Stück für Stück. Spürte das Grinsen seines Gegenübers.
„Aufhören!“, schrie er. Sein Körper brannte. Dann presste er hervor: „Das westliche Dorf am ewigen Wald.“
„Gut so.“, erklang wieder das freundliche Lob seines Peinigers. Der Dolch hatte gestoppt. Verzweifelt rang der Bandit nach Atem. Der Mensch wollte ihn doch so oder so töten und das nicht, weil Kaysha nicht alles erzählte, sondern einfach, weil er Spaß daran hatte.
„Wieviele gibt es von euch?“
Schweratmend und leicht verwirrt blickte der Bandit den Mann an.
„Ich... ich weiß es nicht. Es ist schon...“, begann er, doch in diesem Moment packte der Mensch die Klinge fester, drehte sie einmal herum und zog sie raus.
Kaysha brüllte. Seine Ketten klirrten, als wolle er sie aus der Verankerung reißen. Er schrie, bis seine Kraft verbraucht war und er wimmernd zusammen sackte. Sein Puls raste. Warmes Blut presste sich aus seiner Wunde und tropfte zu Boden. Ihm wurde schwindlig.
„Antworte.“, vernahm er nur die kalte Stimme seines Gegenübers. Dieser hockte sich vor ihm hin und präsentierte erneut den blutigen Dolch.
„Oder willst du nochmal?“ Er lächelte.
Was er wollte war, dass es aufhört.
„Ich habe vor vielen Jahren das Dorf verlassen. Bitte“, brachte er mühsam hervor. „Ich weiß nicht, wieviele...“ Ein gezielter Schlag in die Magengrube ließ ihn verstummen. Er stöhnte erneut und rang nach Luft.
„Keine Ausreden.“
Mit der Spitze des Dolches zwang er den Banditen, ihn anzusehen.
„Warum sollte einer der Echsen die Eiswüste verlassen, nur um hier zu leben?“ Mit einer ausschweifenden Geste unterstrich er seine Worte.
„Ich... ich habe...“ Er versuchte, dem kalten Blick des Mannes auszuweichen. „Ich wurde verbannt.“
„Verbannt?“, wiederholte sein Gegenüber, als wäre er auf einen schlechten Scherz herein gefallen.
„Bitte“, flehte er erneut. „Es ist die Wahrheit. Glaubt mir doch.“ Seine Stimme brach ab. Als es still wurde, schloss Kaysha die Augen und erwartete einen weiteren Angriff des Menschen. Doch dieser blieb aus. Stattdessen verschwand die Klinge von seinem Hals und er wurde neugierig betrachtet.
„Wieso?“, fragte der Mann interessiert.
„Wieso?“ Er schaute kurz auf. Als er antwortete, sah er jedoch wieder zu Boden, betrachtete schweratmend sein eigenes Blut, welches langsam die dunkle Farbe des Gesteins zu seinen Füßen annahm.
„Ich... habe jemanden meines Stammes getötet.“
Meinen Bruder, fügte er in Gedanken hinzu.

Ob sein Peiniger ihm geglaubt hatte, wusste er nicht. Ihm fehlte ein Stück Erinnerung.
Ihm wurden noch weitere Fragen gestellt, zu dem Dorf, zu seinen Menschenfreunden und zu den Jakesh selbst. Die Echsen, wie der verhüllte Mann und viele andere sie nannten. Wo lagen ihre Stärken, wo ihre Schwächen? Hatten sie noch weitere Feinde, außer den Menschen? Vielleicht ein verbündetes Volk?
Viele dieser Fragen konnte der Bandit nicht beantworten, was sein Gegenüber nicht gerade freundlich stimmte.
Er hatte viele verschiedene Werkzeuge zur Wahl, doch er wechselte den kleinen Dolch nicht aus. Für jede Antwort, die ihm nicht gefiel, fügte er Kaysha eine neue Wunde – und neue Narben – zu.
Er erinnerte sich noch an seine Schreie, zu welchen er jedoch schon längst nicht mehr in der Lage war. Bald schon waren sie auf ein Wimmern und Winseln abgeklungen. Später brachte er kaum noch ein Stöhnen hervor.
Immer wieder wurde ihm schwarz vor Augen. Immer wieder war er froh, sich für einen kurzen Moment ausruhen zu können. Doch immer, wenn er die Augen wieder öffnete, kehrte der Schrecken zurück und die Erschöpfung blieb. Der Schmerz blieb... und die Angst.

Wieviel Zeit er in diesem Raum verbrachte? Stunden, vielleicht Tage, Ewigkeiten.
Irgendwann meldete sich die Wache an der Tür zu Wort.
„Ist es nicht langsam genug?“ Er nickte Richtung Kaysha. „Ich glaube, er hat alles gesagt, was er weiß.“
„Hmm...“, gab der Mann im schwarzen Gewand nachdenklich zurück. Dann nickte er zustimmend.
„Ich glaube auch. Ihr könnt ihn zurück in seine Zelle bringen. Wir sind hier wohl erstmal fertig.“
Vor Kaysha ging er noch einmal kurz in die Hocke und betrachtete sein Werk. Kraftlos hing der Bandit vornüber gebeugt in den Ketten. Seine Handgelenke waren wund gescheuert. Blut lief an seinen Armen hinab. Seinen Oberkörper zierten zahlreiche Schnitte und Stiche. Seine Beine waren taub. Das Blut, was noch nicht getrocknet war, suchte sich langsam seine Bahn und tropfte schließlich dickflüssig zu Boden.
Zufrieden klopfte der Mensch ihm auf die Schulter, was ihm ein erneutes Stöhnen einbrachte.
„Weißt du, was mir heute am besten gefiel?“ Er lächelte. „Deine Schreie.“
Mit diesen Worten wandte er sich um, legte den blutigen Dolch zurück auf den Tisch und verließ den Raum. Bevor sich die Tür wieder schloss, kam jedoch eine zweite Wache herein. Dieser hatte eine kleine Schale Wasser bei sich. Als er Kaysha sah, stockte er kurz und tauschte einen Blick mit seinem Kollegen. Dann kam er heran und war versucht, Kaysha das Wasser zu geben, doch dieser starrte nur zu Boden. Er wollte schlafen, war viel zu erschöpft, um zu trinken.
„Dann nicht.“, seufzte die Wache und stellte die Schale beiseite. Er erhob sich und machte sich an den Ketten zu schaffen. Es dauerte einen Moment bis es ein klickendes Geräusch gab, dann waren Kayshas blutende Handgelenke eines nach dem anderen frei.
Er dachte, er müsse fallen, doch die andere Wache hatte ihn aufgefangen. Sein Körper war so schwer. Es schien, als wollten seine Hände ihn noch zusätzlich zu Boden ziehen.
Dann stöhnte er auf, als jeder der Soldaten sich einen seiner Arme um die Schulter legte und sie ihn zusammen aus dem Raum in seine Zelle brachten.
An das schleifende Geräusch konnte er sich erinnern. An die Schreie anderer Gefangener. An die Angst und den Geruch des vielen Blutes.
Irgendwann stoppten sie. Eine Tür wurde geöffnet. Dann traten sie ein und legten den Banditen vorsichtig auf den Boden. Dieser gab keinen Laut mehr von sich. Sein Verstand arbeitete langsam.
„Lebt er überhaupt noch?“, fragte einer den anderen. Dann hockte er sich vor Kaysha hin und hielt ihm die Finger an den Hals, um seinen Puls zu spüren. Er war schwach, aber vorhanden.
„Noch ja.“, beantwortete er nun selbst seine Frage.
Der Bandit spürte noch einen kurzen bemitleidenswerten Blick auf sich ruhen, dann fiel eine Tür ins Schloss und Schritte verhallten.
Kaysha war wieder allein.
Stöhnen rollte er sich auf die Seite und krümmte sich zusammen, als eine neue Welle der Pein über ihn herein brach. Er vergrub das Gesicht in seinen schmerzenden Händen. Schließlich verschwand die quälende Anspannung und sein Körper erzitterte, als er leise zu schluchzen begann.
Und die Flamme der Kerze tanzte.

Wie lang er reglos auf dem kalten Steinboden gelegen hatte, konnte er nicht sagen. Trotz der Schmerzen war er in einen tiefen Schlaf gefallen. Als er erwachte, war er immer noch allein. Rings umher vernahm man nach wie vor leise gequälte Schreie. Es hatte sich nichts verändert.
Irgendwie gelang es dem Banditen schließlich, sich hochzustemmen und in die hinterste Ecke seiner kleinen Zelle zu kriechen. Dort setzte er sich stöhnend an die Wand, zog die Knie an und sank mit dem Kopf dagegen. Er seuftze. Wieso brachten sie es nicht einfach zu Ende? Er hatte ihnen doch alles erzählt. Wollten sie ihn jetzt schlicht und einfach verrotten lassen?
Sie brauchen diese Zelle doch sicherlich bald für die nächste verabscheuungswürdige Kreatur, dachte er verächtlich.
Oder sie waren noch nicht fertig mit ihm. Vielleicht hatten sie einige Fragen noch nicht gestellt, weil er zu erschöpft war von den vielen Verletzungen. Vielleicht warteten sie nur darauf, dass er sich etwas erholte, um ihm dann die selben Fragen erneut zu stellen, damit er dieses Mal eine Antwort wüsste. Vielleicht nimmt der Mensch beim nächsten Mal kein Messer, sondern eine der vielen Zangen und Scheren.
Er erschauderte und zog automatisch die Knie noch etwas enger an den Leib.
Wie um seine Gedanken noch zusätzlich zu unterstreichen, hörte er plötzlich, wie eine schwere Tür geöffnet wurde und sich langsam Schritte näherten. Er hielt den Atem an, erwartete gleich wieder den Mann im schwarzen Gewand vor sich zu sehen. Doch dann atmete er erleichtert aus, als er an der Gangart seines Besuchers nicht seinen Foltermeister ausmachte.
Es dauerte schier eine Ewigkeit, ehe die Schritte verhallt waren und die Person vor seiner Zelle stehen blieb. Er spürte einen interessierten Blick auf sich ruhen und nach einem Moment zwang er sich schließlich, vorsichtig aufzusehen.
Hinter den Gitterstäben stand ein Mensch, wohl so groß wie er selbst. Er trug einen langen braunen Mantel und hatte die dunklen Haare zu einem Zopf gebunden. Er erinnerte ihn ein wenig an Mako, welcher ihn hierher gebracht hatte. Doch was wollte ein Kopfgeldjäger jetzt noch von ihm?
Der Mensch seinerseits musterte ihn eingehend weiter. Er schien etwas nicht fassen zu können, musste sich plötzlich mit einer Hand an den Stäben festhalten.
Dem Banditen war unwohl bei der Sache. Was wollte er von ihm? Sollte er doch einfach sagen, was er zu sagen hatte und dann wieder verschwinden. Das Letzte, was er gebrauchen konnte, waren noch mehr Demütigungen.
Gerade, als er sich von seinem Besucher wieder abwenden wollte, sprach dieser verblüfft: „Ich habe zwar davon gehört, dass sie einen Jakesh im Kerker haben, doch ich wollte ihnen nicht glauben.“
Er ließ den Banditen nicht aus den Augen. Jakesh? Seit wann nennt ein Mensch den Namen seines Volkes? Er legte den Kopf schräg, berachtete ihn durchdringend. Schließlich fragte sein Besucher: „Du erinnerst dich nicht an mich oder?“
Erinnern? Wovon spricht er? Er sah nicht aus wie jemand, den Kaysha kannte. Und warum sollte er sich auch an einen Kopfgeldjäger erinnern wollen?
„Ich weiß nicht, wer Ihr seid.“, gab er deshalb mit schwacher Stimme zurück.
„Natürlich weißt du es.“, lächelte plötzlich sein Gegenüber. Er schien sich seiner Sache ziemlich sicher. „Es ist nur schon lange her.“
Kaysha berachtete ihn noch einmal eingehend, doch er erkannte kein Merkmal. Nichts, was ihn an seine Vergangenheit erinnerte. War das ein Trick? Er hatte nie viele Menschen gekannt – wollte es auch nicht – doch die, an die er sich erinnerte, waren tot oder die Verbindung brach plötzlich ab. Wenn er genauer darüber nachdachte, gab es nur noch zwei Menschen, die am Leben sein konnten. Zum Einen das Mädchen Zula und zum Anderen... dann überschlugen sich seine Gedanken. Es dauerte einen Moment, bis er es realisiert hatte und seine Augen weiteten sich.
„Du...“, er brach ab, hatte auf einmal einen Kloß im Hals. Er schluckte und spürte, wie ihm erneut Tränen in die Augen traten. Sein Besucher lächelte nur.
„Also erinnerst du dich doch.“
Anstatt zu antworten, wischte Kaysha die Tränen beiseite und versuchte, ein Schluchzen zu unterdrücken.
„Aber wieso bist du hier?“, brachte er nur mühsam hervor.
„Weil ich dich sehen wollte.“ Sein Gegenüber schien seine Gefühle auch nur mit Mühe im Zaum halten zu können.
„Aber so solltest du mich nicht sehen.“ Er senkte betrübt den Blick. Auf einmal fühlte er sich wieder so schwach. „Hätten wir uns nicht anderswo getroffen.“
„Du siehst besser aus, als viele der anderen Gefangenen.“, lächelte er zurück und der Bandit sah auf. Dann lächelte auch er.
„Es ist so viel geschehen.“
„Lass uns draußen darüber reden. Ich habe auch einiges zu berichten.“
„Draußen?“, horchte Kaysha auf und ein breites Grinsen – das selbe Grinsen wie früher – stahl sich auf das Gesicht seines Gegenübers.
„Kaysh, glaubst du wirklich, dass ich dich hier drin sterben lasse?“
Der Bandit wandte den Blick erneut ab, wische die Tränen weg. Dann sah er seinem Besucher noch einmal lächelnd in die Augen.
„Ich bin froh, dich zu sehen, Nairo.“
 



 
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