Gewohnheitstiere

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Gewohnheitstiere

Habt ihr Erfahrung mit dem Linksverkehr? Natürlich mit dem Lenkrad rechts. Euch ist bestimmt schon mal die übertriebene Zuvorkommenheit der „Linksanfänger“ beziehungsweise „Linksgelegenheitsfahrer“ aufgefallen. Die Fahrer und Beifahrer halten sich ständig gegenseitig die Autotür zum Einsteigen offen. Vielleicht habt ihr auch schon einmal das Vergnügen gehabt, einen Autofahrer zu beobachten, der von der falschen Seite eingestiegen ist? Sein Gesichtsausdruck ist einmalig in dem Moment, wenn er, schon angeschnallt, ganz erstaunt feststellen muss, dass jemand ihm das Lenkrad gestohlen hat. Jetzt aber ganz im Ernst, wir handeln instinktiv nach einem Schema öfter, als es uns lieb ist.

Wir sind Gefangene unserer Angewohnheiten. Wir schütteln mit dem Kopf, wenn wir etwas ablehnen, und nicken bejahend im Fall des Einverständnisses. In Bulgarien sind diese Zeichen mit Vorsicht zu genießen. Dort kommen die gewohnten Zeichen genau umgekehrt an. Beim Zählen zeigen wir eine Zwei mit dem Daumen und Zeigefinger. Einem Geheimagenten können kulturelle Gepflogenheiten eines anderen Landes zum Verhängnis werden. Andere Völker haben eigene Vorlieben und greifen dabei zum Zeige- und Mittelfinger zu.

Die gewohnte Umgebung, der aktuelle Stand der technischen Entwicklung oder einfach die Abwesenheit einer Sache in unseren Breiten prägen unser Handeln. Wir wissen es oftmals nicht besser und verhalten uns wie Neandertaler oder, um allen Schichten den Vergleich zu ermöglichen, wie Crocodile Dundee.

Das DDR-Kind Hans-Fried wechselte noch vor dem Mauerfall die Seiten. Eine Sprache – zwei Welten. Eines sonnigen Tages war Hans-Fried mit der Deutschen Bahn aus dem niederbayerischen Vilshofen in die Hansestadt Hamburg unterwegs. Wie jeder guterzogene DDR-Bürger wollte er nach dem Einsteigen die Zugtür hinter sich schließen. Zu seinem Erstaunen leistete die Tür jedoch erheblichen Widerstand. „Das gibt es doch nicht“, dachte Hans-Fried und gab sich nicht damit zufrieden. Die Szene erweckte mittlerweile Interesse der Allgemeinheit. Manch einer fand das sogar lustig. Irgendwann mal gab Hans-Fried sein Vorhaben doch auf, wandte sich ab und die Automatiktür schloss sich von ganz alleine. Die elektronische Selbstschließung der Türe fand bis dato in der Deutschen Reichsbahn der DDR noch keine Anwendung.

Als Hans-Fried über den Vorfall seiner Frau berichtete, amüsierte sich Kapa prächtig und sogar etwas länger als erforderlich, um ihren Mann ein bisschen aufzuziehen: „So ein Landei, ha-ha-ha“. Sie hielt aber selbst eine Geschichte parat, wo sie nicht weniger neandertalisch auftrat und sich von keinem Widerstand abschrecken ließ.

Die Messe in Moskau war zu Ende. Der Vertriebsleiter und Kapitolina kamen in Tegel an. Sie wurden freundlicherweise von einem Kollegen mit dem Dienst-BMW abgehholt. Kapa platzierte ihren Koffer zum Schluss im Kofferraum und drückte die Klappe zu. Sie musste zwar dabei etwas mehr Kraft als gewohnt aufbringen, machte aber kein Problem daraus. Sie drehte sich um und sah in die verwunderten Gesichter ihrer Kollegen.

„Wie haben Sie den Kofferraum eigentlich zu bekommen?“
„Runtergedrückt, wie denn sonst?“
„Hier“, zeigten beide Männer gleichzeitig, ohne sich abzusprechen, auf ihren angespannten Bizeps. „Wir wussten nicht einmal, dass sich der Kofferraum mechanisch schließen lässt. Kennen Sie diesen Knopf hier?“
„Nix für ungut, die Klappe ist doch heil geblieben“, antwortete Kapa ganz locker und atmete im Stillen auf. Die Reparaturkosten konnten im schlimmsten Falle von ihrem Gehalt einbehalten werden.
 



 
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