Göttlicheres Gelingen

sufnus

Mitglied
Hey trivial!

Bei diesen Zeilen fällt mir zunächst die Diskrepanz zwischen dem Gedichttitel und dem eigentlichen Gedichttext auf.

Der Titel kommt ja wirklich gewaltig daher und das hat mich einerseits neugierig gemacht, andererseits aber auch die Befürchtung geweckt, hier komme womöglich ein Text auf mich zu, der volle Lotte auf die Pathos-Torte haut, dass die Buttercreme nur so spritzt. Dem ist ja nun (zum Glück!) nicht so, vielmehr wirkt der Text auf mich (zumindest wenn man von der maximalen Pathoserwartungshaltung herkommt) eher karg. Lange Rede kurzer Sinn: Ich denke, es müsste sich ein Titel finden lassen, der besser zum Text passt und dennoch (oder gerade deshalb) die Leser erwartungsfroh stimmt.

Was nun den eigentlich Text angeht, finde ich eigentlich en Detail wenig daran, was ich kritisieren kann. Sprachlich gefällt es mir sogar sehr gut und die betrübte Ratlosigkeit des lyr. Ichs angesichts einer gescheiterten Nähe-Findung zum lyr. Du kommt prinzipiell ganz gut zum Ausdruck. Ich hätte allerdings gerne noch irgendetwas angeboten bekommen, das mir entweder das lyr. Ich oder das angesprochene Du oder die (Nicht-)Beziehung zwischen den Beiden etwas greifbarer vor Augen führt. Das lyr. Ich muss irgendetwas an dem Du-Gegenüber "finden", aber was könnte das sein? Beziehungsweise: Welche Art des Zusammenfindens hätte sich das lyr. Ich denn erhofft? Es ist letztlich nicht mal ganz klar, ob es sich hier überhaupt um eine im weitesten Sinne "romantische" (im umgangssprachlichen Wortsinn) Lyrik handelt, also das Thema "Liebe" Gegenstand des Textes ist oder ob es um etwas ganz anderes geht.

Grundsätzlich sind Gedichte ja nun keine Kurz- oder Kürzestgeschichten, sie müssen also keine narrativen Elemente "bedienen" und können auch gut und gerne relativ abstrakt bleiben, aber dann brauchen sie m. E. irgend etwas anderes, das den Lesern das Gefühl vermittelt, aus dem Gedicht etwas "mitnehmen" zu können. Das könnte auch etwas Sprachartistisches sein oder ein Angebot, wie man ein bisher namenloses Gefühl mit neuen Worten benennen könnte. Bei diesem Text stehe ich aber am Ende auch ein bisschen mit Leeren Händen da und so sehr es ein witziger Effekt ist, dass man sich dadurch in gewisser Weise in einer dem lyr. Ich "ähnelnden" Entbehrungssituation befindet (minus die "wäre es nur so"-Sehnsucht, die das lyr. Ich empfindet), so sehr bleibt das am Ende ein bisschen "kurz im Abgang".

Wobei: Ganz stimmt das nicht! Eine Stelle gibt es, da bekomme ich genau so ein Wortfindungsangebot für einen bis dato sprachlich nicht erfassten innerlichen Zustand: "In mir ist es zu eng zum Stehen". Das ist eine Formulierung, die mir so noch nicht untergekommen ist und die ein unmittelbar fassliches Bild erzeugt. Davon läse ich sehr gerne mehr! Und bei so einer Hammerformulierung kann dann das übrige Gedicht ruhig viel kürzer sein und sich auf seine Rolle als dezenter Rahmen für ein sehr sehr schönes Bild beschränken.

LG!

S.
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trivial

Mitglied
Lieber Sufnus,

danke für die netten Worte und Inspiration.

Es war ein Traum, den ich festhalten wollte, insofern ist es weder romantisch, noch geht es um konkrete Beziehungen und Liebe als Handlung, Gefühl, Funktion.
Es war die reine konstituive Kraft, die Wesenheit von Streit, Verlust, Trennung.

Nach dem Aufwachen aus dem Traum, schwirrte mir ein Vers durch den Kopf, von dem ich nur „göttlicheres Gelingen“ in den Tag retten konnte. Ich dachte erst, es wäre von Rilke, aber mir fiel nichts ein. So gesehen, gehört es ans Ende – so etwas, wie der Nachhall.
Ich hatte versucht, es so roh und authentisch wie möglich zu schreiben, aber ich glaube, ich habe da schon wieder zu viel reininterpretiert und es hat sich eine Sehnsucht aus dem Tag dort hineingeschlichen, weshalb es wohl auch mit einer Beziehungsgeschichte verwechselt werden kann. Ich habe nochmal versucht, es vorsichtig von diesem Ballast zu befreien, um so näher an diese Wesenheit heranzukommen.

Liebe Grüße
Rufus

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Wesenheit

Oben, im Freien –
saßen wir zusammen?
was treibt uns –
auseinander.
Kein Anfang,
kein Ende,
kein Grund.
Nicht um etwas –
zerreißt es uns.

In mir ist es
zu eng zum Stehen.
Ein Papier mit Zeichen.
Ich falte es, reibe,
hauche es an –
doch kein Name.
Sie verlaufen ins Leere.
Ohne irdischen Widerhall.

Göttlicheres Gelingen
 

sufnus

Mitglied
Hey Rufus!
Wahrscheinlich bin ich (relativ) späterstundigerweise etwas mentalklapprig aufgestellt, weil ich jetzt zwar so ungefähr kapiert habe , was ich bei meinem Angang an die Erstfassung offenbar intentionsmäßig nicht bzw. falsch kapiert habe (immerhin! :) ), aber für ein Verständnis der tatsächlichen Werkintention reicht mein spärliches geistiges Restlicht grad nicht aus - insofern an diesem Punkt: Auf Wiedervorlage! :)
Unabhängig davon hab ich aber beim Erstlesen der Erstfassung schon beim "Göttlicheren Gelingen" eine schwere Erschütterung meines Pathossensors vermerkt - diese Wuchtschwingung trifft in der Zweitfassun& meine Leseantennen naturgemäß noch vehemener, das dieser Teil jetzt in seiner Schlusswothafigkeit noch mehr abschließende Gravitas entfaltet; über einen Titelkann man ja noch etwas leichtsinnig hinweglesen, aber die letzten Worte sind halt schon was Bleibendes.
Von daher (mal unbenommen allfäliger morgiger Erkenntniszuwächse zum intendierten Sinn & Zweck des Gedichts) wirds Dich nach obig und ganz obig Gesagtem vermutlich nicht überraschen und hoffentlich auch nicht enttäuschen, wenn sich für mich die zweite Fassung eher nicht so recht als Schritt nach vorne darstellt.
Aber morgen wird nochmal nachgelesen!
LG!
S.
 

trivial

Mitglied
Lieber sufnus,

meistens weiß ich kurz nach dem Schreiben selbst nicht mehr genau, welche Gedankengänge mich wohin geführt haben – weshalb ein nachträgliches Bearbeiten nicht unbedingt zur Konsistenz der Texte beiträgt. Entweder zerfallen sie dadurch von sich aus, oder aus mir heraus. Die zweite Version war auch gar nicht darauf angelegt, den Text nach vorne zu bringen, sondern ihn zurückzuschneiden.

Ich dachte, das könnte mir eventuell etwas besser gelingen – also nicht Gedankengänge und Wege weiter zu laufen, sondern Irrwege, Umwege zu streichen.

So oder so: „Göttlicheres Gelingen“ gefällt mir intuitiv nach wie vor, da es – wie gesagt – der unterbewusste Abschluss im Zwielicht zwischen Wachen und Träumen des ganzen Traums war, den ich versuchte zu erfassen. Mir fiel im Nachhinein auf, dass man es leicht als Steigerung deuten könnte, im Sinne von noch göttlicher als Gott – es war aber als Annäherung gedacht, an das Göttliche. Eine Bewegung, ein Streben nach vorne – und nicht das Überschreiten mit dem Blick zurück.
Ich denke zwar nicht, dass das deinen Pathossensor weniger berührt oder die Pathostorte kalorienärmer macht – aber mir fiel halt auf, dass es leicht falsch zu verstehen ist. Und auch wenn ich denke, dass gerade im Missverständnis oft die wirkliche Erkenntnis liegt, scheint es mir doch nicht ohne Bedeutung, wie man es versteht.

Danke dir auf jeden Fall fürs Lesen!

In einem anderen Forum interpretierte jemand auch eine Beziehungsgeschichte in die erste Version, was mich irritierte – da unbeabsichtigt. Dann sagte ein Zweiter etwas über den spirituellen Inhalt, was auch so nicht beabsichtigt war – auch wenn vollkommen offensichtlich. Ich wollte dieses Offensichtliche da eigentlich raus haben. Aber im Nachgang dachte ich mir, dass diese spirituelle Sehnsucht sich vielleicht vom Tage in meine Traumdeutung hineingeschlichen hat – und so gefällt es mir nun auch.

Liebe Grüße
Rufus
 

sufnus

Mitglied
Hey Rufus!

Vielen Dank für Deine Antwort!
Wenn Du mit dem göttlicheren Gelingen im Allgemeinen bzw. der Gesamtkomposition des Gedichtes zufrieden bist, dann sollte wirklich niemand versuchen, Dir das mit perseverierendem Argumentieren auszureden. Wichtig und ggf. auch anregend ist sicher der Austausch ästhetischer Positionen oder Haltungen zu einem Text usw. Aber dann ist die Textarbeit irgendwann beendet und der Text steht eben da, wie er dann dasteht. :)

Was ich aber über den Text im Besonderen hinausgehend noch interessant finde, ist dass Du (wenn ich das richtig verstehe) eine persönliche Schreib-Theorie andeutest, die Dir als Autor nicht allzuviel Gestaltungsspielraum einzuräumen scheint. Wenn dem tatsächlich so ist, dass Du das so fühlst und verfolgst, dann hat das sicher den Vorteil, dass es einem ewigen "Herumbasteln" an einem Text deutliche Grenzen setzt. Für mich persönlich wäre das dennoch nicht so ganz das Richtige, weil ich (womöglich nicht nur beim Schreiben?) doch zu sehr ein kleiner Kontroletti bin, der nicht so gerne die Dinge völlig aus der Hand gibt und sich (jetzt mal nur auf das Gedichteschreiben bezogen) mit ausgebreiteten Armen und das Beste hoffend rücklings in den Inspirationsvorgang hineinplumpsen lässt.

Ich leite diese Überlegungen aus Deiner Analyse von primärer Text-Inspiration und nachträgler Text-Bearbeitbarkeit ab:

meistens weiß ich kurz nach dem Schreiben selbst nicht mehr genau, welche Gedankengänge mich wohin geführt haben – weshalb ein nachträgliches Bearbeiten nicht unbedingt zur Konsistenz der Texte beiträgt. Entweder zerfallen sie dadurch von sich aus, oder aus mir heraus.
Auch in dieser ganz allgemeinen Diskussion will ich Dich keineswegs von meinem Standpunkt überzeugen, ich wollte das nur mal quasi Meta-Ebenen-mäßig kurz angerissen haben …. wobei die Polarität von "intuitiven" und "handwerklichen" Schreiber*innen uralt ist.

Auf der einen Seite stellen es die Schreibenden so dar, dass sie - womöglich ganz überraschend - vom Inspirationsblitz getroffen werden und dann beginnen sie in einem Trance-artigen Zustand zu lodern, bis am Ende, der Schreibende ist selbst ganz verblüfft, wie von selbst ein Gedicht oder gar ein ganzer Gedichtzyklus dasteht. Von Rilke wurden solche Zustände eindrücklich überliefert.
Auf der anderen Seite stehen Dichter*innen, die ganz und gar das Handwerkliche und Kalkulierende betonen. E. A. Poe ist der Sprecher dieser Fraktion, der in einem berühmten Aufsatz das Verfassen seines Gedichts "The Raven" als einen ganz und gar technischen Akt darstellt, in dem sich kein Einfall, kein Wort und kein Komma einer unfasslichen Intuition verdankt, sondern alles nachprüfbaren und logischen Überlegungen und Berechnungen entspringt.
Offensichtlicherweise gibt es hier einen naheliegenden Kompromissvorschlag (der aber natürlich nicht allgemeinverbindlich sein kann und soll), nämlich die Ausgangsidee zu einem Gedicht von seiner handwerklichen Umsetzung zu trennen. Gottfried Benn hat das schön in Worte gefasst: "Irgendetwas in Ihnen schleudert ein paar Verse hervo, irgendetwas anderes in Ihnen nimmt diese Verse sofort in die Hand, legt sie in eine Art Beobachtungsapparat, ein Mikroskop, prüft sie, färbt sie, sucht nach pathologischen Stellen. Ist das erste vielleicht naiv, ist das zweite etwas ganz anderes: raffiniert und skeptisch.".

Das nur nochmal ein paar Gedanken zur Frage der (ggf. nachträglichen) "Kontrolle" des Autors oder der Autorin über ihre (?) Texte. :)

LG!

S.
 

trivial

Mitglied
Lieber sufnus,

danke für Deine nette Antwort.
Es ist die Frage, die sich mir ständig stellt:

Warum schreiben? Warum etwas Unmitteilbares in etwas Vermittelbares codieren?

Natürlich könnte man sagen, dass das die Essenz des Seins ist – und dass gerade dies das Wesen der Kunst ist: mit limitierten Mitteln Möglichkeiten zu schaffen, die über die Limitierung hinausgehen. Dem würde ich vollkommen zustimmen, aber ich bin nun mal kein Künstler. Ich beherrsche keine Regeln und verstehe sie zum Großteil nicht einmal. Alles, was ich schreibe, ist nur der Versuch zu verstehen – nicht zu vermitteln.
Muss es dazu aus mir heraustreten, ein anderes werden und zu mir zurückfinden – oder ist schon die Frage danach ein Stück Entfremdung von mir selbst?

Existieren wir als intellektuelle Wesen nur durch Vermittlung – in jenem unsterblichen, aber auch zerbrechlichsten Teil von uns, den manche vielleicht Seele nennen?

Sorry, das wirkt vielleicht etwas abstrakt und am Thema vorbei.

Ich wollte nur zum Ausdruck bringen, dass ich mich nicht als Autor sehe, der eine Theorie über sein Schreiben hat. Und so paradox das klingt: Wenn sich dann doch die Frage nach dem Warum stellt, ist meine Antwort vielleicht eine kompliziert erdachte Konstruktion – oder schlicht die Angst vor dem Scheitern. Vielleicht weniger vor dem Scheitern selbst, sondern vor dem Verlust. Denn wer etwas will, kann etwas verlieren.

Liebe Grüße
Rufus
 



 
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