Hey Rufus!
Vielen Dank für Deine Antwort!
Wenn Du mit dem göttlicheren Gelingen im Allgemeinen bzw. der Gesamtkomposition des Gedichtes zufrieden bist, dann sollte wirklich niemand versuchen, Dir das mit perseverierendem Argumentieren auszureden. Wichtig und ggf. auch anregend ist sicher der Austausch ästhetischer Positionen oder Haltungen zu einem Text usw. Aber dann ist die Textarbeit irgendwann beendet und der Text steht eben da, wie er dann dasteht.
Was ich aber über den Text im Besonderen hinausgehend noch interessant finde, ist dass Du (wenn ich das richtig verstehe) eine persönliche Schreib-Theorie andeutest, die Dir als Autor nicht allzuviel Gestaltungsspielraum einzuräumen scheint. Wenn dem tatsächlich so ist, dass Du das so fühlst und verfolgst, dann hat das sicher den Vorteil, dass es einem ewigen "Herumbasteln" an einem Text deutliche Grenzen setzt. Für mich persönlich wäre das dennoch nicht so ganz das Richtige, weil ich (womöglich nicht nur beim Schreiben?) doch zu sehr ein kleiner Kontroletti bin, der nicht so gerne die Dinge völlig aus der Hand gibt und sich (jetzt mal nur auf das Gedichteschreiben bezogen) mit ausgebreiteten Armen und das Beste hoffend rücklings in den Inspirationsvorgang hineinplumpsen lässt.
Ich leite diese Überlegungen aus Deiner Analyse von primärer Text-Inspiration und nachträgler Text-Bearbeitbarkeit ab:
meistens weiß ich kurz nach dem Schreiben selbst nicht mehr genau, welche Gedankengänge mich wohin geführt haben – weshalb ein nachträgliches Bearbeiten nicht unbedingt zur Konsistenz der Texte beiträgt. Entweder zerfallen sie dadurch von sich aus, oder aus mir heraus.
Auch in dieser ganz allgemeinen Diskussion will ich Dich keineswegs von meinem Standpunkt überzeugen, ich wollte das nur mal quasi Meta-Ebenen-mäßig kurz angerissen haben …. wobei die Polarität von "intuitiven" und "handwerklichen" Schreiber*innen uralt ist.
Auf der einen Seite stellen es die Schreibenden so dar, dass sie - womöglich ganz überraschend - vom Inspirationsblitz getroffen werden und dann beginnen sie in einem Trance-artigen Zustand zu lodern, bis am Ende, der Schreibende ist selbst ganz verblüfft, wie von selbst ein Gedicht oder gar ein ganzer Gedichtzyklus dasteht. Von Rilke wurden solche Zustände eindrücklich überliefert.
Auf der anderen Seite stehen Dichter*innen, die ganz und gar das Handwerkliche und Kalkulierende betonen. E. A. Poe ist der Sprecher dieser Fraktion, der in einem berühmten Aufsatz das Verfassen seines Gedichts "The Raven" als einen ganz und gar technischen Akt darstellt, in dem sich kein Einfall, kein Wort und kein Komma einer unfasslichen Intuition verdankt, sondern alles nachprüfbaren und logischen Überlegungen und Berechnungen entspringt.
Offensichtlicherweise gibt es hier einen naheliegenden Kompromissvorschlag (der aber natürlich nicht allgemeinverbindlich sein kann und soll), nämlich die Ausgangsidee zu einem Gedicht von seiner handwerklichen Umsetzung zu trennen. Gottfried Benn hat das schön in Worte gefasst: "Irgendetwas in Ihnen schleudert ein paar Verse hervo, irgendetwas anderes in Ihnen nimmt diese Verse sofort in die Hand, legt sie in eine Art Beobachtungsapparat, ein Mikroskop, prüft sie, färbt sie, sucht nach pathologischen Stellen. Ist das erste vielleicht naiv, ist das zweite etwas ganz anderes: raffiniert und skeptisch.".
Das nur nochmal ein paar Gedanken zur Frage der (ggf. nachträglichen) "Kontrolle" des Autors oder der Autorin über ihre (?) Texte.
LG!
S.