Grau

Tibi

Mitglied
Der Regen strömte vom Himmel herab.
Das graue Gebäude tauchte vor ihr auf. War es überhaupt grau, oder machte es lediglich einen grauen Eindruck, weil alles was sich darin abspielte eintönig und erbarmungslos war.
Kay zwang sich weiterzugehen. Die Hände um den Griff ihrer Tasche verkrampft setzte sie tapfer einen Fuß vor den anderen.
Bloß nicht unterkriegen lassen, das hatte sie sich vorgenommen. Egal was passiert, du hast immer noch deine Würde. Aber für wie lange noch?
Schon erschien die graue Tür vor ihr. Mit glänzenden Metalklinken auf denen sich schon mehr Handabdrücke befanden, als das ein Putzlappen je wieder wegwischen könnte. Jeder der übriggebliebenen Menschen mußte diese Klinke schon einmal benutzt haben, wie es schien.
Kay atmete tief durch und trat ein. Sofort wurde die Luft ein bißchen stickiger, die Geräusche von draußen dumpfer. Das Prasseln des Regen vermischte sich mit dem Brummen der Maschinen.
Kay wolle nicht weitergehen, wußte aber genauso, daß sie keine Wahl hatte. Wenn sie nicht freiwillig kam würde man sie irgendwie anders hier her bringen.
Sie ging durch den ersten schwarzen Gang, durch den zweiten und den dritten. Dann blieb sie vor einer Tür stehen.
Träume war auf dem polierten Goldschild zu lesen. Träume. Was für eine ungerechte Ironie. ‚Alpträume‘ wäre viel angebrachter, dachte Kay. Und doch legte sich ihre Hand wie von selbst auf die Klinke. Was hatte sie für eine Wahl? Sie trat ein.
Das erste was sie sah war die Kammer mit den Aufbewahrungsspinten. Hier mußte sie alles lassen, was sie mit sich gebracht hatte. Ihre Habseligkeiten, ihr Selbst.
Dann ging Kay an ihren Platz.
Fünf andere waren bereits da und hatten sich schon an ihre Aufgaben gemacht, und weitere würden folgen.
Kay ließ sich anschnallen und schloß die Augen. Während sie dem zerreißenden Schlagen ihres eigenen Herzens lauschte machte sich wie immer erstickende Angst in ihr breit.
Nun kam der Kopfleiter in den Raum. Wie immer lächelte er freundlich, künstlich und stellte einen Stapel mit Aufgaben vor sich auf den Tisch. Durch die Kraft ihrer Gedanken, würden sie geeignete Energie erzeugen müssen, um ihre Zivilisation vorwärts zu bringen, sie am Leben zu halten.
Dann brach es über sie herein. Der Kopfleiter hielt die erste Karte hoch. Eine schlichte Wiese.
Unfreiwillig begann sich in Kays Gedanken das Bild eines herrlichen Sommertages zu formen. Rote und blaue Blumen, Schmetterlinge, Vogelzwitschern. Sie glaubte das Gras zu riechen, und die von der Sonne aufgeheizte Erde unter ihren nackten Füßen zu spüren...
Ein heftiger Schmerz durchzuckte sie und sie spürte die Wärme der roten Lampe, die über ihr zu leuchten begann.
»Dies ist ein unzulässiger Gedankengang,«, schnarrte die monotone Stimme des Kopfleiters. »Erfüllen sie die von Ihnen verlangten Aufgaben korrekt.«
Entgegen ihres Willen veränderte sich nun Kays Wiese. Aus dem Boden quoll grauer Schlamm, der Blumen und Gras zerdrückte. Sie zwang sich dazu sich vorzustellen, wie alles zerlief und nicht mehr zusammengefügt werden konnte. Nach Hereinbrechen des Schlamms bildete sich wieder die schlichte grüne Wiese vor ihren Augen ohne Blumen, ohne Leben – nichts anderes als die Wiese auf der hochgehaltenen Karte. Die Lampe hörte auf zu leuchten.
Der Regen strömte vom Himmel herab.
 
Z

zauberei

Gast
Hallo, Tibi!

Ich finde, Deine Geschichte ist spannend geschrieben.
Zunächst wußte ich nicht, was da kommen würde.
Aufbau und Stil gefallen mir sehr gut!

Ein bißchen George Orwell, stimmt`s?

Hab` ich noch so ein wenig aus meiner Schulzeit in
Erinnerung. ;)

Gruß, zauberei
 

Andrea

Mitglied
5 von 10 Punkten

Inhaltlich (ich würde die Geschichte unter Fantasy/Sci-Fi veröffentlichen) ist der erste Teil recht gut nachzuvollziehen, sobald Kay aber die Träume-Tür öffnet, wird die Geschichte grober. Es fehlen einfach die ein oder andere Beschreibung, ein paar Gedanken deiner Protagonistin – und damit meine ich keine Erklärungen für das, was da abläuft. Das erklärt sich bereits ausreichend!
Sprachlich würde ich ein paar Dellen ausbügeln wollen, die meinem Lesegeschmack einfach widerstreben. Meistens sind es nur Kleinigkeiten, aber ich finde es anders halt flüssiger.

„Kay zwang sich weiterzugehen [und setzte tapfer einen Fuß vor den anderen, während ihre Hände den Griff ihrer Tasche umklammerten, als ob - irgendein Vergleich]“

„Bloß nicht unterkriegen lassen, hatte sie sich vorgenommen. [streichen: das]“

Den Putzlappen finde ich unpassend, außerdem würde die Klinke dann nicht mehr glänzen – also vielleicht: die Klinke hatten schon so viele Hände berührt, daß das ehemals glänzende Metall stumpf und fettig geworden war?

„Jeder der übriggebliebenen Menschen mußte diese Klinke schon einmal benutzt haben[. Streichen: wie es schien – das ist doch wohl ein Gedanke Kays, und der dürfte präziser sein.]“

„ungerechte Ironie“ = Sarkasmus/Zynik?

„Kay wolle nicht weitergehen, [aber hatte sie eine Wahl?]“

„Und doch legte sich ihre Hand wie von selbst auf die Klinke [und sie trat ein. – die fehlende Wahl ist schon oben thematisiert, sie hier nochmals in einem so kurzen Text aufzugreifen, ist überflüssig.]“

Außerdem die dringende Bitte: Korrektur lesen nicht vergessen!
 

Tibi

Mitglied
Hallo Andrea!

Erst einmal ein große Danke, dass Du Dir soviel Mühe gemacht hast, Verbesserungen vorzuschlagen. Ich selbst feile auch immer noch an der Story. Aber es ist schon so lange her, dass ich sie ursprünglich schrieb (damals mit vierzehn...). Naja, und ich betrachte sie mittlerweile einfach als eine Wegmarke. HAbe also auch ein paar Dinge drin gelassen, die ich heute anderes machen würde, einfach um eine Entwicklung zu heutigen Schriftstücken nachvollziehen zu können...

Viele liebe Grüße
Tibi
 



 
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