Größmas letzte Liebe

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Das Wort Größma ist richtig geschrieben, die zwei Pünktchen über dem O gehören dazu. Größma ist niederdeutsch und bedeutet Großmutter.

Alle Kinder im Dorf haben eine Oma, bloß wir haben eine Größma. Unsere Vorfahrin duldet die Bezeichnung Oma nicht. Oma hat was kumpelhaftes, ja fast etwas erniedrigendes an sich, Größma dagegen klingt nach Ehrfurcht, nach Respekt, nach Würde.

Den alten Bildern nach zu urteilen, war Größma mal ein hübsches, schlankes, blondes Mädchen gewesen, aber das ist lange her. Jetzt ist Größma um die Körpermitte sehr füllig, wobei ihre Arme und Beine die mädchenhafte Form beibehalten haben. Unser Opa ist noch bevor seine Frau das vierzigste Lebensjahr erreicht hatte in einem der stalinistischen Lager verschollen.
Größma erzählt, dass er ein liebevoller Vater, ein guter Chef, aber ein miserabler Ehemann gewesen sei, der es mit der Treue nicht so genau genommen hatte.
Sie vergleicht ihn oft mit einem Teller, ,,Was nutzt der schönste Teller, wenn er leer ist.“

Größma trägt immer nur schwarz; ihr Kopftuch, ihre Bluse, ihr knöchellanger Rock sind immer nur schwarz, sommers wie winters. Eines Tages jedoch, ich muss mich kneifen, um das zu glauben was ich da sehe, kommt Größma in einem braungeblümten Tuch, brauner Bluse zu uns rüber. Nur ihr Rock ist schwarz und knöchellang.

Größma hat viele Brieffreunde, wahrscheinlich, weil ihre Mutter (ich gehe davon aus , dass unsere Uroma zu Lebzeiten nicht darauf bestanden hätte Urgrößma genannt zu werden) drei Mal verheiratet gewesen ist und ihre zwei letzten Ehemänner Witwer mit Anhang gewesen sind. Somit besteht reger Briefwechsel zwischen den Stiefgeschwistern. Größma kommt immer zu uns, wenn sie einen Brief auf Russisch schreiben muss, denn in der Schule für höhere Töchter, die sie ihrer Zeit besuchte , wurde nur Deutsch und Latein unterrichtet. Daher schreibt sie erst mal alles auf einem Schmierzettel und nach Vaters Korrektur bringt sie den Text in Schönschrift zu Papier. Diesmal ist es aber kein Schmierzettel, sondern ein Briefumschlag mit einem unbekannten Absender.

Im Brief, der auf Deutsch geschrieben ist, berichtet der Verfasser, dass er Witwer mit einer guten Rente sei, dass er im Garten Gemüse und Kräuter anbaut und dass die Petersilie (er nannte sie liebevoll Petersilchen) sein Lieblingskraut sei. Im Keller, schrieb er weiter, habe er Vorräte für schlechte Zeiten, angelegt und den Kellerschlüssel trüge er immer um den Hals.

Ich finde den Brief romantisch. Vater meint, Größma soll ruhig antworten und ihre Gebrechen, die sich so im Laufe des Lebens eingeschlichen haben, nicht verheimlichen. Schließlich wolle keiner die Katze im Sack kaufen. Ich denke so bei mir:,, Na, wenn Größma bei der Wahrheit bleiben wird, könnte es der erste aber auch der letzte Brief gewesen sein.“ Ist er aber nicht. Ein paar Wochen später sitzt Größma wieder bei uns in der Küche. Diesmal dominiert die Farbe dunkelblau, bloß der Rock ist schwarz und knöchellang geblieben. Der romantische Witwer bat darum Größma besuchen zu dürfen. Schließlich, so argumentierte er, hatte der liebe Gott es so gewollt, dass die Männer nicht allein in der Welt herumirrten. Das beste Beispiel dafür wäre Noah mit seiner Arche, der allerlei Getier nur paarweise transportiert hatte. Und er, ein erfahrener Tauberich, hätte so gern ein Täubchen an seiner Seite. ,,Na", sagt Vater ,,wenn das so ist, darf er kommen. Meinen Segen hab ihr.“ Mama findet Größma für einen Neuanfang zu alt. Ich habe, mangels Erfahrung, keine Meinung dazu. Ein Detail jedoch ist mir klar, wenn Größma heiraten würde , würde ich deutlich mehr Freizeit haben. Dann würde das Kartoffeln ein und ausbuddeln, das Wasserholen, Unkraut jäten, Brennholz hacken, Stallausmisten wegfallen. Und das ist nur einiges was mir so auf die Schnelle , einfällt.

Als der große Tag da ist, trägt Größma ein weißes Seidentuch über ihr ergrautes Haupt, eine hellblaue Bluse, einen schwarzen, aber knöchelfreien Rock. Sie sieht glücklich, schön, fast jugendlich aus. Der Bräutigam begrüßt sie herzlich und lädt sie zum Mittagessen zu seiner Schwester, wo er sich einquartiert hat, ein. ,,Damit wir in Ruhe unsere Hochzeit planen können, es gibt viel zu tun“ ,sagt er und verlässt das Haus. Kaum ist er aus der Tür, so platzt Sara herein. Sara ist eine junggebliebene sechzigjährige, deren größter Wunsch ist es erneut zu heiraten. ,,Hat er dich zum Mittagessen eingeladen?“ will sie wissen. Und noch bevor Größma antworten kann, sagt sie :,,Mich auch! Und jetzt ist er auf dem Weg zu Evi um auch sie noch einzuladen. Es soll heute Mittags wohl eine Musterung wie auf dem Viehmarkt geben“ sprach sie und verschwand Richtung Evi,s Haus. Jemand muss doch diese ahnungslose Frau vor einem Heiratsschwindler retten.

Keine Stunde später sitzt Größma ganz in schwarz am Tisch, vor ihr steht der schönste Teller, den sie besitzt und isst ein Butterbrot. Das Brot ist dick mit Butter belegt, so dick, dass nach dem Abbeißen alle 32 Zähne ihren Abdruck in der Butter hinterlassen.
 

wiesner

Mitglied
Eine schöne ins Lakonische gehende Geschichte!
Was mich aber immer wieder ärgert, sind sehr oft die Fehler in Prosatexten. Auch hier - leider. Warum nicht zum Gegenlesen weiterreichen? Und erst dann in die Öffentlichkeit entlassen!

Trotzdem 4 Punkte, denn gern hab ich Großmäs letzte Liebe schon gelesen!

Gruß Béla
 

lietzensee

Mitglied
Hallo Anna,
der Text gefällt mir sehr gut. Ich mag, wie du uns das Innenleben der Oma durch die Augen des Kindes erahnen lässt. Die Kleiderfarben der Größma sind dabei ein guter Kniff.

Ein paar Sachen, die mir aufgefallen sind:

Der Verehrer der Großmutter taucht ziemlich aus dem Nichts auf. Erst scheint es, dass sie mit ihm Kontakt über ihre vielen Brieffreundschaften bekommt. Aber das gibt der Text dann nicht her, oder? Auch im Hinblick auf die Pointe wäre eine Andeutung gut, wie er Kontakt zur Oma und all den anderen Frauen im Dorf bekommen hat.


stalinistischen Lager
Ich finde, dieses Wort passt nicht recht zu der Erzählstimme eines Kindes.

,,Was nutzt der schönste Teller, wenn er leer ist.“
In Bezug auf einen Ehemann finde ich den Vergleich nicht besonders bildlich. Hier könnte man der Oma etwas Griffigeres in den Mund legen.

(ich gehe davon aus , dass unsere Uroma zu Lebzeiten nicht darauf bestanden hätte Urgrößma genannt zu werden)
Warum nicht? Hätte die Uroma nicht auch Niederdeutsch gesprochen?

Keine Stunde später sitzt Größma ganz in schwarz am Tisch, vor ihr steht der schönste Teller, den sie besitzt und isst ein Butterbrot. Das Brot ist dick mit Butter belegt, so dick, dass nach dem Abbeißen alle 32 Zähne ihren Abdruck in der Butter hinterlassen.
Das Ende finde ich klasse! Aber auch hier noch ein Gedanke:

Die dick aufs Brot gestrichene Butter würde noch besser wirken, wenn sie vorher schon mal erwähnt worden wäre. Zb, dass Oma die Butter sonst sparsam aufs Brot kratzt. Dann würde die dicke Butter noch deutlicher auf die Gefühle der Oma verweisen.


Ein sehr schöner Text

Viele Grüße
lietzensee
 
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