gross und klein - muss das sein?

myritemaduse

Mitglied
Ich habe mich in einem Schreibkurs mit der Lektorin angelegt, habe nicht darüber nachgedacht, wie unselbverständlich heute durchgängige Kleinschreibung im Deutschen ist. Für mich ist es eine Sache nicht nur der Rebellion, sondern auch des Sprachexperimentes, gerade weil manchmal sich mehr Bedeutungen erschliessen, wenn nicht durch Groß- oder Kleinschreibung Bedeutung festgelegt wird. Es ist nicht nur Faulinchen, die mich da reitet und begleitet
(;-).

Meine Lektorin vertritt folgenden Standpunkt:
"Dass Sie so ganz auf die Regeln der Groß- und Kleinschreibung verzichten, hat lediglich zur Folge, dass sich der Text schlechter lesen lässt und die reine Form Konzentration von der Geschichte abzieht. Diese Regeln sind ja nicht gemacht, um den Autoren zu ärgern, sondern Sie sollen es dem Leser erleichtern, den Inhalt aufzunehmen." Letzten Endes erschwere ich dem/der Leserin die eindeutige Identifikation der Wörter, erschwere das Erfassen der Bedeutung meiner Texte. Meine Freundin bestätigt, dass es den Sprachfluss erschwert und zum mehrmaligen Lesen zwingt.

Groß- und Kleinschreibung erleichtert der LeserIn die Texterfassung ungemein; gerade bei komplexeren Plots und Gedankengängen erschließt sich der Zugang wahrscheinlich viel schneller.
Vielleicht ist die Frage, wann profitiert der Text von der Klarheit (wahrscheinlich meistens) und wann gewinnt er (bei experimentelleren Texten, die aus der Verwischung der Bedeutungsgrenzen leben)?
Es gibt Texte, wo ich gerade die Wortgrenzen aufgelöst habe nicht nur durch Aufhebung der Groß- und Kleinschreibung, aber auch dadurch. Manchmal waren Wortspielereien erst dadurch möglich.
Die Texte, die ich zur Zeit schreibe bzw. zu Übezwecken einreiche, gehören nicht zu denen, die davon profitieren.
Da muss ich Faulinchen nach Hause schicken und Disziplin üben (;-)).
 

ex-mact

Mitglied
Moin,

Dein Text ist zwar etwas unklar, ich unterstreiche aber, daß Groß-Klein-Schreibungs-Beachtung das Leseverständnis erleichtert und einen Text mitnichten künstlerisch abwertet (genau so, wie militante Kleinschreibung einen Text nicht aufwertet, wie es viele Kleinschreibisten gerne verstanden wüssten).

Falls Dein Zitat Deiner Lektorin jedoch "originalgetreu" ist, so hat sie selbst die Groß-Klein-Schreibung nicht verstanden:

> sondern Sie sollen es dem Leser erleichtern

Nicht "Sie" (in dem Falle: Du) sollst es dem Leser erleichtern, sondern "sie" (die Groß-Kleinschreibung).
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Die Groß- und Kleinschreibung hat sich allmählich herausgebildet und ist heute gängige Praxis entsprechend der Normen der deutschen Sprache.
Nicht immer wurde diese Art der Auszeichnung von Wortanfängen verwendet, auch die Regeln unterlagen zahlreichen Änderungen. Entstanden ist sie im wesentlichen aus zwei Alphabeten: 1. Römische Kapitalis ---> Großbuchstaben, 2. Karolingische Minuskeln ---> Kleinbuchstaben.

Die Minuskelschrift wurde zunächst standardmäßig für alles verwendet, außer für Kapitel- oder Satzanfänge. Dafür wurden andere Schriften oder auch Initialen verwendet, die oft kunstvoll verziert waren.

---

Tatsächlich erleichtert die Groß- und Kleinschreibung das Lesen in vielen Fällen, nämlich zumindest dann, wenn sie Bedeutungsunterschiede deutlich macht. Diese Funktion wurde durch die Rechtschreibreform meines Erachtens nach reduziert.

Für wen gilt Groß- und Kleinschreibung?

Sie gilt in der gleichen Weise, wie die deutsche Rechtschreibung überhaupt.

Hierzu zitiere ich aus dem Vorwort zum amtlichen Regelwerk:

http://www.ids-mannheim.de/grammis/reform/vorwort1.html
Das ... amtliche Regelwerk, mit einem Regelteil und einem Wörterverzeichnis, regelt die Rechtschreibung innerhalb derjenigen Institutionen (Schule, Verwaltung), für die der Staat Regelungskompetenz hinsichtlich der Rechtschreibung hat. Darüber hinaus hat es zur Sicherung einer einheitlichen Rechtschreibung Vorbildcharakter für alle, die sich an einer allgemein gültigen Rechtschreibung orientieren möchten (das heißt Firmen, speziell Druckereien, Verlage, Redaktionen – aber auch Privatpersonen). Diese Regelung ersetzt jene von 1902 und alle anschließenden Ergänzungsverordnungen.
Die neue Regelung ist folgenden Grundsätzen verpflichtet:

Sie bemüht sich um eine behutsame inhaltliche Vereinfachung der Rechtschreibung mit dem Ziel, eine Reihe von Ausnahmen und Besonderheiten abzuschaffen, so dass der Geltungsbereich der Grundregeln ausgedehnt wird.

Sie verfolgt eine Neuformulierung der Regeln nach einem einheitlichen Konzept.
Das bedeutet für eigene Werke:

Wenn ich keinen besonderen Grund habe, davon abzuweichen, verwende ich die amtliche Schreibweise.

Rechtschreibfehler versuche ich zu vermeiden.

Im Sonderfall verwende ich durchgehende Kleinschreibung, oder fast durchgehende Kleinschreibung mit Großbuchstaben nur am Anfang.

Durchgehende Großschreibung - tatsächlich schlecht lesbar, verwende ich nicht.

In Frakturschriften ist durchgehend groß geschriebener Text praktisch nicht lesbar. In Frakturschriften ergibt Groß- und Kleinschreibung besonders markante Wortbilder.

In der von den karolingischen Minuskeln und den Lateinschriften direkt abgeleiteten heutigen Alphabeten könnte man eine konsequente Kleinschreibung auch in Deutsch verwenden. Das wurde aber am Ende nach jahrzehntelangen Diskussionen verworfen. (Vielleicht schon jahrhundertelangen - wenn man die Gebrüder Grimm mitrechnet.)

Wie man also sieht, wie leicht zu erkennen ist, ist bei der Literatur die Groß- und Kleinschreibung eine Frage des Stils, in staatlichen Institutionen eine Frage der Pflichten, in Verlagen richtet sie sich nach den Eigentümern (Zeitschriften haben eigene Regeln und Auslegungen festgelegt - mit dem Vorbild der amtlichen Rechtschreibung, ergänzt durch eigene Regeln.)

Viele Grüße von Bernd

Ich möchte Marc zustimmen: Groß- und Kleinschreibung wertet ein Werk nicht künstlerisch ab. Ausnahmen bestätigen die Regel.

Zusatz:

Kleinschreibung aber, weil abweichend vom Standard, sollte eine Funktion haben, wenn man sie verwendet. Dann kannsie ein Werk sogar aufwerten.
 

Haget

Mitglied
NoinMoin Myritemaduse,
wie wäre es, wenn Du Deiner Aussage:
>> gerade weil manchmal sich mehr Bedeutungen erschliessen, wenn nicht durch Groß- oder Kleinschreibung Bedeutung festgelegt wird.<<
...ein Beispiel folgen lässt?
 

Haget

Mitglied
MoinMoin Bernd,
Dein Satz führt (so!) zu Missverständnissen, weil 2 Worte doppelsinnig. Ich wünschte mir einen (wohl etwas längeren) Text, bei dem solche Doppeldeutigkeit dem Text im positiven Sinne ,,mehr Bedeutungen'' erschließt; bei dem Kleinschreibung der "Geschichte" dient! - so nämlich war die Eingangs-Aussage (Pro-Kleinschreibung-Plädoyer) doch wohl zu verstehen.
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Lieber Haget,

hier ein Link zu einem umfassenderen Pro-gemäßigte-Kleinschreibung-Artikel.
http://www.vandenhoeck-ruprecht.de/vandenhoeck/essays/kranz_florian/kleinschreibung_text.html

Pro-aktuelle Regelung: (Sprachreport)
http://www.ids-mannheim.de/pub/sprachreport/reform/reformD.html

Mir war klar, dass Du etwas Längeres möchtest.

Die Frage der Missverständlichkeit wird vielleicht auch überbewertet.

Zum Teil sind es tatsächlich ästhetische Gesichtspunkte, die eine Rolle spielen, dazu kommt der Reiz des anderen, der Kampf gegen erstarrte Grundsätze, der Spieltrieb und vieles mehr.

Die Frage der einfacheren Eingebbarkeit auf der Tastatur ist übrigens das, was wahrscheinlich in einigen Jahren den Durchbruch bringen wird. Ich selbst mache die meisten Tippfehler beim Umschalten zwischen Groß und Klein.

Die Frage der Traditionen? Da geht es danach: welche? Grimm wollte an alte anknüpfen, im Grimm'schen Wörterbuch ist die Kleinschreibung weitgehend durchgesetzt. Doch Duden knüpfte - in Übereinstimmung mit der Mehrheit an spätere, jüngere Traditionen an.

Dass es tatsächlich ein nicht durch Gesetze sondern durch Empfinden bedingtes Problem ist, zeigt die letzte Rechtschreibreform. (Wenn es sprachliche Gesetze wären, auf der Groß- und Kleinschreibung beruhen, wäre nichts geändert worden. Es sind Konventionen, Übereinkommen, aber keine Gesetze.)

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Im Marketing wird die Kleinschreibung bereits jetzt auch außerhalb der Literatur angewandt.

---
Grüße von bernd
 

Haget

Mitglied
Hallo myritemaduse, bitte melden!

MoinMoin zusammen,
ich plädiere weder für noch gegen die Kleinschreibung. Sie ist zweifellos bequemer und schneller zu schreiben.
Lesen kann ich (man/frau?) G-K-Schreibung zweifellos schneller und gelegentlich eindeutiger.
Ich wüßte nur sehr gerne, wo für myritemaduse Vorteile FÜR DEN TEXT sieht. Was man in G-K-Schreibung besser oder interessanter darstellen kann, wann sich (wie behauptet) ,,mehr Bedeutungen erschliessen''. - Danke.
 

myritemaduse

Mitglied
das beispiel von bernd

mit bezug auf bernds beispiel führe ich es fort:

der gefangene floh
ward seines lebens nicht froh
doch jetzt freut er sich so


wirkt gerade auch ohne komma

myrite maduse
 

Haget

Mitglied
MoinMoin Myritemaduse,
ich hatte auf ein eigenes Beispiel von Dir gehofft, in dem Kleinschreibung mehr oder interessantere Möglichkeiten eröffnet.
 

BiaBln

Mitglied
Groß oder klein?

Hallo Leute

... also ich denke, dass in der poesie bei kurzen versen ruhig auf die großschreibung verzichtet werden kann. ich selbst schreibe kurze gedichte sehr gerne durchgehend klein.

Allerdings lesen sich längere Texte, wie Erzählungen oder längere Gedichte in der Groß-Klein-Schreibweise eindeutig flüssiger, darum ist meiner Meinung nach davon abzuraten, Geschichten, Erzählungen o.ä. durchgehend klein zu schreiben.

LG Bianka
 

Bilbo

Mitglied
Ulysses

Hallo zusammen,

ich stimme grundsätzlich BiaBln darin zu, dass man in den Gedichten deutlich eher auf Groß- und Kleinschreibung verzichten kann als in längeren Texten. Vielleicht ist es auch in Kurzgeschichten noch akzeptabel. Voraussetzung für einen solchen Verzicht ist für mich allerdings, dass Form und Inhalt zusammenpassen. Wenn man also zum Beispiel das Chaos zum Thema seines Textes macht, wäre es sogar möglich, Groß- und Kleinschreibung vollkommen willkürlich auf die Worte anzuwenden, ohne deren grammatische Einordnung zu beachten. Das ist natürlich nur ein Beispiel. Nach dem gleichen Prinzip versuchte man ja schon im Barock, die - durch Kriege - zerrissene Welt kraft der damaligen Sonette wenigstens in einer teilweise festen, geordneten Form zu beschreiben.

Übrigens musste ich bei dem Thema gleich an James Joyce' "Ulysses" denken. Das Buch ist voll von ähnlichen Sprachexperimenten. Herausragend ist dabei das letzte Kapitel: Dort verzichtet Joyce zwar nicht auf Groß- und Kleinschreibung, dafür aber auf jegliche Interpunktion, und das über mehrere Dutzend Seiten! Zum Zeitvertreib sicher nicht gerade ein Lesegenuss, durchaus aber als Experiment lesenswert.
Vielleicht hilft dir das weiter?!

Gruß,
Bilbo
 



 
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