Grundausbildung II – Physikalische Experimente und Manöver Chapter 5

Grundausbildung II - Physikalische Experimente und Manöver

Glückstadt, dieses kleine Städtchen von Marschland umgeben und vor der Elbe durch den Deich geschützt. Ach, die Ausbildung kommt mir wieder in Erinnerung. Die Ausbildung im Mausbattl. 4, dem 4. Marineausbildungsbattaillon.

Mein Name war ja schon nach kurzer Zeit unter den Unteroffizieren bekannt und er sollte noch bekannter werden. Da ich zum Reinigen der Duschen und übrigen Waschräume verdonnert worden war, natürlich nach Feierabend, musste ich mich sputen um Bonanza im Fernsehraum sehen zu können. Die Fernsehserie mit den Cartwrights, den vier Brüdern auf der Pondorosa-Ranch, war bei den Soldaten die beliebteste Sendung, sie diente zur Entspannung und galt als Höhepunkt des Abends. Eines Spätnachmittags kam einer der Jungs auf die Idee ein übriggebliebenes Präservativ mit Wasser zu füllen. Wir waren sofort dabei und so begeisterten wir uns darüber, natürlich aus rein physikalischen Gesichtspunkten, wie viel Wasser in ein Stück Kunststoff passte.

Um die Sache noch zu steigern, ließen wir den riesigen Ballon durch den Korridor hüpfen und er sprang dabei lustig von Wand zu Wand, die Buben kreischten vor Lachen. Ich stand da mit meinem Schrubber und hatte eigentlich meine Arbeit getan. Einer der Jungs kam auf die Idee mit dem Ballon Fußball zu spielen, aber obwohl deutsche Wertarbeit, nahm der Ballon plötzlich Abschied von seinem völligen Dasein und veränderte sich schlagartig. Es ging „plitsch“ und der Korridor stand unter Wasser. Mit welcher Geschwindigkeit die Jungs ihren Rückzug vollzogen, á la Bonheur, das hätte jeden Offizier, beim freien Manöver im Feld, begeistert.

Ich stand da mit meinem Putzfeudel, fluchte vor mich hin und begann das Wasser einzudämmen, weil es drohte unter der Türritze in die Stube des Wachhabenden zu fließen.
Als ich fertig war und wusste, dass ich die Sendung Bonanza verpasst hatte, verpackte ich, dabei brummig über meine eigene Dämlichkeit, mein Putzzeug in den Reinigungsraum und ging zurück über den Korridor in Richtung meiner Stube. Aber da lag ja noch das geplatzte, nasse Präservativ auf dem Boden, mitten im Gang. Ich überlegte nicht lange, nahm es auf und band es um die Klinke der Türe zum Wachhabenden.

Das nächste Bild sollte man sich einprägen. Man sieht einen jungen Soldaten, am Abend auf dem Rasen vor dem Eingang zur 4. Kompanie stehen, „bewaffnet“ mit Putzfeudel, Eimer, Schwamm, einem Aufnehmer in der einen Hand, jetzt, zusätzlich einer Stange mit Lederlappen, zum Ausschlagen von Funkenflug, einen kleinen Feuerlöscher und einem Block DIN A4, in der anderen Hand, versehen mit der Aufgabe einen Aufsatz zu schreiben, unter dem Titel: „Disziplin, die tragende Säule der Bundeswehr.“ Es vergingen ein paar Tage. In Sachen Tischfußball, im Nebenraum der Kantine, war ich in der Rangliste nach oben stieg, der Ausgang war mir ja verboten worden, aber auch in anderer Hinsicht hatte ich Boden gut gemacht, im Sport war ich sogar einer der Besten. Ob Fußball oder Rugby, ich war vorne mit dabei.

Der Schmadding, ein Hauptbootsmann, war zuständig für die gesamte Seemannschaft, ein kleiner, ca. 50-jähriger Mann mit rundlichem Bauch und leicht angegrauten Haaren, hatte mich zu seinem Aufklarer ernannt. Ich musste seine Bude aufräumen und wenn er etwas vergaß, dann musste ich es ihm besorgen, und zwar im Laufschritt, in seinem Gesicht ein maliziöses Lächeln. Irgendwann war mir das zu bunt geworden. Ich erzählte ihm bei der Rückkehr, dass es aus seinem Spind tropfen würde, wohl wissend, dass er dort seinen Schnaps aufbewahrte. Er schaute mich ungläubig an, stammelte etwas Unverständliches und rannte, auf kurzen Beinen, über den Rasen zurück zur Unterkunft. Wir Jungs standen auf dem Rasenplatz und hielten uns den Bauch vor Lachen. Danach lief ich für ihn nicht mehr.

Eine Woche später ließ Korvettenkapitän von Hahn meinen Aufsatz vor der Kompanie vorlesen, nachdem er sich bei mir dafür das Einverständnis eingeholt hatte. Der Aufsatz war pointiert geschrieben, besaß einige Spitzen und Übertreibungen, die den Soldaten sichtlich gefielen. Das Schmunzeln im Gesicht des Korvettenkapitäns verriet mir, dass er den Aufsatz nicht ernst nahm und sich amüsierte. Es trat Ruhe ein und die tägliche Routine übernahm das Kommando. Beim Sportfest warf mir einer beim Kugelstoßen das Sportgerät genau auf den Fuß. Die schwere Prellung sorgte dafür, dass die Waschräume und die Funkenflugabwehr neue Protagonisten bekamen.

Es dauerte nicht lange und die Vögel pfiffen es von den Dächern, es soll in 2 Wochen zum Wettkampfschießen hinaus nach Nordoe gehen, einem Übungsgelände, in dem wir seit Anbeginn der Grundübung jeden Tag marschieren oder irgendwelche Manöver absolvieren mussten. Das konnte am Tag sein oder in der Nacht. Nordoe, eine Binnendünenlandschaft, bestehend aus Heiden, Magergrasfluren, Dünengras, Sumpfgebüschen, Moorsenken und Eichen-Birkenbeständen, auf zum großen Teil sandigem, dabei welligem Untergrund, das von den Panzern so pulverisiert oder zermatscht worden war, dass wir insgeheim die Offiziere zu diesem Übungsgebiet nur beglückwünschen konnten.

Schinderei war angesagt, wenn der Name Nordoe fiel. Wir gingen, wir liefen, wir robbten oder wir krochen durch dieses Gelände, meist mit Gepäck und allen Waffen. Der feine Sand legte sich wie eine zweite Haut über uns und verstopfte Nase, Ohren, Augen und den Rachen. Noch besser wurde es, wenn es regnete, dann waren wir nicht mehr wiederzuerkennen, alles voll brauner Brühe, von Kopf bis Fuß. Das Kutterpullen auf der Flensburger Förde, war dagegen ein Witz. Nordoe wurde zu unserem Alptraum und an den Abenden nach den Schindereien wurde unsere Stube zu einer Krankenstation. Die Füße aufgerissen und blutig, von Blasen übersät, die Muskeln schmerzten und seine Knochen spürte man noch tagelang. Später wurde es besser, wir wurden klüger und die Unteroffiziere verloren ihre Verbissenheit.
*
Aber einmal, so erinnere ich mich, wurde vor einem Dreitagemanöver angekündigt, dass höhere Offiziere einträfen, um sich dieses Manöver anzusehen. Man benötigte einen Soldaten, der bereit war, in Begleitung der Offiziere, durch das Gelände zu wandern und dabei so zu tun, als wüsste er nicht, dass sie zugegen waren. Er sollte außerdem in der umgangssprachlichen Art mit den Soldaten, über deren Aufgaben und die Schwierigkeiten, die es zu bewältigen galt, sprechen. Man brauchte eine Art Entertainer. Natürlich meldete sich niemand.

Ob ich ein schauspielerisches Talent besaß, wusste ich nicht, aber diese Aufgabe reizte mich. Allein bei dem Gedanken, mit den fremden Offizieren durch das nächtliche Manövergelände zu wandern, überkam mich ein leichtes Kribbeln, nein, nicht wirklich unangenehm, aber es schien mir eine kleine Hürde, über die ich springen musste, eine Art Herausforderung. Ich glaubte manches Mal, ich gehörte vor eine Kamera. Schon bei Schulaufführungen konnte ich mich in die Rolle eines Richters wie in Brechts Stück „Der kaukasische Kreidekreis“ oder in Hauptmanns „Die Weber“, den Pfeifer als Leuteschinder, so herein finden, dass ich die Schulkollegen gleichsam hasste und sie anging, wenn sie, wie die Deppen von der Straße, ihren Text herunter leierten, ohne innere Empfindungen, dabei sahen sie mich verdattert an und sie verstanden nichts.

So wanderte ich also, die Offiziere im Schlepp, über die von Leuchtgranaten in buntes Licht getauchte Dunkelheit, unterhielt mich mit der Besatzung von Bunkern, lag im Nass von Unterständen und fragte die Aufgabenstellung der Einheiten ab. Ich fand dabei wohl den richtigen Ton, der notwendig war, aus den meist eingeschüchterten „Seelords“, doch noch so etwas wie ein Frage-Antwort-Spiel zu entwickeln, während es um uns herum krachte und das Gewehrfeuer mich oft unterbrach oder dazu zwang, Pausen einzulegen. Die Offiziere, hinter mir, mussten keine Deckung nehmen, sie standen aufrecht da, hörten zu oder sprachen miteinander. Die Sache wurde ein voller Erfolg, obwohl ich mir bessere Mitspieler gewünscht hätte, denn ein solches Stück lebt doch vom Dialog. Ich bekam am nächsten Tag, eine Belobigung und damit eine Verbesserung meiner ramponierten Personalbeurteilung.

Wieder vergingen Tage der Eintönigkeit. Im steten Wechsel zwischen Übungen im freien Feld und Unterricht in Schulungsräumen, da verging die Zeit, ohne besondere Merkmale zu hinterlassen. Das Wetter trug dazu bei, dass eine missmutige Stimmung über allem lag. An den Wochenenden spielte ich Skat mit Jungs aus anderen Einheiten oder las in Ritter- oder Abenteuerromanen. Mir war klar, dass ich mich für die Heimreise noch nicht melden konnte, dafür war mein Personalkonto noch zu stark im Minus. Eine Halsentzündung fesselte mich für Tage ans Bett und ich betete zu Gott, dass er mich ja nicht schlucken ließ, was natürlich nicht funktionierte und mir vor Schmerzen die Tränen in die Augen trieb.
Der Arzt empfahl mir die Entfernung meiner Mandeln, ich lehnte ab und tat gut daran. In den nächsten Wochen wurde Marschieren zu einer unserer Hauptbetätigungen und wir begannen Nordoe zu hassen.
 
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Benn

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Ja, ja Glückstadt. Ein Freund von mir hatte sich verpflichtet und mir auch so mancherlei von der Ausbildung erzählt. Du hast den Alltag anschaulich beschrieben. Gefällt mir, weil lebensnah und authentisch. Der Text ist deshalb so interessant, weil für mich als Normalbürger der Alltag von Marinesoldaten im Dunkeln liegt. Gerne gelesen.
 



 
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