Heinrich VII
Mitglied
Die Sache lief jetzt seit fünf Jahren. Es war offensichtlich, dass das nicht ewig so weiter gehen würde. Atemberaubend schnell war es gegangen und er war berühmt gewesen. Ebenso rasch würde er wieder auf Null zurück fallen, da machte er sich nichts vor. Dennoch war er zufrieden mit dem Lauf der Dinge. Alte Schlager in neuem Gewand - ein genialer Einfall. Und das Timing stimmte auch. Die Plattenbosse waren überzeugt, dass die Welt geradezu auf ihn gewartete hatte. Sie klopften ihm anerkennend auf die Schulter und verkündeten: “Guildo, du sollst unser Meister sein.” Und so war der Meister geboren.
Und jetzt tourte er unermüdlich und veröffentlichte neue Alben. Das würde er solange tun, bis sich alles mausetot gelaufen hatte. Und die Bosse lächelten und kamen aus dem Geldzählen gar nicht mehr heraus. Überall herrschte eitel Sonnenschein, hurra, die Quelle sprudelte. Und wenn sie versiegte, würden neue Talente kommen, der Strom der Willigen reißt niemals ab. Show must go on for ever, baby.
Am Anfang, erinnerte sich Guildo, lief die Sache nicht so gut. Da hatte er noch an anspruchsvolle Musik geglaubt, jahrelang eigentlich. Er probierte alles Mögliche, ohne den geringsten Erfolg. Die Welt ist ein Jahrmarkt voller Narren, die mit dem einfachsten zufrieden sind. Diese Erkenntniss kam erst später. Es geht um massentaugliche Konzepte, das war die Realität. Die Plattenbosse sagten: “Wir sind hier nicht bei der Heilsarmee, Junge. Hier werden Noten gemacht, Banknoten.”
Als er endlich verstand, lieferte er die geforderten Konzepte. Und wie durch ein Wunder, begannen die Produktionsmühlen für ihn zu mahlen.
“Wenn wir Glück haben, Junge, lösen wir einen Trend aus. Und dann sollst du mal sehen: Dann scheffeln wir die Moneten, als wären es vom Himmel gefallene Schneeflocken.”
Der gewünschte Trend wurde tatsächlich ausgelöst. Das ganze Land rotierte auf einmal im Schlagerfieber. Und alle wollten ihn hören: Guildo H, den Meister.
Die Bosse sagten: “Jetzt kommt es darauf an, solange wie möglich oben zu bleiben.” Also schickten sie ihren Goldesel ins Studio wegen einer CD, in die Hallen für die Konzerte und ins Fernsehen, um im Gespräch zu bleiben. Wenn er von einer anstrengenden Tournee zurückkam und ein wenig Urlaub wollte, schüttelten die Bosse einmütig den Kopf: “Urlaub, Junge, machst du, wenn du nicht mehr gefragt bist.” Und dann ließen sie einen smarten Herrn mit einem Köfferchen antraben, der ihm ein paar entzückende, stärkende Pillchen verabreichte.
Mamma zu Hause war das zweite Problem. Ständig jammerte sie Guildo die Ohren voll: “Ach Junge..., du bist nie da. Immer seltener sehe ich dich.”
“Es werden Zeiten kommen“, beruhigte Guildo sie dann, „da werde ich Zeit haben. Viel Zeit, Mamma, mehr als mir vielleicht lieb sein kann.”
Ein Jahr später, begann die neue Tournee. Am dritten Tag saß Guildo H. allein in der Gaderobe und bereitete sich auf die abendliche Show vor. Er hatte eine Flasche Rotwein geöffnet und kaute an einer Nußecke, die ihm Muttchen eigens per Post geschickt hatte. Als er in den Spiegel sah, wurde er nachdenklich. So ein Leben hinterlässt Spuren. Er ging näher ran, um sich genauer betrachten zu können. Ringe unter den Augen, das Gesicht etwas aufgequollen. Und die Haare vorne, er fasste sie an, fielen immer mehr aus. Im nächsten Moment trug er etwas Make-up auf und besah sich erneut: “Schon besser.” Er schwärzte Augenbrauen und Wimpern, verrieb etwas Rouge auf den Wangen und betrachtete sich ein weiteres mal: “Um einiges besser.”
Eine ganze Weile fummelte, massierte und kämmte er weiter.Zwischendurch nahm er immer wieder einen ordentlichen Schluck vom Wein. Schließlich betrachtete er das enstandene Kunstwerk. Sich selbst, den Meister. Scherzhaft verbeugte er sich. Danach gönnte er sich noch einen guten Schluck.
Im nächsten Moment klopfte es. Guildo wußte sofort, wer das war. So konnte nur einer klopfen. Also machte er sich gar nicht erst die Mühe, herein zu rufen. Die Tür öffnete sich und ein wohbekannter Mann trat ein. Wortlos nahm er einen Stuhl, drehte ihn um und setzte sich so, dass er beide Ellbogen auf der Lehne abstützen konnte, die Hände unterm Kinn. Eine Weile blieb er so und musterte Guildo.
Dann fragte er: “Hast du´s schon mitgekriegt?”
“Was?”
“Die Kartenverkäufe…, sind nicht so gelaufen. Drei Abende und keine der Hallen voll.”
Guildo grinste und wehrte mit einer Handbewegung ab. “Wird schon noch besser, weißt doch wie´s läuft. Tournee-Anfang und so weiter...
Muß alles erstmal richtig ins Rollen kommen.”
Der Manager sah Guildo skeptisch an. Er zog einen Zettel hervor und sagte: “Ich habe hier die Statistiken der CD-Verkäufe. Auch nich´ so gelaufen..., rückläufig.“
Guildo wandte den Blick ab und dachte: Rückläufig, das hässlichste aller Wörter.
Das Gesicht des Managers verzog sich. “Iss´ so..., sagte er.”
Dann holte er tief Luft und fügte hinzu: “In der Chefetage hadert man bereits mit den Bilanzen.“
Guildo öffnete eine zweite Flasche Wein. Er trank einen kräftigen Schluck und reichte dem Manager die Flasche. Dieser lehnte ab. „Na, dann eben nicht.“
Guildo nahm noch einen ordentlichen Schluck. Danach knallte er die Flasche in die Ecke, wo sie krachend, scheppernd und saftverspritzend zerbrach.
Todesstille folgte …
Bis der Meister sagte: “Weißt du eigentlich, was die ohne mich mit ihren Bilanzen machen können?” Der Manager sah ihn an, als hätte er sich das nie ausgemalt.
“In den Arsch stecken! Wenn ich nicht auftrete und für diese Schmarotzer den Mogo mache, gibt´s nämlich gar nichts.”
Im nächsten Moment klopfte es. Die Tür ging auf und ein Laufbursche kam herein: “Herr H., in 5 Minuten beginnt ihr Auftritt.”
Guildo nickte, erhob sich und betrachte sich ein letztes mal im Spiegel: Der Meister blickte ihn an und grinste… Alles bestens. Er warf dem Manager einen vielsagenden Blick zu, nahm den Türgriff in die Hand, öffnete und schwang sich hinaus auf die Gangway in Richtung Bühne. Das wartende Publikum war schon von Weitem zu hören, als tobe irgendwo eine Meeresbrandung. Und sie riefen: “Guildo, Guildo...”
Es klang gewaltig.
Als der Meister die Bühne betrat, spielte die Band sofort „Guildo hat euch lieb“. Das Publikum geriet augenblicklich in Raserei. Am Ende des Stückes schwitzte der Meister bereits, als stände er unter der Dusche. Die kurzen Pausen zwischen den Liedern nutzte er, um die Anwesenheit zu checken. Längst nicht alle Plätze waren besetzt, das stimmte. Sollte die Sache tatsächlich rückläufig sein? Am zehnten Tag der Tournee kam die Gewißheit. Keine der Hallen war ausverkauft gewesen, wie im Jahr zuvor.
Der Anruf der Plattenbosse erfolgte am nächsten Tag. Einer von ihnen erwischte Guildo auf dem Handy: “Wir laufen in den roten Zahlen, Junge. Die CD-Verkäufe geben auch nicht mehr das her, was sie sollten. Ein Ausgleich findet nicht statt. Um Schaden für uns alle zu vermeiden, müssen wir die Sache abblasen.”
In der Nacht fand Guildo keinen Schlaf, aber ein Plan reifte in ihm heran. Am nächsten Morgen sah man ihn aus einer Bank kommen, Sonnenbrille im Gesicht und einen Koffer in der Hand. Er winkte sich ein Taxi heran, stieg ein und nannte dem Fahrer das Ziel.
“Aber das sind ja mindestens 400 Kilometer.”
Guildo reichte ihm einen Geldschein nach vorne.
“Na, wenn das so ist - dafür kutschier ich Sie sogar auf den Mond.“
„Zu meiner Mutter reicht schon“, erwiderte Guildo.
Unterwegs dachte er: In Ordnung, vor heute Abend wird mich keiner vermissen. Wenn ich mich beeile, kann die Sache hinhauen. Das nächste Gepräch mit den Bossen konnte er sich ausmalen: “Wir hatten da gewisse Ausfälle, Herr H., Sie verstehen? Wir müssen Sie leider an den Verlusten beteiligen.“
Nein, dachte Guildo, nicht mit mir. Er zog das Handy aus der Tasche, wählte die Nummer des Flughafens und buchte zwei Flüge. Danach telefonierte er mit Mamma, kündigte seine Ankunft an und weihte sie in alles ein. Sie freute sich und war einverstanden.
Um 18 Uhr, auf die Minute genau, hob der Airbus ab. Guildo und sein geliebtes Muttchen hatten einen Fensterplatz. Der Aktenkoffer, in dem das gesamte verdiente Geld lag, ruhte auf Guildos Schoß. Er winkte eine Stewardess herbei und bestellte eine Flasche Rotwein. Und dann saßen die beiden da, tranken und brachten sich mächtig in Stimmung. ”Wir werden ab jetzt im Süden leben, frohlockte Guildo. Und wir werden jeden Tag zusammen sein, das verspreche ich.”
Muttchen nickte eifrig und freute sich. Guildo gab ihr einen Schmatz auf die Wange, so heftig, dass sich ein paar der Passagiere umdrehten. Doch niemand erkannte ihn, weil er eine Sonnenbrille trug, nicht geschminkt war und die Meisterklamotten nicht anhatte.
Am nächsten Tag fragte die Bildzeitung ihre Leser: Hat Guildo H. die Tournee abgebrochen? Ist er mit einem Geldkoffer in den Süden getürmt? War Muttchen am Komplott beteiligt? Ist das Platten-Label auf schändliche Art betrogen worden? Darunter ein Foto, das Guildo wie einen Ganoven aussehen ließ. Guildo H. ließ sich nie wieder blicken. Er färbte sein Haar, ließ sein Gesicht etwas verändern und lebt jetzt in einem Haus, weit genug vom Schuss. Muttchen backt immer noch Nußecken und beide leben glücklich in Guildos Haus am Strand.
Aber ganz so einfach war die Sache nicht. Eines Tages, als Guildo am Ufer eines nahen Flusses in aller Ruhe angelte, näherte sich ein Mann. Guildo begrüßte ihn mit der örtlichen Grußformel, doch der Mann erwiderte den Gruß nicht und starrte ihn einen Augenblick lang nur an. Schließlich sprach er auf deutsch: “Du glaubst, du kannst uns entkommen? Sie werden dich finden. Sie werden euch alle kriegen, und dann habt ihr die Konsequenzen zu tragen.”
Überrascht ließ Guildo seine Angel fallen und fragte. “Wer sind Sie und wer schickt Sie?”
Der Mann gab keine Antwort, er ging einfach weiter. Verwundert sah Guildo ihm nach. “Wir kriegen dich, wir kriegen dich!”, wiederholte er, ohne sich noch einmal umzudrehen oder langsamer zu werden. Guildo ließ seine Angelausrüstung und den Hocker stehen, trank hastig das Bier aus, das neben ihm stand, und machte sich eilig auf den Weg zu seinem Haus. Muttchen war da und ohne Umschweife sagte er: “Wir müssen abhauen, sie sind hinter uns her.”
“Wer denn?”
“Vermutlich die Bosse meines Plattenlabels.”
Sie packten ein paar Dinge zusammen und saßen kurze Zeit später in einem Taxi Richtung Flughafen.
Dort angekommen wollte Guildo zwei Tickets kaufen, als der Mann, der ihn zuvor am Fluss angesprochen hatte, erneut auftauchte. Mein Gott, dachte Guildo, verfolgt man jetzt schon jeden meiner Schritte? Der Mann wiederholte: “Du glaubst, du kannst uns entkommen? Sie kriegen dich, sie kriegen euch alle, und dann werdet ihr die Konsequenzen tragen.”
Doch diesmal richtete er seine Worte nicht an Guildo, sondern an eine Frau, die zufällig an ihm vorbeiging. Zwei Polizisten erschienen daraufhin, hielten den Mann fest, und einer sagte auf deutsch: “Es reicht für heute, Berthold, wir nehmen dich jetzt mit.”
Guildo ging zu den Polizisten hin, die den Mann fest hielten und abführen wollten und fragte: “Wer ist der Mann? – er hat das auch zu mir gesagt.”
Der Polizist nickte und erklärte: “Das sagt er zu jedem, der ihm über den Weg läuft. Ein Spinner, der hier gestrandet ist. Fast jeder kennt ihn, keiner nimmt ihn ernst. Er ist harmlos.”
Guildo verstand, war dankbar für die Information und ging wieder zu Muttchen.
“Falscher Alarm – nur ein Spinner.”
Er winkte draußen ein Taxi heran, und sie fuhren zurück zu ihrem Zuhause. Während der Fahrt schaute er aus dem Fenster, die Stadt zog an ihm vorbei, und er spürte, wie die Anspannung langsam von ihm abfiel. Muttchen saß neben ihm, ein sanftes Lächeln auf den Lippen, und drückte seine Hand. “Gut zu wissen, dass es nur ein harmloser Spinner war”, sagte sie leise.
Und jetzt tourte er unermüdlich und veröffentlichte neue Alben. Das würde er solange tun, bis sich alles mausetot gelaufen hatte. Und die Bosse lächelten und kamen aus dem Geldzählen gar nicht mehr heraus. Überall herrschte eitel Sonnenschein, hurra, die Quelle sprudelte. Und wenn sie versiegte, würden neue Talente kommen, der Strom der Willigen reißt niemals ab. Show must go on for ever, baby.
Am Anfang, erinnerte sich Guildo, lief die Sache nicht so gut. Da hatte er noch an anspruchsvolle Musik geglaubt, jahrelang eigentlich. Er probierte alles Mögliche, ohne den geringsten Erfolg. Die Welt ist ein Jahrmarkt voller Narren, die mit dem einfachsten zufrieden sind. Diese Erkenntniss kam erst später. Es geht um massentaugliche Konzepte, das war die Realität. Die Plattenbosse sagten: “Wir sind hier nicht bei der Heilsarmee, Junge. Hier werden Noten gemacht, Banknoten.”
Als er endlich verstand, lieferte er die geforderten Konzepte. Und wie durch ein Wunder, begannen die Produktionsmühlen für ihn zu mahlen.
“Wenn wir Glück haben, Junge, lösen wir einen Trend aus. Und dann sollst du mal sehen: Dann scheffeln wir die Moneten, als wären es vom Himmel gefallene Schneeflocken.”
Der gewünschte Trend wurde tatsächlich ausgelöst. Das ganze Land rotierte auf einmal im Schlagerfieber. Und alle wollten ihn hören: Guildo H, den Meister.
Die Bosse sagten: “Jetzt kommt es darauf an, solange wie möglich oben zu bleiben.” Also schickten sie ihren Goldesel ins Studio wegen einer CD, in die Hallen für die Konzerte und ins Fernsehen, um im Gespräch zu bleiben. Wenn er von einer anstrengenden Tournee zurückkam und ein wenig Urlaub wollte, schüttelten die Bosse einmütig den Kopf: “Urlaub, Junge, machst du, wenn du nicht mehr gefragt bist.” Und dann ließen sie einen smarten Herrn mit einem Köfferchen antraben, der ihm ein paar entzückende, stärkende Pillchen verabreichte.
Mamma zu Hause war das zweite Problem. Ständig jammerte sie Guildo die Ohren voll: “Ach Junge..., du bist nie da. Immer seltener sehe ich dich.”
“Es werden Zeiten kommen“, beruhigte Guildo sie dann, „da werde ich Zeit haben. Viel Zeit, Mamma, mehr als mir vielleicht lieb sein kann.”
Ein Jahr später, begann die neue Tournee. Am dritten Tag saß Guildo H. allein in der Gaderobe und bereitete sich auf die abendliche Show vor. Er hatte eine Flasche Rotwein geöffnet und kaute an einer Nußecke, die ihm Muttchen eigens per Post geschickt hatte. Als er in den Spiegel sah, wurde er nachdenklich. So ein Leben hinterlässt Spuren. Er ging näher ran, um sich genauer betrachten zu können. Ringe unter den Augen, das Gesicht etwas aufgequollen. Und die Haare vorne, er fasste sie an, fielen immer mehr aus. Im nächsten Moment trug er etwas Make-up auf und besah sich erneut: “Schon besser.” Er schwärzte Augenbrauen und Wimpern, verrieb etwas Rouge auf den Wangen und betrachtete sich ein weiteres mal: “Um einiges besser.”
Eine ganze Weile fummelte, massierte und kämmte er weiter.Zwischendurch nahm er immer wieder einen ordentlichen Schluck vom Wein. Schließlich betrachtete er das enstandene Kunstwerk. Sich selbst, den Meister. Scherzhaft verbeugte er sich. Danach gönnte er sich noch einen guten Schluck.
Im nächsten Moment klopfte es. Guildo wußte sofort, wer das war. So konnte nur einer klopfen. Also machte er sich gar nicht erst die Mühe, herein zu rufen. Die Tür öffnete sich und ein wohbekannter Mann trat ein. Wortlos nahm er einen Stuhl, drehte ihn um und setzte sich so, dass er beide Ellbogen auf der Lehne abstützen konnte, die Hände unterm Kinn. Eine Weile blieb er so und musterte Guildo.
Dann fragte er: “Hast du´s schon mitgekriegt?”
“Was?”
“Die Kartenverkäufe…, sind nicht so gelaufen. Drei Abende und keine der Hallen voll.”
Guildo grinste und wehrte mit einer Handbewegung ab. “Wird schon noch besser, weißt doch wie´s läuft. Tournee-Anfang und so weiter...
Muß alles erstmal richtig ins Rollen kommen.”
Der Manager sah Guildo skeptisch an. Er zog einen Zettel hervor und sagte: “Ich habe hier die Statistiken der CD-Verkäufe. Auch nich´ so gelaufen..., rückläufig.“
Guildo wandte den Blick ab und dachte: Rückläufig, das hässlichste aller Wörter.
Das Gesicht des Managers verzog sich. “Iss´ so..., sagte er.”
Dann holte er tief Luft und fügte hinzu: “In der Chefetage hadert man bereits mit den Bilanzen.“
Guildo öffnete eine zweite Flasche Wein. Er trank einen kräftigen Schluck und reichte dem Manager die Flasche. Dieser lehnte ab. „Na, dann eben nicht.“
Guildo nahm noch einen ordentlichen Schluck. Danach knallte er die Flasche in die Ecke, wo sie krachend, scheppernd und saftverspritzend zerbrach.
Todesstille folgte …
Bis der Meister sagte: “Weißt du eigentlich, was die ohne mich mit ihren Bilanzen machen können?” Der Manager sah ihn an, als hätte er sich das nie ausgemalt.
“In den Arsch stecken! Wenn ich nicht auftrete und für diese Schmarotzer den Mogo mache, gibt´s nämlich gar nichts.”
Im nächsten Moment klopfte es. Die Tür ging auf und ein Laufbursche kam herein: “Herr H., in 5 Minuten beginnt ihr Auftritt.”
Guildo nickte, erhob sich und betrachte sich ein letztes mal im Spiegel: Der Meister blickte ihn an und grinste… Alles bestens. Er warf dem Manager einen vielsagenden Blick zu, nahm den Türgriff in die Hand, öffnete und schwang sich hinaus auf die Gangway in Richtung Bühne. Das wartende Publikum war schon von Weitem zu hören, als tobe irgendwo eine Meeresbrandung. Und sie riefen: “Guildo, Guildo...”
Es klang gewaltig.
Als der Meister die Bühne betrat, spielte die Band sofort „Guildo hat euch lieb“. Das Publikum geriet augenblicklich in Raserei. Am Ende des Stückes schwitzte der Meister bereits, als stände er unter der Dusche. Die kurzen Pausen zwischen den Liedern nutzte er, um die Anwesenheit zu checken. Längst nicht alle Plätze waren besetzt, das stimmte. Sollte die Sache tatsächlich rückläufig sein? Am zehnten Tag der Tournee kam die Gewißheit. Keine der Hallen war ausverkauft gewesen, wie im Jahr zuvor.
Der Anruf der Plattenbosse erfolgte am nächsten Tag. Einer von ihnen erwischte Guildo auf dem Handy: “Wir laufen in den roten Zahlen, Junge. Die CD-Verkäufe geben auch nicht mehr das her, was sie sollten. Ein Ausgleich findet nicht statt. Um Schaden für uns alle zu vermeiden, müssen wir die Sache abblasen.”
In der Nacht fand Guildo keinen Schlaf, aber ein Plan reifte in ihm heran. Am nächsten Morgen sah man ihn aus einer Bank kommen, Sonnenbrille im Gesicht und einen Koffer in der Hand. Er winkte sich ein Taxi heran, stieg ein und nannte dem Fahrer das Ziel.
“Aber das sind ja mindestens 400 Kilometer.”
Guildo reichte ihm einen Geldschein nach vorne.
“Na, wenn das so ist - dafür kutschier ich Sie sogar auf den Mond.“
„Zu meiner Mutter reicht schon“, erwiderte Guildo.
Unterwegs dachte er: In Ordnung, vor heute Abend wird mich keiner vermissen. Wenn ich mich beeile, kann die Sache hinhauen. Das nächste Gepräch mit den Bossen konnte er sich ausmalen: “Wir hatten da gewisse Ausfälle, Herr H., Sie verstehen? Wir müssen Sie leider an den Verlusten beteiligen.“
Nein, dachte Guildo, nicht mit mir. Er zog das Handy aus der Tasche, wählte die Nummer des Flughafens und buchte zwei Flüge. Danach telefonierte er mit Mamma, kündigte seine Ankunft an und weihte sie in alles ein. Sie freute sich und war einverstanden.
Um 18 Uhr, auf die Minute genau, hob der Airbus ab. Guildo und sein geliebtes Muttchen hatten einen Fensterplatz. Der Aktenkoffer, in dem das gesamte verdiente Geld lag, ruhte auf Guildos Schoß. Er winkte eine Stewardess herbei und bestellte eine Flasche Rotwein. Und dann saßen die beiden da, tranken und brachten sich mächtig in Stimmung. ”Wir werden ab jetzt im Süden leben, frohlockte Guildo. Und wir werden jeden Tag zusammen sein, das verspreche ich.”
Muttchen nickte eifrig und freute sich. Guildo gab ihr einen Schmatz auf die Wange, so heftig, dass sich ein paar der Passagiere umdrehten. Doch niemand erkannte ihn, weil er eine Sonnenbrille trug, nicht geschminkt war und die Meisterklamotten nicht anhatte.
Am nächsten Tag fragte die Bildzeitung ihre Leser: Hat Guildo H. die Tournee abgebrochen? Ist er mit einem Geldkoffer in den Süden getürmt? War Muttchen am Komplott beteiligt? Ist das Platten-Label auf schändliche Art betrogen worden? Darunter ein Foto, das Guildo wie einen Ganoven aussehen ließ. Guildo H. ließ sich nie wieder blicken. Er färbte sein Haar, ließ sein Gesicht etwas verändern und lebt jetzt in einem Haus, weit genug vom Schuss. Muttchen backt immer noch Nußecken und beide leben glücklich in Guildos Haus am Strand.
Aber ganz so einfach war die Sache nicht. Eines Tages, als Guildo am Ufer eines nahen Flusses in aller Ruhe angelte, näherte sich ein Mann. Guildo begrüßte ihn mit der örtlichen Grußformel, doch der Mann erwiderte den Gruß nicht und starrte ihn einen Augenblick lang nur an. Schließlich sprach er auf deutsch: “Du glaubst, du kannst uns entkommen? Sie werden dich finden. Sie werden euch alle kriegen, und dann habt ihr die Konsequenzen zu tragen.”
Überrascht ließ Guildo seine Angel fallen und fragte. “Wer sind Sie und wer schickt Sie?”
Der Mann gab keine Antwort, er ging einfach weiter. Verwundert sah Guildo ihm nach. “Wir kriegen dich, wir kriegen dich!”, wiederholte er, ohne sich noch einmal umzudrehen oder langsamer zu werden. Guildo ließ seine Angelausrüstung und den Hocker stehen, trank hastig das Bier aus, das neben ihm stand, und machte sich eilig auf den Weg zu seinem Haus. Muttchen war da und ohne Umschweife sagte er: “Wir müssen abhauen, sie sind hinter uns her.”
“Wer denn?”
“Vermutlich die Bosse meines Plattenlabels.”
Sie packten ein paar Dinge zusammen und saßen kurze Zeit später in einem Taxi Richtung Flughafen.
Dort angekommen wollte Guildo zwei Tickets kaufen, als der Mann, der ihn zuvor am Fluss angesprochen hatte, erneut auftauchte. Mein Gott, dachte Guildo, verfolgt man jetzt schon jeden meiner Schritte? Der Mann wiederholte: “Du glaubst, du kannst uns entkommen? Sie kriegen dich, sie kriegen euch alle, und dann werdet ihr die Konsequenzen tragen.”
Doch diesmal richtete er seine Worte nicht an Guildo, sondern an eine Frau, die zufällig an ihm vorbeiging. Zwei Polizisten erschienen daraufhin, hielten den Mann fest, und einer sagte auf deutsch: “Es reicht für heute, Berthold, wir nehmen dich jetzt mit.”
Guildo ging zu den Polizisten hin, die den Mann fest hielten und abführen wollten und fragte: “Wer ist der Mann? – er hat das auch zu mir gesagt.”
Der Polizist nickte und erklärte: “Das sagt er zu jedem, der ihm über den Weg läuft. Ein Spinner, der hier gestrandet ist. Fast jeder kennt ihn, keiner nimmt ihn ernst. Er ist harmlos.”
Guildo verstand, war dankbar für die Information und ging wieder zu Muttchen.
“Falscher Alarm – nur ein Spinner.”
Er winkte draußen ein Taxi heran, und sie fuhren zurück zu ihrem Zuhause. Während der Fahrt schaute er aus dem Fenster, die Stadt zog an ihm vorbei, und er spürte, wie die Anspannung langsam von ihm abfiel. Muttchen saß neben ihm, ein sanftes Lächeln auf den Lippen, und drückte seine Hand. “Gut zu wissen, dass es nur ein harmloser Spinner war”, sagte sie leise.