Gurkes Kurkartenkontrollkarren oder ‚Wie die Littorina-Transgression einen Landkreis formte‘

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Es begab sich also, dass an einem sonnigen Sommertag der unerschrockene Windwattwanderer Sindbad und der achtsame Watangler Nidhöggr den irren Versuch unternahmen, im Land der Sanddornbrause die Ortstaxe zu prellen. Unvorbereitet und unzureichend ausstaffiert preschten sie in die Prohner Wiek. Bald wurden die Scheitel gespült, die Sicht getrübt und der Vortrieb versandete. Umkehr war geboten, die Entschlossenheit aber mitnichten gemindert.

Plan B wurde entfaltet und trug unsere Recken über den Schwedenstrom, die Klausdorfer Steine und weiter bis auf den Vierendehlgrund. Das ist der Punkt, an dem die Kriminalgeschichte beginnt, denn dieses zu einem Nationalpark gehörende Gebiet darf nicht betreten werden. Kein Wunder somit, dass von nun an jeder schwere Stiefelschritt der beiden Rowdys einem empfindlichen Biotop herbe Schläge versetzte. Würmer, Muscheln, sogar das Gelege eines jungen, ganz vorfreudigen Seeadlerpärchens und eine gebrechliche Krabbe, welche ihre schmerzenden Beine wohlig in der Vormittagssonne wärmte, füllten nach und nach das weniger werdende Profil solider Sohlen.

Dessen ungeachtet landeten Nidhöggr und Sindbad bald am Gellen an. Die Socken begannen zu trocknen und eine Insekten abweisende Wirkung zu entfalten, während am Horizont die Strandkörbe empor schnellten. Euphorie machte sich breit und ließ die Tapferen das kleine Leuchtfeuer südlich von Plogshagen besteigen, bevor das herannahende Springhochwasser sie hätte abdriften lassen. Ein gutes Stück war nun geschafft und an Scheitern nicht mehr zu denken. Nur wenige Tauchgänge und Kurskorrekturen später fand man sich die Steinmauer an der Hucke entlang balancieren.

Das konnte nicht unbemerkt bleiben und kaum hatte der rührige Roamanovski Nidhöggrs neckischen Nackenschutz inmitten der üppigen Gischt aufblitzen sehen, begann er seinen schnittigen Karren flottzumachen. Die Radmuttern wurden nachgezogen, die Lufteinlässe poliert und die Sitzpolster aufgeschüttelt. Einen großen Schluck Sanddornschnaps später sah man den wackeren Haudegen irrtümlich und infolge übermäßigen Wankens den Osthang des Dornbuschs hinunter sausen. Auf einem üppigen Haufen Pferdemist mitten in Grieben blieb er schließlich liegen. Nachdem er auch geistig zum Stillstand gekommen war, begannen seine Finger nach dem Monokel zu grapschen und wühlten wild herum.

Sindbad hatte indes als Erster den Fuß der Klausner Treppe erreicht und gewann zügig an Höhe. Nidhöggr wähnte sich ihm auf den Fersen, blieb aber doch ein gutes Stück zurück. Seine Kaufkraft war es allerdings, die beide an der Leuchtturmkasse vorbei brachte. Den weiten Rundblick trauten sie sich nur kurz zu genießen, war ihnen doch entgangen, dass der Kurkartenkontrolleur seinen Dienstpflichten derzeit nicht nachkam. Wieder im Wasser hielten sie sich weitsichtig vom piksigen Enddorn fern und liefen mit Bug Richtung Bug alsbald ins Fahrwasser, wo ihr Skalp erneut jäh geflutet wurde. Murrend gelangten sie auf die Bessinsche Schaar und wurden nur knapp von einem Segelflieger verfehlt, dessen Flug eine fiese Fallbö soeben am selben Ort beendete.

In Wut vereint kam man ins Gespräch und der Bruchpilot war nicht verlegen, seine ungeplante Landung ungeniert auf den Windpark Baltic 1 zu schieben, in dessen Richtung er mit einem kläglichen Fehlversuch zu zeigen bemüht war. Die natürliche Bewegung der Luftmassen werde durch diese teuflischen Anlagen behindert und würde Russland nicht ständig sinnlos sanktioniert, wäre dieser Unsinn gar nicht nötig gewesen. Schweigend nickend, Brot kauend und Tee schlürfend ließ man den Wortschwall über sich ergehen. Die Sonne sank nun auch immer tiefer und kaum hatte der Flugzeugführer sich seines gedanklichen Ballasts entledigt, trat man die Weiterreise an.

Der wirre Wassertaxifahrer Wigald war so freundlich, die zwei durchnässten Deppen nach Schaprode ins Trockene zu bringen. Heiter glucksend ließen sich die Fahrgäste warme Dieselabgase um die Nasen wehen und sahen, wie der Abgestürzte sich mit seinen kräftigen Schwingen in den leuchtenden Abendhimmel davon machte. Es war einer dieser Momente, in denen man die Welt für real halten konnte, und mit deren Schilderung andere zu langweilen, ein ganz feiner Spaß war. Nidhöggr und Sindbad schreckten erst abrupt auf, als ihr Gefährt mit großem Hallo gegen die Pier donnerte und die Gurtmuffel in hohem Bogen auf den Kirchturm geschleudert wurden. Von der Wetterfahne aufgespießt und fixiert, konnten sie noch den Oberrand der Sonne hinter dem Horizont verschwinden sehen. Sindbads sandiger Sombrero sank sanft in sein Gesicht, doch ein Wort der Klage war ihm nicht mehr zu entlocken.
 



 
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