Hahnenschrei (Ballade)

zurabal

Mitglied
Noch vor dem ersten Hahnenschrei
begann dort schon die Plackerei.
Man hörte finster Bäcker schimpfen.
Noch vor dem ersten Hahnenschrei
befahlen sie den kleinen Pimpfen:
„Teigling muss man immer impfen.“
Noch vor dem ersten Hahnenschrei
begann dort schon die Plackerei.

Mit dem zweiten Hahnenschrei
dröhnte durch‘s Dorf die Litanei,
die zu mir herüberwehte,
mit dem zweiten Hahnenschrei.
„Steh‘ doch hier nicht `rum und bete;
gib‘s dem Teigling richtig. Knete!“
Mit dem zweiten Hahnenschrei
dröhnte durch‘s Dorf die Litanei.

Mit dem dritten Hahnenschrei
war es noch lange nicht vorbei.
„Gib dem Teigling endlich Sporen,
nach dem dritten Hahnenschrei,
sonst bekommst du heiße Ohren
und dir wird der Kopf geschoren.“
Es war noch lange nicht vorbei
mit dem dritten Hahnenschrei.
 

James Blond

Mitglied
Willkommen in der Leselupe, lieber zurabal!

Leider liegen deinem Einstandsgedicht zwei Irrtümer zugrunde:
  • Es ist keine Ballade
  • Balladen gehören nicht zu den festen Formen
Näheres dazu auf Rückfrage.

Grüße
JB
 

sufnus

Mitglied
Ich stimme James 55-prozentig zu. Und das bezieht sich nicht auf meine abendliche Getränkeauswahl.
Ja: Es ist keine Ballade.
Jeinneinnein: Die "klassische Ballade" ist schon auch formal definiert. Kein Klopstock- oder Hölderlingedicht im typischen, äußeren (=formalen) Klopstock- oder Hölderlin-"Auftreten" hätte je eine Chance als Ballade eingestuft zu werden, egal wie narrativ es in den Ring springt (keine Ahnung ob es von K. oder H. Balladen gibt, aber wenn, dann entsprechen sie nicht deren jeweils typischer Formensprache. Und ist das jetzt ein Zirkelschluss? Aber sowas von! Trotzdem (nee: desdeweesche) ist es richtisch-so (vorsichtiges Schulterselbstgeklopfe). Wie dem auch sei: Von dieser Warte aus, kann man Balladen schon auch einen hinreichenden Formgehalt zubilligen, um sie als "feste Form" einzustufen (es ist aber natürlich eher die Festigkeit von Wackelpudding, insofern gehen 5% d'accord in die Jameskasse und am Ende ist es ein bisschen ein Streit um des Kaisers Bart... man (James) kann das natürlich mit auch-gar-nicht-so-schlechten Argumenten ganz anders sehen. Ich wollt halt nur mal noch was Widersprüchliches von mir geben und ich glaube der Widersprüchlichkeiten habe ich damit genug abgesondert.
Ansonsten noch zum Gedicht: Abgesehen von seiner Non-Balladizität ist mir ehrlich gesagt am Ende des Lesens noch nicht so ganz klar geworden, warum ich es eigentlich gelesen haben gesollt hätte. Das Gedicht klingt so als hätte es eine Pointe, aber da ist keine (soweit ich sehen kann). Und wenn jetzt einer herkommt und mir verklärt, das wäre ja gerade die Pointe, dann... kann ich das auch nicht ändern. ;)
LG!
S.
PS:
Willkommen an Bord! :) Freue mich auf mehr Lektüre von Dir und bitte darum, meine Launigkeiten unernst aufzufassen.
 
Zuletzt bearbeitet:

James Blond

Mitglied
Hm ... lieber sufnus, du konstatierst der Ballade eine Formfestigkeit von Wackelpudding und würdest sie dennoch mit 90% (bzw. 45% von 50%) Sicherheit zu den Festen Formen rechnen? Hast du denn schon mal erfolgreich einen Pudding an die Wand genagelt? ;)

Abgesehen vom inhaltlichen Aspekt einer Ballade, der selbst noch keine Form ausmacht, würde ich zwar auch eine äußere Form sehen, aber eben keine vorgegebene, sondern eine selbsterwählte. Ansonsten gehörte auch jedes Gedicht mit (irgend)einem wiederkehrenden Metrum, Reim- und Strophenschema zu den festen Formen.

Nein, der Schwerpunkt einer Ballade liegt auf seinem dramatischen Inhalt, den die freigewählte Form nach Möglichkeit zu unterstützen sucht. Für dergleichen eignet sich der Begriff 'Genre' m. E. sehr viel besser.

Eine Ballade braucht zwar Dramatik, aber keine Schlusspointe. Ich weiß nicht, wer so etwas in Wiki einträgt.

Grüße
JB
 

sufnus

Mitglied
Hey James, ich grüße Dich! :)

Das wichtigste zuerst: Erst einmal ist es einem von mir zubereiteten Pudding widerfahren, dass ihn ein wütender Mob an die Wand genagelt hat. Tja. Da hängt er heute noch und soll mir Mahnung und Gedächtnis sein. Immerhin: Alle weiteren von mir zubereiteten Süßspeisenandickungen wurden bis dato rückstandsfrei verzehrt. Alles in allem also eine ganz gute Bilanz.
Was nun die Frage nach der Balladenhauptformgestalt angeht, können wir ganz bestimmt noch bis in die (hoffentlich) kalten Wintertage weiterdiskutieren und dabei das Kunststück vollführen, uns nicht zu einigen, obwohl wir nahezu einer Meinung sein. Das können bekanntlich nur Männer oder solche, die es noch werden wollen.
Wo wir wirklich unterschiedlicher Meinung sind, das ist nur dieses: Der James ist (voller exzellenter, rationaler Argumente an seiner Seite) der Meinung, dass eine Ballade nichts unter den "festen Formen" zu suchen hat. Ich bin (voller fadenscheiniger, gefühlsduseliger Argumente an meiner Seite) der Meinung, dass eine Rubrik "feste Formen" ohne Balladen zwar möglich, aber sinnlos ist. Die Ballade als der Mops unter den Gedichtformen. Ich hasse sie. Ich liebe sie. :)
LG!
S.

P.S.:
Und eine Pointe brauchts in einer Ballade wirklich nicht. Da stimme ich Dir zu, James. Schon wieder. Beinahe unheimlich.
P.P.S.:
Jetzt aber nochmal zurück zum Gedicht, weil hier bisher von meiner Seite nur zu Andeutungsweises zustandekam: Die Verknüpfung des Hahnenschrei-Motivs aus Bibel et al. mit dem Vorgang des Brotbackens ist ob der frühmorgendlichen Bäckerstunde vordergründig naheliegend, aber im Hinblick auf die mitschwingende Symbolträchtigkeit des Hahnenschreis geradezu dadaistisch. Ich glaube, ich hätte mir insofern noch mehr dadaistische Konsequenz gewünscht. Zwar ist die schon teilweise realisiert, wenn beispielsweise den minderperformenden Knetknechten der Kopf geschoren wird, was eine etwas merkwürdige Art der Mitarbeitermotivation darstellt, aber ich glaube, da ginge noch mehr. :)
 

zurabal

Mitglied
Hallo Sufnus,

vielen Dank für Deine interessante Meinung zu Balladen im Allgemeinen und zum Dadaismus im Besonderen.

Gruß zurabal
 

zurabal

Mitglied
Hallo James Blond,

ich bin wieder etwas schlauer geworden.

Ich kenne übrigens so berühmte Balladen wie den Erlkönig, den Zauberlehrlung, Füße im Feuer, John Maynard, etc.. Meines Wissens ist eine Ballade schon eine Gedichtform. ... was heißt hier eine? Viele, nicht nur in Deutschland.
Balladen waren ursprünglich Tanzlieder mit Refrains und so, die es sowohl im volkstümlicher, als auch in künstlerischer Ausführung gibt. Eine Ballade ist eine Erzählung, die klassisch dramaturgisch mit einem Spannungsbogen aufgebaut ist, eben z.B. 1. Appell, 2. Befehl, 3. Drohung, wie z.B. bei den weltberühmten Dramen des Herrn Shakespeare (bei mir fällt das Drama allerdings nicht ganz so spektakulär aus. Da muss ich wohl noch üben.) und dabei festen Formen folgt, wie eben auch ein Lied dem Rhythmus, der Harmonie, den Kadenzen, dem Takt, eben einem Spannungsbogen folgt (z.B. Ravel's berühmter Bolero. Ich finde da hört man den Spannungsbogen wunderbar). Wer's nicht glaubt kann das bei Wikipedia, unter dem Stichwort "Ballade", nachlesen.

Ich habe die Erzählung in diesem Text sogar mit einem ziemlich strengem Reglement umgesetzt, weil es einfach assoziativ zum Thema "Hahnenschrei" (dem obligatorischen "Kikeriki") passt. Das sind Hinweise für Leute, die auf Textanalysen stehen. Du siehst, ich habe die Gedichtform passend zum Inhalt der Idee "Hahnenschrei" ausgesucht.

Tja, und wie geneigte Leserinnen und Leser den Inhalt eines Textes interpretieren, ist ja wohl eine andere Sache.

Viele Grüße zurabal

Vielen Dank für's Lesen.

zurabal
 

James Blond

Mitglied
Das wichtigste zuerst: Erst einmal ist es einem von mir zubereiteten Pudding widerfahren, dass ihn ein wütender Mob an die Wand genagelt hat. Tja. Da hängt er heute noch und soll mir Mahnung und Gedächtnis sein
Heutzutage passiert ja so manches Unglaubliche! Hoffentlich hält es den selbstgemachten Schlabbelpapp am Mahnungsorte, sonst erschlägt er dich womöglich noch beim Herabfallen. ;)
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo, ich rechne Balladen zu den festen Formen, da sie eine Beschreibung der Form und einen entsprechenden Namen haben. So sind sie auch von anderen Formen unterscheidbar. Feste Formen bedeutet nicht unbedingt gleichmäßige Formen. Und das zeigt auch die bisherige Diskussion.

Es bedeutet nicht, dass es nicht zu "Gereimtes" gehört.

Balladen gehören zur Lyrik, sind aber insofern eine Erzählung, dass sie eine Handlung haben, normalerweise. "Erzählung" hat heute mehrere Bedeutungen.

Sie haben aber keine feste Definition zu Rhythmus und genauem Aufbau. Das stimmt. Aber für das Forum haben sie "genügend" feste Form.

Sonst hätte ich es nicht freigeschaltet. Über die rege Diskussion freue ich mich und hoffe, sie ist hilfreich.

Ich begrüße zurabal herzlich als neues Mitglied.
 

James Blond

Mitglied
Lieber zurabal,

mit Interesse bin ich deinen Ausführungen über die Ballade zustimmend gefolgt, bis hin zu den dramaturgischen Spannungsbögen eines Herrn Shakespeare mit ihrer charakteristischen Abfolge von "1. Appell, 2. Befehl, 3. Drohung ". Da muss ich passen. Meines Wissens verfasste Shakespeare überhaupt keine Balladengedichte, auch wenn seine Bühnenstücke im Kern den Balladen ähneln. Tatsächlich erkenne ich in den drei Strophen deines Gedichtes eine Abfolge von Appell, Befehl und Drohung, Unverständlich bleibt mir jedoch, inwieweit allein diese einen dramatischen Spannungsbogen erzeugen können.
Zu einem dramatischen Geschehen gehört eine Handlung, ausgelöst durch einen Konflikt handelnder Protagonisten. Und eben eine Wendung des Geschehens, die zu Beginn nicht absehbar ist.

Was du beschreibst, ist die erste Phase, die Exposition: Ort, Zeit, Personen und Ausgangslage. Aber das reicht nur für den Start zu einer Ballade. In der Tat endet dein Gedicht ziemlich abrupt, noch ehe es richtig Fahrt aufgenommen hat. Es könnte aber eine Ballade werden, wenn du dich daran setzt und eine Geschichte ins Kneten des Brotteigs erfindest, indem z.B. zwei der Pimpfe in den Teig fallen und mitgebacken werden, um anschließend sich als Max & Moritz aus der Brotbrut herauszuknabbern und ihr Unwesen frei nach W. Busch zu treiben. ;)

Grüße
JB
 

James Blond

Mitglied
Hallo, ich rechne Balladen zu den festen Formen,
Hallo Bernd,

ich kenne deine Formeinschätzung der Ballade bereits von einigen Vorläufern und habe mich jetzt schon gewundert, wo du bleibst. Als Moderator der "Festen Formen" bleibt dir natürlich die Entscheidung überlassen und ich möchte nur anmerken, dass ich deine Einschätzung nicht teile und deine Begründung (" da sie eine Beschreibung der Form und einen entsprechenden Namen haben ") mir nicht ausreicht. Aber das sollte hier nicht das Thema sein, wir können das bei Bedarf gern im "Theoretischen Bereich" weiter erörtern. Festzuhalten ist hier nur, dass der vorliegende Text keine Ballade darstellt, ungeachtet der Frage, wozu man die Ballade als Form rechnet.

Grüße
JB
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Ich bin nicht der Großmeister, nehme aber an, nachdem ich alles gelesen habe, dass die Entscheidung richtig war, sonst wäre nicht eine solche sachbezogene Diskussion entstanden.

Einstand soll eine gewisse Mindestqualität haben, aber es ist sicher auch selten ein Meisterstück.

Ich sehe es als gesellschaftskritisches Gedicht, das Parallelen zur Bibel zeigt. "Pimpfe" ist belastet, und es ist so veraltet, dass viele es nicht mehr kennen.

Dabei ist der Umgang mit der Form und dem Inhalt eigentlich eher spielerisch.
Ich selbst würde "Pimpf" aus historischen Gründen nicht verwenden. Aber ich kenne den gegenwärtigen Status des Wortes nicht genügend, um entgültige Empfehlungen geben zu können.

Das Gedicht ist also durchaus aufgeladen.

Zur Struktur: Die rhythmische Struktur mit Wiederholungen erinnert an alte Lieder, an musikalische Balladen.
 

zurabal

Mitglied
Hallo Bernd,

es freut mich, wenn Dir diese Diskussion gefällt.





Hallo JB,

jaha, genau, es geht um den Spannungsbogen der Hahnenschreie: 1. Appell, 2, Befehl, 3. Drohung. Das Thema des Textes ist, dass offensichtlich jemand will, dass etwas gemacht wird, und wie er (oder sie) versucht andere dazu zu bewegen, genau das zu tun, eben mittels Hahnenschrei, eine Form der Kommunikation (Kommunikation ist nun mal ein sehr flüchtiges Ereignis). Der Bäcker und der Teig sind nur eine von unendlich vielen Möglichkeiten, um das Thema „Hahnenschrei“, assoziativ aufzuhängen (Bäcker sind nämlich noch vor dem ersten Hahnenschrei auf den Füßen).

Im Prinzip ist der Text aber so eine Art Parabel (ein Text mit Hintergedanken), wenn du so willst, in dem es um die Kommunikation „Hahnenschrei“ geht. Ich habe ja auch auffällig viel wörtliche Rede verwendet, natürlich auch assoziativ, ... zwecks der Spannung :cool:. Ein bisschen Spaß muss sein.

Das ist ja gerade bei Gedichten oft so, dass sie assoziativ angelegt sind. Damit es eben klar ist, um was es tatsächlich geht, habe ich den Titel „Hahnenschrei“ gewählt, sonst müsste es ja, was weiß ich, „unser tägliches Brot“ oder eben „Max und Moritz“ heißen.

Stimmt, Du hast recht, Shakespeares Dramen sind nicht für Balladen bekannt, aber für exzellente Spannungsbögen (und Sonette), alles ganz wunderbar dramatisch und spannend halt.

Ich hoffe, es ist klarer geworden, wie und warum ich das Thema „handwerklich“ so aufgezogen habe.

Aber wie geneigte Leserinnen und Leser den Text dann interpretieren, ist natürlich eine ganz andere Sache. Einen Text zu schreiben ist eben nicht dasselbe, wie einen Text zu lesen.

Viele Grüße zurabal
 

James Blond

Mitglied
Hm, die "Kommunikation Hahnenschrei" als eine Art von Parabel?

Na, du scheust dich jedenfalls nicht, frische Säue durchs Dorf zu treiben, allerdings scheitert auch dieser Vergleich (ebenso wie der einer Ballade) an der fehlenden Handlung. Und Hintergedanken drängen sich mir auch nicht auf, vielleicht könntest du da noch konkreter nachhelfen?

Was mir einleuchtet, ist der Hahnenschrei als Appell, der durch seine Wiederholung noch verstärkt wird. Das hat Signalcharakter und Bernd hat angemerkt, dass die Struktur an Lieder erinnert:
Die rhythmische Struktur mit Wiederholungen erinnert an alte Lieder, an musikalische Balladen.
Mich erinnert der Text eher an Arbeitslieder, ähnlich den Shanties der Seeleute - vielleicht gar ein Störtebäcker? ;)

Grüße
JB
 

zurabal

Mitglied
Guten Morgen James Blond,



stimmt, es ist wie Lied aufgebaut. Der Handlungsstrang, der Spannungsbogen, ist hier die Kommunikation, die wörtliche Rede:

1. der Appell „Teigling muss man immer impfen“

2. der Befehl „Knete!“

3. die Drohung „heiße Ohren“

Der „Hahnenschrei“ ist sozusagen der Refrain, - zugespamt, wenn Du so willst -, um die Nachdrücklichkeit, die Strenge (eben auch im Reimschema, Versmaß), durch die ständigen Wiederholungen sprachlich zu unterstreichen.

Ich hoffe es ist jetzt klarer, wie ich mir den logischen Aufbau, - Ballade hin oder her, ne feste Form hat es jedenfalls -, gedacht habe.

Wie es geneigte Leserinnen und Leser interpretieren, ist allerdings eine ganz andere Sache. Ich bin mir dessen durchaus bewusst.

Viele Grüße zurabal
 



 
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