Halkyonische Tage

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Vitelli

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Zuerst hörte ich mit den Drogen auf.
Dann mit dem Alkohol.
Ich verzichtete auf Fleisch.
Schließlich wurde ich Veganer.
Aß weder Weißmehl noch Zucker.
Trank allein Quellwasser und grünen Tee.

Kaufte nur noch in Hofläden und Reformhäusern.
Hatte einen Schrebergarten.
Ich begann zu laufen - jeden Morgen, jeden Abend.
Bis ich in einen transzendentalen Zustand erreichte.
Ich lebte im Hier und Jetzt.

Mein Chef sagte, dass ich seit einer Woche keine Mails beantwortet habe.
Ich unterschrieb den vierwöchigen Urlaubsantrag.
Im Reisebüro erzählte man mir von dieser Fähre.
Sie führe ins Gefilde der Seligen, sofern man denn geeignet sei.

Ein alter Seemann begrüßte mich.
Wohin die Reise denn ginge, wollte ich wissen.
Das wird sich erst noch entscheiden.
Wovon das denn abhängig sei, fragte ich.
Der Fährmann muss erst noch dein Gepäck prüfen.
Aber ich habe überhaupt kein Gepäck dabei, sagte ich besorgt.
Doch, sagte der Seemann. Du trägst es schon dein ganzes Leben mit dir herum.
 

Wortliebe123

Mitglied
Hallo Vitelli,
ich grüsse dich. :)

Dein Text gefällt mir sehr, sowohl inhaltlich als auch sprachlich.
Wie schön muss es sein, für eine kurze Zeit in Gelassenheit und Ruhe friedlich leben zu können. ...

Doch kommt mir eine Frage in den Sinn: Kann überhaupt jemals ein Mensch wirklich wissen, ob und wann er sein Gepäck endgültig abgegeben hat? Die halkyonischen Tage dauern ja nicht ewig … wie muss es sich anfühlen, wenn diese schöne Zeit vorbei ist?

LG, Susanne
 

Farzana

Mitglied
Hallo Vitelli,

der Text gefällt mir sehr gut. Er hat eine angenehme Leichtigkeit und regt dennoch zum Nachdenken an. Ein kleiner Punkt ist mir aufgefallen. Der dritte Absatz wirkt, als sei er nachträglich noch angepasst worden. Absätze 1 und 2 können allein stehen, Absatz 4 auch. Absatz 3 ist ein Übergang ohne rechten Bezugspunkt.

Dennoch sehr schön.
 

Vitelli

Mitglied
Hallo Vitelli,
ich grüsse dich. :)

Dein Text gefällt mir sehr, sowohl inhaltlich als auch sprachlich.
Wie schön muss es sein, für eine kurze Zeit in Gelassenheit und Ruhe friedlich leben zu können. ...
Hallo Susanne :)

Vielen Dank für deine Bewertung und netten Worte.

Doch kommt mir eine Frage in den Sinn: Kann überhaupt jemals ein Mensch wirklich wissen, ob und wann er sein Gepäck endgültig abgegeben hat? Die halkyonischen Tage dauern ja nicht ewig … wie muss es sich anfühlen, wenn diese schöne Zeit vorbei ist?
Ja, das ist gute eine Frage. Mein Text könnte darauf eine Antwort geben ;-) Die Tage scheinen wirklich vorbei, die Fähre könnte für die Reise in den Tod, der Fährmann für den Tod stehen. Wohin die Reise geht (Gefilde der Seligen = Synonym für Paradis), entscheidet sich anhand seines Lebensgepäcks #jüngstesgericht

Allgemein hab ich mit der Frage beschäftigt, wie weit Selbstoptimierung gehen sollte, also wo diese hinführt. Der Protagonist kommt halt von einem Extrem (Alkohol, Drogen) ins andere.

Liebe Grüße,
Vitelli
 
Zuletzt bearbeitet:

Vitelli

Mitglied
Hallo Vitelli,

der Text gefällt mir sehr gut. Er hat eine angenehme Leichtigkeit und regt dennoch zum Nachdenken an.

Dennoch sehr schön.
Hallo Farzana,

auch dir lieben Dank für deine Bewertung und Kommentar.

Ein kleiner Punkt ist mir aufgefallen. Der dritte Absatz wirkt, als sei er nachträglich noch angepasst worden. Absätze 1 und 2 können allein stehen, Absatz 4 auch. Absatz 3 ist ein Übergang ohne rechten Bezugspunkt.
Hm, bin mir leider nicht ganz sicher, ob ich das blicke. Der Bezugspunkt sollte sein, dass er so im Hier und Jetzt lebt, dass er seiner Arbeit nicht mehr nachgehen kann. Das läutet dann das weitere Geschehen ein.

Liebe Grüße,
Vitelli
 



 
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