-
Empfohlener Beitrag
- #1
Heimkehr
Heute weiß ich es besser. Mutter hätte dich stehen lassen sollen. Draußen vor der Tür. Aber schon saßt du bei uns am Tisch. Ich musterte dich. Hast du mir etwas mitgebracht? Ich sah zwei Kreuze. Eins aus Metall an deiner zerschlissenen Uniform, ein anderes aus Holz, das du in deiner Hand verstecken wolltest. War das mein Geschenk? Ich fragte nach. Du gabst mir eine Ohrfeige. Du schriest irgendetwas von einem erfrorenen Kameraden. Mutter senkte den Kopf. Als ich weinte, schriest du noch lauter. Bis ich stumm wurde. Mutter schickte mich auf mein Zimmer. War ich jetzt ein Mann, weil ich nicht mehr weinen konnte?
Später schenktest du mir tatsächlich etwas. Ich glaube, Mutter wollte das so. Es war eine Armbanduhr. Ich war unendlich stolz und prahlte damit vor meinen Kumpels. Auf der Rückseite entdeckten wir eine ungeschickt eingeritzte Gravur in einer fremden Schrift. Ich fragte dich nach der Bedeutung. „Irgendein russischer Mist!“, murmeltest du. Dann schriest du wieder urplötzlich los, dieses Mal irgendetwas von Undankbarkeit. Irgendein Ivan wäre für mein Geschenk elendig verreckt und ich würde noch Fragen stellen. Ich rannte auf mein Zimmer. Seit diesem Tag glaube ich an den Tod.
Mein Einberufungsbefehl kam mit den Knüppeln der Militärpolizei. Wir fuhren in einem Transportwaggon an die Front. Neben mir saß ein Junge, nicht älter als vierzehn. Er war einer anderen Einheit zugeteilt. Mehr erfuhr ich nicht, er war fast stumm vor Angst. Ich suchte irgendeinen Trost, aber fand auch keine Worte. Als sein Zug absitzen musste, packte er meinen Arm. Ich musste den Augenkontakt vermeiden, um meine Tränen zu unterdrücken. Da nahm ich meine Uhr vom Handgelenk und schenkte sie ihm. Der Junge brachte kein Dankeschön heraus. Ich zeigte ihm die Gravur auf der Rückseite. „Weißt du, was das bedeutet?“ Der Junge schüttelte den Kopf. „Für meinen deutschen Bruder in Dankbarkeit!“ - „Für meinen deutschen Bruder.“
Der Junge wurde unsanft aus dem Abteil gezogen, ich blickte ihm nicht hinterher. Wir fuhren weiter. Nach einigen Kilometern erreichten wir meinen Frontabschnitt. Ich griff in meine Tasche, umklammerte ein altes Holzkreuz und kehrte zurück in den Krieg.
Heute weiß ich es besser. Mutter hätte dich stehen lassen sollen. Draußen vor der Tür. Aber schon saßt du bei uns am Tisch. Ich musterte dich. Hast du mir etwas mitgebracht? Ich sah zwei Kreuze. Eins aus Metall an deiner zerschlissenen Uniform, ein anderes aus Holz, das du in deiner Hand verstecken wolltest. War das mein Geschenk? Ich fragte nach. Du gabst mir eine Ohrfeige. Du schriest irgendetwas von einem erfrorenen Kameraden. Mutter senkte den Kopf. Als ich weinte, schriest du noch lauter. Bis ich stumm wurde. Mutter schickte mich auf mein Zimmer. War ich jetzt ein Mann, weil ich nicht mehr weinen konnte?
~~~
Später schenktest du mir tatsächlich etwas. Ich glaube, Mutter wollte das so. Es war eine Armbanduhr. Ich war unendlich stolz und prahlte damit vor meinen Kumpels. Auf der Rückseite entdeckten wir eine ungeschickt eingeritzte Gravur in einer fremden Schrift. Ich fragte dich nach der Bedeutung. „Irgendein russischer Mist!“, murmeltest du. Dann schriest du wieder urplötzlich los, dieses Mal irgendetwas von Undankbarkeit. Irgendein Ivan wäre für mein Geschenk elendig verreckt und ich würde noch Fragen stellen. Ich rannte auf mein Zimmer. Seit diesem Tag glaube ich an den Tod.
~~~
Bis zu deinem verging mein halbes Leben. Am Ende throntest du in deinem Bett, kleckertest mit Erbsensuppe aufs Laken und kommandiertest Mutter und mich durch unsere Stube. Täglich um zwanzig Uhr regtest du dich über die Nachrichten auf. Nur als sie verkündeten, dass in den Schulen jetzt wieder die fremde Sprache gelernt werden müsste, bliebst du ganz still. Da ergriff Mutter so überraschend wie sanft deine Hand. Dass du sie für einen Augenblick nicht wegzogst, ließ mich nie mehr los.
~~~
Als an der Grenze die ersten Städte brannten, warst du bereits tot. Zu deiner Beerdigung kamen keine Gäste. Nur ein Pfarrer verdiente sich ein paar Münzen. Meine Mutter, die sich ihr Leben lang um dich gesorgt hatte, warf dir deinen Orden mit ins Grab. Dass sie dabei nicht weinte und sogar eigenartig lächelte, ertrug ich nicht. Mich durchfuhr der Impuls, sie zu schlagen und anzuschreien, damit sie die richtigen Gefühle zeigte. Erst später begriff ich, dass sie an deinem Grab zum ersten Mal richtig fühlen konnte.
~~~
Mein Einberufungsbefehl kam mit den Knüppeln der Militärpolizei. Wir fuhren in einem Transportwaggon an die Front. Neben mir saß ein Junge, nicht älter als vierzehn. Er war einer anderen Einheit zugeteilt. Mehr erfuhr ich nicht, er war fast stumm vor Angst. Ich suchte irgendeinen Trost, aber fand auch keine Worte. Als sein Zug absitzen musste, packte er meinen Arm. Ich musste den Augenkontakt vermeiden, um meine Tränen zu unterdrücken. Da nahm ich meine Uhr vom Handgelenk und schenkte sie ihm. Der Junge brachte kein Dankeschön heraus. Ich zeigte ihm die Gravur auf der Rückseite. „Weißt du, was das bedeutet?“ Der Junge schüttelte den Kopf. „Für meinen deutschen Bruder in Dankbarkeit!“ - „Für meinen deutschen Bruder.“
Der Junge wurde unsanft aus dem Abteil gezogen, ich blickte ihm nicht hinterher. Wir fuhren weiter. Nach einigen Kilometern erreichten wir meinen Frontabschnitt. Ich griff in meine Tasche, umklammerte ein altes Holzkreuz und kehrte zurück in den Krieg.