her, hin, nüber, rüber, nein, rein - Nord-Süd-Gefälle

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Kürzlich verwendete ich in einem Gedicht die Kurzform "nüber" - und wunderte mich, dass sie nicht verstanden wurde. Zunächst prüfte ich das in Grimms Wörterbuch, das aber ist zugegebenermaßen recht alt.
Ich ging der Sache weiter auf den Grund.
Und ich fand folgende bemerkenswerte Stelle im "Duden Die Grammatik", S. 347, 4. Auflage, 1984

her/hin
Im allgemeinen wird mit her die Richtung auf den Standpunkt des Sprechers zu, mit hin die Richtung vom Standpunkt des Sprechers weg ausgedrückt:
her mit dem Geld!, von Westen her; bis zur Mauer hin, nach Norden hin, über den Fluß hin. (In Verbindung mit Verben:) Komm her / Sie sollen das Gepäck herbringen. Wir werden nicht hingehen. Bring ihr das Geld hin.
Dies gilt nicht bei übertragenem Gebrauch der Verben:
Sie zogen über ihn her ( = redeten über ihn). Das wird schon hinhauen ( = einen guten Ausgang haben).
Bei den mit ab, aus, unter usw. zusammengesetzten Adverbien wird an der Unterscheidung der Richtung häufig nicht festgehalten, weil die Bedeutung des zweiten Bestandteiles dominiert. Oft ist gar nicht zu unterscheiden, ob die Richtung auf den Sprecher zu oder vom Sprecher weg gemeint ist. Im übertragenen Gebrauch kommt fast nur her- vor:
Er versuchte ihn herauszudrängen/hinauszudrängen. Sie stieg von der Leiter herab/hinab. Er würgte die Tablette ohne Wasser herunter/hinunter. Sein Haar floß die Schultern herab/hinab; etwas frei heraussagen; sich zu jemandem herablassen; er ist ganz heruntergekommen; ein Buch herausgeben; jemanden herabsetzen.

In der norddeutschen Umgangssprache werden nur die verkürzten Formen von her gebraucht:
Trag die Sachen in das Zimmer rein (statt: hinein)\ Gehen Sie rüber (statt: hinüber)\ Reich ihm den Hammer rauf (statt: hinauf)]
In der süddeutschen Umgangssprache wird dagegen an der Unterscheidung von her und hin auch bei den verkürzten Formen weitgehend festgehalten.
Bemerkenswert ist das Nord-Süd-Gefälle. Während der Süden in den Kurzformen die Richtung unterscheidet, tut das der Norden nicht mehr. Er hat die Form "'nüber" aus der Sprache hinausgewippt. (Oder herausgewippt?)

Für mich interessant: Ein ganz normal gebrauchtes hochdeutsches Wort wird in anderen Teilen Deutschlands praktisch nicht mehr verstanden.
 

Zefira

Mitglied
Ich bin Hessin und gebrauche das Wort "nüber" zwar mündlich, würde es aber im Schriftdeutsch nicht verwenden.

"rüber" ist schon eher literaturfähig ("gehn wir mal rüber"), das "nüber" habe ich bei Dir das erste Mal geschrieben gesehen.

Aber in Deinem Fall ist es eigentlich richtig. Bei "nüber" bleibt die Aufmerksamkeit beim kochenden Topf, der dann die nächste Zeile fogerichtig allein beherrscht, bei "rüber" gehen wir mit Ferdinand mit ins Nebenzimmer - so empfinde ich es.

(falls es jemand noch nicht kennt: ich meine "Ferdinand kocht Tee" von Bernd, http://www.leselupe.de/lw/showthread.php?threadid=33407)
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Liebe Zefira,

ich habe es in dem Gedicht geändert, obwohl ich die Änderung als falsch sehe, da es ohne die Änderung von der Hälfte nicht mehr verstanden wird.

Danke für Deinen Beitrag.

In Volksliedern kommt "nüber" oft vor.

Beispiele:

Tanz rüber, tanz nüber,Tanz naut und tanz no! Ei, leih mir dein Schätzele, Das mein ist net do.

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Bald auf und bald unter,
Bald hin und bald her,
Bald rüber und bald nüber,
Und schon siehst du keins nicht mehr.

(http://ingeb.org/Lieder/eshatsic.html)

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Gemmor weng rüber, gemmor weng nüber - Chor] Ref.: Gehn m´r weng rüber, gehn m´r weng nüber Gehn m´r weng nüber zum Schmied seiner Frau.

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Es gibt noch viel mehr Beispiele. (Google)

http://www.google.de/search?q=nüber&hl=de&lr=lang_de&ie=UTF-8&start=10&sa=N

Viele Grüße von Bernd
 



 
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