Herausforderung

rubber sole

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Freut Euch, wir haben gesiegt!“ Dieser überlieferte Ausruf des antiken griechischen Läufers Pheidippides nach der gewonnenen Schlacht von Marathon im Jahr 490 v. Chr. war Motivation für mich, noch während der Reha-Maßnahme nach einem Herzinfarkt ein Vorbereitungstraining für einen Marathonlauf zu planen. Ich suchte die ultimative Herausforderung nach meinem physischen Break-Down, begleitet von der desillusionierenden Erkenntnis, nicht unkaputtbar zu sein. Für mein neuerliches Vorhaben wurde ich belächelt, nicht von den Ärzten, es waren eher Freunde und Verwandte, die dieses als Spinnerei abtaten. Als ich weiter ausführte, die Distanz von gut 40 km auf der original historischen Strecke von Marathon nach Athen zu laufen, fiel zum ersten Mal das Wort Größenwahn; ich kommentierte dieses nicht, stieg stattdessen ins Training ein. Siebzehn Monate und elf Wochen später war es soweit, ich hatte die ärztlich attestierte Fitness, einen Marathonlauf absolvieren zu können. Voller Energie startete ich den Lauf am Strand von Marathon: Ein großartiges Gefühl, mich einer solchen Herausforderung stellen zu können. Über sanft hügeliges Terrain führt die zunächst leicht wellige Strecke durch das reizvolle Hügelland Attikas, vorbei an idyllischen Dörfern, die inmitten einer von Olivenhainen und Zypressen geprägten Landschaft liegen. Ich genieße die atemberaubende Aussicht in die von Bergen eingerahmte Schönheit der Natur, unter dem klaren, blauen Himmel Griechenlands. Dann steigt der Weg intermittierend an, windet sich dabei durch zunehmend steileres, hügeliges Gelände. Für mich als gut trainierten Läufer eine moderate Anstrengung, die ich so durchaus erwartet habe.

Dann, etwa nach halber Distanz, nahe dem Kloster Moni Pendilis, streifte mich ein ungünstig beladenes Wagengespann, ich stürzte und zog mir dabei eine Beinverletzung zu, die in einem nahen Krankenhaus behandelt werden musste. Ruhe war angesagt, mindestens für zwei Wochen. Und dort war es die Freundschaft zum Pfleger Nikos, die eine Wende in meinem Leben brachte. Durch diesen jungen Griechen änderte ich meine Einstellung zum Laufsport, der in der Folge einen noch höheren Stellenwert für mich einnahm. Nikos war Mit-Initiator eines aufsehenerregenden Wettbewerbs, eines Ultra-Marathons über 245 km von Athen nach Sparta, nur von wenigen Schlafpausen unterbrochen. Ich ließ mich animieren, nach Wiederherstellung meiner Gesundheit, in das anspruchsvolle Training einzusteigen. So wollte ich meine Leistungsfähigkeit steigern, um nicht das sportliche Rest-Leben als 'Mister Halbmarathon', als welchen ich mich nach meiner Zwangspause schon sah, in Unzufriedenheit zu verbringen.

Das Leben in der Trainingsgruppe verschaffte mir die mentale Stärke, mich auf diese extreme sportliche Herausforderung vorzubereiten. Die Tage verstrichen in einer Art Nebel aus hartem Training und Müdigkeit bei diesem Kampf gegen mich selbst, gegen die Grenzen meiner Körperlichkeit und gegen die Erinnerung an den inzwischen lange zurückliegenden Herzinfarkt. Dann war es soweit, ich stand in der Gruppe der Läufer, die sich in Athen versammelten. Der Himmel war noch dunkel, der Rest-Mond schien auf die Stadt herab, als ich die ersten Schritte machte. Die Luft war kühl und klar, und ich fühlte mich, als könnte ich alles schaffen, ich lief mit einem gleichmäßigen Tempo, um den Körper nicht zu überlasten. Als später die Hügel der Peloponnes-Halbinsel in Sichtweite kamen, begann die wahre Herausforderung. Das Streckenprofil wurde anspruchsvoller, der Atem schwerer, zusätzlich brannte die Sonne gnadenlos auf uns Läufer herab. Die Schmerzen in meinen Beinen nahmen zu, doch die Fokussierung auf das körperliche Leistungsvermögen sowie auf meine vorhandene mentale Stärke gaben mir die nötige Kraft, ließen mich weiterlaufen - jeder Schritt war ein Sieg. Später, in der Nacht, als die Dunkelheit sich auf die Laufstrecke legte, spürte ich, dass der wahre Kampf erst jetzt begann. Die Strecke schlängelte sich über Gebirgspfade, die nur spärlich von entfernten Lichtern erleuchtet wurden. Müdigkeit setzte ein, mein Körper war am Limit. Den Moment, als ich das erste Mal die Umrisse der Stadt Sparta zu erkennen glaubte, habe ich nur schwach in Erinnerung, als Halluzination, die während der Anstrengung des Laufs in mir aufstieg: Eine bizarre Mischung aus intensiven Sinneseindrücken und einem Gefühl der Verfremdung, ein verschwommenes Flimmern, das meine Umgebung verzerrte. Ich sah schemenhafte Figuren vor mir auftauchen und wieder zerfließen. Dazu verstörte mich ein erdrückender Klangteppich, der sich als dröhnendes Echo in mir ausbreitete. Und als sich selbst die Landschaft in unwirkliche Details auflöste, kollabierte ich – an den Ort Sparta selbst habe ich außer jene an verschwommene Halluzinationen keine Erinnerung.















 

Shallow

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Hallo @rubber sole,

flüssig geschrieben, die Thematik erinnert entfernt an Haruki Murakami "Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede". Als Kurzgeschichte hat es mich etwas ratlos zurückgelassen. Du hast einen Zeitenwechsel drin, der bei dem Satz "Ich genieße die atemberaubende Aussicht ... " kontrastiert zum bisherigen Präteritum.
Bin nicht sicher, später wechselst du wieder. Ich vermute, das ist so nicht gewollt?

Trotzdem gern gelesen.

Schönen Gruß

Shallow
 

rubber sole

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Hallo Shallow,

bei kurzen Texten einen Zeitenwechsel vorzunehmen, ist in der Tat gewagt, zumal es hier auch noch im selben Absatz geschieht - in anderen Formaten kann eine Erzählung durch solch einen Wechsel durchaus lebendiger wirken. Wie Du richtig vermutest, geschah es hier ungewollt, und dann habe ich noch drüber wegelesen. Danke für deinen Hinweis und dafür, dass Du die Geschichte dennoch gern gelesen hast. "Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede" von H. Murakami habe ich nicht gelesen, hole ich gelegentlich nach; sollte es Ähnlichkeiten in der Thematik geben, wäre dies rein zufällig.

Gruß von rubber sole
 



 
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