Hoffnung - Eine Vampirgeschichte

Arathas

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Hoffnung


In dieser kalten Nacht zitterte sogar Gammon ein wenig, während er die dunkle Straße hinabschritt. Sein langes braunes Haar wehte in seinem Rücken, verflocht sich mit seinem Schal. Mit einem festen Ruck zog er den Mantel um sich und kuschelte sich enger in das flauschige Futter.

Der Wind zerrte nicht nur an seinen Haaren, sondern auch an seinen Gefühlen. Der junge Mann lächelte und erinnerte sich wehmütig an die vergangenen Jahre seines Lebens - Leben? konnte man es überhaupt noch so nennen? - zurück. Traurigkeit hatte die meiste Zeit über ihm gelegen wie eine eisige Decke. Kälte war zu seinem stetigen Begleiter geworden, und er hatte nicht einmal versucht, sie abzuschütteln. Jeden Abend zur gleichen Zeit zu erwachen, die gleichen Dinge zu tun oder tun zu müssen und niemals in den neuen Tag hineinsehen, das hatte etwas von einem Spiel, dessen Regeln man nicht nur nicht brechen durfte, sondern welches man nicht einmal verstand. Und dennoch, er mußte sich an die Spielregeln halten, wenn er nicht rücksichtslos vom Brett gefegt werden wollte.

Er überquerte die Hauptstraße und schenkte den Autos, die ihre Kurven um ihn machten und sich aufführten, als tanzten sie einen komplizierten und undurchschaubaren Tanz mit ihrer ganz eigenen, hupenden Melodie, keinerlei Beachtung. Die Häuser starrten ihn stumm wie immer an. In Wahrheit fraß ihn das Gefühl auf, daß nichts jemals zu passieren schien. Es waren seit jeher die gleichen Häuser. Und es waren schon immer die leeren Blicke der Menschen gewesen, die aus diesen Häusern traten und sich in ein Leben stürzten, das man bestenfalls als monoton bezeichnen konnte, die ihn so verdammt anwiderten. Was ihn noch mehr anwiderte aber war, daß diese Leute ein so monotones Leben führten und es nicht einmal merkten! Ihnen stand die Welt offen, doch was sie letztendlich mit ihr taten, war zu langweilig, um es in Worte zu kleiden.

Der Abendhauch umgarnte den Mann noch ein letztes Mal, bevor er aus dem kalten Schein der Straßenlaternen trat und hinein in einen engen Hausflur. Die Treppenstufen bis in den neunten Stock nahm er ohne ersichtliche Anstrengungen, nur in seinen Augen spiegelte sich das Verlangen, auszubrechen aus der Gewohnheit.

"Lena" murmelte er gedankenverloren, während er auf die Klingel vor der Tür drückte und die Hand zurück in den schwarzen Mantel schob.

Schnell öffnete jemand, und er wurde von einem warmen Lächeln und einem wissenden Gesicht empfangen. Seine Augen waren geschlossen, als er die Haut seiner Liebsten an seiner eigenen spürte.

"Lena" wisperte er wieder, hauchte es in ihre Haare, dort, wo die blonden Strähnen ein zartes Ohr verbargen.

Sie sahen sich in die Augen. Wässrig glänzten die Pupillen der jungen Frau, die ihm geöffnet hatte, und mit einem Handschlag stieß sie die offene Tür ins Schloß. Sie hatten beide schon zuviel über diesen heutigen Abend geredet, als daß es noch weiterer Worte bedürft hätte. Sie wußten beide, was heute abend geschehen würde, doch Gammon konnte sich mit dem Gedanken nicht anfreunden. Zu tief saßen die Gefühle, die ihn jede Nacht aufs neue daran erinnerten, was es hieß, kein Mensch zu sein.

Lena nahm seinen Mantel und hängte ihn ordentlich auf einen Bügel. Natürlich sprengten die inneren Stürme, die in beiden brausten, fast ihre Kräfte, hätten sie einfach verrückt machen können, und eben deswegen besannen sie sich auf das alltägliche und normale.

Ein paar Schritte später, Gammon hatte seine Liebste auf die Arme gehoben und wie eine Braut ins Schlafzimmer gebracht, ließen sie sich nieder. Lena fühlte seinen schweren Atem, als sie eine Hand auf seinen Hals legte, und zärtlich strich sie ihm über die Haut.

Ihre Augen versuchten ihm weiszumachen, daß er sich nicht sorgen solle, doch ihr Herzschlag, den er wie eine Trommel vernahm, pochte so laut und schnell, daß er sie Lügen strafte.

"Versuch nicht, darüber nachzudenken, ob es richtig oder falsch ist" flüsterte sie und legte ihren Kopf an seinen. "Schenk mir nur den Teil von dir, der mich zu dem macht, was ich schon immer sein wollte. Laß mich ewig bei dir sein, doch tu es schnell, bevor mein Mut mich verläßt!"

Gammon lächelte nun ebenfalls. Tränen liefen ihm die Wangen hinab, perlten von den markanten Zügen. Das letzte Mal, daß er geweint hatte, war bereits so lange her, daß er sich nicht mehr daran erinnern konnte. Er wußte nur, daß er zu diesem Zeitpunkt noch Mensch gewesen war. Seit seiner.... Veränderung, hatte er immer gedacht, daß er einfach nicht mehr weinen konnte. Daß dieser Wandel ihm alle Tränen geraubt hatte. Doch er sah die Tropfen auf der nackten Haut seiner Liebsten glänzen und wußte, wie sehr er im Unrecht gewesen war.

"Nimm mich mit auf die Schattenseite" fuhr Lena fort und küßte die Tränen weg. "Dann sind wir frei, endlich frei..."

"Frei wie die Nacht." Er nickte nur und gab ihr einen letzten Kuß. "Ich liebe dich."

Sie spürte seinen Mund an ihrem Hals, wie seine Lippen an ihrer Haut spielten und sie zärtlich streichelten. Ein Ziehen durchfuhr sie, es erinnerte sie an ihre Kindheit, als eine Wespe sie knapp unter dem Ohr gestochen hatte. Doch der Schmerz währte nur kurz, dann verflossen die Gefühle und machten einer betäubenden, sinnesraubenden Wärme Platz.

Sie starrte aus dem Fenster, während er das Blut ihres Körpers in sich aufnahm, und das letzte, was sie sah, waren die Vorhänge, die sich wie Wellen des Meeres kräuselten. Einen wohligen Augenblick, bevor sie in Bewußtlosigkeit versank, fühlte sie seine Nähe noch einmal ganz intensiv, und mit letzter Kraft murmelte sie: "Ich liebe dich auch..."

Die rosige Farbe ihres Leibes wich langsam einer weißen, fast wächsernen. Gammon ließ ab von ihrem Hals und betrachtete sie liebevoll. So ruhig lag sie da, so still. Ihr Körper verriet nicht, daß in ihrem Blut nun das floß, was aus ihr das gleiche machen würde, was er war. Es war nicht mehr viel Blut in ihrem Leib vorhanden. Nur gerade soviel, daß es reichte, sie zu einem von ihnen zu machen. Die Tränen flossen nun wie kleine Wasserfälle aus seinen Augen, er wußte nicht einmal, daß man soviel Wasser in sich tragen konnte. Doch entgegen allem, was er sich ausgemalt, was er sich vorgestellt hatte, ja, was er mit Lena verabredet hatte, schüttelte er den Kopf und beugte sich erneut über sie, versenkte seine Zähne erneut und trank weiter. Die Zukunft, wie sie sie sich vorgestellt hatten, verblich jetzt genauso rasch wie Lena selbst. Gammon zögerte nicht mehr.

Lange, nachdem selbst der letzte Tropfen Blutes ihren toten Körper verlassen hatte, blieb er noch bei ihr liegen und hielt sie fest. Irgendwann, als er draußen vor den Fenstern bereits die Morgenröte am Horizont erkennen konnte und spürte, daß die Sonne bald aufgehen würde, schob er sich von ihr fort und schenkte seiner großen Liebe Lena einen wehmütigen Blick. Er zog die Decke über sie und küßte sie auf die Wange. Die Tränen waren endlich versiegt.

"Ich konnte es nicht tun, meine Liebste. Ich konnte nicht" flüsterte er, während sich hinter ihm der Himmel hellrot verfärbte und der Tag zurückkehrte.

"Das, was du von mir wolltest, ist kein Leben. Es ist nicht einmal der Tod. Es ist etwas, was dich nach einiger Zeit so sehr zerfrißt, daß du dir wünschst, nie geboren worden zu sein. Ich habe dir etwas besseres als das "ewige Leben" geschenkt, meine Teuerste. Es ist die Hoffnung. Ich hoffe, daß deine Priester Recht haben. Ich hoffe, daß unsere Seelen - falls wir ich soetwas überhaupt besitzen kann - in den Himmel auffahren werden, und daß wir dort beieinander sein können. Es ist besser, als das traurige Dasein, das wir ansonsten führen würden.

Es ist das beste, was mir jemals passiert ist. Ich hoffe, daß wir uns wiedersehen..."

Gammon blinzelte, als er einen stechenden Schmerz am Kopf spürte, und als er sich umdrehte, brannte ein kleiner Sonnenstrahl durch das Fenster und versengte seine Haut. Er legte sich ruhig auf das Bett, nahm Lenas tote Hand und wartete, bis das gnadenvolle Licht selbst den letzten Rest von ihm fortgebrannt hatte.
 

Renee Hawk

Mitglied
Hallo Arathas,

also ich muß schon sagen ... toll, einfach toll. Ich habe die Geschichte verschlungen, sie war spannend bis zum Schluß und hat nichts verraten. Guter flüssiger Schreibstil und ein schöne Art die Gefühle zu beschreiben. Doch an zwei Stellen wiederholtest du dich, es ist nicht weiter schlimm, doch es störte mich einwenig beim lesen. Aber es war ein Vergnügen diese Geschichte gelesen zu haben, danke.

Gruß
Reneè
 

Arathas

Mitglied
Wiederholungen

Danke für das Lob. Könntest du mir bitte sagen, welche zwei Stellen das waren, wo ich mich wiederholt habe und die dir aufgestoßen sind?

Danke, Arathas
 

Renee Hawk

Mitglied
jipp, kann ich:

1) „...Ihr Körper verriet nicht, daß in ihrem Blut nun das floß, was aus ihr das gleiche machen würde, was er war. Es war nicht mehr viel Blut in ihrem Leib vorhanden...“

2) „...und beugte sich erneut über sie, versenkte seine Zähne erneut und trank weiter...“


in 1) ist es das Wort „Blut“, welches kurz hintereinander, in zwei Sätzen, erwähnt wird. Was hälst du von dem Wort „Lebenssaft“, im zweiten Satz?

Bei 2) ist es das Wort „erneut“, welches in einem Satz zwei mal erwähnt wird. Auch hier findest zu leicht ein „Ersatzwort“, z.B.: wieder, nochmals, noch einmal, usw.

Aber ich betone nochmal, dass waren die zwei Dinge, die mich als Leser störten, es ist nur meine Meinung *grins*.

Liebe Grüße
Reneè
 

Arathas

Mitglied
Danke :)

Vielen Dank, solche Sachen übersieht man als Autor gerne mal, selbst beim wiederholten Drüberlesen. Ich bin ganz deiner Meinung und werd das ändern.

Arathas
 

Gilmon

Mitglied
Hallo, Arathas!!

Eine tolle Geschichte. Ich war über das Ende überrascht, ich habe ein gewöhnliches Ende erwartet. Der Vampir schenkt ihr das ewige Leben und es liegt faktisch ein Happy-End vor. Aber dieses tragische Ende, was doch eine Art Erlösung ist, gefällt mir. Und das Selbstopfer am Ende ist ganz nach meinen Geschmack.
Was ich allerdings ändern würde, wäre der Titel der Geschichte. Wäre es nicht besser, dass Wort Vampir aus dem Titel zu streichen, weil man sich dann als Leser langsam die Figur des Vampirs erschließen kann und nichts verraten wird.
Gelungen ist auch der Name "Gammon", der ja kein moderner Name ist und darauf hindeutet, dass deine Figur schon länger untot ist. Vor längerer Zeit hatten wir hier gleich mehr Vampirtexte im Fantasyforum:

Andrea "Der Ghul -- Impressionen 1"
Quidam "Ein Wesen der Nacht"
Gilmon "Ein Wesen der Nacht (Gilmons Interpretation)"

Auch Renee hat einen schönen Vampirtext unter "Sonstiges" veröffentlicht (Habe den Namen vergessen).

Grüße, Gilmon
 

Arathas

Mitglied
Hoffnung

Oh, ich werde mir diese anderen Vampirstorys bald mal durchlsesen! Danke für den Hinweis!

Die Geschichte heißt ja übrigens auch 'bloß' Hoffnung. Nur habe ich dem Titel '- eine Vampirgeschichte' hinzugefügt, um mehr Leser zu reizen, mal reinzuklicken. Denn der Name Hoffnung allein kann so ziemlich alles bedeuten. :) Der doofe Name ist also auf den reinen Wunsch nach mehr Leserschaft zurückzuführen. Hat er dich angelockt oder hättest du auch sonst reingeschaut, wenn es er nur 'Hoffnung' gelautet hätte?

Arathas
 

Renee Hawk

Mitglied
also ich gebe offen zu: mich reizte der Zusatz (Untertitel). Meiner Meinung nach ist es gut gewesen den Untertitel zusetzen, er fängt die gewollte Leserschaft.

Habe ich wirklich eine Vampirgeschichte geschrieben? Oder kann es sein das du dich irrst? Laß mal sehen *grübel grübel*, also in meiner Liste habe ich nur zwei Geschichten ausgemacht die eventuell in Frage kämen:

Winter in den Bergen (Untertitel: Ein Traum erwacht)
Angel, das Schwert des Lichtes (Untertitel: Von Schachspielern und anderen Unholden)

aber in beiden Geschichten geht es um den Teufel, ich glaube eher da eine andere Renee gemeint ist, oder kam in den Geschichten nicht deutlich hervor das es sich um den Teufel handelt? Ich weiß es selbst nicht mehr ... hilfe ich bin so vergesslich ...

Gruß in die Runde
Reneè
 

Gilmon

Mitglied
Hallo, Arathas!!

Das ist schon richtig. In der LL kommt es vor allem auf den Titel an, um gelesen zu werden. Das Du die Hinzufügung "Eine Vampirgeschichte" nur für die Lupe gemacht hast, hätte ich mir denken können. Ich habe auch nur daraufgeklickt, weil dieser Zusatz dastand.

Hallo, Renee !!

Ich habe deinen Text nach einiger Suche gefunden. Er steht unter Sonstiges.

Nacht der Vampire (letzter Kommentar 06.02.2001)

Grüße, Gilmon
 

Renee Hawk

Mitglied
*verschämt dreht sie den Kopf zu Boden, ihre zarte Röte ließt darauf schließen, dass es ihr unendlich peinlich war - ein eigenes Werk nicht zu finden, doch dann herhellte sich in Antlitz, in der sanften Erinnerung dieser schwarzen Lyrik*

Ja - du hast vollkommen Recht, doch ich dachte nicht an die Lyrik, sondern an eine Geschichte *grins*.

Liebe Grüße
Reneè
 

Andrea

Mitglied
5 von 10 Punkten

Im Prinzip eine gute Geschichte: sie läßt sich gut lesen, ist sprachlich sicher, hat eine nachvollziehbare Handlung, aber an zwei Stellen würde ich den Rotstift ansetzen:
„Sie spürte seinen Mund [...] liebe dich auch.“ – Dieser Absatz erzählt die Geschichte, die eigentlich Gammons Geschichte ist, aus Lenas Perspektive. Dafür ist der Text aber zu kurz! Da wäre eine Schilderung aus Gammons Sicht besser, und es könnten auch ein paar Gedanken/Erinnerungen etc. einfließen, Themen, die du an der zweiten Stelle anschneidest:
„Ich konnte es nicht tun [...] Ich hoffe, daß wir uns wiedersehen...“ – Das ist m.E. müßig (wobei mir einfällt, diese Jammerstelle am Anfang von wegen: war es überhaupt noch Leben.. oder so ähnlich, fällt unter das selbe Prinzip). Trau deinem Leser ruhig zu, Gammons Entscheidung zu verstehen. Streich seine Erklärung an die tote Lena und laß ihn sich gleich aufs Totenbett legen. Natürlich müßtest du im Text vorher behutsam(!!) seine Qual einführen – aber bitte nicht mit diesem „Oh-es-ist-kein-Leben“-Klischee.
 



 
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