Hey Asbest!
Es gibt das Phänomen des therapeutischen Schreibens. Was aber hierbei die therapeutische Wirkung hervorruft, ist im Einzelfall wohl sehr unterschiedlich.
Es mag sein, dass der Schreibeprozess der Einsicht förderlich ist; dabei kann die wiederholte Lektüre dessen, was man aufgeschrieben hat, besonders nützlich sein. Es mag auch sein, dass ein therapeutischer Effekt von etwaigem Beifall ausgeht, den das Aufgeschriebene beim Publikum hervorruft - manch eine(r) wird über diesen Weg zur Schriftstellerei gefunden haben. Sodann kann über das Schreiben auch ein autosuggestiver Prozess gebahnt werden: Wenn man erst einmal liest, dass man sich gerade als ganz famose Person "beschrieben" hat, glaubt mans am Ende noch wirklich. Da ist fast ein bisschen Magie im Spiel. Aber der Schritt ins Zauberische wird erst bei der vierten Variante vollends vollzogen: Schreiben als Machtmittel. Das wissen schon die alten Märchen: Wer den richtige Namen findet, öffnet damit die Tür zum Schatzversteck oder besiegt den bösen Zauberer. Du bist das Rumpelstilzchen. Gelangen am Ende die richtigen Worte gar in die Schriftlichkeit, ergeben sich Lesezugänge, die in der bloß mündlichen Darbietung verschlossen sind. "Sator arepo tenet opera rotas" ist in mündlicher Rede ein lateinischer Satz, der nur bedingt Sinn ergibt (auch für römische Ohren), ungefähr etwas wie "Der Säher Arepo meistert die Mühen, die Räder" (häh?!) Zum Quadrat angeordnet und in allerlei festgelegten Lesehüpfern durchschritten, öffnen sich plötzliche ganz neue Bedeutungen: "Vater unser, Vater unser: Alpha Omega" oder "Ich flehe Vater, ich flehe Vater, Du heilst".
Schreiben ist von alters her also eine magische Handlung.
Aber so wie nutzbringende weiße Magie postuliert wird, gibt es auch den schädlichen Schatten: Das Geschriebene verfehlt den Erkenntniszugewinn, weil es eh nur die immer ausgetretenen Gedankenpfade reproduziert. Der Applaus des Publikums bleibt aus. Die Autosuggestion nimmt eine Wendung ins Bittere. Der Zauber findet nicht statt.
Ob sich nun bei diesem Text ein therapeutischer Effekt manifestiert, hängt offensichtlich nicht nur, ja nicht einmal in erster Linie von der Leserschaft ab (wenn man vom Applausaspekt einmal absieht). Dennoch kann das Publikum auch bei der Frage nach Erkenntnissen, nach autosuggestiven Wirkungen und nach der Bannkraft verborgener Zusammenhänge einen sinnvollen Echoraum anbieten. Womit ich also jetzt umständlich, umständlich, den Weg zum Feedback beschritten habe.
Nun... da gefällt mir vor allem der gestalterische Aspekt, dass Du die kreisenden Gedanken der Hoffnungslosigkeit durch die nochmalige Wiederholung der ersten beiden Zeilen am Ende des Gedichts abgebildet hast. Ich glaube tatsächlich, dass es für viele Aspekte des therapeutischen Schreibens wichtig ist, wenn die Autorin oder der Autor bei einem Text eine zumindest minimale gestaltende Kontrolle ausübt. Nicht, dass völlig spontane, ungeformte Texte nach Art einer écriture automatique nicht auch seelisch sehr wertvoll sind, sie sind es aber meiner Meinung nach eher im diagnostischen Sinn (auch als Mittel zur Selbstdiagnose) und nur bei äußerst günstigen Glückstreffern (oder sehr geübten Schreiber*innen) tatsächlich auch im therapeutischen Sinn. Was nun diesen Aspekt der Schreibkontrolle angeht, bin ich mir nicht sicher, ob Du die im Hauptteil (vor allem in Strophe 4 und Strophe 5) in ausreichendem Maße ausüben konntest, um dem Text eine heilsame Wirkung zu schenken. Mir scheint, dass hier eher die Stimme der Hoffnungslosigkeit Besitz vom Schreibprozess ergriffen hat. Vermutlich passiert das bei Gedichten sogar besonders leicht. In Deinen Prosatexten, die ich mir mit Interesse und Lesefreude angeschaut habe, scheinst Du mir stärker "das Sagen" zu haben und der Text "passiert" nicht ausschließlich, sondern wird, zumindest in Teilen und vielleicht auch nur vorbewusst, geformt. Gottfried Benn hat mal über Gedichte gesagt, dass diese sich "nicht ereignen" sondern "gemacht" werden. Er hat also auch die wichtige Kontrollfunktion der Autorin oder des Autors beim Schreibprozess betont. Die meisten Hobbyschreiber*innen werden das vielleicht anders sehen. Und auch ein Typ, der wohl nicht unter die Hobby-Kategorie fällt und der vor ein paar hundert Jahren in England z. B. ein paar Theaterstücke und ein paar Sonette verfasst hat, sprach vom "fine frenzy" (wie übersetzt man das?), der den Künstler befällt. Schwerlich ein kontrollierter Vorgang. Hab ich mich also zu später Stunde ein gutes Stück zu weit vorgewagt. Der Wein könnte Schuld gewesen sein.
LG!
S.
LG!
S.